Nur die Erkenntnis zählt Energetisch: Haruka Sassa und Javier Cacheiro Alemán im „Schwanensee“ von Xin Peng Wang beim Ballett Dortmund

Schwanensee à la moderne erschließt sich umso besser.

In Xin Peng Wangs „Schwanensee“ feiert eine konsumfreudige Gesellschaft eine hippe Geburtstagsparty… so zu sehen im ersten Akt beim Ballett Dortmund. Foto / Videostill: Gisela Sonnenburg

Die jüngsten Hooligan-Ausschreitungen in Dortmund zeigten: Diese Stadt braucht die positive Energie des Balletts erst recht. „Schwanensee“, das Ballett aller Ballette, ist hier zudem in sinnvoll-sinnlicher, modernisierter Version zu erleben: als Generationenkonflikt – oder auch als Konflikt des jungen Helden mit der konsumfreudigen Übermacht der Gesellschaft. Xin Peng Wang, der Choreograf und Chef vom Ballett Dortmund, lehrt uns in spannender Weise und mit allerlei tänzerischen Highlights solche neuen Sichtweisen auf den überirdisch schönen Ballettklassiker. Die spritzige Japanerin Haruka Sassa als Odette / Odile und der ausdrucksstarke Kubaner Javier Cacheiro Alemán als Siegfried tanzen darin das Liebespaar, als seien sie füreinander geschaffen: mit jener innigen Verliebtheit und jenem inneren Dafürhalten, an denen man die wahre Seelenkraft erkennt.

Und nur die Erkenntnis zählt in diesem verwirrenden Lebensspiel aus Verkleidungen und Imaginationen – die Erkenntnis der Liebe allemal!

Schwanensee à la moderne erschließt sich umso besser.

Siegfried ist um seine Fantasie zu beneiden: Das Liebespaar aus „Schwanensee“ in Xin Peng Wangs Inszenierung beim Ballett Dortmund, getanzt von Haruka Sassa und Javier Cacheiro Alemán. Foto / Videostill: Gisela Sonnenburg

In Wangs „Schwanensee“ spielt letztlich aber auch die Selbsterkenntnis eine entsprechende Rolle: Siegfried findet durch die große Kraft der Fantasie zu sich, ausgelöst durch die befreiende Macht der Liebe.

Javier Cacheiro Alemán tanzt diesen empfindsamen Sohn eines auch wirtschaftlich mächtigen Patriarchen mit aller Hingabe. Er strahlt Intelligenz aus, aber auch menschliche Wärme, wenn er der hippen Party in einer Eishöhle, die sein Vater zum 18. Geburtstag von Siegfried veranstaltet, entfliehen will.

Das Traumwesen, das ihn dann tröstet und aufrichtet, ist Haruka Sassa als Schwanenmädchen Odette. Sie tanzt präzise, akkurat, aber auch mit großer Passion.

Anders als in der hier ergänzten Originalchoreografie von Marius Petipa und Lew Iwanow ist diese weibliche Hauptfigur in Xin Peng Wangs Ausdeutung sehr aktiv; sie wartet nicht, bis Siegfried zu ihr kommt, sondern sie agiert von sich aus.

Sie verkörpert die tätige Liebe, die hilfreiche, die selbstlose Liebe – und der Zauber, der über ihr liegt, scheint sie darin nur noch zu bestätigen.

Schwanensee à la moderne erschließt sich umso besser.

Die klassische Pose des Penché beim Pas de deux im neu inszenierten Kontext: Haruko Sassa als Odette und Javier Cacheiro Alemán als Siegfried in „Schwanensee“ von Xin Peng Wang beim Ballett Dortmund. Wunderschön! Foto / Videostill: Gisela Sonnenburg

Die Liebe der beiden entwickelt sich wie eine energetische Kraft in der Natur: langsam, aber stetig. Sie findet nur in Siegfrieds verträumter Vorstellungskraft statt, aber genau darum beflügelt sie ihn so sehr, zu sich selbst zu finden.

