Sinnlichkeit noch im Schockzustand Inhalte statt Formalismen: „Duato / Kylián / Naharin“ beim Staatsballett Berlin erfüllt höchste Ansprüche an zeitgenössischen Tanz

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Großer Schlussapplaus für „Castrati“ von Nacho Duato beim Staatsballett Berlin in der Deutschen Oper Berlin. Was für eine Leistung! Foto: Gisela Sonnenburg

Das hier ist kein Abend für Ewiggestrige. Ein bisschen aufgeschlossen muss man schon sein, um ihn zu genießen. Aber dann: Wer sich einlässt auf die drei choreografischen Handschriften von Nacho Duato, Ohad Naharin und Jiří Kylián, taucht ein: in ein ästhetisches Panorama aus humanistischem Problembewusstsein, modernem Freiheitsgefühl und zeitloser Sinnlichkeit. Mit dem Dreiteiler „Duato / Kylián / Naharin“ ist das neue Staatsballett Berlin bei sich angekommen – und zeigt, dass sein Intendant Nacho Duato, seit einem Jahr im Amt, für ein Konzept hochkarätiger Programmabende steht, das für die fortschrittlichen Kulturbesucher in Berlin wie maßgeschneidert ist.

Ins Dunkel der nur spärlich, aber stimmungsvoll ausgeleuchteten Bühne (Licht: Brad Fields) laufen, leichtfüßig und voller Anmut, acht Tänzer. Sie tragen flatternde lange schwarze Kleider mit einer runden Aussparung am Rücken. Darunter schimmert ein rubinrotes Textil wie eine stilisierte offene Wunde (Kostüme: Francis Montesinos). „Castrati“ von Nacho Duato bezeichnet das traurige Phänomen hoch begabter junger Sänger, die vom 16. bis weit ins 19. Jahrhundert hinein zwecks Erhalt ihrer Knabenstimmen kastriert wurden. Vor allem im Barock wurden diese Kastraten mit ziselierten, jauchzenden und vor allem androgyn-erotischen Arien der berühmtesten Komponisten gefeiert. Der Kinofilm „Farinelli“ (1994) trug das Tabu um die Kastration einer breiten Öffentlichkeit an.

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Wei Wang vom Staatsballett Berlin als Opfer. Ein Tabu wird gebrochen: Nacho Duato hat mit „Castrati“ ein Ballett über ein großes Problem des Barocks erarbeitet – aber auch heute gibt es, zum Beispiel mit den Beschneidungen der Mädchen im islamischen Afrika, vergleichbare Kinderfolter. Foto: Yan Revazov

Hier, im Ballett, geht es nicht um den Erfolg der Gesangskünstler, sondern um das Leid und auch um die Gruppendynamik unter all jenen, die vom selben Leid betroffen sind. Als die Gemeinschaft der tanzenden „Castrati“ in die Hocke geht, als gelte es, eine kommende Matchpartie zu bestehen, ahnt man den Corpsgeist, der hier, genau wie in der Realität unter eingeschworenen Gruppen, aufkeimen wird.

Doch zunächst trägt die Musik von Antonio Vivaldi einen tief in den Barock, in die Ambivalenz aus Todesahnung und Lebenswille.

Geschmeidig biegen sich die Tänzer, lassen sich von der Musik auf der Bühne hin- und hertreiben, bilden Blöcke und kleine Truppen. Nur ab und an greifen sich die acht Tanzenden zwischen die Beine, als wollten sie dort etwas halten, das nicht mehr da ist. Die offene Wunde, die niemals heilt, ist der Verlust der selbstbestimmten Sexualität, der Mannbarkeit, der Zeugungsfähigkeit.

Ganz sicher ist „Castrati“ eines der besten Ballette der Gegenwart. 

Nacho Duatos „Castrati“ – das Staatsballett Berlin tanzt die „Problemtypen“ wie hausgemacht – ein unter die Haut gehendes Erlebnis! Foto: Yan Revazov

Taras Bilenko, Arshak Ghalumyan, Arman Grigoryan, Olaf Kollmannsperger, Alexej Orlenco, Kévin Pouzou, Marian Walter und Mehmet Yümak tanzen diese schwierigen Partien zwischen Opfersein und Täterwerden: mit einem feinfühligen Gespür für ausdrucksvolle Nuancen und dennoch markant-männlicher Sportivität.

Sie übersetzen das, was am Gesang der Kastraten so faszinierend war – eine oszillierende Zweigeschlechtlichkeit – in Tanz. Da ist das Fein-Erhabene, gepaart mit dunkler Kraft. Da ist das Graziöse, gepaart mit Aggression.

