Hamburger Hiobsbotschaft, Münchner Mobbing Klaus-Michael Kühne setzte schon die Elphi durch und plant jetzt den Wechsel der Hamburger Oper in die stinkende HafenCity. Beim Bayerischen Staatsballett hingegen geht die Wiener Primaballerina Prisca Zeisel: gleich, nachdem sie auf der Krim getanzt hat.

"Jewels" von George Balanchine beim Bayerischen Staatsballett

Robert Reimer, der grandiose Dirigent an jenem Abend, mit den Münchner Ballett-Stars Prisca Zeisel und Jinhao Zhang: diamantener Glanz beim Schlussapplaus nach „Jewels“ von Balanchine beim Bayerischen Staatsballett. Foto: Serghei Gherciu

Der Hamburger Senat hält nichts von Traditionen. Man ahnte das schon. Alles nette Getue ist eben nur Getue. Jetzt ist es amtlich: Kultursenator Carsten Brosda, SPD, verhandelt mit einem einst in Hamburg geborenen Mann, der so reich ist, dass er vor lauter Geld nicht mehr gucken kann und entsprechend einen rein auf Masse ausgerichteten Geschmack hat. Klaus-Michael Kühne, der 86-jährige Milliardär mit scharfkantigem, im Ausdruck machtgeilem Gesicht, der in der Schweiz lebt, mischt sich nur allzugern in die Hamburger Kulturdinge ein. Er war mit seinem als Mäzenatentum getarnten Geld schon eine treibende Kraft beim Bau der umstrittenen Elbphilharmonie, die zwar als Touristenmagnet mit Millionensubventionen funktioniert, als Kunststätte mit Profil aber eher wenig zu bieten hat. Egal. Hauptsache, die Bauwirtschaft hat gut daran verdient und alle Welt redet davon. Das soll sich jetzt wiederholen, wenn es nach Kühne geht. Er tritt erneut als Mäzen in Aktion. Und er will ein neues Hamburger Opernhaus. Die jetzige Hamburgische Staatsoper ist ihm nicht gut genug. Und wenn jemand, der so reich ist, etwas will, dann wird er es wohl auch bekommen. Das ist die neue Auffassung von sozialer Gerechtigkeit in diesem Land. Was für eine Hamburger Hiobsbotschaft! In München redet man sich derweil die Köpfe heiß, weil die dort seit 2016 engagierte, bald zur Ersten Solistin aufgestiegene Wiener Ballerina Prisca Zeisel beim Bayerischen Staatsballett ihren Hut bzw. ihr Haarnetz nehmen musste oder jedenfalls nahm. Auch das ist so eine Art neuer sozialer Gerechtigkeit, zumal Zeisel offiziell sogar freundlich von selbst um ihre Vertragsauflösung bat. Wie das für Tänzer ja so typisch ist. Ständig haben sie keinen Bock mehr zu tanzen und bitten um Vertragsauflösung. Oder nennt man so neuerdings den Superrauswurf? Was würde George Orwell zu all dem sagen?

Prisca Zeisel hatte im Sommer, als das deutsche Ballett in den Ferien war, auf einer angesehenen Gala in Sewastopol auf der Krim in Russland getanzt. Neuerdings ist die internationale Berufsausübung von Künstlern in den Augen Mancher aber wohl ein Verbrechen.

"Giselle", klassisch-romantisch von Thomas Mayr inszeniert, beim Bayerischen Staatsballett

Myrtha in „Giselle“ wurde in München von Prisca Zeisel getanzt, hier in einer Pose des Penché zu sehen. Foto vom Bayerischen Staatsballett: Wilfried Hösl

Das Bundesland Bayern ist zumindest künstlerisch derart frei, dass es so einen Auftritt überhaupt nicht goutiert. München passt die Annektion der Krim durch Russland ja nicht, wie auch der Bundesregierung nicht, egal, wie oft die Expertin Gabriele Krone-Schmalz erklärt, was es damit auf sich hatte.

