Gucken wie Angela Merkel Das Bundesjugendballett zeigte „John’s Dream“ beim Finale des 45. Prix de Lausanne – John Neumeier nahm dort den „Lifetime Achievement Award“ entgegen. Ansonsten gab es einige Ungereimtheiten

Der 445. Prix de Lausanne war so lala

Michele Esposito aus Italien sahnte gleich drei Auszeichnungen beim 45. Prix de Lausanne ab – hier als Solor in „La Bayadère“, er tanzte im Finale ein Solo aus dem weißen Akt. Videostill von concert.arte: Gisela Sonnenburg

Vorbei. Herzklopfen, Härtetrainings, Probenexzesse, schließlich die großen Momente der Auftritte vor der Jury und dem Publikum – alles ist erst einmal wieder vorbei. Der 45. Prix de Lausanne (2017) zog mit vielen großen Sprüngen vorüber – und hinterließ mal wieder neben der üblichen Ungerechtigkeit auch glückliche Gewinner. Vor allem sahnte ein in der Tat feuriger Italiener ab, ein fast schon fertiger Erwachsener und Künstler: gleich drei Auszeichnungen (inklusive Stipendiuim) heimste der 17-jährige, frühreife Michele Esposito ein. Aber die 45. Runde zeitigte bei genauem Hinsehen auch ein ganz anderes Ergebnis: Der Prix de Lausanne, die Heilige Kuh westlicher Nachwuchspflege, hat eine Generalüberholung bitter nötig. Davon konnten auch John Neumeier und das Bundesjugendballett (BJB) mit ihren hoch emotionalen Auftritten beim Finale nicht ablenken.

Aber: Zu sehr ist man in Lausanne auf einzelne Auftritte fixiert statt auf das Rundum-Potenzial junger Leute zu achten, zu sehr erinnert das Ganze daher an Sport und Olympische Spiele.

Darauf, was die angehenden Künstler im Kopf haben, guckt sowieso gar niemand: Keine einzige theoretische Testfrage gibt es, auch die Kreativität oder der ballettöse Intellekt der 15- bis 18-jährigen Kandidaten werden völlig außer Acht gelassen.

Der Prix de Lausanne ist daher seiner Zeit hinterher und nach modernen Maßstäben nicht viel besser als ein Aufmarsch der dressierten Affen. Auch wenn die Affen hoch begabte Menschleins sind, die man hier indes als Affen verkleidet präsentiert.

Bedeutende Choreografen werden solche Tänzer wohl niemals!

Aber genau an denen fehlt es im Jugendbereich. Nicht an guten und sehr guten Tänzern – davon gibt es weltweit wirklich sehr viele derzeit.

Hier der Beginn einer schön getanzten "Paquita" aus dem Halbfinale... so zu sehen beim 45. Prix de Lausanne. Videostill von concert.arte: Gisela Sonnenburg

Hier der Beginn einer schön getanzten „Paquita“ aus dem Halbfinale… so zu sehen beim 45. Prix de Lausanne. Videostill von concert.arte: Gisela Sonnenburg

Die zwanzig Finalisten in Lausanne haben von der Welt außer Ballett vermutlich noch nicht viel in sich aufgesogen. Aber die Pubertät ist das prägende Alter für Kreative!

Heutige Preisanwärter müssen indes trainieren, trainieren, trainieren, am besten ab dem 4. Lebensjahr, um den hohen technischen Anforderungen gerecht zu werden. Training und Proben, Proben und Training und ab und an ein Wettbewerb. Wird man schlau davon?

Undenkbar, dass ein John Cranko, ein Kenneth MacMillan oder ein John Neumeier solchen Zirkus als Teenager gewonnen hätten.

Die wirkliche Zukunft des Balletts tanzt woanders auf!

Etwa beim Bundesjugendballett (BJB), wo man auf ehrgeizig gepushten Lausanne- Gewinner zur Not vielleicht auch verzichten kann. Auch wenn, wie mit Madoka Sugai und Yohan Stegli, ab und an Verirrte von Lausanne nach Hamburg finden.

Am 5. März 2017 beginnt in Hamburg um 11 Uhr das Vortanzen für die kommende Staffel vom BJB – immerhin ist es wohl die modernsten Balletttruppe Europas.

Kevin Haigen, der Künstlerische und Pädagogische Leiter vom BJB, kann dann wieder sein berühmt-berüchtigtes, ballettöses Schamanentum einsetzen, um Talent und Charakter der Kandidaten zu erkennen und zu entwickeln.

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Kevin Haigen, Künstlerischer und Pädagogischer Leiter vom Bundesjugendballett, prägt dessen tänzerischen Stil. Foto: Kiran West

Haigen, der auch als Gastlehrer auswärts arbeitet und zu Recht von vielen wie ein Guru verehrt wird, hat den Stil vom Bundesjugendballett, dieses schwebende Dahingleiten durch verschiedenste Choreografien und Stimmungen, denn auch ebenso geprägt wie Hunderte von Tanzstars auf der ganzen Welt. Ein erprobter, erfahrener Mann, der mit zunehmendem Alter – er ist 62 – immer nur noch besser wird.

John Neumeier, der beim Prix de Lausanne unter großem Jubel einen Preis für sein Lebenswerk entgegen nahm, wusste eben schon, was er tat, als er das BJB gründete und es seinem Ersten Ballettmeister Kevin Haigen anvertraute.

Die achtköpfige TänzerInnentruppe schmiegt sich flexibel an alle nur möglichen Vorstellungsmöglichkeiten an den unterschiedlichsten Orten an, sie bringt Tanz dadurch in sämtliche Sphären dieser Gesellschaft, und zwar auf höchstem ballettösen Niveau:

Anmutig und liebenswert, expressiv und mitreißend.

Ein berauschendes junges Ensemble, das es durchaus wert ist, dass man ihm kreuz und quer durch Deutschland und Europa nachreist.