Das exzellent zusammen gestellte Programmheft liefert hierzu eine Pretiose, ein Fundstück aus einem italienischen Lexikon aus den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts: Der Artikel erklärt sachlich, aber in präziser Analyse, worum es sich beim Kastratentum genau handelte. Auch die Tatsache, dass die meisten der kastrierten Jungs eben keine Farinellis wurden, sondern sie ausgestoßen aus den normalen Gesellschaftsabläufen ein armseliges Dasein führten, wird darin beschrieben.

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Zwei „Castrati“ und das Opfer: Sie üben, im gleichnamigen Ballett von Nacho Duato, den Ernstfall, den blutigen Initiationsritus. Eindringlich getanzt vom Staatsballett Berlin. Foto: Yan Revazov

Die Faszination der hoch gezüchteten, speziell ausgebildeten Kastratenstimme aber wird ebenfalls trefflich definiert: „Die Kastratenstimme verband männliche Gesangs-Qualitäten wie Flexibilität, Beweglichkeit und Leichtigkeit mit der Brillanz der weiblichen Stimme und deren Möglichkeiten verschiedenster Verzierungstechniken“.

Heute sind es die Countertenöre, die nur mit der Kopfstimme singen und darin auch ohne Eunuchentum einen hohen Grad an Perfektion erreichen. Die „atemberaubende, verwirrende Schönheit“, die von manchen Kastraten ausgegangen sein soll, findet sich auch etwa im Timbre eines Michael Chance, dessen Vivaldi-Gesang zum Tanz eingespielt wird. Das ist allerding der einzige Schwachpunkt der Inszenierung: dass die Musik vom Band kommt, obwohl man hier mit Live-Gesang vielleicht noch eine zusätzliche Bedeutungsebene hätte schaffen können. Aber die Hingabe der Tänzer fasziniert ohnehin so dermaßen, dass Live-Musik es dagegen auch wirklich schwer hätte.

Nachdem sich die „Bruderschaft“ der Kastraten im ersten Bild manifestiert hat, erscheint der Novize: ein Junge, der keinen schwarzen Mantel und auch kein Mieder – wie andere Kastraten – trägt, sondern ein hautfarbenes Hemd. Es verleiht ihm die allgemeine Anmutung von Nacktheit und Schutzlosigkeit, von Ausgeliefertsein und der Suche nach einem Ausweg.

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Ausdrucksstark und hingebungsvoll: Wei Wang als Opfer in „Castrati“ von Nacho Duato – ein faszinierendes Erlebnis mit dem Staatsballett Berlin. Das auch faszinierende Foto stammt von Yan Revazov

Wei Wang, der junge Chinese, der 2010 in Peking als bester Nachwuchstänzer des Landes ausgezeichnet wurde, tanzt diese Rolle des Opfers – des Jungen, der zwangskastriert werden soll – mit bis in die Zehenspitzen stimmiger Haltung. Eine Pose ist typisch für seine Rolle: Er liegt auf dem Rücken, die Beine in die Höhe gereckt, einwärts, mit abgeknickten Füßen – ein Leidensanblick, aber mit Sinnlichkeit noch im Schockzustand.

Es ist gewiss viel schwieriger, solche Parts wie diese hier in „Castrati“ zu tanzen als die immer nur frisch-fröhlichen Kavaliere. Aber die Mühe lohnt sich: Es geht von den ersten Minuten an unter die Haut, was man hier zu sehen bekommt.

Zunächst liegt der Neuling am Boden, und als er sich langsam aufrichtet, scheint er nicht nur zu ahnen, sondern zu wissen, was alles an Schmerz körperlicher wie seelischer Art auf ihn zukommen wird. Aber Wei Wang charmiert nicht, er trägt nicht dick auf, im Gegenteil: Er spielt, dass er versucht, den Kummer mit sich auszumachen, sich zu zügeln, die Angst nicht Oberhand gewinnen zu lassen. Das ist wunderschön und anrührend zugleich; und es eröffnet einem den Zugang zur Seele eines Knaben, der für das Talent, das er hat, zugleich in sexueller Hinsicht – bildlich gesprochen – hingerichtet werden soll.

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Der Schmerz der Kastraten – zu sehen in „Castrati“ von Nacho Duato beim Staatsballett Berlin. Foto: Yan Revazov

Zwei der Kastraten führen dann in einem herzzerreißenden Pas de deux vor, worin der Trost und die Gnade in dieser seltsamen Gemeinschaft liegen: Man hält sich gegenseitig, man tanzt harmonisch-synchron, und einer hält dem anderen die Augen zu, wenn die Wahrnehmung der Realität mal wieder zu schmerzlich werden könnte. Kévin Pouzou und Arshak Ghalumyan vollführen zu den hehren Countertenorklängen eindringlich dieses Daseinsspiel – und man kann sich einfühlen in eine Parzelle einer jeden nach außen abgeriegelten Männergesellschaft, sei es im Fußball, im Kloster, im Führungskader.

