Nicht nur das Übliche Die Nijinsky-Gala XLVII beim Hamburg Ballett dauert wieder länger als vier Stunden – und ist einigen seltsamen Jubiläen gewidmet

Nijinsky-Gala 2022 beim Hamburg Ballett

Die Theaterklassen VII und VIII tanzen auch in folkloristischer Manier schon fast wie die Profis: Die Ballettschule vom Hamburg Ballett – John Neumeier wird morgen auch auftreten. Foto: Kiran West

Die Zeiten, in denen fast jede Vorstellung vom Hamburg Ballett – zumal während der jährlichen Ballett-Tage – zu Höchstpreisen ausverkauft waren, sind wohl erstmal vorbei. Auch die jüngste Aktion, die es „Menschen unter 30“, vom Säugling bis zum späten Twen, ermöglichte, für nur 5 Euro Eintrittsgeld an den bejubelten Ballettabenden des Festivals teilzunehmen, sorgte nicht immer für volles Haus. Sogar für die Nijinsky-Gala XLVII im Jahre 2022 am morgigen Sonntag (für die es früher eine jahrelang geführte Warteliste gab) gibt es noch Karten. Sei es nun die Corona-Pandemie, sei es die dank der glorreichen deutschen Regierung stetig zunehmende Verarmung vieler Bevölkerungsschichten: Das Interesse, richtig viel Zeit und Geld für ein Ballett-Ticket aufzuwenden, geht in Hamburg spürbar zurück. Auch uns vom Ballett-Journal erscheinen dieses Jahr nicht alle Highlights so verlockend wie sonst. Nachdem sich nun die Lieblingsjournalistin des Hamburger Ballettchef John Neumeier, eine etwas despektierliche Berlinerin aus den oberen Kreisen namens Dorion Weickmann, in einem ihrer letzten Artikel darüber ausließ, dass sie wegen ihrer eigenen Unfähigkeit, ausreichend mit der Suchmaschine Google umzugehen, eine Stunde zu spät in die Dresdner Ballettpremiere „Peer Gynt“ von Johan Inger beim Semperoper Ballett kam (im Gegensatz zum immer sehr pünktlichen Ballett-Journal), veröffentlichen wir hier nun einen umfassenden Outlook auf die morgen anstehende Nijinsky-Gala XLVII in Hamburg. Für Frau Weickmann: Beginn ist um 18 Uhr. Und: Lieber zu früh als zu spät kommen!

Das Motto der Gala klingt ein bisschen lahm: „Anniverseries“, nur auf Englisch steht es im Spielplan. Die Übersetzung ins Deutsche hätte es nun allerdings auch nicht prickelnder gemacht: mit „Jubiläen“ nerven schon die vom aktuellen Tagesgeschehen gern damit ablenkenden Mainstream-Medien.

Man fragt sich außerdem, ob Neumeier mit dieser Anglisierung Joe Biden – die dürre Wahlschwester von Tante Scholz – ehren will oder ob er das Hamburger Publikum auf den als möglichen neuen Hamburger Ballettintendanten avisierten Christopher Wheeldon einschwören will.

Immerhin zeigte Ballettpatriarch Neumeier auch die jüngste Premiere, ein Stück von Wheeldon, nur unter dem englischen Titel.

Wheeldon wiederum – gebürtiger Brite, in den USA lebend – ist der deutschen Sprache nicht mächtig und hat als global tätiger Lebe- und Geschäftsmann des 21. Jahrhunderts vermutlich wenig Lust, sie zu lernen.

Wheeldon wird nächstes Jahr übrigens 50.

"The Winter's Tale" von Christopher Wheeldon

Starchoreograf Christopher Wheeldon spaßt hier mit einer Skulptur, die später auf die Bühne kommt. Foto vom Royal Ballet in London: Tristram Kenton

Apropos runde Zahlen:

Vor 60 Jahren begann John Neumeier seine Tänzerkarriere und siedelte dafür aus den USA nach Europa um, zunächst nach London, wo er bereits an der Royal Ballet School studiert hatte.

Weil er dort sein Alter als zu jung angegeben hatte, um überhaupt aufgenommen zu werden, musste er die School auch bald wieder verlassen, denn die Sache flog rasch auf. Sich selbst drei Jahre jünger zu machen, erachtete Neumeier aber als clever und behielt diese Schummelei für viele Jahrzehnte bei, bis er von seiner Katholischen Kirchengemeinde in Hamburg vor einigen Jahren ganz naiv und quasi versehentlich öffentlich enttarnt wurde.

Sonst wäre er jetzt offiziell noch nicht 83, sondern würde die runde Zahl 80 mit uns feiern.

In den 60er-Jahren aber ging es für ihn um die Wurst mit diesen dämlichen Altersgrenzen, die auch heute noch vielen jungen Menschen das Leben versauen. Schließlich haben gerade diejenigen, die kämpfen müssen, weil ihnen das Schicksal nicht alles generös in den Schoß legt, dadurch auch Zeitverlust.

Die glücklichen Kinder der Reichen und Superreichen werden bei Traumberufen wie denen des Tänzers im heutigen Westen denn auch gnadenvoll bevorzugt.

In den USA und in England sind die Schulgebühren an den Profi-Ballettschulen in den letzten Jahren so angestiegen, dass selbst Stipendia nur noch einen Bruchteil dessen aufwiegen.