Dabei kann man durch die BJB-Auftritte dann auch Locations entdecken, die so ungewöhnlich für Ballett sind, dass man zugleich etwas für die Allgemeinbildung damit tut. Etwa in der BallinStadt in Hamburg: ein Museum über Einwanderung. Oder in der Stadthalle am Schloss in Aschaffenburg, wo das BJB demnächst gastiert.

Für Menschen, die Ballett ohnehin lieben, sind die Künstler vom BJB gerade auf den Theaterbühnen am meisten zuhause – und das sollte auch gar nicht anders sein.

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Zu Beginn von „John’s Dream“ agieren die TänzerInnen vom Bundesjugendballett zu einer eingespielten Textcollage. Hier Kristian Lever bei einer dramatischen Handlung. Videostill von concert.arte: Gisela Sonnenburg

Beim Finale des 45. Prix de Lausanne bot das BJB denn auch auf der Bühne des Theatre au Beaulieu in Lausanne in der Schweiz das absolute Highlight: Es zeigte das Stück „John’s Dream“, das zwar fünfteilig ist, aber eine einzige Referenz an seinen Gründer, den Hamburger Ballettintendanten John Neumeier, darstellt.

Neumeier ist der „John“ aus dem Titel, und das BJB ist sein Traum bzw. hat die Aufgabe, seinen Traum zu realisieren.

Es hat eine besondere Bewandnis mit diesem wohl persönlichsten Stück, welches das seit 2011 bestehende BJB seit 2016 in seinem vielgestaltigen Repertoire hat:

Es wurde für die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel kreiert, und zwar für den Anlass einer Vorführung vor Politikern in Berlin.

John’s Dream“, Johns Traum, fasst denn auch tänzerisch zusammen, was John Neumeier und seine Mitstreiter mit dem Bundesjugendballett bezwecken wollen.

Es besteht aus Auszügen aus fünf Balletten, die das BJB in seinem Repertoire hat.

In Lausanne wurde es nun zum ersten Mal öffentlich gezeigt – und durch die Live-Übertragung als Livestream online (auf concert.arte.tv) gleich auch einer Weltöffentlichkeit präsentiert.

Zunächst ist es – sehr fortschrittlich – Tanz zu gesprochenen Worten, die über die Musik gelegt sind.

Es sind die TänzerInnen vom BJB selbst, die hier ihre Intentionen mit ihrer Arbeit auf Englisch beschreiben.

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Leidenschaft und Leiden – auch im Ballett „John’s Dream“ ein Thema. Hier das BJB bei seinem Lausanne-Auftritt. Videsostill von concert.arte: Gisela Sonnenburg

„We the Bundesjugenballett have the chance…“ (Wir, das Bundesjugendballett, haben die Chance…)

„… to find a spiritual balance… “ (… eine spirituelle Balance zu finden…)

„… unsere Kreativität zu entwickeln…“, „… die Zukunft zu gestalten, ohne die Vergangenheit zu vergessen…“

„… to connect the different cultures…“ (… die verschiedenen Kulturen zu verbinden…)

„… and bring dance to all the people…“ (…den Tanz zu allen Menschen zu bringen…)

Ja, das sind ganz schön hohe Ziele für eine kleine Tanztruppe, aber wer sie tanzen sah, muss ihnen darin Recht geben, dass sie es richtig machen.

Dass der Körper niemals lügt und dass jede(r) Mensch einzigartig ist, sind weitere Texteinflüsterungen, zu denen sich die Tänzer fließend einzeln, aber miteinander gestisch kommunizierend, bewegen.

Ziemlich individuell übrigens – wie geklont wirkende Revuereihen hat man beim BJB noch nie ansehen müssen.

Dann öffnet sich in „John’s Dream“ in Lausanne vor dem Bühnengrund ein Vorhang, gibt den Blick auf einen fantastisch ausgeleuchteten Yves-Klein-blauen Horizont frei.

Was für ein Blau!

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Vor einem tiefen Blau mit einem Schuss Rot tanzen hier Joel Paulin und Tilman Patzak vom BJB in Lausanne. Videostill von conert.arte: Gisela Sonnenburg

Romantisch, naturhaft, zugleich so knallig wie sonst eben nur die Gemälde des dafür bekannten Malers Yves Klein (1928 bis 1963).

Joel Paulin und Tilman Patzak, zwei exzellente Ballerini vom BJB, tanzen jetzt zu live zur neben ihnen stehend ebenfalls live gespielten Violine – ein poetischer, irgendwie auch existenzialistischer Anblick.

Spielt die Musik beim Tanz doch stets eine große Rolle – ohne akustische Grundlage oder Ergänzung ist Tanz, gerade Ballett, ja kaum vorstellbar.

Warum soll man das nicht auch ab und an sehen können? Es ist gut, wenn Künstler verschiedener Sparten darauf hinweisen, dass sie aufeinander angewiesen sind.

Denn was wäre schon eine Kunst ganz allein, ohne die anderen Musen?

Apoll, der griechische schöngeistige Gott, hätte dann womöglich nicht viel mitzuteilen…

Das vielseitig kombinierbare, neutral weiße, erotischerweise leicht transparente Hemd, das fest zum Kostüm-Reservoir beim BJB gehört, dient Joel Paulin hier als Jacke.

Er trifft auf eine Ballerina, auf die erhaben-mysteriöse Italienerin Giorgia Giani, die ein bordeauxfarbenes, am Po raffiniert wie ein Tanga ausgeschnittenes Trikot trägt. Giani gehört mittlerweile schon zur Hauptcompany des Hamburg Balletts, sie ist dort eine der großen Hoffnungen. Aber als „John’s Dream“ zu Beginn des Jahres kreiert wurde, war sie noch Teil des Bundesjugendballetts.

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Noch einmal die beiden Jungs vom BJB in Lausanne. Videostill: Gisela Sonnenburg

Es entwickeln sich erst ein Pas de deux, dann ein Pas de trois mit Tilman Patzak, und die beiden jungen Männer heben das zierliche Mädchen, als sei es so leicht und sanft wie eine Schwanenfeder.

