
So sah das marmorne Foyer im Erdgeschoss der Hamburgischen Staatsoper jahrzehntelang bis 2024 aus: grau geädert. Doch dann verfärbte sich der weiß grundierte Marmor schmutzig-beige. Zufall? Foto: Gisela Sonnenburg
Hamburg ist eine reiche Stadt. Im Gegensatz zu anderen deutschen Städten hat sie jährlich satte Überschüsse zu verzeichnen. Im Jahr 2024 betrugen diese allein schon im ersten Halbjahr 1,3 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Berlin ging mit rund 4,5 Milliarden Defizit ins neue Jahr. Dennoch sind Hamburgs Stadtväter bereit, für die vergleichsweise kleine Summe von rund 330 Millionen Euro ihre kulturelle Großmutter, also das Gebäude der Hamburgischen Staatsoper, mal eben zu verkaufen. Diese Summe bietet der Milliardär Klaus-Michael Kühne (so sieht er aus), Jahrgang 1937, der die gute alte Oma „Staatsoper“ für ein junges Mädchen namens „spektakulärer Neubau“ eintauschen möchte: für den Bau eines neuen Operngebäudes in der weit entfernt gelegenen, jedoch als Domizil vieler Neureicher bekannten HafenCity. Der Vorgang dürfte weltweit einmalig und genau so spleenig sein: Nur, weil ein einzelner Superreicher es so will, richtet sich die Regierung einer ohnehin mehr als wohlhabenden Stadt darauf ein, die Anfahrtswege zu ihrem Opernhaus drastisch zu verlängern. An der Meinung der betroffenen Bevölkerung – dazu zählen Künstler, Opernmitarbeiter und natürlich auch das Publikum – knallhart vorbei.
Wozu all das? Wohl nur, um mit einem angeblichen Prunkstück moderner Architektur kräftig angeben zu können. Wie idiotisch. Dass die Kosten für solche Angeberbauten gerade auch in Hamburg eher gar nicht im vorhergesagten Rahmen bleiben (man erinnere sich an den Bau der Elbphilharmonie) und dass die Stadt Hamburg sich somit ein schickes neues Millionengrab schaufeln könnte, hielt den Kultursenator Carsten Brosda und den Ersten Bürgermeister Peter Tschentscher (beide SPD) nicht davon ab, klammheimlich mit Kühne bis zur Vertragsreife zu verhandeln.

John Neumeier bei der Premierenfeier nach „Turangalila“: bei seiner Ansprache im Parkettfoyer der Hamburgischen Staatsoper. Foto: Gisela Sonnenburg
Das trägt schon deutlich Züge einer Ranküne, die man hier getrost RANKÜHNE schreiben darf. Sogar ein Termin beim Notar für die Vertragsunterzeichnung war unter Ausschluss der Kenntnis der allgemeinen Öffentlichkeit schon klargemacht. Dieser platzte dann vor zwei Tagen ganz kurzfristig, weil Kühne doch erstmal einen Rückzieher machte – aber damit ging auch die Bombe hoch, dass in der freien Hansestadt Hamburg offenbar selbstherrlich und an allen Gepflogenheiten vorbei die Untugenden wie Machtgier und Habsucht regieren.
Kühne selbst stornierte den Notartermin, möglicherweise, weil sich seine Pläne, von dem Deal mit der Stadt Hamburg zu profitieren, aus anderen Gründen zerschlugen. Dennoch sollen die Verhandlungen weitergehen. Experten wie etwa Künstler, Journalisten und Soziologen werden aber wohl weiterhin nicht vom Senat in die Debatte hineingeholt.
Unschön ist auch, dass die Hamburgische Staatsoper selbst und somit auch das ihr angeschlossene Hamburg Ballett bislang keinen Mucks zur Causa von sich gaben.
Oder doch. Bei der Januar-Tournee des Hamburg Ballett nach Venedig wurde ein neuer Sponsor genannt: Klaus-Michael Kühne. So viel Opportunismus verdient wirklich Punkteabzug.
Zumal sich der edle Marmor in den Foyers und im gesamten Treppenhaus zu den Foyers 2024 plötzlich schmutzig-beige verfärbt hat. Seit 1955 ist dieser Marmor knallweiß grundiert und konnte stets so gepflegt und geputzt werden, dass er keine Fremdfarben annahm. Nur in jenem Zeitraum 2024, als Kühne noch keinen Zuspruch mit seinen Plänen fand, half alles nichts: Der weiße Marmor wurde sichtlich beige und blieb es auch bis heute. Kein Drama, ist so auch ganz schick. Aber merkwürdig ist das schon.