Mehrere tausend Euro sind monatlich vonnöten, um das Schulgeld dort zu bezahlen, oft in Ergänzung zu einem Stipendium. Ohne massive private Aufwändung ist im westlichen Ausland also kaum noch eine Profi-Ausbildung im Ballett möglich.

Da die Bevölkerungszahlen weiterhin explodieren, gibt es aber überall begabte Kinder, sogar unter den Reichen. Nur gucken die Talente aus weniger privilegierten Schichten zunehmend in die Röhre: Die westlichen Staaten fördern, im Unterschied zu Russland, nicht vor allem nach Talent, sondern vor allem nach Geld.

Zur auf der Nijinsky-Gala auftretenden Hamburger Ballettschule von John Neumeier – die korrekt Ballettschule vom Hamburg Ballett – John Neumeier heißt – ist an dieser Stelle anzumerken, dass sie vor allem solche Jugendlichen zu Tänzerinnen und Tänzern ausbildet, die bereits fast fertig ausgebildet aus dem Ausland nach Deutschland geholt werden. Zwei oder drei Jahre werden sie dann in den so genannten Theaterklassen VII und VIII auf den Neumeier-Stil gedrillt – und sicher lernen sie dabei viel, aber das grundlegende Rüstzeug ihres Berufs brachten sie bereits nach Hamburg mit.

Ähnlich verhält es sich beim Stuttgarter Ballett, wo die John Cranko Schule in diesem Monat auch mit Vorstellungen brilliert (siehe Spielplan hier im Ballett-Journal). Wenn unter den Absolventen dann mal ein Deutscher oder eine Deutsche ist, haben er oder sie beste Chancen, zu Stars hochgejubelt zu werden. Die überwältigende Mehrheit stammt schließlich aus dem Ausland.

Deutsche Kinder, die für den Ballettberuf begabt sind, werden seit dem Mauerfall nur noch selten auf die Profischiene geleitet. Das ist Fakt.

Sei es, weil die Eltern den finanziellen und organisatorischen Aufwand scheuen, sei es, weil der deutsche Staat künstlerische Berufe, die was mit Können zu tun haben (hier ist also nicht die Rede von zeitgenössischer Gymnastik zu Techno-Musik) nicht genügend fördert.

Und Schulen wie die Palucca Hochschule für Tanz in Dresden bieten zwar allerhand Auswahl an Studiengängen an. Aber richtig gute Tänzer:innen bringen sie nur in Ausnahmefällen hervor.

John Neumeier, der sehr spät überhaupt mit Ballett begann, hat also, genau wie die nach gängigen Maßstäben nicht besonders ballettbegabte Marcia Haydée, die mir das auch mal so sagte, unglaublich viel Glück gehabt. Außerordentliches Talent, das sich durchsetzt, ist halt selten.

Schon dazu einfach mal: Herzlichen Glückwunsch!

Nijinsky-Gala 2022 beim Hamburg Ballett

John Neumeier mit den Tänzer:innen nach der Nijinsky-Gala 2021 beim Hamburg Ballett – damals schien die Welt irgendwie noch mehr in Ordnung. Foto: Kiran West

Zurück zu Neumeiers Jubiläumsvita. Zum 47. Mal moderiert er heuer seine Nijinsky-Gala, was allerdings eher ein Anti-Jubiläum ist.

Aber im selben Jahr, als er damals unter ferner liefen in London auf der Bühne tanzte, also 1963, entdeckte ihn auch schon eben Marcia Haydée, also die Grande Dame des deutschen Balletts, für das Stuttgarter Ballett von John Cranko.

Dass auch Ray Barra mitentdeckt haben soll, ist eine Mär jüngeren Datums und scheint mir abwegig, denn Ray hatte im Gegensatz zu Marcia nie deren Talent, andere große Talente zu bemerken und zudem kluge Ratschläge zu geben.

Marcia, als ständige Muse und häufige Beraterin von Cranko, die übrigens noch letzte Woche in Berlin weilte, um eine neue Besetzung ihrer Version von „Dornröschen“ zu coachen, wurde später auch John Neumeiers Muse. Sie tanzte grandiose Uraufführungen seiner Stücke mit dem Stuttgarter Ballett, von der „Kameliendame“ bis zu „Fratres“.

Leider ist Marcia Haydée nun aber nicht bei Neumeiers „Jubiläums“-Gala anwesend. Auch nicht das Stuttgarter Ballett.

Dafür kommt ein grüßendes Paar aus London:

Die so schöne wie anmutige Mayara Magri (die sowohl britische als auch indische Wurzeln hat) und ihr Bühnenpartner Matthew Ball (ein reiner Brite, gebürtig in der Beatles-Stadt Liverpool) vom Londoner Royal Ballet tanzen ein Pas de deux aus dem wirklich selten zu sehenden Stück „Carousel“.

Es ist das letzte, das Großmeister Kenneth MacMillan kreierte, er konnte es nicht vollenden und verstarb 1992 zwei Wochen vor der Premiere, aber das Stück ist ein Vorläufer zu John Neumeiers Meisterwerk „Liliom“.

In Deutschland waren Magri und Ball soeben auch erst beim Dortmund Ballett bei dessen höchst erfolgreicher Internationaler Ballettgala XXXIV zu sehen, und im September 22 werden sie darin dort auch wieder auftreten. Es ist übrigens die 34. Ballettgala in Dortmund, während John Neumeier dieses Jahr, wie schon aus dem Lateinischen übersetzt, zum 47. Mal willkommen heißt.