Es sind Bilder, die sich einbrennen, weil sie so schön sind…

Erstmals bei dieser gesamten Live-Übertragung vom 45. Prix de Lausanne 2017 gibt es während dieser Aufführung eine sehr gute Kamera-Führung!

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Hier entwickelt sich der Pas de trois mit Tilman Patzak, Joel Paulin und Giorgia Giani. Videostill von concert.arte: Gisela Sonnenburg

Zuvor musste man sich allerdings häufig über eine viel zu weit gefasste und statt einer Nahaufnahme gesendete Totale ärgern.

Wenn nicht sogar, wie mitten im Halbfinale, die Tonspur etwa zehn Sekunden dem Bildschirmgeschehen hinterher hinkte.

Da wurde dann von den Wettbewerbsteilnehmern ohne Musik oder zur komplett falschen getanzt, während die zu den eingeblendeten Interviews Klänge statt Antworten ertönten.

Motto: Ist ja auch unwichtig, ob die Kandidaten im Takt tanzen oder was die Interviewten zu sagen haben.

Solche Tonstörungen passieren beim Online-Fernsehen gar nicht mal so selten; ein deutlicher Nachteil der herkömmlichen Television gegenüber. Man hofft für die Zukunft auf technische Vervollkommnung…

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Drei Menschen können einander auch gut verstehen – so in „John’s Dream“ vom Bundesjugendballett in Lausanne. Zumal beim Finale auch die TV-Qualität online stimmte. Videostill von concert.arte: Gisela Sonnenburg

Auch Untertitel fehlten oftmals während der nachmittäglichen Live-Online-Übertragungen in den Tagen vor dem Finale – nur Insider wussten dann, wer gerade sprach oder beim Coachen und Trainieren gezeigt wurde.

Das Bundesjugendballett allerdings besänftigt in der dann sehr guten Aufnahme seines Stücks „John’s Dream“; vermutlich hat das BJB selbst die Kamerapositionen hier bestimmt.

So konnte auch der tiefere Sinn seiner Maxime nachwirken:

„When dancing we are exploring not only how to move but also what moves are.“

Das klingt in freier Übersetzung fast wie von der Philosophin Hannah Arendt formuliert: „Wenn wir tanzen, finden wir heraus, nicht nur wie wir uns bewegen, sondern auch was Bewegungen überhaupt sind.“

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Der Pas de trois geht weiter: beim BJB in „John’s Dream“ in Lausanne. Videostill von concert.arte: Gisela Sonnenburg

Tango-Musik lässt daraufhin drei Mädchen vom BJB sich am Boden räkeln – und dann in einer Reihe lustvoll in modernen Kostümen mit schwarzen Kniebinden auftrumpfen.

Larissa Machado aus Brasilien, Teresa Silva Dias aus Portugal und Sara Ezzell aus den USA tanzen hier so exponiert wie atemberaubend schön – und zeigen, wie avantgardistisch junges Ballett sein kann.

Die vier Jungs (Tilman Patzak aus Deutschland, Joel Paulin aus Italien und Australien, Kristian Lever aus Finnland und England sowie Ricardo Urbina Reyes aus Mexiko) setzen dann noch eins drauf – und finden sich als Tanzbegleitung zu einem Rapsong ein.

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Ein Menschenaufbau aus den drei TänzerInnen vom BJB…. Videostill von concert.arte: Gisela Sonnenburg

Der Rapper steht, mit einer Kapuze am Pulli szenemäßig unkenntlich gemacht, mit dem Rücken zu uns und mit dem Gesicht und Micro zu den Tänzern – ein Anklang an die legendären Workshop-Auftritte des BJB in der JVA Rottenburg.

Der junge Rapper hier singt aber nicht etwa einen frechen Underdog-Text, sondern er schnalzt künstlerisch mit der Zunge und formt mit dem Mundwerk Geräusche, als handle es sich um eine fiktive Klicksprache. Wow!

Power und viel männliche Kraft strahlt diese Passage des Stücks aus.

Zugleich aber ist sie ein Spiel mit Düsternis und Verborgenem, und der Widerspruch zwischen „hehrem“ Ballett und populärer Rapkunst gehört hier dazu, auch wenn die Gegensätze im Tanz vereint sind.

Schließlich kommt der Höhepunkt von „John’s Dream“, das Finale:

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Giorgia Giani vom Hamburg Ballett tanzte in Lausanne noch einmal mit ihrer früheren Truppe, dem Bundesjugendballett – für „John’s Dream“. Videostill von concert.arte: Gisela Sonnenburg

Es ist die filigrane, dennoch ergreifende Choreografie „Thankful“ von Sasha Riva, einem umtriebigen jungen Tänzer und Choreografen, der seit September 2017 in Genf beim Grand Théatre de Genève tanzt, der bis dahin aber zur Ballettschule und dann zur Company vom Hamburg Ballett gehörte.

Riva hat schon zahlreiche Choreografien abgeliefert, in verschiedenen Stilen experimentiert, aber mittlerweile hat er seinen authentischen, elegisch-getragenen, auch sehr ästhetischen Choreografiestil entwickelt.

Thankful“ zu dem schwelgerischen gleichnamigen Song von Josh Groban formuliert die Hoffnung, dass alle Menschen irgendwann glücklich sein können…

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Noch einmal der Pas de trois beim Bundesjugendballett in „John’s Dream“ in Lausanne. Schön! Videostill von concert.arte: Gisela Sonnenburg

Alle acht TänzerInnen vom BJB tanzen das Stück, mit elegant seitlich hoch geworfenen, ganz hohen, aber nur leicht gebeugten Attitüden, die, mal aus-, mal einwärts ausgeführt, zum Choreografiestil von Sasha Riva ebenso gehören wie seine schönen Beine zu seinem Stil als Tänzer.