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Als Kühne zunächst mit seiner Opern-Idee ankam, wurde der als Steuerflüchtling bekannte reichste Deutsche, der sein Logistik-Unternehmen schon vor Jahren aus Steuergründen in die Schweiz verlegt hat, von offizieller Stelle in Hamburg erstmal abgewiesen. Der Senat sah richtigerweise keine Perspektive in der Aussiedelung der Hochkultur aus dem Stadtzentrum an den Stadtrand.
Aber irgendwie – und man weiß nicht genau, wieso – änderten der Senator für Kultur und Medien, also Brosda, und der Erste Bürgermeister, also Peter Tschentscher, ihre Meinung. Ohne Bekanntmachung der Details wurde mit Kühne stetig verhandelt – obwohl die meisten, die von dem Vorgang der Auslöschung einer Oper zu Gunsten einer neuen betroffen sein würden, von den Plänen nicht informiert waren.
Unter den Tänzerinnen und Tänzern vom Hamburg Ballett war die Sache bislang kein Thema, und viele wissen noch immer nicht, was da eigentlich abgegangen ist und weiterhin abgeht.
Ein geliebter, mit Aura und Geschichte angefüllter Kulturtempel, angemessen zentral platziert, soll durch einen riskanten Neubau mitten im Wasser ersetzt werden. Wie absurd ist das?!
Es muss den Hamburger Politikern zu gut gehen. Sie haben die Realitäten vergessen. Die Innenstädte sind heutzutage auf kulturelle Attraktionen angewiesen, um nicht zu veröden. Und das Publikum, das allabendlich im Opernhaus erwartet wird, soll an einen zentral gelegenen Punkt kommen: um Fahrwege und Fahrzeit zu sparen und auch, um möglichst gut die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen zu können.

Simone Schneider als Leonore als „Fidelio“: eine Heldin auf der Bühne. Im realen Leben wird aber auch für das Gute gekämpft. Zu sehen an der Hamburgischen Staatsoper. Foto: Arno Declair
Man kann sich denn auch keine andere Stadt vorstellen, die freiwillig ihr funktionierendes, seit Jahrhunderten international wie vor Ort hoch akzeptiertes Opernhaus gegen einen risikoreichen Neubau an der Küste eines von Sturmfluten betroffenen Gewässers eintauschen würde.
Und dann noch all die Geschichten, die die Hamburgische Staatsoper, ein kantig-schöner Nachkriegsbau des Architekten Gerhard Weber, atmet… Soll man sie einfach vergessen?
Die Kühne-Oper soll zudem deutlich größer werden als das jetzige Haus. Aber wozu? Die Hamburgische Staatsoper ist nicht immer ausverkauft. Muss sie ja auch nicht. Kunst wird subventioniert und hat mit Bildung zu tun. Nicht mit Spektakel und Zirkus für eine Massenabfertigung. Wozu also eine viel größere Oper? Für Touristenbusse. Da wird man dann immer kommerzieller im Geschmack werden – und für die eigentliche Bevölkerung wird es zu derb, zu teuer, zu weit draußen sein.
Schon das Barockgenie Georg Friedrich Händel hat im Vorgängerbau der heutigen Hamburger Oper am Gänsemarkt gewirkt. In jüngerer Zeit prägten weltbedeutende Künstler wie Gustav Mahler, Günther Rennert, Rolf Liebermann, Christoph von Dohnányi, August Everding, Simone Young, Kent Nagano und John Neumeier das Haus.
Opernarien wurden von Weltstars wie Plácido Domingo und Anja Silja, Franz Grundheber und Anneliese Rothenberger, zudem von Caballé, Pavarotti und Weikl vorgetragen – sie brachten die Zuschauer oft legendärerweise in wohlige Wallungen.
Das von Neumeier 51 Jahre lang hier bestens aufgestellte Hamburg Ballett kann zudem auf Hunderte im Opernhaus auf Weltniveau tanzende Stars zurückblicken. Von Marianne Kruuse bis zu Ida Praetorius, von Lynne Charles bis zu Madoka Sugai, von Colleen Scott bis zu Silvia Azzoni und, bei den Herren, von Ivan Liska, Truman Finney, Max Midinet und Kevin Haigen bis zu Alessandro Frola, Alexandr Trusch, Matias Oberlin und Jacopo Bellussi.

