Der Faun hält wieder Hof. Der Münchner Faun, dieser schönste aller in Stein gehauenen Männer. Womöglich war er das heimliche Vorbild für das (auto-)erotische Ballett „L’après-midi d’un faune“ („Nachmittag eines Fauns“) von Vaslav Nijinsky, dessen Musik von Claude Debussy wiederum nach einem Gedicht von Stéphane Mallarmé entstand. Auf jeden Fall gilt: Kein anderes skulpturales Werk aus menschlicher Hand vereint so viele Widersprüche des Menschen in sich, ohne dem unbedingten Glauben an die Schönheit zu widersprechen. Der „Barberinische Faun“, wie er offiziell heißt, wurde überlebensgroß von einem unbekannten Künstler der römischen Antike um 220 v. Chr. in Marmor gemeißelt. Vielleicht nach einem altgriechischen Vorbild, das ist ungewiss. In München avancierte er jedenfalls zum Star. Lange mussten ihm die Besucherströme nun fern bleiben. Aber jetzt ist er wieder zu sehen, in der frisch sanierten Glyptothek in München, in diesem außergewöhnlichen Weltmuseum am Königsplatz.
Der faunische Mann von damals ist nackt, splitterfasernackt. Aber das ist nicht allein das Besondere an ihm.
Vielmehr sind sein Gesicht und seine Proportionen von wundersamer Magie – seine Wildheit, aber auch seine Ruhe machten den schlafenden Faun weltberühmt.
Er wurde im 17. Jahrhundert im Graben der Engelsburg in Rom gefunden. Kardinal Maffeo Barberini ließ die Statue in seinen Palast bringen. Als die Barberinis rund 150 Jahre später verarmten, veräußerten sie den marmornen Schatz.
Der Käufer war ein prominenter und verdienter Liebhaber der Antike: Ludwig I. von Bayern (1786 – 1868). Der kunstsinnige Herrscher, der schon als Kronprinz bei einer Reise nach Italien seine Neigung zur antiken Kunst entwickelte, ließ in München auch das Museum erbauen, in dem der Faun noch heute ein Star ist: die Glyptothek.
Der wissenschaftlich klingende Name bezeichnet die Sammlung und das Gebäude zugleich: Beides ist den antiken Skulpturen gewidmet.
Jetzt hat das weltbedeutende Haus mit dem besonderen Flair nicht nur mehrere Lockdowns, sondern auch eine zweijährige Sanierungsphase hinter sich. Und ist endlich neu eröffnet – und ab morgen auch wieder für Besucher zugänglich.
Wie schon 1830, als das glamouröse Museum erstmals seine Tore öffnete, spielt außer der Antike auch das bildhauerische Werk eines Dänen eine Rolle: Bertel Thorvaldsen (1770 – 1844) beriet Ludwig bei Einkäufen, ergänzte und restaurierte antike Kunst. Und er durfte seine Werke in den Sälen der Glyptothek ausstellen.
Ludwig und ihn verband die Faszination der Antike. Als Künstler eignete sich Thorvaldsen passenderweise den klassizistischen Stil an. Italien, als Land der Sehnsüchte, war in beider Leben leitmotivisch.
Eine Italienerin zieht denn auch derzeit mit niedlichen Gesichtszügen bei hoch geschlossenem Kragen die Blicke in der Glyptothek auf sich: Marianna Florenzi – eine Marchesa, also Markgräfin – war ein eindrucksvolles Modell für den Thorvaldsen’schen Portraitstil. Ausgesucht hat sie aber nicht der Künstler. Sondern der König, der zur Marchesa eine innige Beziehung unterhielt. Die erhaltenen, fast 5000 Briefe der beiden zeigen, dass sich das Paar als Seelenverwandte sah. Man mag von Liebe sprechen: Die Marchesa ließ sich für Ludwig scheiden, was sie sich nur leisten konnte, weil ihre eigene wohlhabende Familie sie deshalb nicht verstieß. Sie lebte in Perugia als Intellektuelle, übersetzte Leibniz ins Italienische. Ihre Büste ließ Ludwig aber nie abholen. Das biedermeierliche Kunstwerk war ihm wohl zu wenig sexy für ein Bildnis seiner langjährigen Geliebten.
Der Freundschaft zu Thorvaldsen tat das keinen Abbruch. An der Ostfassade der Glyptothek, also im Außenbereich, durfte der Däne sich selbst ein Denkmal setzen: Mit seinem hübschen Jungsgesicht unter der Ponyfrisur stützt sich der Künstler aus Stein auf eine kleinere, mädchenhafte Figur: auf Spes, die Göttin der Hoffnung. Die Fassade des Museums zeigt ja erst seit kurzem wieder ihre originalen Farbtöne: Es sind Sandsteinfarben, von sanftem Rosé bis zu sonnigem Beige changierend. Die Nazis hatten in den 1930er-Jahren monochrome Tünche aufgetragen – der Einheitsfarbton wurde jetzt bei der Sanierung entfernt.