Nijinsky-Gala 2022 beim Hamburg Ballett

Mayara Magri und Matthew Ball vom Londoner Royal Ballet in MacMillans „Romeo und Julia“ – bildschön. Foto: Leszek Januszewski

Achtung, Frau Weickmann, bitte auch im September auf die genaue Uhrzeit des Beginns achten! Und nicht alles irgendwie glauben, was von Google kommt, sondern besser mal selbst nachrecherchieren. Komisch, dass ich Ihnen das sagen muss.

Das Tolle an der Show in Dortmund ist, dass Matthew Ball dort seine eigene Pas-de-deux-Kreation zeigen darf, außer dass er mit Mayara die Balkonszene aus „Romeo und Julia“ in der Version von MacMillan tanzt.

Ball ist wohl einer der wenigen aktuellen First-Class-Ballerinos, der wirklich choreografieren – und nicht nur dekorativ oder originell arrangieren – kann. Die Umsetzung von Inhalten auf musikalische Art und Weise ist dabei entscheidend – das kann halt nicht jede oder jeder.

Aber auch das mit dem Rechnen kann nicht jede oder jeder.

Nun arbeiten im Stab von John Neumeier ja viele Leute, denen man das einfache Zählen bis 11 durchaus zutrauen sollte. Trotzdem wird im Jahr 2022 das angeblich zehnjährige Jubiläum vom 2011 durch Neumeier gegründeten Bundesjugendballett verkündet.

Naja, man kann da etwas hinbiegen, indem man mit der zweiten Jahreshälfte 2011 begründet. Aber so richtig Spaß macht das nicht. Es ist und bleibt ein nachgefeierter Geburtstag, und da sich diese Truppe von einem bemühten, originellen, kleinen Pionierensemble zu einer Möchtegerngroßsein-Mainstream-Truppe entwickelte, die es meiner Meinung nach schon seit Jahren nicht mehr lohnt, angesehen zu werden, ist der Nachgeschmack dabei, sie zu befeiern, ziemlich fade.

Die Nijinsky-Gala XLIII erstrahlte

„Dumbarton Oaks“ hieß dieses Stück vom Bundesjugendballett, das 2017 aufgeführt wurde: witzig und für Toleranz plädierend, versetzte es einen in eine richtig swingende Stimmung. Seither wurde es aber immer mehr Krampf beim Bundesjugendballett. Foto: Kiran West

Das Bundesjugendballett ist ein typischer Fall von Gelderverschwendung geworden, indem durch viel Werbung und PR künstlerische Mängel übertüncht werden.

Denn anscheinend wird jeder, der Geld und Zuspruch einer bestimmten Lobby verspricht, hier als Choreograf oder Dramaturg engagiert. Von Marco Goecke bis hin zu Ralf Stabel, den man in Berlin nicht mehr sehen möchte, weil er jahrelang zu Missständen an der Staatlichen Ballettschule Berlin – deren Leiter er war – geschwiegen hat.

Jetzt kann Stabel gern versuchen, mich wegen Beleidigung anzuzeigen – das hat er stillos und kleingeistig mit einer anderen Kritikerin tatsächlich so gemacht – aber ich habe, was auch er weiß, Beweise dafür, dass es in seiner Schule nicht immer gut für die Kinder lief. Hierzu kann man auch gern im Ballett-Journal (https://ballett-journal.de/staatsballett-berlin-staatliche-ballettschule-marek-rozycki/) weiterlesen.

Aber für John Neumeier zählen wohl vor allem Rang und Einkommen, um Menschen zu akzeptieren, und Ralf Stabel trägt tatsächlich einen Professorentitel und kann zudem, was seinen Geldfluss angeht, sicher nicht meckern.

Dass der künstlerische Leiter vom Bundesjugendballett, der frühere Neumeier-Startänzer und langjährige Erste Ballettmeister vom Hamburg Ballett namens Kevin Haigen, mittlerweile vor allem durch Großmannssucht und weniger durch positive Leistungen auffällt, hat sich unter der Hand auch schon herumgesprochen. Manche Menschen sollte man einfach irgendwann aus dem Job nehmen, weil sie nicht mehr viel zu geben haben, dafür aber immer mehr verlangen.

Und warum der gebürtige Leipziger und in Dresden ausgebildete Raymond Hilbert – der als Choreograf wirklich unbegabt ist – eine feste Stelle als choreografierender Ballettmeister beim Bundesjugendballett hat, kann nur erahnt werden: Er ist Deutscher mit einem deutschen Namen, und vermutlich will man unter all den hochbegabten ausländischen Tanztalenten vom BJB für den deutschtümelnden Teil der Regierung etwas Deutsches auf der Leitungsebene zum Vorzeigen haben.

Denn aus Berlin, also vom Bund, kommt schließlich das Fördergeld fürs deutsche Bundesjugendballett, das mit Millionenbeträgen für gerade mal acht Tänzer:innen ja auch nicht gerade wenig ist.