Kastration hin oder her – gerade weil auf diese Art nur Männer rituell kastriert werden können, hat sie schon wieder eine „männliche“ Note, erinnert an jede mackerhafte Kumpanei, in der Homophobie und Homophilie sich unzertrennlich mischen. Und dennoch leiden die Seelen unter den Verhältnissen, das war damals so und ist heute unter bestimmten Umständen nicht anders.

Es ist ungeheuer faszinierend, das so präzise getanzt und „gelebt“ auf der Bühne vor sich zu beobachten.

Zwei Kastraten mit Manschetten an den Handgelenken tanzen heran – sie wirken wie Gladiatoren in der Arena. Marian Walter und Alexej Orlenco bewegen sich hier betont sportiv, aufeinander bezogen wie ein kleiner Guerilla-Trupp. Die ganze Welt ist Gefahr, aber auch Bühne! Und das Bühnenbild – vom Choreografen Nacho Duato ersonnen – betont diese Nuance eines Spiels im Spiel, denn es zeigt im Hintergrund einen die Wand ganz ausfüllenden samtenen roten Theatervorhang.

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Macht und Unterwerfung prägen auch das Miteinander der Erwachsenen – in „Castrati“ von Nacho Duato, einem der besten Ballette der Gegenwart, meint ballett-journal.de. Foto: Yan Revazov

Es folgen Soli, Quartette, Paartänze, die die beklemmend-brisante Atmosphäre weiterhin bis in Details voran treiben. Vor allem Olaf Kollmannsperger und Arman Grigoryan fallen mit spannungsvollen Körperbögen auf.

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Die Männer halten zusammen, auch gegen ein Kind, das einer der ihren werden soll: „Castrati“ von Nacho Duato beim Staatsballett Berlin. Foto: Yan Revazov

Manchmal blitzen Fragmente aus dem Flamenco auf, es gibt dieses Stampfen, es gibt das sich paarweise Drehen auf dem Platz, es gibt Hebungen und Würfe der Männer untereinander – und raffiniert geht es mal sehnsuchtsvoll empor, dann wieder runter Richtung Boden, in die Rückenlage, in eine depressive Grundhaltung. Der blitzschnelle Wechsel von Gefühlen und Körperhaltungen ergibt insgesamt genau jene Melange, die man sich in so einer Gruppe vorstellt.

Die Mieder bei den Kastraten wirken da ganz organisch, denn als Männer ohne Hoden müssen sie verstärkt eine weibliche Ausstrahlung an sich haben.

Alles in allem entsprechen sie der Faszination der Androgynität, ohne tuntig-zwitterhaft oder weichlich zu wirken. Im Gegenteil: Flexibilität, Beweglichkeit, Leichtigkeit – dazu Brillanz und reichhaltige Verzierung – in modernes Ballett übersetzt, das heißt hier auch: Schnelligkeit, Kraft und Stärke.

Das Tempo zieht an, die Stimmung wird aggressiver. Der Zeitpunkt der grausamen Tat rückt näher. Mehrfach erlebt das Opfer Wei Wang eine Art Initiation – vorerst noch ohne Kastration – als Vorbereitung. Die Männer zerren an dem Jungen, unterjochen ihn, demonstrieren ihre Macht und Überlegenheit.

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Das Opfer wird ihnen nicht entkommen: „Castrati“ von Nacho Duato beim Staatsballett Berlin. Foto: Yan Revazov

Er bekommt eines der langen Kleider, aber die Männer ziehen ihm dieses wieder aus und benutzen das Textil als Strang, an dem der Knabe über die Bühne geschleift wird. All dies geschieht aber nicht garstig-zappelig, wie es etwa Alain Platel ohne jede Anmut in Szene setzen würde. Sondern es entsteht, noch während die andeutungsweise brutalen Vorgänge anhalten, eine Ebene der Sublimation, der Erhebung und Erhabenheit, ganz so, als wäre man Zuschauer einer überwältigend grausigen Naturgewalt.

Nacho Duato trifft somit exakt den Kern des menschlichen Trieblebens, wenn er die realen Vorgänge von Kastrationen als psychologisch nachvollziehbare, urtümliche Verhaltensweise deutet.

Ganz sicher ist „Castrati“ eines der besten Ballette der Gegenwart. 

Ein Kastrat „erzählt“ dem Opfer (links) von den Schwierigkeiten und Möglichkeiten, die auf ihn zukommen… so zu sehen (mit der Freiheit zu interpretieren) beim Staatsballett Berlin in Nacho Duatos „Castrati“. Foto: Yan Revazov

Nicht umsonst benannte Sigmund Freud seine wichtigste Entdeckung nach dem unbewussten Konflikt bezüglich der männlichen Potenz „Kastrationskomplex“.

