„Let’s start with Bigonzetti!“ – Huch? Ich befinde mich auf einer Probe im Ballettzentrum vom Staatsballett Berlin. Geübt wird aber nicht etwas von Mauro Bigonzetti, sondern das neue, noch in Kreation befindliche „Baby“ des Stuttgarter Erfolgschoreografen Eric Gauthier. „Ballet 102“ heißt es, in Anlehnung an das berühmte Anti-Ballett-Solo „Ballet 101“, das Gauthier 2006, also vor zehn Jahren, schuf. Er wurde damals schlagartig ein Darling der Tanzszene, verband er doch harte Kritik am Dressur-Charakter des klassischen Balletts auf lieblich-satirische Art mit der affenscharfen Darbietung poetischer Posen.
Aus dem kanadischen Ballerino Eric Gauthier, den Reid Anderson seinerzeit aus Toronto mit zum Stuttgarter Ballett gebracht hatte, wurde somit ein ernstzunehmender Choreograf, der bald, 2007, beim Theaterhaus Stuttgart seine eigene Compagnie bekam: „Gauthier Dance“ und das sozial engagierte Projekt „Gauthier Dance Mobil“ reüssieren seither unverdrossen als großartige Außenseiter in der europäischen Ballettszene; auch ohne Spitzenschuhe hat Gauthiers Truppe sich dank seines guten Riechers für choreografische Talentkollegen an die Spitze getanzt. Und das jenseits eines Opernhausbetriebs – alle Achtung!
Aber ganz ohne Opernhaus und ganz ohne Spitzenschuhe geht es eben manchmal nicht. Diese neue Kreation von Gauthier ist nämlich eine Ausnahme, in jeder Hinsicht – und sie wird, davon bin ich überzeugt, mindestens eben so ein gefragter Knüller werden wie „Ballet 101“.
Das neue Werk beginnt ähnlich wie sein Vorgänger, mit freundlichem Winken und tapferer „Daumen hoch“- Anzeige beim Einmarsch der Darsteller.
Mikhail Kaniskin, der brillante Primoballerino, und seine soeben Mutti gewordene Gattin Elisa Carrillo Cabrera, sind die Protagonisten in diesem ungewöhnlichen Pas de deux.
Sie kennen Gauthier noch aus Stuttgarter Balletttagen – damals tanzten sie alle drei gemeinsam in einer Compagnie die Klassiker, die Moderne (vor allem die Stücke von John Cranko), sowie auch zeitgenössische Stücke, von Hans van Manen bis sonstwohin.
Sie schufteten in denselben Ballettsälen, die standen auf derselben Bühne. Sie schwitzten unter dem Diktat derselben Trainingsmeister, sie rangen mit denselben Maskenbildnern um ein gutes Aussehen.
Das verbindet.
Jetzt kreieren sie zusammen – und das wird sie noch weiter verbinden, jeder Schritt, jede Geste, jede Pose wird ein Band zwischen ihnen sein.
Auch, wenn man sich nicht jeden Tag sieht – die intensive Zeit der Probenarbeit an „Ballet 102“ (nur eine knappe Woche, übrigens) wird sie für immer irgendwie zusammen halten, diese drei, auf eine fast unheimliche, ewig inspirierte Art und Weise.
„Mischa“ Kaniskin kommt aus Moskau, er wurde am ehrwürdigen Bolschoi und an der John Cranko Schule in Stuttgart ausgebildet. Seit 1997 gehörte er zum Ensemble des Stuttgarter Balletts, seit 2004 als Erster Solist.
2007 holte Vladimir Malakhov ihn nach Berlin zum Staatsballett, zusammen mit Elisa Carrillo Cabrero, die aus Mexiko stammt, wo sie zusammen mit Mischa ein eigenes Theater mit sommerlichen Ballettaufführungen betreibt.
In den letzten Jahren erhielt Elisa in Mexiko diverse Auszeichnungen für ihre internationale künstlerische Tätigkeit – gerade eben kassierte sie wieder eine Medaille.
Auch Eric Gauthier ist übrigens schon hoch dekoriert: Er bekam den Verdienstorden des Landes Baden-Württemberg für sein interaktives Projekt „Gauthier Dance Mobil“, das seit vielen Jahren die Botschaft des Tanzes in alle nur möglichen gesellschaftlichen Bereiche hinein trägt – zu Kranken, Alten und anderen Unglücklichen; zu Flüchtlingen wie zu Normalos, zu Behinderten, zu Schülern und zu vergessenden Vergessenen (Demenzpatienten).