Dass Kritik an unserer Regierung von diesen Künstler:innen aus Hamburg nicht zu erwarten ist, ist damit auch schon gesagt. Gibt es überhaupt noch Künstler:innen – außer einigen tapferen Kabarettist:innen – in Deutschland, die sich das trauen, was in einer Demokratie das Normalste von der Welt sein sollte, nämlich die Regierung hart zu kritisieren?

Nijinsky-Gala 2022 beim Hamburg Ballett

Morgen wird er 51 Jahre alt: Für Julian Assange gibt es weltweit Befreiungscampagnen, Mahnwachen, Veranstaltungen  – aber die deutsche Regierung kann sich zu keiner Resolution durchringen. Obwohl sie das im Wahlkampf mit dem Team Baerbock noch versprochen hatte. Bildquelle: Facebook / Meta

Auch für Julian Assange, der weltweit als Symbolfigur für die Freiheit verehrt wird, weil er Kriegsverbrechen des amerikanischen Militärs im Irak, in Afghanistan und in Guantanamo aufdeckte, der aber eben wegen seiner stichhaltigen Enthüllungen seit vielen Jahren wie ein Gefangener leben muss, weil ihm die wechselnden US-amerikanischen Regierungen ans Leder wollen, hat das Ballett in Deutschland kein warmes Wort übrig.

Dabei sind Assanges Nachweise international anerkannt – im Gegensatz zu den angeblichen Kriegsverbrechen Putins, die eben nicht nachgewiesen sind.

Mitunter wird vielmehr nachgewiesen, dass das von Nazis durchsetzte ukrainische Militär auf seine eigenen Leute, seine eigenen Häuser, seine eigenen Plätze schießt.

Auch John Neumeier als Deutsch-Amerikaner hat dazu wohl nichts zu sagen, denn es kam ja keine Direktive aus irgendeinem deutschen Ministerium, das ihm dafür Geld geben würde. Aber vielleicht kommt das ja noch.

Es gibt Politiker:innen im Bundestag wie Sevim Dagdelen von der ansonsten nicht zu empfehlenden Linken, die stark für das Ansehen und die Befreiung von Julian Assange zu kämpfen wissen. Mit einer deutlich zurechnungsfähigeren Regierung hätten wir Deutschen da sicher auch schon Fortschritte gemacht.

Bei John Neumeier auf der Gala sind immerhin – zu Ehren des dieses Jahr 150 gewordenen russischstämmigen Ballettimpresario Serge Diaghilev – mehrere Auszüge aus dem grandiosen Jahrtausendballett „Nijinsky“ von 2000 zu sehen.

Nijinsky-Gala 2022 beim Hamburg Ballett

Ein Auszug aus „Nijinsky“ in der Nijinsky-Gala 2022 beim Hamburg Ballett: unwiderstehlich! Und eine Hommage an die „Ballets Russes“, was „Russische Ballette“ heißt. Foto: Kiran West

2000. Damals hat man nicht mal geahnt, dass die Welt 22 Jahre später wieder in Ost und West zerfallen würde.

Und zwar strikter als je zuvor. Denn sogar im Kalten Krieg gab es einen  stetigen kulturellen und wirtschaftlichen Austausch mit Russland. Dass ein Land so verteufelt, boykottiert und bekämpft wird, wie es jetzt der Fall ist, sozusagen mit hysterisch aufhetzendem Vernichtungswillen, schließt traurigerweise an die Politik der Nazis an.

Die Nazis führten den Totalboykott mit „Kauft nicht bei Juden!“ ein. Heute gibt es einen Wirtschaftskrieg gegen Russland und die Russen, der nicht nur uns selbst auf die Füße fällt. Er ist auch historisch gesehen eine tragische Novität, denn bisher wurde die Wirtschaft noch nie so radikal als Kriegsinstrument eingesetzt. Man muss schon von irrationalem Vernichtungswahn sprechen.

Gegen die USA wurde übrigens trotz zahlreicher nachgewiesener Kriegsverbrechen keine einzige Sanktion von Europa verhängt.

Im Kontext der Verfolgung von Julian Assange wird immer wieder darauf hingewiesen. Irgendwie wird da mit deutlich zweierlei Maß gemessen – zu Gunsten der USA. Doch was kommt von dort zurück?

Die verlangte Inhaftierung eines Staatskritikers. Das ist ja schön. War es nicht das, was wir der Stasi und der DDR immer vorgeworfen haben?

Und warum trauen sich nur so wenige, das zu sagen?

Es ist vor einer neuen Diktatur in Deutschland zu warnen, auch wenn man das in den schönen Künsten noch nicht wahrhaben will.

Bei Neumeier wird wenigstens die geniale Musik des Russen Peter I. Tschaikowsky, die unerhörterweise von den meisten staatlich bezahlten deutschen Klassik-Radiosendern schon gescheut wird, nicht ausgesperrt.

Nijinsky-Gala 2022 beim Hamburg Ballett

„Der Nussknacker“ von John Neumeier, hier mit Leslie Heylmann und Mathias Oberlin im Ornat für den Grand Pas de deux – ein schönes Paar! Foto: Kiran West

Neumeiers Version von „Der Nussknacker“ ist einfach immer ein Hingucker, und Nathan Brock, der den Abend dirigiert, wird das Philharmonische Staatsorchester Hamburg („Hamburger Philharmoniker“ wäre ja so viel hübscher als Name) zu höchsten musikalischen Gefühlswallungen bringen.