Der Erfinder der Psychoanalyse machte die Angst vor dem Verlust der Geschlechtlichkeit zur prägenden Phase während des Heranwachsens. Frauen, so Freud, würden als Kind den Kastrationskomplex erleiden und überwinden, um dann in den Ödipuskomplex einzulaufen wie in den Hafen der Ehe. Bei Männern, so Freud, sei es umgekehrt: Sie würden zunächst am ödipalen Triebleben leiden, um sich dann für den Rest ihres Lebens mit ihrem Kastrationskomplex auseinanderzusetzen.

Ob wir das heute noch genau so sehen, sei dahingestellt. Aber die Furcht vor dem Verlust der sexuellen Identität, ja vor der gewaltsamen Beendigung unserer Fruchtbarkeit auch im übertragenen Sinn, ist sicher eine ureigene Angst des Menschen, die im Kontext dessen, was Menschen Menschen mitunter antun, keineswegs rundum unbegründet erscheint.

Ganz sicher ist „Castrati“ eines der besten Ballette der Gegenwart. 

Wei Wang an der Seite von Choreograf und Ballettintendant Nacho Duato: beim Schlussapplaus der Premiere von „Castrati“ beim Staatsballett Berlin. Foto: Gisela Sonnenburg

Aber dann geschieht etwas Überraschendes: Das Opfer Wei Wang tanzt ein Solo mit der Kraft der Liebe, mit der Kraft des Überlebenstriebs, es träumt offenbar von einer Möglichkeit, mit dem Kummer zu leben, es auch als Kastrat auszuhalten. Es ist die stückweise Einsicht in das unvermeidbare Schicksal, es ist der berührende Versuch, eine grausame Zukunft anzunehmen. Aber immer wieder wird diese Vision durchbrochen von der Sehnsucht nach Freiheit, nach Ausbruch aus den Verhältnissen. Da blitzen die Träume eines jungen Mannes ebenso auf wie der Vorsatz, aus allem, was komme, das Beste zu machen.

Aber die Bühnenszenerie spricht von anderem. Die Kastraten rücken wieder an, mit machtvollen, wenn auch anmutigen Schritten. Alle acht tragen jetzt diese Mäntel, die im Kontext immer stärker die Assoziation einer Henkerstracht erfüllen.

Es ist so spannend-gruselig wie in einem Krimi.

Ganz sicher ist „Castrati“ eines der besten Ballette der Gegenwart. 

Spagatsprung mit Opfer: Viirtuosität ist kein Privileg des klassischen Balletts. Auch „Castrati“ enthält alle Merkmale brillanter tänzerischer Vorgehensweise. Foto: Yan Revazov

Das Opfer wird ergriffen, fallen gelassen, ergriffen – und langsam, aber sicher von der Gruppe regelrecht vereinnahmt. Da baut sich eine Stimmung auf, die der Lynchjustiz ähnelt, und Wei Wang wird von den acht Männern wie von einem lebenden Gebäude aufgenommen und geschluckt.

Die Szene ist so ergreifend, dass es in dem Moment, als Stille eintritt, Applaus und Bravo-Rufe gibt. Das Publikum will sich einfach auch entladen, in dieser angespannten Atmosphäre, die einen fesselt und begeistert.

Schließlich lässt der Turm aus Männern den Jungen fallen, stößt ihn ab, das grausige Werk ist vollbracht und das Kind unwiederbringlich geschädigt. Die Verstümmelung – die durchaus mit der noch immer sehr häufigen, ebenfalls traurigen Beschneidung von Mädchen im islamischen Afrika und anderswo zu vergleichen ist – hat das Leben des jungen Menschen irreversibel beeinträchtigt.

Man muss sich fragen: Welche Rechte haben Menschen, um anderen Menschen die Rechte zu nehmen?

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Blut an den Händen des Opfers, das versucht hat, sich zu schützen: Wei Wang und das Staatsballett Berlin in „Castrati“ von Nacho Duato. Foto: Yan Revazov

Hier, angesichts „Castrati“, kann niemand mehr behaupten, Menschen seien einfach nur zivilisierte Wesen. Zu sehr atmet das Werk Aktualität – auf der tief innerlichen, emotionalen Ebene ebenso wie auf der intellektuellen Ebene, die nach vergleichbaren Parallelwelten fragt.

Ganz sicher ist „Castrati“ eines der besten Ballette der Gegenwart.

Dankbar tobt der Applaus nach dieser halben Stunde „Intensivballett“ – und als Stadt des Fortschritts und des Engagements auch in Sachen Menschenrechte muss Berlin sich eingestehen, dass der Choreograf Nacho Duato ganz hervorragend zu ihr passt.

Ganz sicher ist „Castrati“ eines der besten Ballette der Gegenwart. 