Auch die lang gestreckten, sich in die Weite sehnenden Arme, die manchmal zu „Vogelpositionen“ mutieren und am Ende, in der Schlusspose, auf 45 Grad erhoben sind (ganz so, als wollten sie Mut und Tapferkeit zusprechen) sowie lang gezogene Passé-Figurinen sind typisch für die Handschrift dieses jungen Kreativen Sasha Riva.

Und wenn die Tänzer stehend eine Rosette bilden und dann synchron und leicht gen Boden fallen, wie Blätter von einer Blüte, um sich später selbst zu umarmen, in dieser kalten, rauen Welt – dann weiß man, dass mit Sasha Riva ein richtig großes Talent unterwegs ist. Und: Er ist sichtlich in seinem Werk von John Neumeier geprägt, ohne diesen zu kopieren – eine große Qualität.

Es kommt nun darauf an, dass Riva Chancen erhält, sich zu entfalten…

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Pose in Hemd und außergewöhnlich geschnittenem Trikot: Joel Paulin und Giorgia Giani mit Tilman Patzak in „John’s Dream“. Videostill von concert.arte: Gisela Sonnenburg

Wie auch die jungen TänzerInnen sowohl vom BJB als auch diejenigen, die an Wettbewerben wie dem Prix de Lausanne teilnehmen.

In diesem Jahr hatten die Prix-Teilnehmer immerhin einen besonderen Luxus zu genießen:

Neumeier, der nun mit dem ersten „Lifetime Achievement Award“ vom Lausanne-Team ausgezeichnet wurde und mit glücklichem Gesicht die hübsche viereckige Kristall-Statue in Empfang nahm, hatte sechs Herren- und sechs Damen-Soli aus seinen Stücken für die Contemporary-Darbietungen der Kandidaten zur Verfügung gestellt.

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John Neumeier wurde beim Finale des 45. Prix de Lausanne geehrt – und erklärte seine Motivation in seinem Beruf. Videostill von concert.arte: Gisela Sonnenburg

Die Auszeichnung indes bezieht sich ausdrücklich nicht nur auf sein großartiges, international bereits etwa 200 Mal ausgezeichnetes choreografisches Werk, sondern auf die Lebensleistung von John Neumeier.

Und wenn die Moderatorin Deborah Bull mit etwas Recht hatte, dann damit, dass sie darauf hinwies, wie viel John Neumeier für das Ballett insgesamt getan hat und tut.

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John Neumeier mit dem Preis für sein nicht nur künstlerisches Lebenswerk beim 45. Prix de Lausanne. Videostill von concert.arte: Gisela Sonnenburg

Was Bull nicht sagte: Man muss darum das Datum 2019 umso mehr fürchten, denn wenn der größte lebende Ballett-Titan zwar nicht in den Ruhestand geht, aber doch sein wichtigstes Amt als Ballettintendant in Hamburg aufgibt, um international als freier Choreograf und Initiator zu wirken – was wird er dann noch „nebenbei“ für den Tanz insbesondere in Deutschland tun können?

Dieses Fragezeichen steht seit September 2013, seit Neumeier sein von ihm gewünschtes Vertragsende in Hamburg bekannt gab, groß im Raum. Und es will und will nicht kleiner werden…

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John Neumeier spricht – und da sind auch in Lausanne alle ganz Ohr. Videostill von concert.arte: Gisela Sonnenburg

Wie sehr ihn die Ballettmenschen lieben und wie sehr er sie liebt – die Liebe ist zweifelsohne die größte Kraft, die von John Neumeier ausgeht – zeigte sich in Lausanne bei der Preisverleihung einmal mehr.

Und in bester Stimmung sagte Neumeier, dass er, wenn er einen Wunsch frei hätte, am liebsten alle jungen Studierenden, die in Lausanne auftraten, mit einem Stipendium für seine Ballettschule in Hamburg versehen würde.

Nun ja, da sage ich mal ganz nüchtern: Wie gut, dass dieses Genie genau diesen einen Wunsch nicht frei hat.

Denn so Manches, das man in Lausanne an Tanz zu sehen bekam, war überhaupt nicht das, was es sein sollte.

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Der Auftakt vorm Vorhang: Alexander Jones und Laura Cuthbertson in Christian Spucks Gala-Gag „Grand Pas de deux“ in Lausanne. Videostill von concert.arte: Gisela Sonnenburg

Damit sind nun aber nicht Laura Cuthbertson vom Londoner Royal Ballet oder Marina Fernandes da Costa Duarte aus Brasilien gemeint. Sie waren indes keine Kandidaten dieses Jahr, sondern – wie das BJB – als Gäste für die Pause (Interlude) bestellt.

Cuthbertson tanzte so in der Finale-Show als Gastauftritt zusammen mit Alexander Jones vom Zürcher Ballett den witzig-grotesk-akrobatischen „Grand Pas de deux“ von Christian Spuck – mit Handtasche, Diadem und Brille sowie mit viel Verve, ganz wie es sich gehört.

Und Marina – ein wirklich großes Talent mit sehr guter Performance – gewann, als Kandidatin, einen der Prix de Lausanne: sehr zurecht, war sie doch mit ihren 17 Jahren eine quirlige Kitri aus „Don Quixote“ und eine sehr interessante, seelenvolle Heather aus Neumeiers „Préludes CV“.

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BJB auf Rap – so zu sehen in Lausanne in „John’s Dream“. Videostill von concert.arte: Gisela Sonnenburg

Préludes CV“ ist auch laut Neumeier ein „Ausnahmeballett“ unter den über 150 Stücken, die er schuf. Es wurde inspiriert von den TänzerInnen der Uraufführung, deren Namen die Protagonisten tragen. Heather Jurgensen, damals eine wichtige Muse in Hamburg, kreierte das Solo, in dem eine Frau abwägt, ob sie noch immer oder schon wieder jemanden liebt, ob sie selbst noch immer oder schon wieder geliebt wird – und in dem sie sich letztlich für eine sehr emanzipierte, abwartende, aber nicht lieblose noch willenlose Position entscheidet. Ein sehr poetisches, auch feminines Stück Tanz, das die edelmütige Heather in jeder Bewegung ehrt.