Die graziöse Leslie Heylmann, der vielseitige Matias Oberlin und die süße Emilie Mazon werden in die kindlich-begeisterte Perspektive auf die getanzte Theaterwelt entführen. Da folgt man gern.

Auch für Franz Schubert hat Neumeier ein Herz, obwohl auch dieser ein ziemlicher Außenseiter und gar kein Liebling der Hautevolee seiner Zeit war.

Neumeiers Corona-Ballett „Ghost Light“ und auch der von ihm als Gast beim Ballett am Rhein im Zeichen der Melancholie kreierte Pas de deux „from time to time“ entstanden zu Schubert’schen Klängen. Hups, da sind schon wieder rein englische Titel… auf deutsch würde man „from time to time“ gern so schreiben: „Von Zeit zu Zeit“. Aber nicht zu spät aus der Pause kommen, Frau Weickmann! Besser in time sein.

Stefan Siegert, mein Kollege von der jungen Welt, der kleinen, aber besten Berliner Tageszeitung, weiß zu Schubert übrigens dessen „ewigjunge Herzenstanzbarkeit“ zu beobachten. Sehr klug gesagt.

225 Jahre ist der Geburtstag von Schubert nun her – es handelt sich um ein ein wenig an den Haaren, falls noch vorhanden, herbeigezogenes Jubiläum. Aber man will ja nicht kleinlich sein, wenn es um tolles Ballett geht.

Nijinsky-Gala XLVII 2022 beim Hamburg Ballett

John Neumeier kreierte jüngst als Gast fürs Ballett am Rhein zum Thema der Melancholie, und das aufregende Ergebnis heißt „from time to time“ und ist auf der Nijinsky-Gala 2022 zu sehen. Foto: Bettina Stöß

Dass es bei der Gelegenheit ein Wiedersehen mit der Ballerina Futaba Ishizaki geben wird, die sich beim Hamburg Ballett für die Bühnen dieser Welt entwickelte und die jetzt beim Ballett am Rhein tanzt, wird einige alte Häsinnen und Hasen im Publikum erfreuen.

Ebenfalls wird Neumeiers Version mit zwei Jungs und einem Mädchen von „L’Après-midi d’un faune“ zur Musik von Claude Debussy erfreuen. Vor 110 Jahren wurde die skandalumwobende Uraufführung von Vaslav Nijinsky gelistet.

Noch mehr Jubiläums-Wumms hat jedoch ein Pas de deux aus Neumeiers „Don Juan“, der nunmehr vor 50 Jahren uraufgeführt wurde. Endlich mal ein richtig tolles, überraschendes Jubiläum!

Und später tanzten sogar Margot Fonteyn und Rudolf Nurejew dieses superbe, delikate Stück Neumeier – eine willkommene Brücke der Vergangenheit in die Gegenwart ist es, das Werk nunmehr von Alina Cojocaru und Alexandr Trusch interpretiert zu sehen.

Die Kameliendame entzückt immer wieder

Bei ihm ist es sofort Liebe, sie versuchte erst, kokettierend abzuwehren. Aber dann… Olga Smirnova tanzte hier als Stargast als „Die Kameliendame“ beim Hamburg Ballett, fest im Griff von Christopher Evans als Armand. Foto: Kiran West

Dass allerdings die als ballerina of big money  in kritischen Kreisen verachtete Ex-Bolschoi-Tänzerin Olga Smirnova aus Amsterdam nach Hamburg einfliegt, um mit dem jungen begabten Österreicher Jakob Feyferlik einen Paartanz von Hans van Manen zu tanzen –  er wiederum wird am 11. Juli seinen 90. Geburtstag feiern – passt zwar zu Neumeiers aktueller Ballettpolitik, aber nicht ins moralische Gefüge von Weltkunst.

Smirnova soll mit einem global tüchtig abzockenden Investmentmanager verheiratet sein, und in dieser Branche zählt die Wahrhaftigkeit bekanntlich wenig. Wo die Liebe hinfällt – das ist vor allem Privatsache. Aber dem Land gegenüber, das einen groß gemacht hat, sollte man vielleicht auch dankbar dafür sein und nicht, wie Smirnova, sich abfällig äußern.

Doch kaum gab es Krieg, nahm die gute Olga das nächste Flugzeug in Moskau Richtung Westen. Für vorerst immer, sozusagen. Sie verkaufte das natürlich auch noch als Flucht, dabei reiste sie ganz legal und wurde dank ihrer Beziehungen, die sie ohne das Bolschoi wohl niemals haben würde, tief im Westen Europas mit offenen Armen und einem gut dotierten Arbeitsvertrag empfangen.

"Coppélia" ohne Charme von Ted Brandsen

Swan tanzt mit Franz, Michaela DePrince mit Daniel Camargo – leider zu selten in „Coppélia“ von Ted Brandsen. Foto: Niels Zonnenburg

Ihr neuer nicht privater Brötchengeber ist Ted Brandsen von Het Nationale Ballet, der in diesem Jahr mit seiner oberflächlich-dümmlichen „Coppélia“-Kino-Arbeit just einen Preis für die schlechteste Choreografie eines Kinofilms ever verdient hätte. Hier auf Klick mehr dazu.

Ohne das russische Ausbildungssystem wäre Smirnova jedenfalls wohl kaum so weit nach oben gekommen. Aber das Wort „Dankbarkeit“ ist bekanntlich im System der USA, das uns in Europa zunehmend aufgezwungen wird, absolut gar nichts wert. Nicht einen Cent.