Dank der aktuellen Ausstellung „Bertel Thorvaldsen und Ludwig I. – Der dänische Bildhauer in bayerischem Auftrag“ steht nun auch eine menschengroße, marmorne Hoffnungsgöttin made by Thorvaldsen in München. Gemeinsam mit antiken Statuen brilliert sie im fein ausgeklügelten neuen Licht der Glyptothek. Sie hält eine knospende Blume in der rechten Hand und scheint mit dem linken Fuß voranzuschreiten. Weil sich neben ihr gleich das Tor zum nächsten Saal befindet, hat sie die Anmutung einer exotischen Türsteherin erhalten. Delikat kringelt sich ihr geöltes Haar unterhalb der Schulter.
Frisuren spielen auch bei den antiken Glanzstücken eine Rolle. Die Strähnchen der weiblichen und männlichen Schönheiten, die in Stein oder Bronze zu sehen sind, wurden oft aufwändig in Wellen oder Locken gelegt. „Das zeigt den Wohlstand der abgebildeten Personen an, ebenso wie die bodenlangen Gewänder der vornehmen Damen“, sagt Dr. Astrid Fendt. Fendt kennt sich hervorragend aus, ist promovierte Klassische Archäologin, Oberkonservatorin und Kuratorin der „Staatlichen Antikensammlungen und Glyptothek München“. So lautet der volle Name des zweiteiligen Museumskomplexes, der sich am Königsplatz über beide Seiten der Straße erstreckt.
Wenn man die antiken Glanzstücke mit anderen kunstgeschichtlichen Hintergründen abgleicht, kommt man oft zu erstaunlichen Ergebnissen. So ist Eirene, die Friedensgöttin der Antike, unverkennbar eine Vorgängerin der christlichen Marienfigur. Und wie diese hält sie bevorzugt einen Knaben auf dem Arm: bei Irene ist es Plutos, bei Maria bekanntlich Jesus.
Die Grundlagen der abendländischen Kultur stehen eben nicht nur für sich, sondern sind auch wegweisend.
Auch unser schöner Faun hat einen Bezug zum Christentum. Er könnte ein Vorläufer eines gefallenen Engels, also eines Teufels, sein. Mit seinen animalischen Eigenschaften – und mit dem Schweif, der den Satyren am unteren Rücken entspringt. Viele Satyre werden zudem mit Bocksbeinen und Hörnern dargestellt, ganz so wie einige Jahrhunderte später die Teufel und Dämonen. Die Mythologien der Kulturen stehen eben nicht isoliert voneinander da.
Viele Exponate der Glyptothek sind übrigens altrömische Kopien griechischer Vorbilder. Rom bevorzugte Marmor als Material, die Griechen hingegen in ihrer klassischen Phase, die der archaischen folgte, den Bronzeguss. Die Marmorstatuen der Antike waren – was uns heute befremden würde – knallbunt bemalt. Die Farben verwitterten, und allzu gern glaubte man lange an das reine Weiß der Antike. Aber an einem Frauenschuh in einem Relief fehlen zum Beispiel die Riemchen, denn sie waren aufgemalt.
Ob Marmor, Basalt oder Bronze, ob bunt oder einfarbig: Götter und Fabelwesen wurden in der Antike als menschenähnlich gesehen und auch so dargestellt. Das Gros der Ausstellungsstücke entstammt dabei sakralen Kontexten. Grabsteine und Heiligtümer sorgten für die Überlieferung der antiken Kunst. Auch der „Barberinische Faun“ stand in einem Heiligtum des Dionysos. Dionysos, Gott des Weines und des Rausches, hat die Zeitläufte nicht überlebt. Aber der Faun, der vermutlich von einer reichen Familie gestiftet wurde, erzählt mit seiner überlebensgroßen, facettenreichen Persönlichkeit in über 1,80 m Sitzhöhe vom ästhetischen Sinn seiner Zeit.
Wie hingegossen thront er auf dem Fell eines Panthers. Der Panther, das geschmeidige Raubtier, war Dionysos zugeschrieben. Geschmeidig kann man sich auch die Bewegungen des muskulösen Fauns vorstellen. Der Faun – oder im Griechischen Satyr genannt – schläft hier seinen Rausch aus.