„Wir bringen alle Menschen zum Tanzen!“, so lautet der Slogan Gauthiers, der zudem ein vorzüglicher Animateur und Moderator ist.
Übrigens finden alle Auftritte von Gauthier Dance Mobil ohne Gage statt, unerhört eigentlich, bedenkt man doch, dass Eric und seine Tänzer hier der Gesellschaft ein Stück ihrer Kraft und Power zurückgeben, ohne dabei auf professionellen Erfolg spekulieren zu können.
So ein Ausgleichsdenken – dass die Satten den Hungrigen etwas abgeben, die Besserverdienenden den Ausgenommenen etwas zustecken, und sei es „nur“ Tanz – wünscht man sich natürlich viel häufiger in unserer Welt, die vor lauter Ungerechtigkeit, Dummheit und Willkür wohl immer öfter in Krisen und Bürgerkriege fallen wird.
Ein dickes „Bravo!“ also an Eric Gauthier, von dieser hoch interessanten Probensituation mal ganz abgesehen.
Ja, was macht die Probe im relativ intimen „Oberen Ballettsaal“ in Berlin eigentlich so spannend?
Da brennt die Luft!
Da sind alle Teilnehmenden wie elektrisiert, stehen unter Spannung, unter Strom, wollen etwas machen, sind aktiv, aufmerksam, konzentriert…
… und da ist noch etwas, das man bei Proben nicht immer vorfindet: So eine gediegene, hoch professionelle Lockerheit, die von Eric Gauthier ausgeht und die sich im Nu auf jeden und jede überträgt.
Unmöglich, in seiner Gegenwart total nervös zu sein.
Er will auch gar nicht einschüchtern, im Gegensatz zu so manchen hochkarätigen Ballettfuzzis.
Er will auch nicht immerzu hören, dass er der Allerallerallerbeste sei.
Es genügt ihm, das zu machen, was seine Leidenschaft ist und womit er Menschen, die ihn dafür engagieren, eine Freude machen kann.
Oh, und das macht er gut.
Die Idee, die ihn, Elisa und Mischa hier zusammen führt, stammt übrigens aus Moskau.
Der Chef vom Kremlin-Ballett, Andrej Petrov, war so begeistert von „Ballet 101“, dieser rabenschwarzen, aber auch lichtdurchwirkten Satire auf klassischen Tanz, dass er Eric um eine Neukreation als Pas de deux bat.
Für die große Gala „Ballett-Stars des 21. Jahrhunderts“ („Ballet Stars of the 21st Century“), die am 15. Oktober 2016 im Staatlichen Kremlpalast steigt, sei das genau das Richtige!
Na! Gauthier überlegte, der Russe ließ sich nicht abwimmeln, er wollte auch Mikhail Kaniskin und Frau als ausführende Stars sehen (schließlich hatte er Kaniskin mit „Ballet 101“ im Vorjahr auf der Gala zu Gast gehabt) – und Eric Gauthier konnte gar nicht anders, als langsam, aber sicher Feuer und Flamme für die Auftragsarbeit zu werden.
Vielleicht hatte er ohnehin mal ganz klammheimlich schon daran gedacht, so etwas zu versuchen…
Und dass er nun mit Elisa Carrillo Cabreras Füßen wunderschöne, exquisit tanzende Spitzenschuhfeenkraft als „Material“ für ein neues Ballett haben würde, war ganz sicher keine abschreckende Vorstellung.
Wie es im Ballett üblich ist, war auch die Klärung der Raumfrage nicht das Problem.
Gauthier konnte mit Wunsch-Musiker Jens Peter Abele am Computer anreisen, das neue Ballettstück wie avisiert kreieren und auch seine zählende Stimme für die Tonaufnahme mitschneiden lassen – es ist wirklich schön, wenn die Dinge so gut zueinander passen und im richtigen Flow in Schwingungen geraten.
Aber was hat all das nun mit Bigonzetti zu tun?
„Let’s start with Bigonzetti!“, lasst uns mit Bigonzetti anfangen, so lautet eine konkrete Ansage von Eric Gauthier, während der Probe in Berlin.