Haben Sie sich eigentlich auch so für Ihr Land geschämt, als Klein-Scholz bei Groß-Biden kürzlich fast auf dem Schoß saß, um Speichel zu lecken?

Fakt ist, dass die Wirtschaft der USA – im Gegensatz zu der von Russland und China – in den letzten Jahrzehnten stetig bergab ging. Jetzt sollen wir, die Dummen aus Europa, es wieder richten.

Daran werden einige Menschen auch in Deutschland fett verdienen. Aber werden Sie es sein, Frau Weickmann? Oder Sie da vorne? Oder Sie da hinten in der vorletzten Reihe?

Zu diesem Missverständnis, der totale Krieg in der Ukraine sowie seine größtmögliche Ausdehnung und Verlängerung würden uns Deutschen irgendwas bringen außer sehr viel Ärger plus dem generalstabsmäßigen Übersehen von Nazis in der Ukraine, könnte man doch ein köstliches, satirisches, ja parodistisches Revue-Ballett machen!

Gerade Neumeier hat so wunderbare Satiren kreiert, etwa in „Die Möwe“ nach dem Drama von Anton Tschechow.

Aber der Erste Bürgermeister von Hamburg (SPD) mit dieser haarlosen Frisur und diesen wenig subversiven Gedanken darunter wird keine Regierungskritik bezahlen wollen. Wir können es uns schon denken.

Werden wir nun um das demokratische Recht auf Kritik an der Regierung in der Kunst vom vorauseilenden Gehorsam der Künstler:innen betrogen oder nicht?

Nijinsky-Gala 2022 beim Hamburg Ballett

Sie spricht Tacheles zur Politik der USA, der NATO und der Bundesregierung: Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen, ein wandelndes Juwel im aktuellen politischen Gefüge Deutschlands. Bitte hinsehen und hinhören! Fotoquelle: Facebook

Noch was zur Zukunft: Die international tätigen Klima-Experten sind sicher, dass weite Teile der USA in einigen Jahrzehnten wegen Überflutung (Miami) oder Dürre (im Landesinnern) entweder nicht mehr bewohnbar oder nicht mehr gut landwirtschaftlich zu bewirtschaften sind.

In Russland hingegen kommt man wegen der Erderwärmung immer besser an immense Bodenschätze heran, die bisher im Permafrost kaum zugänglich waren. Und der Weizen wird – wie auch gesündere und weniger hoch gezüchtete  Getreide – wohl auch in Zukunft in Russland hervorragend gedeihen. Von einer mutwilligen Expansion Richtung Westen hätten sie nichts. Sie müssen nur die Bedrohung, die die NATO mit all ihren Osterweiterungen bedeutet, abwehren. Warum sollte man den Russen jetzt nicht glauben, wenn sie ihre Unschuld beteuern?

Die Ukraine ließ hingegen sogar beim ESC auf Filmaufnahmen den Hitler-Gruß zeigen. Etliche militärische Paraden und Fotos huldigen ebenfalls Hitler. Mit und ohne Hakenkreuz. Dem nachweislichen Hitler-Freund Stepan Bandera wurden in den letzten Jahren sogar 40 Denkmäler in der Ukraine erbaut. Der überaus renommierte deutsche Historiker Götz Aly hat sie gezählt.

Da mag der ohnehin umstrittene Botschafter der Ukraine in Berlin namens Melnyk noch so barmen, Bandera sei kein Nazi gewesen. Er war es, er ließ rassistisch morden, und das ist historisch gesichert: Er zog mit den Nazis aus Hitler-Deutschland gegen die Sowjetunion, also gegen sein eigenes Land, in den Krieg, um einen ukrainischen Nationalstaat zu errichten. Was ihm bekanntlich nicht gelang.

Was ist das für ein Rechtsdrall in der Ukraine, den die USA und Deutschland allzu oft nicht wahrhaben wollen? Die bewaffneten Nazis, die 2014 beim Maidan in Odessa etwa 50 Menschen (überwiegend tagende Gewerkschafter:innen) lebend verbrannten, werden abgetan als Einzelfall. Aber das sind sie nachweislich nicht. Die Ukraine hat ein dickes Nazi-Problem, das muss zur Kenntnis genommen werden. Und sie jagen dort seit Jahren nicht Juden, sondern Russen – weil sie sich im nationalistischen Sinne dem großen Bruderland überlegen fühlen wollen.

Warum also konnte Selenskyj das Abkommen Minsk II nicht unterschreiben? Damit hätte er den Russen garantiert, dass die Ukraine nicht in die NATO eintreten wird. Er hätte den russischen Einmarsch damit verhindert.

Wollte er aber den Krieg? Viele Detailrecherchen legen das massiv nahe.

Wolodymyr Selenskyj ist ein Faschist

Hier verleiht der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj einem ausgewiesenen Faschisten, dem Chef vom „Rechten Sektor“, im Dezember 2021 die landeshöchste Auszeichnung „Held der Ukraine“. Sind das nun wirklich die Favoriten der USA und unserer europäischen Regierungen? Foto: Facebook

Die USA versprechen sich sehr viel Gewinn durch diesen Krieg. Politiker wie Scholz lassen sich davon blenden.