Da hat sein unterdrückerischer Vater bald keine Macht mehr über ihn…

Und die Schwäne helfen dem jungen Mann, indem sie den Patriarchen mit flinken, höchst anmutigen Bewegungen erst verwirren, dann verscheuchen, ihn sozusagen ausweisen aus dem mächtigen Reich der Fantasie.

So geht „Schwanensee“ bei Xin Peng Wang gut aus, auch wenn die große Liebe zum weißen Schwan keine wörtliche Erfüllung finden kann.

Der letzte große spätromantische Knalleffekt auch der Musik gehört hier Siegfried und seiner inneren Ruhe, die er endlich ebenso finden kann wie die Kraft, seinen eigenen Weg zu gehen.

Schwanensee à la moderne erschließt sich umso besser.

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In manchen Versionen wird die Schwanenprinzessin ja erlöst und zu einem Menschen, der als Mensch zu lieben und zu heiraten vermag.

In anderen Versionen gehen beide Liebenden im Wasser des Sees unter, immerhin für die Ewigkeit miteinander vereint…

Mit welchem Ende auch immer: „Schwanensee“ wird von jungen Ballettfans oft noch als unverständlich abgelehnt, mit zunehmender Erfahrung aber immer mehr geliebt. Man kann schon glatt von einer „Schwanensee“-Manie sprechen, die die Ballettfreunde früher oder später mit ziemlicher Sicherheit erfasst – und im Laufe der Jahre sehen viele Ballettomanen gerade den „Schwanensee“ immer und immer wieder sehr gern.

Die Popkultur, die Werbung, der gute Ruf des Schwans in der Kunst tun ein übriges: „Schwanensee“ gilt als DAS Ballett schlechthin.

Warum nun gerade „Schwanensee“ seit seiner noch nicht mal erfolgreichen Uraufführung 1877 zum Sinnbild aller Ballette wurde – und nicht etwa „Giselle“, „Der Nussknacker“ oder „Dornröschen“, „Romeo und Julia“, „La Bayadère“ oder „La Sylphide“ – darüber gibt es verschiedene Theorien.

Eine kommt von George Balanchine, der in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts in New York seinen eigenen – gestrafften, insofern modernisierten – „Schwanensee“ kreierte und Auszüge daraus als Werbemaßnahme für seine Aufführungen auf New Yorks Straßen tanzen ließ.

Balanchine war der Meinung, die nicht dem irdischen Jammertal entstammende weibliche Hauptfigur sei der Schlüssel zum Stückverständnis und auch für den Erfolg dieses Balletts verantwortlich zu machen.

Also: Wäre Odette nicht ein Schwan und somit eigentlich unvorstellbar als menschliche Geliebte, dann hätte das ganze „Schwanensee“-Ballett trotz der rührend-dramatischen Musik von Peter I. Tschaikowsky nicht seinen besonderen Nimbus.

Einfach nur irgendwie verzaubert sein – das genügt nicht für die große Kraft der Liebe…

Schwanensee à la moderne erschließt sich umso besser.

Am Ende kann Siegfried kniend zu sich selbst finden… und das verdankt er den Schwänen, ihrer Loyalität und auch ihrer Liebe. Javier Cacheiro Alemán kniet hier in Xin Peng Wangs „Schwanensee“  beim Ballett Dortmund im Finale. Ein atemberaubender Anblick! Foto: Gisela Sonnenburg

Aber wenn die Liebe die scheinbaren Grenzen der Realität überwinden kann, dann wird sie auch für das sie sich nur erträumende Individuum mehr als eine kleine Hilfe sein.

Xin Peng Wangs „Schwanensee“ macht in diesem Sinn viel Mut. Danke!
Gisela Sonnenburg

Termine: siehe „Spielplan“

Und hier bitte zum ausführlichen Essay über Xin Peng Wangs „Schwanensee“: www.ballett-journal.de/ballett-dortmund-schwanensee-wang/

www.theaterdo.de

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