Heather Jurgensen ist heute übrigens Ballettmeisterin in Kiel, wo ihr Gatte Yaroslav Ivanenko der Ballettdirektor ist. Ivanenko choreografierte übrigens mal ein hinreißendes kleines Stück für Maria Baranova beim Wettbewerb beim Prix de Lausanne.

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In Sasha Rivas Stück „Thankful“, das das Finale von „John’s Dream“ bildet, geht es um die Zukunft. Videostill von concert.arte: Gisela Sonnenburg

Der Vortrag der Siegerin Marina Fernandes da Costa Duarte in Heathers Solo war wirklich bewegend.

Andere Neumeier-Interpretationen in Lausanne taten hingegen weh.

Allerdings nur selten im Finale – dafür hatten mit Yohan Stegli und Laura Cazzaniga versierte Coachs aus Hamburg vor Ort in Lausanne allem Augenschein nach noch sorgen können!

Stegli ist stellvertretender Künstlerischer Leiter und der Ballettmeister vom Bundesjugendballett, 1998 hatte er selbst als Tanzstudent mit einem Neumeier-Stück einen der Prix in Lausanne gewonnen.

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Yohan Stegli, Ballettmeister und stellvertretender Künstlerischer Leiter vom BJB, mit Deborah Bull in Lausanne – live im Interview. Videostill von concert.arte: Gisela Sonnenburg

Stegli beendete 2011 seine Solistenkarriere, um als Ballettmeister beim BJB zu arbeiten.

Von seinen Chefs Kevin Haigen und John Neumeier lernte er in den letzten Jahren schon außerordentlich viel, gehört er doch zu den besonders Fleißigen der Branche. Und: Stegli hat ein großes Talent, zwischen Choreografien und Tänzern zu vermitteln, er atmet sozusagen den Geist eines Stücks, das er dann den Interpreten mit Deutlichkeit einzuhauchen weiß – gerade richtig für einen Ballettmeister!

Seine Kollegin Laura Cazzaniga war Erste Solistin bei Neumeier im Hamburg Ballett und ist seit 2008 eine seiner geschätzten Ballettmeisterinnen.

Diese beiden, Stegli und Cazzaniga, betreuten vor allem backstage, den Ergebnissen nach mit großer Sorgfalt und Intensität die von Neumeier spendierten Contemporary-Soli der Kandidaten.

Aber, ach, ansonsten sah es dieses Jahr in Lausanne nicht wirklich gut aus mit den Coachs, die der Prix den Kandidaten vor der Kamera als zusätzliche Hilfe vor dem Halbfinale zur Seite stellte.

Da war der Provinzkünstler Goyo Montero. Dieser Ballettdirektor aus Nürnberg schaffte es, wirklich jede tolle John-Neumeier-Choreografie zu verderben, indem er den Rhythmus der Tanzschritte und den emotionalen Sinn der Gesten einfach nicht begriff – und bei den jungen Kandidaten wirklich viel kaputt machte.

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„Thankful“ von Sasha Riva wurde vom Choreografen für das BJB bearbeitet bzw. ergänzt. Hier Larissa Machado vorn mit Kristian Lever in Lausanne beim 45. Prix. Videostill von concert.arte: Gisela Sonnenburg

Eigentlich ist schon das skandalös:

Jugendliche, die zunächst die Ergebnisse oft ganz guter Vorarbeit zeigten, wurden von Montero vor laufender Kamera mit schlechten Korrekturen wettbewerbsuntauglicher gemacht.

Es ging dabei nicht um die Schritte an sich, denn diese lernen junge Tänzer heutzutage eh vom Video, so auch hier.

Aber im Ausdruck, in der Rhythmik und in der optischen Melodie des Tanzes – da muss ein Coach Instinkt und Kenntnisse haben und das Stück, das er lehrt, auch verstanden haben.

Montero aber war hier eine richtige Katastrophe.

Die zweite Katastrophe ist, dass Montero gar nicht hätte coachen dürfen, weil er 2017 der Jury vom Prix de Lausanne gehörte. Das wäre mir fast gar nicht als negativ aufgefallen, aber die Satzung ist da laut Christian Schön, Ballettpädagoge bei John Neumeier in Hamburg, wohl recht streng. Woanders ist man indes legerer.

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Die Namen in der Jury-Liste 2017 vom Prix de Lausanne sind aufschlussreich: Goyo Montero ist Mitglied, aber auch Sue Jin Kang, Ballettdirektorin in Südkorea. Gab es darum gleich fünf auffallend schlechte Halbfinalisten aus Südkorea? Bekam darum einer von ihnen sogar eines der begehrten Stipendien? Viele andere Jugendliche waren deutlich besser, hatten aber keine Chefin in der Jury! Videostill von concert.arte: Gisela Sonnenburg

Der Erik-Bruhn-Preis in Toronto, Kanada, wird etwa laut eigener Satzung stets von genau jenen Ballettchefs vergeben, die ihre Schützlinge in den Wettbewerb schicken. In jeder anderen Branche würde man das als unzulässige Kungelei ablehnen. Im Ballett aber findet man es just in Ordnung, sich reihum selbst den Preis zu verleihen.

Der Prix de Lausanne könnte also einfach sein einst von Rosella Hightower und Maurice Béjart verfasstes Regelwerk ändern. Man könnte es zum Beispiel um eine Ausnahmeregelung erweitern. Vielleicht sogar ganz speziell für Goyo Montero.

Dabei zählt Montero, und das ist die dritte Katastrophe, seit Jahren zu den Lieblingen der Prix-de-Lausanne-Veranstalter.