Überhaupt passt den Bayern zurzeit aus politischen Gründen wohl ganz Russland nicht, die Kultur offenbar inbegriffen. Die Verträge mit dem russischen Stardirigenten Valery Gergiev und der Starsopranistin Anna Netrebko, die man letztes Jahr in München am Laufen hatte, wurden ab März 2022 zügig aufgehoben. An der Staatsoper Unter den Linden in Berlin wird Netrebko, der man zunächst auch dort alles aufgekündigt hatte, im September 23 übrigens wieder singen.

Aber im Ballett ist ja alles anders. Hier gehen die gut erzogenen Künstler freiwillig und nach wenigen Gesprächen mit der Leitung von selbst.

Dem Abgang Zeisels ging zudem etwas voran, das von außen wie ein Münchner Mobbing aussah.

Denn weil Prisca Zeisel ein Liebling des fachlich keineswegs unterbelichteten russischen Ballettdirektoren- und Ballettmeisterpaares Igor Zelensky und Jana Zelensky war, hatte man Zeisels Karriere in München nach dem Abgang von Igor Zelensky letztes Jahr anscheinend auf Eis gelegt oder zumindest stark runtergeschraubt. Dabei hatte sie sich in München künstlerisch – tänzerisch und darstellerisch – fantastisch entwickelt, sie tanzte so ausdrucksstark und leidenschaftlich wie nur wenige Tänzerinnen überhaupt.

Der unschlagbar tolerante, topaktuelle Münchner Ballettdirektor Laurent Hilaire aus Paris und die Leitung der Bayerischen Staatsoper haben den Vertrag mit dieser herausragenden Künstlerin Zeisel aber jetzt tatsächlich aufgelöst. Weil sie selbst das ja unbedingt so wollte. Immerhin hat Hilaire sie nicht angezeigt oder gleich in den Kerker werfen lassen.

Da kann sie aber froh sein. Man wünscht ihr ein gutes Angebot aus Russland, wo man die Kunst des Balletts wahrhaftig schätzt.

"Spartacus" von Grigorich - ein moderner Klassiker

Eine Klasse für sich: Prisca Zeisel als laszive, teuflisch schöne Aegina, der notwendigen Gegenspielerin der Guten, in „Spartacus“ von Yuri Grigorovich beim Bayerischen Staatsballett. Foto: Wilfried Hösl

Ein kleiner Rückblick: Zeisel hat außer klassischen Partien wie im „Schwanensee“ auch die romantische Geisterkönigin Myrtha in „Giselle“ und auch Charakterrollen wie die Herzkönigin in „Alice im Wunderland“ von Christopher Wheeldon dargestellt, stets begeisternd. In den „Jewels“ von George Balanchine beherrschte sie mehrfache Partien glamourös. Auch in der russischen Moderne hat sie sich tolle Meriten ertanzt: als Aegina in „Spartacus“ von Yuri Grigorovich. Was eine der besten Produktionen des Bayerischen Staatsballetts überhaupt war.

Aber auch als quirlige Hermia in „Ein Sommernachtstraum“ von John Neumeier, als elegische „Raymonda“ und auch als Henriette in der Inszenierung von Ray Barra, sowie als hervorragende Interpretin von Stücken von John Cranko, etwa als Bianca in „Der Widerspenstigen Zähmung“ und als hinreißend flirtende Olga in „Onegin“ wird uns Prisca Zeisel im Gedächtnis bleiben.

Sie kann Operette, sie kann Drama, sie kann Tragödie, sie kann Liebe. Eine Rundum-Star-Ballerina also. Und eine heißblütige Weanerin dazu.

Aber braucht München eine so vielseitige, passionierte, zudem aus Wien, also immerhin der Nähe stammende Primaballerina überhaupt? Wozu denn, wenn es nur noch um politisches Mitläufertum geht und nicht mehr um Kunst?

Dass in diesem Land, in Deutschland, Künstler wegen ihrer politischen Meinung nicht mehr passten, schien lange her. Nicht lange genug.

Dafür hat jetzt das Geld das Sagen.

