Achtung, hier kommt ein Stück Tanzgeschichte! „Das Triadische Ballett“, mit dem das Bayerische Staatsballett II – also die Junior Company der Bayern – mal wieder Furore machen wird, ist keinesfalls eine zeitgeistig-trendige Neuanschaffung unserer Tage. Kein Pendant zu René Pollesch hat sich ausgetobt – sondern es kulminieren gleich zwei ballettgeschichtliche Stränge in dieser mit vollem Einsatz dargebotenen Wiederaufnahme.
Erstens ist festzustellen: Die Rekonstruktion einer Rekonstruktion stammt von 2014. Zweitens ist richtig: Das Original ist jedoch von 1922. Damals übten Künstler alle möglichen Freiheiten, in der jungen, schwierigen Weimarer Republik, in der Ausgehwut und Amüsierlust das Bürgertum prägten.
Erstmals gab es auch das massive, experimentelle Überkreuzgehen der verschiedenen Kulturgenres, man wollte Malerei ins Theater und Auftritte ins Museum bringen. So entstand das ursprüngliche „Triadische Ballett“, als ein „Dreiklang-Ballett“, was der kryptische Titel sagen will. Kostüme, Musik, Choreografie: Diese drei Dinge sollten zusammen gehen. Das Konzept wurde vom Maler und Bildhauer Oskar Schlemmer in der Blütezeit der Bauhaus-Ästhetik ersonnen. Und es hat einen verqueren Witz!
Eckigkeit ist darin Trumpf, die Welt wird scheinbar zum Futuristenpark. Die Tänzer tragen große geometrische Formen als Kostüme, bei der Uraufführung 1922 in Stuttgart waren sie teils wattiert, teils aus knallharten Materialien gefertigt. Die Tänzer hatten schwer zu schleppen! Wichtig war nicht nur ihre Buntheit, sondern auch, dass die Tänzer beim Sichbewegen eingeengt waren. Die Künstlichkeit und „Robotisierung“ ihrer Bewegungen war erwünscht! Passenderweise fand eine weitere Aufführung 1923 in Dessau während der „Bauhauswochen“ statt: Ballet goes Bauhaus – das hätte ohnehin das Motto der Sache von Anfang an sein können.
In gewisser Weise entwarf Schlemmer jedoch eine Antwort auf die Commedia dell’ Arte. Stereotype Figuren, abgeleitet von clownesk-grotesken Übertreibungen, stellen den zeitgenössischen Menschen dar. Ohne Naturalismus, ohne Realismus, ohne Psychologie. Vielmehr als drastisch-expressive Statur, die keinen Bezug mehr zu ihrer Umwelt braucht, sondern sich sozusagen selbst genüge ist.
FORTSCHRITT ODER ANGSTVORSTELLUNG?
Entpersonalisierung lautet das Stichwort: mit voller Absicht wurden die Tänzer hinter Schminke, Masken und Klamotten versteckt, wurden in sperrige Zylinder gesteckt und zu wandelnden Skulpturen gemacht. Der Mensch wurde durch Künstlichkeit ersetzt! Als Provokation und als kritisches Statement. Nicht im affirmativen Sinn.
Praktikabel ist das nun für die Tanzkunst mitnichten. Vielmehr wird hier ein Endpunkt gesetzt, vorläufig. Faszination durch Einschränkung. Es ist ein Experiment von großer Tragweite gewesen, gerade weil es keine Nachahmer fand. Die Triaden sind einzigartig – und auch einzigartig in ihrer Reduktion!
Das Bayerische Staatsballett II zeigt jetzt eine Version von Schlemmers Werk, die Ivan Liska, heutiger Ballettdirektor in München, schon 1977 selbst getanzt hat. Es ist die in Berlin erstellte Rekonstruktion von Gerhard Bohner. Die Urchoreografie vom „Triadischen Ballett“ ging ja verloren, ebenso die Musik; Bohner ließ den Jazzkomponisten Hans-Joachim Hespos neue Klänge erfinden und choreografierte das ganze Ballett neu. Musik und Choreo atmen den Zeitgeist der 70er Jahre. Die Kostüme aber wurden detailgetreu den Originalentwürfen nachgebaut; sie sind das eigentlich Authentische auch an der aktuellen Aufführung der Ballett-Youngsters.
Fantastisch, was für skurrile Figuren da auftanzen!
Kunterbunte zylindrische Körper kreiseln, hüpfen, wanken. Der Mensch als Spielzeug, als Maschine gar – eine Verführung wird versucht, umsonst. Früh hat Schlemmer begriffen, daß alle Träume von unübertrefflichen, unsterblichen Robotern Makulatur sein müssen. Spätestens, wenn sich die Menschheit weiterentwickelt. Was können dagegen technische Objekte?
Aber das satirische Rollenspiel mit sperrigen Kegelkostümen und geometrischem Mummenschanz half 1922, die Krise in der Weimarer Republik künstlerisch und psychologisch in den Griff zu kriegen.
Da sieht der „Taucher“ wie ein anachronistischer Alien aus. Die Ballerina mit Kreiselrock und Druckknopf am Kopf wirkt so absurd wie anmutig.
Ein geschlechtsloses Wesen ist eine Art tanzende Beule. Das scheiternde Figural erheitert: als subtil witzige Absage an den Positivismus!
Der Mensch als Arbeitsroboter? Nix da. Als Belustigungsmaschine?
Mitnichten. Als beseelter Automat? Nur über die Leiche unserer Blechballerina.
Klar, daß die Nazis Schlemmer ächteten und aus dem Kunstbetrieb verbannten. Seine Ideen – ausdrücklich der Komik, aber nicht dem Klamauk verpflichtet – überlebten, blieben als Experiment spannend und lebendig.
Gisela Sonnenburg
14., 15. und 16.1.2016 in der Akademie der Künste, Berlin