Montero war in Lausanne nämlich schon bezahlter Choreograf, Trainer, Coach, Mitglied in der Jury – er scheint die richtige Beziehung nach Lausanne zu haben.

Wo er doch sonst als Nürnberger Ballettdirektor wirklich keine große Nummer ist, mit Verlaub. Nürnberg ist ballettmäßig finsterste Provinz, ohne Aussicht auf Besserung!

Nur in Lausanne hat Montero Oberwasser. Dennoch hätte er sich die Sache mit dem Coaching vor der Kamera besser sparen sollen.

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Gen Ende wird es auch in „Thankful“ / „John’s Dream“ noch einmal sehr heiß… da brennt die Luft! Videostill von concert.arte: Gisela Sonnenburg

Aber wer ihn jetzt online arbeiten sah und sich auskennt, der sah immerhin auch, wie schädlich solche schlechten Lehrer und Coaches wie Goyo Montero sein können.

Es ist dem Prix de Lausanne – und auch seinen auf concert.arte moderierenden Kommentatoren wie Jason Beechey, dem kanadischen Leiter der Palucca Hochschule für Tanz in Dresden – sicher peinlich, jetzt so erwischt zu werden. Und damit nicht genug:

Ebenfalls lächerlich in dieser Hinsicht (als sei die Montero-Misere nicht genug):

Monique Loudières, die zwar einst als Étoile an der Pariser Oper tanzte, als Coach aber schon beim Bundesjugendballett vor einigen Jahren bewies, dass sie bestenfalls als Assistentin und Autoritätsschranze („Paris! Paris!“) taugt, ansonsten aber deutlich qualitätsmindernd wirkt.

Da mögen ihr andere Ballettkoryphäen noch so sehr Weihrauch zuwedeln.

Sie verpatzte – wie Montero bei den Contemporarys – auf die Schnelle in Fünfminuten-Runden live vor der Kamera so Einiges an bereits recht gut vorbereiteten Klassik-Soli vor allem der Mädchen.

Auf mich wirkte Loudières wie eine Selbstdarstellerin, die mit der weiblichen Konkurrenz der hübschen jungen Mädels nicht zurecht kam.

Es passt denn auch, dass Loudières damals beim BJB versuchte, sich aus purer Eitelkeit mal eben drei Jahre jünger zu machen.

Umsonst. Man konnte sie dabei leicht und mit Nachweisen erwischen, dank verschiedener verifizierbarer Angaben.

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Das Schlussbild von „Thankful“ in „John’s Dream“ vom Bundesjugendballett: Hoffnung und Mut zusprechend. Videostill von concert.arte: Gisela Sonnenburg

Es sind ja oft alternde Menschen, die eher hässlich und vor allem auch ungebildet sind, und die dann versuchen, mit plumpen Alterslügen ihre nicht vorhandene Attraktivität zu erhöhen. Ob es sich dabei um Prominente handelt oder um Normalos:

Ich finde das peinlich und auch naiv – große Künstlerinnen wie Alessandra Ferri zum Beispiel sind hingegen stolz darauf, erst auf die 50 und dann auf die 60 mit gerader Haltung zuzugehen.

Es ist übrigens etwas ganz anderes, wenn BallettkünstlerInnen in jungen Jahren ihr Alter fälschen. Dann tun sie es nicht aus Eitelkeit, sondern um beruflich nicht diskriminiert zu werden.

Denn tatsächlich gibt es noch immer viele (dumme und noch dümmere) Ballettdirektoren, die TänzerInnen über 30 Jahren nicht mehr beschäftigen wollen. Die sie noch nicht mal für einen Gastauftritt auf einer Gala engagieren wollen, weil sie mit 31 Jahren angeblich „zu alt“ seien.

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Applaus für das BJB und die begleitenden Musiker! Diese beste Darbietung beim Finale vom 45. Prix de Lausanne war leider zu schnell vorbei… steht aber noch einige Zeit auf concert.arte.tv. Videostill von dort: Gisela Sonnenburg

Das ist schlimm. Und vorgestrig!

Da kann man verstehen, wenn Darsteller dem Vorbild des Filmstars Marlene Dietrichs folgen und sich beizeiten auf dem Papier verjüngen lassen.

Insofern muss man jungen TänzerInnen raten, sich bewusst zu entscheiden. Und sich entweder als Künstler rechtzeitig jünger zu machen… oder aber das Los der Wahrheit konsequent zu ertragen.

Die Dietrich hatte sich übrigens einer Legende nach sogar in ihren Personalausweis das falsche Datum eintragen lassen. Es gab demnach in der Weimarer Republik ein Gesetz, das Künstlern eine solche behördlich genehmigte Identitätsänderung erlaubte.

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Ein Kandidat im Halbfinale, in der Schlusspose seines Solos aus „Yondering“ von John Neumeier: „Jeannie with the light brown hair“ ist ein Song über die erste große Verliebtheit. Videostill von concert.arte: Gisela Sonnenburg

Heute ist das schwieriger. Es gibt zwar ein Namensänderungsgesetz in Deutschland – aber das Geburtsdatum möchte Vater Staat einmal fürs ganze Leben in den Ausweispapieren bestimmt sehen.

Künstler dürfen dennoch ungestraft ihr Alter für die Öffentlichkeit ändern.

Profis denken da in jungen Jahren dran…

Wenn sich aber ältere Ladies, die bereits zäh wie Leder wirken – ob mit oder ohne Lifting – während des restlosen Verwelkens noch mal jünger machen, dann ist das einen Lacher wert: über viel wandelnde Peinlichkeit.

Schließlich sollte man sich beim Lügen über sein Altern auch nie erwischen lassen, nicht mal mit der BILD-Zeitung.

Und man sollte eher alt aussehenden Menschen raten, sich lieber ein paar Jahre älter zu machen, wenn sie schon unbedingt lügen wollen. Damit die Altersangabe dann wenigstens glaubhaft ist, wenn schon nicht wahr.