Die Bühne von der Bühne aus

Die Blicke können auf der Bühne der Hamburgischen Staatsoper wandern: von einer Zugstange zur nächsten. Überall her kann das bezaubernde Licht kommen! Foto: Kurt-Michael Westermann

Wie im hohen Norden. Bei einem schönen Hamburger Gegenstück zur bayerischen Auffassung von der Freiheit der Kunst.

Dem Superreichen Klaus-Michael Kühne – einem Mann aus der Logistikbranche, der von Kunst und Ästhetik null Ahnung haben dürfte – gefällt, was er auch schon 2022 darlegte, die weltweit herausragend gestaltete, 1955 eröffnete, sehr moderne Hamburgische Staatsoper zwischen Alster und Dammtor-Bahnhof nicht genügend. Meinungsfreiheit. Natürlich darf jeder seine Meinung sagen, und sei sie noch so unqualifiziert.

Kühne sieht nicht, dass die Oper gerade dort vor Ort eine lange Tradition hat. Schon 1678 gab es dort in der Nähe am Gänsemarkt ein Opernhaus. Georg Philipp Telemann, Georg Friedrich Händel und Gustav Mahler dirigierten dort. In jüngerer Zeit baute John Neumeier das weltweit bekannte Hamburg Ballett dort auf.

Und dass man dort, in der guten alten Hamburgischen Staatsoper, auf der Bühne wie auf den Gängen und im Foyer das beste Licht-Design weltweit hat, muss Herrn Kühne glatt entgangen sein. Er hat auch nicht bemerkt, dass die Bühne der Hamburgischen Staatsoper, dieser Zauberkasten, optimale Proportionen für die Kunst und für sinnvolle Inszenierungen hat.

John Neumeier gibt es jetzt auch als Gemälde - Romeo forever

John Neumeier, von Jochen Hein gemalt, im Foyer in der Hamburgischen Staatsoper. In einem echt modernen Opernhaus, zwischen Alster und Dammtor. Foto: Gisela Sonnenburg

Herr Kühne, der Kulturmacher ohne fachgerechte Ausbildung, nur mit Geld, erkannte auch nicht, dass das Parkett und die Logen in der Hamburgischen Staatsoper so angeordnet sind, dass man von jedem Platz einen guten Überblick und, was in der Oper noch wichtiger ist, ein sehr gutes Hören hat.

Was das zeitlos-moderne Indoor-Design mit weißem Marmor, rotem Samt, edlem Holz und lindgrünem Teppich angeht, so ist Herr Kühne wohl ebenfalls mit Blindheit geschlagen. Vielleicht fehlt ihm einfach der Bildungshorizont. Wir sollten dem Superreichen mal ein paar gute Bücher spendieren.

Herrn Kühne ist nämlich alles einfach zu alt und nicht spektakulär genug. Das ist aber keine fachkompetente Haltung, keine, auf die man Entscheidungen bauen sollte.

Und dann missfällt Herrn Kühne auch noch der zentrale Standort der Hamburgischen Staatsoper! Da kommt ja jeder hin. Das geht in der Meinung eines Superreichen wohl gar nicht. Besser sind Orte, die man bequem mit dem Privathubschrauber erreicht, oder wie?

Die Hamburger HafenCity – ein hässliches, wie geklont wirkendes Neubauareal am windig-rauen Nordseewasser – braucht nach Auffassung von Herrn Kühne jedenfalls wohl noch dringend Input. Dort steht ja schon die mit seinem fetten Geld gebaute Elphi. Aber das reicht Kühne noch nicht. Jetzt soll auch das neue Opernhaus dorthin.

Herr Kühne hat nicht bemerkt, dass es in der HafenCity oft widerlich stinkt.

Ob er dort überhaupt je spazieren ging? Das Pumpwerk, das dort seit 1958 seinen Dienst versieht, schafft nicht mehr alles. Jedenfalls verstieg sich eine Hamburger Lokalzeitung mit einer Auflage von über 100.000 schon vor zwei Jahren dazu, den Hamburgern zu empfehlen, Pfannen und Töpfe nurmehr mit Küchenpapier auszuwischen, statt Öle und Fettreste ins Abwasser fließen zu lassen. Allen Ernstes. Damit es in der teuren HafenCity nicht mehr so stinkt.