Tatsächlich: Da pauken Mischa und Elisa eine Schrittfolge mit Posencharakter, die irgendwie eine Anmutung des choreografischen Werks von Mauro Bigonzetti hat. Bigonzetti hat 2014 in Stuttgart für Gauthiers Truppe den Abendfüller „Alice“ kreiert, und in Berlin begeisterte jahrelang sein 2009 entstandendes Stück „Caravaggio“.
Er ist eine Hausnummer im Reigen der zeitgenössischen Choreografen, dieser Italiener, der einst selbst eine Außenseiter-Truppe leitete, das Aterballetto, was er zu Gunsten seiner freiberuflichen Tätigkeit als Ballettmacher aber wieder aufgab.
Jedenfalls darf Bigonzetti nicht fehlen, wenn man möglichst viele wichtige choreografische Handschriften in eine Viertelstunde Galaglanz hineinzupressen hat.
Aber warum nicht die Sache von Beginn an berichten?
Auf die Gefahr hin, dass jetzt schon alle Bescheid wissen – zwei Tage vor der Uraufführung dürfte das kein Problem mehr sein.
Da ist dieser Beginn à la „Ballet 101“, der die Situation von Profi-Tänzern klarmacht.
Sie müssen gut drauf sein, immer gut drauf sein, sie müssen fröhlich sein und winken, egal, wie es ihnen gerade geht.
Das Publikum will unterhalten werden – und der Ballettchef will keinen Ärger.
Also: Hallo, und wie geht es euch?
Ach so, überflüssige Frage, natürlich geht es euch gut! Supergut! Supersupergut!
Die Daumen müssen hoch, und das so hinzukriegen, dass es elegant und dennoch erbärmlich, anmutig und dennoch bemitleidenswert, ehrlich und doch zugleich bewundernswert gelogen aussieht, ist gar nicht mal so einfach.
Nach ein paar Wiederholungen gelingt der Ausdruck, auch das Tempo, der Rhythmus, alles ist schon mal perfekt.
Aber es ist nur der Anfang…
„Are you ready to start the demonstration?“
Die Probensprache ist, wie die Ansagen von Eric fürs Stück, Englisch. Das ist einfach Gewohnheit, auch wenn alle drei ein sehr gut verständliches Deutsch sprechen.
Und ab geht die Post!
Klassische, edle Positionen des Paartanzes werden durchgehechelt, der Mann hält und lenkt die Frau, präzise streckt sie ihren Fuß, gekonnt schiebt er ihren Leib in eine bestimmt Richtung, während sie auf den Zehenspitzen steht.
Eins, zwei, eins, zwei – immer neue Posen erblühen, sie sind aber so organisch aneinander gereiht und auch miteinander verwoben, als handle es sich um eine etwas unübliche Trainingskombination.
Poetisch wirkt es, schon jetzt, das neue Werk von Gauthier, und dennoch lauert in der erbarmungslosen Abfolge von kleinen Kunststücken der Spott.
Ist es denn eigentlich noch normal, dass Menschen sich so verbiegen, so abrichten lassen, so gehorsam von einer Figur in die nächste kommen?
Der Verdacht kommt, wie in „Ballet 101“, langsam auf und verschärft sich von Sekunde zu Sekunde: Das hier ist eine Parodie, eine Satire…
Der Choreograf diktiert derweil die Zahlen, die die Posen titulieren:
„Twelfth!“ – „Seventeenth!“ – „Seventeenth!“ – „Seventheenth to Eighteenth!“
Eigentlich sind schon diese Nummern Parodien, denn sie stammen natürlich nicht von Agrippina Vaganova noch aus der old school des Balletts, das vor knapp vierhundert Jahren die einzelnen Grundpositionen „erste Position“, „zweite Position“, „vierte Position“, „fünfte Position“ und so weiter (die dritte Fußposition wird kaum benutzt) erfand und auch für die Armarbeit die Posen durchnummerierte.
Gauthiers Stücke erfinden das Durchnummerieren sozusagen neu.
Aber dabei geht es auch, rein tänzerisch gesehen, um das geschmeidige Gleiten von der einen Sache in die nächste…
Wunderbar sieht das aus, wenn Mikhail Kaniskin seine Frau mit wenigen Griffen umherwirft, sie sanft auffängt, sie beide ihre Balancen bewahren, als wenn nichts wäre…
Die zwanzigste Position von „Ballet 102“: Elisa Carrillo Cabrera steht da, stark, schön, vorwärts gewandt.