Der 445. Prix de Lausanne war so lala

Ein Halbfinalist in „Nijinsky“ von John Neumeier: Es ist das Solo von Stanislaw, dem Bruder der Titelfigur. Videostill von concert.arte: Gisela Sonnenburg

Leider zählt in der Ballettwelt gesellschaftliches Ansehen oft mehr als innere Werte.

Und so hat Monique Loudières dank ihrer Pariser Opernabstammung sicher die wärmsten Empfehlungen in der Tasche.

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Monique Loudières gab bei den Klassik-Soli der Mädchen Fünf-Minuten-Coachings live vor der Kamera von arte – nicht immer zum Besten der Kandidatinnen. Videostill von concert.arte: Gisela Sonnenburg

Denn niemand will sich gern mit dem Mythos des Balletts der Pariser Oper anlegen und zugeben, dass da nicht nur einige sehr gute, sondern auch manche grottenschlechten Coach-Arbeitskräfte herkommen – zumal Coaching ein eigenes Talent erfordert und eben nicht von jedem, der mal Tänzer war, gut gemacht werden kann.

Ja, ich bin aggressiv, weil Monique Loudières – ebenfalls vor laufender Kamera in Lausanne – noch ärger als Goyo Montero die Leistungen junger Talente missachtete und sie durch falsches Korrigieren aus dem Rennen warf.

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Eine Halbfinalistin in „Nocturne“ von John Neumeier. Elegant und melancholisch, gehört dieses Stück zu den stärksten Frauensoli überhaupt. Videostill von concert.arte: Gisela Sonnenburg

Loudières coachte die jungen Damen, wie gesagt, im klassischen Teil.

Da tanzte ein Mädchen wirklich ganz passabel, mit viel Potenzial, aber es vergaß stets an entscheidenden Stellen, das hintere Bein ganz durchzustrecken. Dadurch wirkte die Sache oberflächlich und schlecht geprobt, das Bein „hing“ zwisschen Attitude und Arabesque, was einfach unschön aussah. Beim Halbfinale würde das Mädchen damit keine Chancen haben.

Hatte sie dann auch nicht. Denn Loudières monierte überflüssigerweise irgendwelche Kleinigkeiten – und erwähnte das gekrümmte Bein mit keiner Silbe.

Auch sonst hatte ich stets den Eindruck, die abgehalfterte Ex-Ballerina aus Paris wolle sich vor allem nur selbst in Szene setzen.

Wenn sie dann davon schwärmte, wie oft sie selbst in „La Bayadère“ in ihren guten Zeiten aufgetreten sei, bestätigte das meinen Eindruck.

Solche Narzissen gehören meiner Meinung nach nicht als Lehrkräfte engagiert!

Das gilt selbstverständlich auch für Goyo Montero, der uns unfasslich schlechte Interpretationen von Neumeier-Soli, etwa aus „Nocturne“, bescheren wollte.

Zumal er ja eigentlich gar nicht hätte coachen dürfen, wegen seiner Jury-Mitgliedschaft… 

Der Prix de Lausanne sollte sich selbst generalüberholen… es wird Zeit!

Der 445. Prix de Lausanne war so lala

Goyo Montero coachte wie Monique Loudières live vor der Kamera von arte – auch am Tag des Halb-Finales bei den Contemporary-Soli von John Neumeier. Dabei saß Montero in der Jury… Nicht ganz jedermanns Geschmack! Videostill von concert.arte: Gisela Sonnenburg

Und leugnen sollte man solche organisatorischen Patzer im Nachhinein übrigens auch nicht. Das wirkt dann noch peinlicher als ein schlichtes, achselzuckendes Pardon.

Ich fand ohnehin die miese Qualität der beiden Show-Coachs in ihren eiligen Blitz-Coachings vor der Live-Kamera viel schlimmer als die Jury-Mitgliedschaft von Montero.

Die Versportlichung mancher Stücke insbesondere durch Asiaten mit schlechten Lehren (Südkorea!) ist dann das nächste Ärgernis gewesen. Es lag nicht an den Coachs, sondern an der technikbetonten Ausbildung der Tanzenden.

Wenn man Akrobatik sehen will, geht man nicht ins Ballett. Hier sollte der Darsteller eine Ahnung von dem Stück und seinem Inhalt haben – und dieses auch tänzerisch umsetzen können.

Aber auch das wunderbare „Yondering“, mit dem Yohan Stegli 1998 seinen Prix espèce in Lausanne gewann, verführte 2017 so manche Jungtänzer zu viel zuviel Bravheit und „Schrittgläubigkeit“.

Dabei ist es ein Solo über die erste große Verliebtheit – schwindelerregend schön!

Das Wesentliche der Kunst bleibt bei solchen Wettbewerbsveranstaltungen aber ohnehin von vornherein oft eher draußen. Das ist die Crux am „Competiton“-Thema insgesamt.

Der 445. Prix de Lausanne war so lala

Manche Überblendungen waren von arte sehr schön gelöst: Hier Laura Cazzaniga, Ballettmeisterin aus Hamburg, die einem „Yondering“-Teilnehmer zuschaut. Videostill von concert.arte: Gisela Sonnenburg

Laut Wikipedia gibt es den Prix de Lausanne seit 1973, er wurde demnach als zunächst kleiner Wettbewerb gegründet, der vor allem Kindern aus nicht-staatlich geförderten Schulen eine Chance geben sollte.

Was Wikipedia indes nicht mitteilt: Der Prix de Lausanne wurde – und zwar von einem sehr reichen Industriellen-Ehepaar initiiert – auch als westliches Gegenstück zum bereits seit 1964 bestehenden, damals weltweit führenden Ballett-Talent-Nachwuchs-Wettbewerb in Varna (Bulgarien) gegründet.

Bis in die 90er Jahre hinein war Varna denn auch viel bedeutender als Lausanne. Zeitgleich kamen international immer mehr „Competitions“ an verschiedenen Orten dazu.