Aber er schläft nicht im Liegen, sondern im Sitzen. Das erweckt diesen Eindruck, er sei gerade erst eingeschlummert. Eigentlich hat er sich vielleicht nur ein paar Minuten ausruhen wollen. Wovon? Vom Getümmel lüstern gefeierter Orgien vielleicht. Immerhin ist sein oberster Dienstherr ja Dionysos, Gott des Weines, des Rausches, der Satyrspiele.
Vielleicht wollte er gar nicht schlafen, sondern baldmöglichst weitermachen. Dieses lustverlorene Zwitterwesen aus Mann und Bestie, dieser idealisierte animalische Kerl.
Sein Gesicht verrät indes tiefe Entspanntheit – der Körper holt sich sein Recht auf Schlaf und besiegt damit die Seele ebenso wie den Geist.
Die Mundwinkel sind entspannt, die Lippen offen. Vielleicht war da mal eine Blende aus Elfenbein, um die Zähne zu zeigen. Die Augenlider aber wirken wie zart flatternd, ganz so, als wäre der Faun gerade in der REM-Phase. Also nicht im Tiefschlaf, sondern in wilden Träumen verloren. Wovon er wohl träumen mag? Vom Erwachen vielleicht.
Dabei ist er selbst wie ein Traum, der Sinnlichkeit und Spiritualität vereint.
Fast jenseitig wirkt er, so, als flaniere er gedanklich durch das Elysium.
Dass die Skulptur ein Bruchstück mit Abrisskanten ist, verstärkt diesen Eindruck. Dennoch strahlt der Leib viel Kraft aus, eine vitale, berserkerhafte Kraft, die beinahe Unsterblichkeit verspricht. Wenn man den schönen Nackten aus verschiedenen Winkeln betrachtet, verändert sich sein Fluidum. Mal meint man, er springe gleich auf, um davon zu laufen. Andererseits wirkt er so gelassen und ins Träumen vertieft, als könne ihn nicht mal das Gebrüll eines Löwen aus dem Vollrausch wecken. Die dionysischen Gelage, die im Altertum aus religiösen Anlässen veranstaltet wurden, sollen ja gewaltig gewesen sein.
Die Bezeichnung „Faun“ spricht übrigens für die Einbürgerung des gebürtigen Griechen ins römische Weltbild. Denn sonst wäre er ein Satyr, eben im hellenistischen Griechenland. Man nimmt an, dass die römische Skulptur eine Nachbildung eines griechischen Werkes ist. Wie so oft in der Antike: Die Römer übernahmen die griechischen Fantasien.
Der römische Gott, dem der Marmormann als Faun diente, hieße dann Bacchus – aber die Religionen ähnelten sich, und die Bacchanalien standen den Dionysien wohl in nichts nach.
Berühmt wurde der Münchner Faun jedenfalls als Faun – und er ist als der „Barberinische Faun“ für viele Kunstliebhaber, die erotisch empfänglich sind, ein männliches Ideal.
Es ist wechselbar, hält für seine Bewunderer Überraschungen parat: Je nach Lichteinfall und Sichtwinkel verändern sich nicht nur die Details seiner Haltung, sondern auch die Nuancen seines Gesichtsausdrucks. Mal wirkt der Faun erschöpft, wie ein Kämpfer nach dem Finale. Oder fast lieblich, wie ein Bub, den alle mögen. Oder auch verworfen, mit dem offenen Mund und der Zornesfalte an der unteren Stirn. Hat dieser Träumer nicht sogar etwas Wütendes, ja Mürrisches? Auch eine so schöne Kreatur ist nicht immer zufrieden. Entscheidend ist, dass der Faun alle negative Energie spielerisch zu überwinden scheint, sozusagen wörtlich im Schlaf.
Faune sind klassische Sagenwesen, Mischwesen aus Mensch und Tier. Das Animalische ist hier nur ganz dezent gezeigt: mit einem Tierschwanz wie dem eines Pferdes, er entspringt dem Rücken überm Po.
Dennoch schlummert der Faun, als wäre das seiner Natur gemäß, im Sitzen. Er ist nicht zum Boden gerutscht, scheint sich auch nicht unbequem zu fühlen in seiner malerischen Position. Sein Hintern, sein Steiß, kann das ab, hier nach den Orgien auch noch die Last des Oberkörpers zu tragen.
Das rechte Bein – es ist aus Gips, weil das Original zerschellte – ist aufgestellt. Der rechte Arm ist neben den Kopf gehoben. Die Beine sind gespreizt. Ach! Wer meint, dass der Faun wohl eine vor allem auch sexuell ausgerichtete Orgie hinter sich hat, liegt womöglich richtig. Die Griechen und Römer hatten mit exzessiv gelebter Homosexualität und Bisexualität sowie mit der Nacktheit von Männern gar kein Problem. Dionysos war zudem nicht nur der Gott des Weines, sondern auch der Freude und der Ekstase.