Impression vom bewegten Schlussapplaus in der Deutschen Oper Berlin, nach der Premiere von „Castrati“ von Nacho Duato beim Staatsballett Berlin. Foto: Yan Revazov

Man nutzt dann die Pause, um nachzudenken und sich im Gespräch auszutauschen. Es ist anzumerken, dass die Atmosphäre im Publikum im Vergleich zu den vorangegangenen Jahren deutlich lockerer, entspannter, kommunikativer geworden ist. Sehr angenehm! Die Moderne des Balletts bricht sich halt auch in dieser Hinsicht Bahn.

Was einen dann unter dem Titel „Secus“ von dem israelischen Choreografen Ohad Naharin erwartet, ist allerdings das genaue Gegenteil zu der Ernsthaftigkeit von „Castrati“.

Die Tänzer, in bonbonbunten Leggings, Tops und scheinbaren Alltagshosen (Kostüme: Rakefet Levy), stehen da, uns zugewandt, und lauschen, wie wir, einigermaßen fassungslos einer smart-swingenden, aufwühlend abgemischten Musik. Irgendwo zwischen Pop und Jazz angesiedelt, rein instrumental, kündet die Akustik so von einer Art Unterhaltungszirkus, von einer inszenierten Wirklichkeit, die uns fröhlich stimmen und uns Mut machen will.

Und der Mensch? Wo ist Platz für ihn, in all dieser aufgesetzten Fröhlichkeit? Die immer noch stumm und reglos dastehenden Tänzerinnen und Tänzer scheinen sich das zu fragen. Und sie werden aktiv…

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Und ab geht die Post – im gepfefferten Freestyle Dance von Ohad Naharin. Seine Tanztechnik „Gaga“ hilft, locker zu werden – das Staatsballett Berlin macht’s mustergültig vor. Foto: Yan Revazov

Es geht los: Es zuckt, es zickt, es vibriert, es springt. Die Tänzerinnen und Tänzer, alle sechzehn ohne Schuhwerk, tanzen zeitgleich lauter Soli, und die Musikcollage schwenkt dazu von orientalischen Einflüssen in den poppigen Bereich und wieder zurück.

"Duato / Kylián / Naharin" ist ein Abend voller Schärfe.

Sie tanzen sich frei, auch im Miteinander: Das Staatsballett Berin beim Abhotten in „Secus“ von Ohad Naharin. Foto: Yan Revazov

Witze entstehen, ganz ohne Worte, weil in der Kommunikation der Protagonisten ein ganz dichtes Zeichenfeld besteht, das sich immer mal wieder gern selbst ad absurdum führt.

Ein Mädchen rutscht ganz langsam und sehr ästhetisch in den Spagat. Auch so eine „Übung“ kann den Zauber moderner Ästhetik ausstrahlen.

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Ein tolles, modernes Frauenbild: bei Ohad Naharin in „Secus“ mit dem Staatsballett Berlin zu sehen. Foto: Yan Revazov

Ein Trio – zwei Frauen mit einem Mann – ist ebenfalls unterwegs in dieser freihändig skizzierten, wie von Miró entworfenen, munteren Wunderwelt. Sachte trippelt es mal rückwärts.

Die Bewegungen werden persönlicher und beziehungsstiftend.

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Ja, so ist das, wenn Mann und Frau so richtig aufgeheizt, aber eben nicht zusammen sind… Das Staatsballett zeigt Urmenschliches auch in ganz moderner Form… in „Secus“ von Ohad Naharin. Foto: Yan Revazov

Paare begegnen sich, stehen sich gegenüber, es sprüht Funken – und sie tanzen. Aber nur einfach ist die Liebe hier nicht. Während er umher flippt, sucht sie in langgezogenen, ruhigen Bewegungen ihr Heil.

Das Licht geht aus und dann wieder an – wie in Hans van Manens „The old Man and Me“. Ganz so ergebnislos wie der witzig-kokette Flirt van Manens ist es hier aber nicht! Schließlich packt er sie, wirft sie in einem akrobatisch-athletischen Akt zu Boden – und als das Licht dann wieder angeht, stehen sie Arm in Arm, die Beine kryptisch miteinander verschlungen. Ein bisschen schief ist ihre Beziehung geraten, dafür aber jetzt standfest – man muss schmunzeln und ob der abwechslungsreichen Tempi, die die Tänzer leisten, ihnen auch Bewunderung zollen.

Ein anderes Paar, das sich auf ähnliche Weise findet, besteht aus zwei Jungen. Sie schauen sich nicht lange nur an, bei ihnen geht es gleich zur Sache – mit wundervoll fluffigen Hebungen und Flugfiguren. Musik und Tanz werden rockiger, brillant ergibt sich ein Latin-Lover-Männer-Paartanz wie aus einem modernen Musical.