Schließlich teilten sich in der Fülle der Angebote die Wettbewerbe in solche, die mehr von den Russen, Ukrainern, Weißrussen etc. besucht werden und die also hinterm imaginären Eisernen Vorhang liegen, und in solche, die von westlichen und östlichen oder überwiegend von westlichen Jungkünstlern besucht werden.

Absurderweise fand diese Spaltung nach dem Fall der Mauer statt.

Der 445. Prix de Lausanne war so lala

Von Alessandra Ferri, der großen älteren Ballerina, die mit John Neumeier die „Duse“ kreierte, stammen liebende Worte für die Preisverleihung. Videostill von concert.arte: Gisela Sonnenburg

Die Asiaten sind derweil vor allem bei den zuletzt beschriebenen Wettbewerben stark im Kommen – China und Japan allen voran.

Auch dieses Mal gab es je eine Chinesin und eine Japanerin in Lausanne, die, wiewohl sie keinen Preis gewannen, ganz sicher das Zeug zu außergewöhnlichen Ballettinterpretinnen haben.

Andere hingegen – auch solche aus Asien – tanzten etwa die John-Neumeier-Choreografien so entsetzlich versportlicht, dass man sich mit Schaudern abwand. Trotz der Bemühungen von Stegli und Cazzaniga.

Und: Es fiel in diesem Jahr beim Prix de Lausanne eine ungebührliche Zahl von eher nur halbbegabten Kandidaten aus Südkorea auf. Beim Halbfinale waren es fünf Stück!

Was war denn da wohl in der Vorauswahl geschehen?

Da kann nun was nicht mit richtigen Dingen zugegangen sein. Denn Südkorea ist ein kleines Land und nicht eben für tollen Ballettnachwuchs bekannt.

Laura Cuthbertson beim Verbeugen nach der Nummer "Grand Pas de deux" von Christian Spuck - mit den dazu gehörenden Requisiten. Videostill von concert.arte: Gisela Sonnenburg

Laura Cuthbertson beim Verbeugen nach der Nummer „Grand Pas de deux“ von Christian Spuck – mit den dazu gehörenden Requisiten und zwei Blumenbouquets. Videostill von concert.arte: Gisela Sonnenburg

Es fiel denn auch auf, dass die schlechtesten Teilnehmer am Halbfinale und Finale aus Südkorea kamen. Dennoch bekam einer von diesen eines der begehrten Stipendien. Sunu Lim ist sein Name, 17 sein Alter – und sein Albrecht aus „Giselle“  war so ziemlich das schlechteste, was man seit langem auf dem Prix gesehen hatte.

Auch sein „Wrong Note Rag“ (ein Solo von John Neumeier) war nicht halb so gekonnt wie der anderer Kandidaten. Aber Sunu Lim bekam sein Stipendien. Viele andere, begabtere und bessere Jugendliche flogen hingegen schon im Halbfinale raus.

Da denkt man sich was bei: Aha, da stecken vielleicht Geldgeber dahinter, die – vermutlich aus wirtschaftlichen Gründen – Südkorea ins Gespräch bringen und mit kulturellen Ehren behängen wollen.

Ob das nun direkt oder indirekt was mit Sue Jin Kang zu tun hat, der ehemaligen Stuttgarter Primaballerina, die in ihrer Heimat Südkorea nunmehr Ballettdirektorin ist und 2017 ganz zufällig in der Jury vom Prix de Lausanne saß? Ich weiß es nicht. Aber in diesem Zusammenhang lässt einen Kangs Jury-Mitgliedschaft nicht kalt.

Lausanne, bist du ein Hort der Korruption?

Allerdings weiß man: Viele, die beim Prix de Lausanne in den letzten 45 Jahren gewannen und als Supertalente hoch gejubelt wurden, versanken danach rasch in der Versenkung als GruppentänzerInnen (wo man zwar auch gute Kräfte braucht, was aber nicht der Zweck von Wettbewerben wie dem Prix ist).

Andere Talente hingegen hätten auch ohne den Preis aus Lausanne ihren Weg nach oben geschafft.

Noch andere, die dann fantastische Künstler wurden oder werden, sind in diesem mich sowieso eher an Sport als an Kunst orientierten Wettbewerbszirkus gar nie angetreten.

Die beste Bedeutung für die Nachwuchstalente liegt denn auch nicht in dem, was das Online-Publikum sieht, sondern in dem Networking hinter den Kulissen.

Aber könnte man nicht anstelle eines altmodischen Wettbewerbs sowieso in Lausanne eine Art Super-Workshop für Talente veranstalten?

Das wäre nicht nur für das Publikum, sondern vor allem für die Kunst am besten.

Mein Fazit: Weil das Bundesjugendballett, Lauren Cuthbertson und John Neumeier auftreten, kann man sich die Show vom Finale ruhig nochmal auf concert.arte, wo sie eingestellt ist, ansehen.

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Der Livestream vom HalbfinaleTag als Abschreckung war wirklich lehrreich; so schlechtes Coaching wie von Goyo Montero und Monique Loudières (siehe oben) gibt es sonst schließlich kaum öffentlich zu sehen. Danke auch hierfür, arte! Aber: Schade, dass dieser Livestream nicht mehr auf concert.arte verfügbar ist, sondern nur noch der vom Finaletag.

Ansonsten aber sollte man den Sinn solcher sehr altbacken und zudem noch krass ungerecht wirkenden Wettbewerbe in der Kunst generell überdenken.

Und falls mal wieder ein Industrieller was für den Ballettnachwuchs tun möchte, sollte er dabei die modernen Ansprüche an Kunst berücksichtigen – und letztere nicht mit Sport verwechseln. Das wäre dann wirklich schön!
Gisela Sonnenburg

www.bundesjugendballett.de

www.concert.arte.tv

www.concert.arte.tv/de/finale-des-45-prix-de-lausanne

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