Der Rausch war bei den Alten positiv besetzt. Allerdings wurde auch nicht gewohnheitsmäßig jedes Wochenende exzessiv gefeiert. Die Ausnahmen waren das Besondere, der Alltag hingegen war der Vorbereitung des Besonderen gewidmet.
Die Dionysos geltenden „Dionysien“ waren solche besonderen Tage, es waren Festtage, bei denen die Stadt Athen außer sich war.
Prozessionen, Tanz, Theater und Opferriten bestimmten die Atmosphäre, und dass der kultisch Verehrte der Gott des Weines war, bot Anlass zu veritablen Besäufnissen. Frauen war der Alkoholgenuss allerdings solange verboten, bis sie nicht mehr im fruchtbaren Alter waren. Erst als Damen mittleren Alters durften sie erste Erfahrungen mit dem berauschenden Gesöff aus den Weinschläuchen machen.
Die „Trunkene Alte“ wird eine weitere berühmte Skulptur der Glyptothek genannt. Sie zeigt eine ältere Frau, die am Boden sitzt. Mit ihren Armen umklammert sie ein Lagynos, also ein bauchiges Gefäß, das typisch für das Lagynophoren-Fest ist. Die Dionysos-Feierlichkeiten in Alexandria werden so genannt. Was der Inhalt der mit blühenden Efeu verzierten Flasche war? Na, Wein, was sonst! Wüsste man das nicht, man würde es erfahren, wenn man der Alten ins Gesicht schaut.
Als würde sie gleich ein Trinklied lallen, hält sie den Schädel trotz geduckter Haltung ihres ausgemergelten Körpers hoch. Und als würden ihre Augen schon alles doppelt sehen, wendet sie auch den Blick in die Höhe. Präzise hat der unbekannte Bildhauer den Zustand der Trunkenheit dokumentiert. Dabei handelt es sich um ein Kunstwerk, das mit vielschichtigen Aussagen in den Bann reißt.
So wird die Alte, die gestochene Ohrlöcher für prächtige, schwere Ohrringe aufweist, mal als Hure, mal als Priesterin interpretiert. Für ihren Status als Priesterin spricht das „ordnungsgemäße“ Gefäß in ihren Armen. Trunkenheit im Dienst gehörte für Priesterinnen beim Fest der Lagynophoren dazu. „Es ist schwer zu sagen, wie alt die Gezeigte, also das Modell, war“, sagt Astrid Fendt. „Man alterte damals anders, nämlich früher, und es gab zwar Hautpflege und auch Schminke, aber die Lebensumstände waren andere als heute.“ Bei 30 Jahren lag die durchschnittliche Lebenserwartung im Römischen Reich.
Die Patrizier, also wohlhabende Adlige, lebten selbstredend im Schnitt länger und vor allem besser als ihre Sklaven. Wobei es ein Unterschied war, ob man als Haussklave die Möglichkeit hatte, zum Vertrauten der Herrschaft aufzusteigen und vielleicht sogar die Freiheit geschenkt zu bekommen, oder ob man als rechtloser Arbeitssklave im Bergwerk oder auf Feldern sein Leben fristete.
Ein Grabstein in der Ausstellung zeigt eine reiche Verstorbene und ihre trauernde Dienerin so vertraut, dass die beiden wie Verwandte oder Freundinnen wirken. Das Elend all jener Leibeigenen, die sich zu Tode schufteten, muss man sich denken – ihnen wurden keine Denkmäler gesetzt.
Friedhöfe gab es damals wie heute. Doch während heute immer weniger Menschen einsehen, dass hehre, individuell gestaltete Grabsteine wichtige Kulturträger sind, ließ man sich in der Antike für die Nachwelt dank der Grabstätte so zeigen, wie man sich selbst gern sah. Gesellschaftliche Moden flossen da mit ein. Die Sarkophage waren oft vorgefertigt, hatten aber noch keine Zentralgestalt. Die Leerstelle wurde erst ausmoduliert, wenn der Sarkophag gekauft und für eine bestimmte Person vollendet wurde.
Großzügig gestaltete Gräber waren mehr als ein Statussymbol. Sie zeigten die Trauer von Hinterbliebenen, bezeugen zudem bis heute Lebensstil und Weltbild der Antike. Religion und Hedonismus waren da keine Widersprüche.