Gestank und Kunst passen nun nicht so ganz gut zusammen. Die Besucher der Elphi werden dazu aber nicht befragt. Ihnen weht eine steife Brise um die Nase, ihnen werden reichlich alkoholische Getränke angeboten – wer will da noch meckern, wenn er mal einen auf Kultur macht.

Aber für eingefleischte Kunstliebhaber ist eine olfaktorische Belästigung kein Grund zur Freude. Man spricht auch von Schöngeistern, deren Schönheitssinn sich bekanntlich auf alle Sinne erstreckt. Sollen sie nun einfach nur mehr Parfum benutzen? Wird das reichen? Wird Douglas daran auch genug verdienen? Oder wer?

Lesen Sie hier, was nicht in BILD und SPIEGEL steht! Und spenden Sie bitte dafür! Journalismus ist harte Arbeit, und das Ballett-Journal ist ein kleines, tapferes Projekt ohne regelmäßige Einnahmen. Wir danken es Ihnen von Herzen, wenn Sie spenden, und versprechen, weiterhin tüchtig und unbestechlich zu sein. 

John Neumeier wollte der Hamburger Senat ja vor einigen Jahren auch schon mit seinem Ballettmuseum in diese stinkende HafenCity einpflanzen. Neumeier hat das klugerweise verweigert und für die Schätze seiner Stiftung John Neumeier etwas Schickes im Altbauviertel Pöseldorf gefunden. Nicht allzu weit von der heutigen Oper entfernt.

Die neue Hamburger Oper aber, oha, soll alles Alte vergessen machen.

Noch mehr Bühnentechnik soll es dort bitte sein, noch viel mehr davon – denn das ist die Zukunft, da sind sich Wirtschaft und Politik einig.

Weg mit künstlerischen Intentionen, her mit Laut und Bunt als bezahlte Konzeptionen.

Der kulturinteressierte Mob soll bespaßt werden, berieselt von oben bis unten und das möglichst als massive Meute in riesigen, immer noch größeren Hallen. Wollt ihr die totale Unterhaltung?

Wer hingegen feinsinnige Kunstdarbietungen sehen will, soll zuhause bleiben und vielleicht für sich selbst singen. Machen ja auch Einige schon, oder sie halten besoffenes Karaoke für den Gipfel des kulturellen Vergnügens. Diese Leute müssen dann auch nicht mehr in die Oper, eher in Massenspektakel, sodass man Opernhäuser gleich als Mehrzweckhallen entwerfen kann. Klar ist: Hauptsache, Laut und Bunt kommen zu ihrem Recht.

Kultur feiert feste.

Stilvoll: das Foyer der Hamburgischen Staatsoper. Man kann zurecht von einem „Tempel der Kunst“ sprechen… wenn man dafür genügend Geschmack hat. Foto: Gisela Sonnenburg

Krachlederne Vergnügungsoper für die Halbsenilen und so genanntes Tanztheater für die Jugend, bevor sie in den Club abzwitschert, könnten die Übergangszeit füllen – so stellen sich Wirtschaft und Politik ganz sicher die neue Kunst des freien Westens vor. Sonst würden sie mit einem wie diesem Kühne nämlich gar nicht reden. Die Staatskunst sollte für die Bevölkerung da sein, nicht von den Reichen (ein)gemacht. Aber was ist die Realität?

Da muss man schon Angst vor dem Brosdatakrebs haben, wenn man die Kultur liebt.
Gisela Sonnenburg

P.S. Tatsächlich wurde am 21.09.23 bekannt, dass Prisca Zeisel am 27.09.23 am Mikhailovsky Theater in Sankt Petersburg die Gamsatti in „La Bayadère“ tanzen wird. Glückwunsch und alles Gute! 

www.staatsoper-hamburg.de

www.hamburgballett.de

 www.bayerisches-staatsballett.de

 

 

 

 

ballett journal