Die Dreiundzwanzigste: Oh! Er, vor ihr sitzend in der Hocke, als „Corsaire“-Sklave, die Hände aufs Herz gepresst.
Hier hat das, was wir sonst als so hehr kennen und lieben, eine ironische Schönheit.
Etwas Modernes.
Ein Zusatz, der die Klassik nicht mindert, der aber wie in Parenthesen ein Fragezeichen anzufügen weiß.
Zu erkennen sind alle nur möglichen choreografischen Erfolgsgeheimnisse.
Von Marius Petipa (der unter anderem „Le Corsaire“ schuf) über George Balanchine bis zu Mats Ek.
Von Vaslav Nijinsky bis zu Mauro Bigonzetti.
Von John Cranko bis zu John Neumeier.
Mikhail Kaniskin wechselt von einem Rollenfach zum anderen, in rasantem Wechsel.
Korsar, Prinz, Onegin, Faun, Liebhaber, Jesus-Jünger. Wieder und immer wieder: lover. By heart!
Elisa Carrillo Cabrera spielt mit.
Erst ist sie eine klassische Tänzerin, wie aus dem Vaganova-Lehrbuch, dann eine ganz moderne pure Ballerina, dann Medora aus „Le Corsaire“, dann wackelt sie mit dem Kopf, ganz indisch, während Mikhail sie hoch hält, eine Mini-Referenz an Sidi Larbi Cherkaoui…
… und nur wenige Zeit später verkörpert die Primaballerina eine ihrer Lieblingsrollen, Tatjana aus Crankos „Onegin“, die dem Titelhelden mit deutlichem Fingerzeig eine Abfuhr erteilt. Puh!
Eric Gauthier ist hoch erfreut über das, was er sieht.
Erst gestern hat er das Ballett mit seinen beiden Protagonisten soweit fertig gestellt, heute wird der erste komplette Durchlauf stattfinden.
„Very good, very clean!“
Er lobt seine Tänzer.
Aber Elisa ist ehrgeizig und weiß, dass sie noch mehr kann, als sie bislang zeigte. Sie ist unzufrieden und will weitere Korrekturen.
Und so wird der erste Teil der getanzten Ballettgeschichte von „Ballet 102“ wieder und wieder wiederholt…
Zu meinem Vergnügen, übrigens!
Schließlich sitzt jedes kleinste Bisschen, jede rhythmische Veränderung, jedes Schrittchen, wo es hin soll…
… die Linien bei den Arabesken sind wunderbar, edel und erhaben…
… und dennoch hat das Ganze Witz, Pfiff, Raffinesse.
Und lebt von Widersprüchen!
Kaum hat Elisa „Onegin“ da ade gesagt, liegt er ihr auch schon nicht nur zu Füßen, sondern rollt sie blitzschnell auf sich rauf.
So. Und? Ach und oh! Es gefällt ihr! Aber…
Natürlich hält die Begeisterung nicht an, dann wäre es ja keine Satire.
Die zweite Hälfte steht zur Probe an.
Poesie und Ironie verschlingen einander regelrecht, so heiß fallen sie hier übereinander her…
Es ist eine Liebeserklärung ans Ballett und doch auch eine Parodie total – Alexej Ratmansky, der manchmal selbst ironisch choreografiert, wird hier natürlich auch zitiert, vielleicht ist er sogar eine Art Vater des Gedankens.
Elisas Spagatsprung, Mikhails Flitzen mit ihr durch den Raum – all das bewirkt fast eine Ekstase, so schnell und akrobatisch, aber auch so leichtfüßig und passioniert geschieht es.
Dabei gab es, wie in „Ballet 101“, noch die trügerisch gnädige Ansage vom Chef: „Well done! Take a break!“ – Und diese Pause dauerte dann gerade mal zwei Sekunden. Knapp zwei Sekunden!
Der Mann der guten Töne, Jens-Peter Abel, applaudiert spontan.
Nach fast zwei Stunden Probenzeit ruft Eric Gauthier eine tatsächliche Pause aus. Er öffnet das Fenster, lässt frische Luft herein.