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Vladislav Marinov in Aktion – der Solist vom Staatsballett Berlin ist manchmal gar nicht zu bremsen vor Tatendurst und Ausdruckskraft. Toll! Hier in Ohad Naharins „Secus“. Foto, ebenfalls toll: Yan Revazov

Es sind aber nicht nur solche Highlights, die „Secus“ (eine Fantasievokabel) sehenswert machen. Prägnant ist die Art ihrer Präsentation: Man findet die getanzten Glücksmomente hier in einem Segment aus Spannungsfeldern, die sich immer wieder neu aufladen. Das ist interessant, denn das zeugt von einem Weltentwurf, der die Gesellschaft als veränderbar zeigt. Denk nicht nach, sondern tu etwas – das scheint die geheime Botschaft Naharins.

Ohad Naharin wurde 1952 in einem Kibbutz geboren. Mit Anfang zwanzig – also relativ spät, was typisch für viele intellektbegabte Choreografen ­ist – begann er seine Profitanzausbildung: bei der Batsheva Dance Company, deren Künstlerischer Leiter er heute ist. In den USA, bei Martha Graham wie auch in der American School of Ballet, ergänzte er sein Tanzvermögen. Engagements als Tänzer hatte er unter anderem bei Maurice Béjarts „Ballett des Zwanzigsten Jahrhundert“ in Brüssel inne.

Als er 1980 zu choreografieren begann, konnte er bereits auf umfassende Erfahrung in verschiedenen Sparten des Tanzes zurückblicken. Zehn Jahre leitete er mit seiner Ehefrau Mari Kajiwara eine eigene Compagnie. Als Choreograf ist aber mittlerweile international bekannt und eine feste Größe – und das von ihm entwickelte Tanzsystem „Gaga“, das als Training und als Improvisationsgrundlage fungiert, wird zunehmend ebenfalls akzeptiert. Die Ehrendoktorwürde der Juilliard School New York ist nur eine von vielen Auszeichnungen, die er bereits einheimste.

Manches ist einfach nur komisch: "Secus" von Ohad Naharin sorgt für witzige Situationen, in denen sich jeder und jede wieder erkennen kann. Auch beim Staatsballett Berin, das sich supergut in Form präsentiert! Foto: Yan Revazov

Manches ist einfach nur komisch: „Secus“ von Ohad Naharin sorgt für witzige Situationen, in denen sich jeder und jede wieder erkennen kann. Auch beim Staatsballett Berlin, das sich supergut in Form präsentiert! Foto: Yan Revazov

Naharins Stil gründet auf einem großen Vertrauen in das Können und Wollen der Tänzer. Da geht es darum, Impulse von innen nach außen zu entwickeln – und alles Aufgesetzte, nur Äußerliche wegzulassen.

Entsprechend auch der Improvisationsteil in „Secus“, den die Tänzer haben. Jede und jeder kann sich da gen Ende des Stücks in zwei Takten frei ausdrücken, so, wie er es am liebsten möchte. Mancher, wie „Sasha“ Shpak, springt da aberwitzig-eigensinnig vor sich hin, während andere in derselben Zeit eine gekonnte, auf Dehnung beruhende Bewegung vollführen. Dennoch entsteht eine harmonisch wirkende, kompositorisch abgestimmte Mischung. Das entzückt und reißt mit, und man spürt, dass es den jungen Leuten am Herzen liegt, was sie da machen.

Wenn die Tänzer aber einer nach dem anderen vortreten, ihr Shirt lüften und ihr Herz zeigen – indem sie die Haut darüber entblößen – so hat das, auch wenn es dieselbe Bewegung ist, jedes Mal einen eigenen Charakter. Man muss lächeln, denn die Sache hat Charme und, ja, klar: Herz!

Auch das Vorhalten der Handflächen, das dem folgt, ist eine Geste, die ins Theatralische geht. Mitunter wirkt Naharins Choreografie eben wie eine Mischung aus Sentenzen von Twyla Tharp („Hair“) und Pina Bausch („Herz zeigen“). Der Übergang von hoch artifiziellen Bewegungen, die große technische Könnerschaft verlangen, zu einfachen, auch für Laien durchschaubaren Gesten ist stets fließend, alles wird hier miteinander verwoben und verknüpft.

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Keine Bielmann-Pirouette, sondern viel pfiffiger: Detail aus „Secus“ von Ohad Naharin, mit dem Staatsballett Berlin. Foto: Yan Revazov

Bei der Premierenbesetzung fielen Alexander Shpak (mit sinnlicher Mimik und spiraligen Sprüngen) und Vladislav Marinov (mit leichter, appetitlicher Akuratesse) besonders auf.

Aber auch Federico Spallitta, Lucio Vidal und Xenia Wiest, Patricia Zhou, Pauline Voisard und Giuliana Bottino, Danielle Muir und Ty Gurfein, Dominic Hodal und Dominic Whitbrook, Alexander Akulov und Jordan Mullin verliehen ihren Figuren unverwechselbares Flair. Elena Pris kann sogar als heimliche Prinzessin des Stücks gelten, sofern man prinzessinnenhaft als lässig-charmant und nicht im Märchensinn definiert.