Es ist also wohl eine von Geldgier getriebene Schurkerei, gegen Russland zu hetzen, nur weil es seine Interessen vehement vertritt, nachdem es Jahre und jahrzehntelang zusehen musste, wie die NATO entgegen den Absprachen ihre Grenzen Richtung Osten trieb.

Zur Neigung von Präsident Selenskyj zu ausgesprochenen Nazis – wie dem Chef vom „Rechten Sektor“, dem er im Dezember 2021 die höchste Ehrung der Ukraine, den Orden „Held der Ukraine, verlieh – ist außer von der deutschen Regierung ja schon viel gesagt worden.

Aber Achtung, Frau Weickmann, Google zeigt wirklich immer sehr viel an, auch das Falsche, wenn es irgendwo veröffentlicht wird!

Aber dafür kann Google nichts, wirklich nicht, auch wenn Sie das glauben. Man muss nur einfach besser und umfassender recherchieren!

Und man muss zuhören, wenn man die Medien einschaltet.

Wer Tante Scholz (wie ich den Kanzler gern satirisch nenne) am 25.02.22 genau zuhörte, wusste, dass dieser Krieg von beiden Seiten seit langem vorbereitet war – darum wurde das auf deutsch sendende russische Fernsehen RT ja auch nachweislich schon Tage vor dem Einmarsch der Russen in die Ukraine verboten.

Olaf Scholz machte aber auch implizit klar, dass der Krieg auf Jahre und Jahrzehnte angelegt worden ist. Wir dürfen also zahlen und zahlen und zahlen – kein Wunder, wenn dann die Ballettvorstellungen in Hamburg nicht mehr ausverkauft sind.

Solange die Mainstream-Medien dafür, dass sie weiter mit Regierungs-News und Interviews gefüttert werden, jede Lüge mitmachen, wird sich wohl nichts ändern.

Oder sind Sie heute ab 14 Uhr dabei in Berlin auf dem Bebelplatz in Berlin-Mitte, direkt neben der Staatsoper Unter den Linden, wenn sich erstmals im großen Stil Widerstand gegen Scholz‘ Politik rührt?

Aber vielleicht macht es Ihnen ja auch Spaß, einen Krieg zu finanzieren, von dem vor allem die USA profitieren.

Was? Sie sind noch hier? Na, dann geht es natürlich weiter mit Ballett.

Ein Auszug aus Neumeiers hervorragender Version von „A Cinderella Story“ mit  Emilie MazonAlexander Frola und Madoka Sugai – die natürlich alle nach wie vor zum Hamburg Ballett gehören – wird mit der Welt versöhnlich stimmen.

Trotzdem sollte man nicht vergessen, dass Kunst und Politik einander nicht ausschließen. Als ebenfalls witziges Apercu hierzu sei eine flotte, sehr lehrreiche Nummer der bayerischen Schauspielerin und Kabarettistin Lisa Fitz empfohlen.

Cinderella - ein Märchen für Menschen.

Ein Paar wie aus dem Märchen, und doch ganz leibhaftig auf der Bühne der Hamburgischen Staatsoper: Christopher Evans und Madoka Sugai in „A Cinderella Story“ von John Neumeier. Auf der Gala 2022 gibt es eine etwas andere Besetzung. Foto: Kiran West

Frau Weickmann, Sie müssen sich hierzu ausnahmsweise mal nicht beeilen, denn die flotte Fitz steht Tag und Nacht hier auf YouTube bereit, um Sie zu belehren und zu erheitern. Titel des Solos, das es da zu sehen gibt: „Die Bevölkerung hat ein Recht auf Wahrheit.

Ist das nicht prima?

Und hat unser schönes Land nicht auch irgendein Jubiläum? Im Oktober wird der gesamtdeutsche neue Staat, also die Bundesrepublik, 32 Jahre alt – aber vor 30 Jahren hätte wohl niemand gedacht, dass Russland im 21. Jahrhundert gefühlt weiter vom Westen entfernt sein würde als zu Zeiten des Eisernen Vorhangs.

Und das, obwohl der Westen so weit nach Osten vorgerückt ist.

Ach, die Amis müssen sich ja wirklich darüber freuen. Was sind die Deutschen, was sind die Europäer nur dusselig, ihnen diesen Krieg inklusive Wirtschaftssanktionen immer weiter zu verlängern und zu verlängern…

Was da von manchen Leuten dran verdient wird! Kein Wunder, dass Onkel Biden so roboterhaft in Ellmau grinste…

Immerhin wird einem in Hamburg auf der Gala möglicherweise keine ukrainische Flagge auf der Bühne zugemutet – in Dortmund war das dank des unsäglich schlechten Stücks eines ehemaligen Neumeier-Tänzers, der jetzt in Genf engagiert ist, der Fall.

Die Flucht vor dem Krieg in Religion, das ist einer der Lieblingswege von John Neumeier, den ich auch gut nachvollziehen kann. Aber wird das genügen?

Angekündigt ist für die Gala noch kein Exzerpt aus „Dona nobis pacem“, dem im Dezember 22kommenden neuen Neumeier-Stück zur H-Moll-Messe von Bach. „Gib uns Frieden“ ist dennoch ein Gebet, das schon jetzt in den Augen vieler tagesaktuell sein sollte. Amen.