Der Direktor der Staatlichen Antikensammlungen und Glyptothek München, Dr. Florian Knauß, betont: „Die Götter wirkten in der Antike in alles hinein. Der Sportler verdankte seinen Sieg der göttlichen Gnade, der erfolgreiche Geschäftsmann seinen Handel dem Beistand von Hermes oder Merkur.“ Im Tod konnte man dann so auftreten, wie einen die Götter zu Lebzeiten vielleicht nicht ganz erscheinen ließen: als Superheld, als Sportsmann, als anmutige Schönheit.
In der archaischen Zeit (kunstgeschichtlich etwa 700 bis 500 v. Chr. anzusetzen) reüssierten zudem Stereotypen, mit denen sich die Menschen identifizieren konnten. Bestimmte symbolhafte Darstellungen wirken auf uns heute befremdlich oder zumindest außergewöhnlich, aber damals hatten sie eine bestimmte Bedeutung.
Das so genannte „archaische Lächeln“ – das weiß Astrid Fendt en detail zu erklären – kam darum nicht von ungefähr. Es handelte sich gerade nicht einfach nur um ein schönes, glückliches und beglückendes Lächeln. Sondern: „Es steht für eine starke Emotion, und die kann sowohl negativ als auch positiv sein“, so Fendt.
Und so betrifft es den „Apoll von Tenea“, einen mit dem linken Fuß voran schreitenden jungen Mann mit langen, in Wellen gelegten Haaren, ebenso wie einen sterbenden Krieger, der durch seinen Heldentod Gegenstand der Kunst geworden ist. Er gehört zu den „Ägineten“, die den westlichen Giebel des Aphaiatempels in Ägina zierten. Außen links in einer Reihe von zehn Kriegern war sein Posten in der klassizistischen Aufstellung. In heutiger Aufstellung liegt er sterbend rechts außen. Ein verlorener Posten ist es, so oder so.
Aber der Krieger lächelt scheinbar schmerzlos, während er versucht, sich den tödlichen Pfeil des Gegners aus der Brust zu ziehen.
Womöglich wollte man damals nicht, dass ein hässliches Gefühl wie Schmerz oder Todesangst in Stein gehauen und damit dauerhaft ein Anblick sein würde. Die Gesichtszüge würden verzerrt und eher einer Grimasse gleichen denn einem maskenhaften Ebenmaß der Schönheit. Das Lächeln wurde so zum Symbol für Affekt schlechthin. Sei es Freude, sei es Schmerz. Sei es Leben, sei es Sterben. Sei es Liebe, sei es Tod.
Auch mehr als zwei Jahrtausende später, zu Thorvaldsens Zeit, galt die Kunst als Mittel der Idealisierung und Typisierung. So schuf der dänische Bildhauer einen stehenden „Adonis“, der entspannt und zufrieden dreinschaut, als käme er soeben siegreich von der Jagd. Ein toter Hase baumelt neben ihm – das Glück, Beute zu machen, wurde schon in der Antike gern für Accessoires genutzt. So hat die Jagdgöttin „Artemis“ ein totes Rehkitz bei sich. Die symbolische Botschaft: Artemis beherrscht die Natur.
Kultur diente in der Antike nicht nur zur Belustigung, sie bot inhaltliche Orientierung. Die Werte und Tugenden, die sie vertrat, waren ernst gemeinte Richtlinien, als Handlungsmaximen sinnstiftend und vorbildhaft.
Hoffnung galt ebenso als Tugend wie Klugheit. Und Schönheit war kein Selbstzweck und sollte auch nicht Getränke oder Fuhrwagen verkaufen, sondern diente der Vermittlung wichtiger Werte.
Erotik, nicht Sexismus, gehörte dazu.
All das könnten wir vom Faun und seinen Gefährten lernen. Träumen wir also mit ihnen – vom Erwachen!
Gisela Sonnenburg
www.antike-am-koenigsplatz.mwn.de
Die Ausstellung „Bertel Thorvaldsen und Ludwig I. – Der dänische Bildhauer in bayerischem Auftrag“ läuft regulär bis zum 25. Juli 21, wurde bis zum 12. September 21 verlängert – und ist mit Zeitfenstertickets zu besuchen (www.antike-am-koenigsplatz.mwn.de).
Der dazu erschienene gebundene Katalog ist sehr empfehlenswert (ISBN 978-3-933200-51-8)!
Und hier geht es zum Beitrag über die Sanierung der Fassade der Glyptothek.
Und wenn Sie noch eine Bleibe in München suchen, sei Ihnen das Hotel Hauser in der Schellingstraße in der Maxvorstadt herzlichst empfohlen:
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