Ganz sicher ist „Castrati“ eines der besten Ballette der Gegenwart. 

Menschen von heute tummeln sich in einem dicht besiedelten Gebiet – der Bühne der Deutschen Oper Berlin in „Secus“ von Ohad Naharin. Foto: Yan Revazov

Zartheit und Zärtlichkeit: Auch für solche Passagen ist bei Naharin Platz, wenn sie auch nicht das vorrangige Anliegen eines „wilden“ Stückes wie „Secus“ sind. Hier geht es schon mehr um den Ausbruch emotionaler Befähigungen, also um das eruptive Prinzip, nicht um das der Evolution. Aber es ist Ballett – und von daher wirken auch die schnellsten Stilbrüche hier nicht trampelig oder fahrig.

Ach! Berlin ist um sein Staatsballett wirklich zu beneiden, denn es ist so vielseitig und hingabefähig wie sonst vielleicht nur noch das Royal Ballet in London.

Am Ende von „Secus“, nach den spritzigen Improvisationspassagen, heißt es denn auch „Welcome!“ – und die „Beach Boys“ säuseln in der Manier eines Spirituals ein versöhnliches Beinahe-Halleluja. Mit offenen Armen gehen die Tänzerinnen und Tänzer über die Bühne, sie bilden jetzt, nach dem schweißtreibenden Stück, eine Gemeinschaft, die auf positiven Werten fußt – und ein Gefühl der guten Hoffnung, der modernen Spritzigkeit, des „Alles ist möglich“ geben sie einem auch mit auf den Weg.

Ganz sicher ist „Castrati“ eines der besten Ballette der Gegenwart. 

Herzlicher Applaus für ein kleines Stück großer Spritzigkeit – in ballettöser Form vom Staatsballett Berlin mit „Secus“ von Ohad Naharin serviert. Foto: Yan Revazov

Der führt einen, wieder mal, in die Pause – es ist der häufige Vor- oder Nachteil bei der klassischen Dreiteilung eines modernen Abends, dass man innerhalb von zwei Stunden Programm auch zwei Pausen hat. In der Deutschen Oper lohnt sich derweil das „Lustwandeln“ in den Gängen und Foyers immer, auch Abstecher in andere Etagen sind zu empfehlen.

Den abrundenden Abschluss des Abends macht ein moderner Klassiker zu blumiger Mozart-Musik von Jiří Kylián namens „Petite Mort“. Der „kleine Tod“ ist zweideutig gemeint: einerseits als Anspielung an den Orgasmus, andererseits aber auch als „memento mori“, als Erinnerung daran, dass der Tod stets gegenwärtig ist.

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Eine berühmte Pose aus einem berühmten Ballett: ein sich liebendes Paar, die Schlusspose eines der Pas de deux in „Petite Mort“ von Jiri Kylián, jetzt auch beim Staatsballett Berlin zu sehen. Foto: Yan Revazov

Der Choreograf Kylián – der zu den Großen des letzten Jahrhunderts zählt – beschrieb seine Intention, hier etwas ganz Bestimmtes mit der Poesie des Tanzes nachzuzeichnen, so: „Seit der Zeit, in der Mozarts Musik entstand, bis heute, wurden zahlreiche Kriege ausgefochten, und viel Blut ist unter der ‚Brücke der Zeit’ entlanggeflossen. Und: es waren überwiegend Männer, die die Schwerter schwangen, um ihre Potenz und Macht zu demonstrieren.“

Das erinnert nun bereits auch an den ersten Teil des Abends, an „Castrati“ von Nacho Duato. Tatsächlich ist Duato einst Kyliáns Tänzer beim Nederlands Dans Theater gewesen, und die Kompatibilität der beiden Männer erweist sich an Abenden wie „Duato / Kylián / Naharin“ einmal mehr.

Naharins Stück wirkt wie ein gepfeffertes Pfund jugendlicher Lebensfreude inmitten der beiden wohl austarierten, mit dramaturgischer Raffinesse servierten Erwachsenenspeisen von Duato und Kylían.

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Was für eine Szene – und wirklich bewunderungswürdig getanzt, aber auch ebenso fotografiert: Das Staatsballett in „Petite Mort“ von Jiri Kylián. Foto: Yan Revazov

Kyliáns Stück weiß denn auch mit so vielen auch originellen Einfällen zu überraschen, dass man es für ein Erstlingswerk halten könnte. Faktisch stammt es von 1991 und setzt bei seinem Schöpfer ein ausgereiftes Verständnis von Bühne und Körper voraus.