Jubiläen sind nun genau das, was das Kulturleben zwar immer mal wieder mit regulären Themen peppt, ohne allerdings zwangsläufig Novitäten parat zu haben. Wenn jemand oder etwas 25, 50, 75, 80, 90 oder 100 wird, so ist das sicher schön – aber nicht unbedingt kreativ inspirierend.

Der gefühlt 220. Geburtstag von Victor Gsovsky ist nun für eine weitere, wieder etwas gezwungen wirkende Gala-Nummer entscheidend. Gsovsky, der kein kreativer Choreograf, sondern ein sehr begabter Lehrer und Coach war, brachte genau ein bedeutungsvolles eigenes Werk zustande: diesen „Grand Pas Classique“. Wer ihn mal von Sylvie Guillem getanzt sah, hat eine Ahnung, wie weit klassisches Ballett in modernen Zeiten gehen kann.

Man könnte von einer Verwandtschaft zu Balanchines abstrakten Neoklassik-Stücken sprechen, allerdings fehlt bei Gsovsky die bei Balanchine stets mitschwebende inhaltliche Ebene. Der „Grand Pas Classique“ ist vielmehr wie ein wunderhübsch komponiertes Übungsstück, das zwar eine Mann-Frau-Beziehung thematisiert, diese aber nicht aufs emotionale Innenleben hin untersucht, sondern die Repräsentanz in den Vordergrund stellt.

Es handelt sich um den Grand Pas de deux aller Grand Pas de deux, wenn man so will.

Olga Smirnova und Jakob Feyferlik werden ihn zweifelsohne festlich tanzen – ob mehr als Virtuosität dabei herausspringt, wird sich zeigen.

Erholung von Kälte und Skrupellosigkeit – und auch dafür kann der Name Olga Smirnova heute stehen – versprechen die Neumeier-Werke, vom Hamburg Ballett getanzt, die es umrahmen.

Ein Mann stemmt sich gegen eine Gruppe: Alexandre Riabko und das Ensemble vom Hamburg Ballett im Einsatz vom ersten Satz der "Dritten Sinfonie von Gustav Mahler" in der Choreografie von John Neumeier. Foto: Kiran West

Der Pas de trois, der der Choreografie des ganzen Balletts vorweg ging: Carsten Jung, Hélène Bouchet und Alexandre Riabko tanzen hier auf dem Foto im vierten Satz der „Dritten Sinfonie von Gustav Mahler“ von John Neumeier. Fabelhaft. Foto: Kiran West

Der Pas de trois zum 4. Satz der „Dritten Sinfonie von Gustav Mahler“ gehört zum Besten und Wärmsten, was John Neumeier je kreiert hat, und wenn Xue Lin, Karen Azatyan und Jacopo Bellussi ihn tanzen, wird man vermutlich wohlige Schauder und Tränen der Rührung verspüren.

Gerhild Romberger singt dazu live die mahnenden Worte „O Mensch, gib Acht!

Also Achtung! Nicht verpassen, liebe Frau Weickmann, bis hierhin sollten Sie spätestens den Platz auf Ihren Sitz im Opernhaus gefunden haben!

Als allerletztes Stück der Gala folgt dann Neumeier-Tanz aus dem „Beethoven-Projekt II“, das munter-bunte Kostüme mit der zugleich heiteren und düsteren Musik zu verbinden weiß.

Bleibt für alle, die dem Spektakel fernbleiben, nachzutragen: „Ghost Light“, das auch schon als DVD / BluRay erschien, dauert nicht mal zwei Stunden.

"Ghost Light" endlich als DVD

Madoka Sugai an Nicolas Gläsmann in „Ghost Light“ von John Neumeier. Eine Wow-Pose! Foto: Kiran West

Die diesjährige Gala hingegen hat mit angekündigten viereinhalb Stunden Dauer schon fast das frühere Neumeier-Gala-Format von um die sechs Stunden erreicht.

Auf den besten Plätzen werden dafür legal in diesem Jahr mehr als 230 Euro pro Ticket gezahlt. Ob unter der Hand für den doppelten Preis weiter gehandelt wird, weiß man nicht. So ganz lassen sich kunstsüchtige Menschen ja nun nicht kontrollieren, seit die Plätze nicht mehr personalisiert sind.

Eine kleine Erinnerung: Vor rund 35 Jahren gab es einen regen Schwarzmarkt, was solche Nobel-Tickets in Hamburg anging. 300 DM pro Karte bis 400 DM waren damals die Spitzenpreise – nun, das zahlt man heute unter Umständen schon an der Theaterkasse.

Eine Amerikanisierung findet also auch auf diesem Gebiet statt. Da nützen auch vorübergehende Aktionen mit 9-Euro-Tickets in der Bahn und 5-Euro-Tickets für junge Zuschauende im Ballett nicht viel. Langfristig wird die Hochkultur immer mehr nur den Reichen und Superreichen gehören, während die Masse sich überwiegend mit Pop, Jazz, zeitgenössischer Gymnastik, Yoga und Billigkunst zufrieden geben soll.

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In den Sommerferien wird vielleicht auch für Sie, Frau Weickmann, Zeit sein, darüber nachzudenken. Aber bitte: Nicht wieder zu wenig googeln!
Gisela Sonnenburg

P. S. Zum Vergleich bitte hier der Bericht von der Nijinsky-Gala 2021.

www.hamburgballett.de

www.theaterdo.de

www.semperoper.de

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