Zeit, die Ehefrau zurückzurufen, wenn man Choreograf ist.
Zeit, in eine Banane zu beißen, was Mikhail macht.
Zeit, sich die Spitzenschuhe kontrollierend anzuschauen, Elisas Pausenbeschäftigung ist das.
Als es weiter geht, Punkt 13 Uhr ist es da, wird der Schluss des Stücks nochmal genau unter die choreografische Lupe genommen.
In einem Affentempo geht es voran, Coupé, Coupé, im Kreis wird sich auf dem Platz gedreht, und hopp!
Eine große Drehhebung – „One-hundred“, sagt Gauthier. „One-hundred, one-hundred!“
Er springt auf, von seinem Sitz, und demonstriert, was er meint und wie er es meint.
Vor allem Mikhail Kaniskin ist da gefordert. „Hard stuff“, sagt der erfahrene Primoballerino, „ich muss total präzise sein, sonst geht da gar nichts.“
Eine zweite Pause bringt etwas Ruhe. Die zweite Hälfte der Banane von der ersten Pause wird vertilgt.
Es ist kurz nach 14 Uhr. Abele stellt am Computer die Töne an…
… und die Tänzerin und der Tänzer legen sich nochmal ins Zeug.
Was jetzt noch nicht hundertprozentig schön und gediegen aussieht, wird Bea Knop, die Künstlerische Produktionsleiterin vom Staatsballett Berlin, mit ihnen nacharbeiten. Noch ist da etwas Zeit bis zur Welturaufführung in Moskau.
101, 101, 101, 102. Der Schluss.
Da gibt es einen Ratmansky-Anklang, ein gewirbeltes Soutenu auf Spitzenschuhen – und Elisa und Mikhail legen beschwörend jeder eine Hand auf die Brust.
Dem düster-makaberen Ende von „Ballet 101“, das zu den Geräuschen eines startenden Flugzeugs den Tänzer als zerstörte Puppe zeigt, deren Gliedmaßen wild verteilt im Raum herum liegen, setzt das „Ballet 102“ eine pointiert-ironische Freundlichkeit entgegen.
Die Turbotänze kurz zuvor, in denen die Posen noch einmal ganz schnell wechselten – „eighty, ninety-one, fifty!“ – hat man da noch taufrisch im Gedächtnis.
Und noch etwas ist anders als in „Ballet 101“: Es gibt Musik – ein rhythmisches, dunkles Wummern aus der Soundmaschine von Jens Peter Abele. Er hat bereits mehrfach mit und für Gauthier gearbeitet, die beiden sind ein eingespieltes Team.
Auch die Aufnahmen von Erics Stimme („thirty-six, thirty-six, thirty-six en place!“) für die Show macht Abele, gleich hier, im Ballettstudio, das kabellose Mikrofon prangt nicht umsonst in Erics Hand.
Zur Musik hat Gauthier ja zudem noch ein weiteres Verhältnis als ein ballettöses: Er hat eine Band, rockt und hottet da regelrecht ab, verdient sogar auch Geld damit, ist also keineswegs ein Dilettant – aber mit seiner Tanzarbeit, das betont er, hat diese zweite Karriere absolut nichts zu tun.
Im Gegenteil: Er hat es sogar abgelehnt, eine Art Tanzmusical mit eigener Musik zu machen, angeboten wurde es ihm schon mal.
Die Gegensätze sind aus Ballettsicht also deutlich: Während Rockmusik für Eric Gauthier etwas ist, um sozusagen die Sau rauszulassen, um frei zu sein in allem, was er auf der Bühne tut, ist Ballett das dezidiert-präzise Einstudierte, das Performative ohne Improvisation, das Perfekte, nicht das Spontane. Also… per definitionem: das Klassische!
Ein eigentlich doch überraschendes Ergebnis bei jemandem, der so viel Revoluzzertum ins Ballett trägt!
Für Moskau sei den Dreien von „Ballet 102“ – die ja vielleicht auch noch mal ein „Ballet 103“ machen werden – alles Gute gesagt. Toitoitoi!
Gisela Sonnenburg
Kremlin-Gala „Ballet Stars of the 21st Century“: am Samstag, 15. Oktober 2016, 18 Uhr, im Staatlichen Kremlpalast im Kreml, Moskau