Sechs Männerrücken sind uns zu Beginn zugewandt, aus den Boxen ertönt ein dunkles Grummeln. Da kündigt sich etwas an… Die Männer kommen rückwärts auf uns zu, mit Degen hantierend. Sie balancieren die Degen horizontal auf ihren Zeigefingern! Da ihre Kostüme (Joke Visser) Nacktheit imitieren, wirken die metallisch schimmernden Waffen an ihnen extrem auffallend, wie Fremdkörper aus einer anderen Welt und doch wie das Hauptrequisit.

Sie sind denn auch stark symbolisch aufgeladen, und zwar genau mit der Doppeldeutigkeit, die Kylián für das ganze Ballett ersann: als sexuelle, also phallische Symbole ebenso wie als Kriegsgerät, also als Symbole für Aggression und Tod.

Ohne Musik, nur zum eigenen Atem- und Fechtgeräusch, tanzen die sechs Herren einen Prolog: ihr Gegenüber hier ist ihre Waffe. Die schwenken und wuchten sie durch die Gegend, so leichthändig, wie so fantastische Tänzer es nun mal können. Als sie eine Liegestützpose einnehmen, beginnt die Musik.

Samurais hielten ihre Schwerter übrigens für heilig; Kylián hingegen stellt richtigerweise fest: „Wir leben in einer Welt, in der nichts heilig ist!“

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Beziehung mit Degen: Mann, Frau, Waffe – in einem ästhetischen Gefilde… zu sehen beim Berliner Staatsballett in „Petite Mort“ von Jiri Kylián. Foto: Yan Revazov

Der getragene Ton des bekannten Klavier-Konzerts, das wir hören, macht das allerdings fast schon wieder vergessen. Es entsteht, in Harmonie mit den sich extrem kontrolliert bewegenden Tänzern, sofort eine Atmosphäre der hehren Abstraktion.

Und wenn die Männer ihre Degen hinlegen, um darüber und drumherum zu tanzen, dann ist das wie eine Vorbereitung auf einen Kampf.

Die Frauen in „Petite Mort“ präsentieren sich ebenfalls in Nacktheit imitierenden Kostümen. Im Pas de deux spielt aber auch der Degen weiterhin eine Rolle – Männer lieben den Kampf mitunter wohl mehr als ihre Partnerin.

In eleganten Hebungen entwickeln sich dennoch Zweierbeziehungen. Sechs Paare sind es dann, die in faszinierend erotischen Posen zueinander finden.

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Mikhail Kaniskin und Aurora Dickie – ein elegant-agiles Paar in „Petite Mort“ von Jiri Kylián beim Staatsballett Berlin. Foto: Yan Revazov

Sie tanzen aufeinander folgend, hinschmelzend in tänzerischen Liebesakten mit indes ganz traditionellen Mann-Frau-Rollen: Cécile Kaltenbach mit Konstantin Lorenz, Luciana Voltolini mit Vladislav Marinov, Maria Boumpouli mit Federico Spallitta, Krasina Pavlova mit Dominic Hodal, Aurora Dickie mit Mikhail Kaniskin und Elena Pris mit Lucio Vidal. Sie alle treffen den Ton der kühlen Eleganz und unterschwelligen Verspieltheit, die für Kylián wichtig sind.

Einen besonderen Gruppenauftritt haben die Damen, wenn sie zwischendurch ohne die Herren auftauchen: Sie schieben Kleiderbüsten vor sich her, die ihnen den Anschein verleihen, sie hätten schwarze Barockroben an. Das ist ein Effekt, der jedes Mal viele Ohs und Ahs hervorruft!

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Immer ein Effekt: Die Damen mit den Kleiderbüsten in „Petite Mort“ von Jiri Kylián beim Staatsballett Berlin. Foto: Yan Revazov

Danach geht es weiter mit den Pas de deux, und dass alle barfuß sind, rückt das abstrakte Gefilde, in dem sie sich aufhalten, näher ans Paradies heran. Ist es am Ende ein Jenseits, das gemeint ist?

Ganz sicher ist „Castrati“ eines der besten Ballette der Gegenwart. 

Applaus – nach der Premiere von „Petite Mort“ von Jiri Kylián beim Staatsballett Berlin. Foto: Gisela Sonnenburg

Mit Fragen wie dieser entlässt uns Kylián – und gibt uns damit gleich wieder Anlass, erneut in eine Vorstellung von „Duato / Kylián / Naharin“ zu gehen. Denn viele Details sind beim mehrfachen Sehen ganz sicher noch besser zu genießen und gedanklich zu verbinden.
Gisela Sonnenburg

„Duato / Kylián / Naharin“ in der Deutschen Oper Berlin.

Ein Interview mit Nacho Duato sowie Probenfotos bitte hier: www.ballett-journal.de/staatsballett-berlin-nacho-duato-interview-castrati/

An article in English about the program:

www.ballett-journal.de/staatsballett-berlin-duato-kyllian-naharin-english/

Termine: siehe „Spielplan“ – und hier:

www.staatsballett-berlin.de

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