Olga Smirnova, früher am Bolschoi, jetzt beim Het Nationale Ballet tanzend, und Jacopo Bellussi vom Hamburg Ballett als Paar nach dem Glanzstück „Lento“ von John Neumeier. Nijinsky-Gala 2024. Foto: Gisela Sonnenburg
Zu Gast waren in der Neumeier-Ära in der Hamburgischen Staatsoper so ziemlich alle international was geltenden Ballettstars, ob sie aus New York City oder vom Bolschoi aus Moskau kamen, aus Paris oder aus Bejing.
Nicht zu vergessen ist die Tradition an Uraufführungen, die so ein Haus verkörpert.
Nicht nur Hunderte Opern- und Konzertwerke, sondern auch mehr als 150 Ballette des anerkannten Tanzgenies John Neumeier wurden hier uraufgeführt.
Eine solche Decke, dicht bestickt mit künstlerischen Juwelen und einmaliger Historie, darf man nicht einfach außer Acht lassen oder wegwerfen wie Sondermüll.
Diese Schätze muss man hüten und den nachfolgenden Generationen anbieten können. Welcher Ort sollte dafür besser geeignet sein als der der Ur- und Erstaufführungen?
Der Luxus und Komfort, die ein Opernhaus im Wesentlichen haben sollte, ist ebenfalls gewährleistet. Dabei ist noch nicht mal von den ästhetischen Marmortreppen, den eleganten Theken und Bistrotischen, der schmeichelnden Beleuchtung und auch nicht von der stilvollen, vom Designer Peter Schmidt gestalteten Stifterlounge die Rede. Sondern: von der megatollen Akustik und der guten Sicht für alle Besucher des Hauses.
Eine hervorragende Akustik auf allen 1690 Plätzen und eine zumeist sehr gute Sicht von diesen Plätzen aus sowie eine mit extrem harmonischen Proportionen und exzellenter Lichttechnik brillierende, einmalig schön gebaute Bühne locken Abend für Abend das Publikum an. Das muss ein neues Opernhaus erst mal so bieten können. Hier gibt es noch weitere Impressionen dazu.

Im Wandelgang in der Staatsoper Unter den Linden in Berlin lässt sich vorzüglich über die spannenden Themen der Oper nachdenken. Aber die Akustik im Zuschauersaal ist nicht so gut wie die in der Hamburgischen Staatsoper. Foto: Franka Maria Selz
Und es sei verraten: Die erst vor wenigen Jahren neu sanierte Staatsoper Unter den Linden in Berlin kann das so nicht. Auf etlichen Plätzen hört man die rauschhaften Klangwelten der klassischen Dramatik dort verzerrt oder zu eindimensional. In anderen Häusern scheitert der Genuss nicht selten an eingeschränkten Sichtachsen. Eine gelegentlich falsche Sitzplatzplanung reicht schon aus, um ein Opernhaus deutlich weniger perfekt zu machen.
Das wird auch eine gefährliche Klippe sein, wenn die Hamburgische Staatsoper, was auch beabsichtigt ist, saniert werden soll. So eine Erneuerung kann fruchtbar und belebend sein, aber auch Nebenwirkungen zeitigen. Hier gilt es aufzupassen und Sorgfalt bei der Planung walten zu lassen. So ist das mit älteren Damen nun mal – aber es ist alles kein Hexenwerk, es sollte alles machbar sein.
Es gibt ja auch gar keinen Grund, das von mir liebevoll als „Oma“ titulierte traditionelle Gebäude der Hamburgischen Staatsoper aufzulösen oder, so eine Idee aus dem Umfeld von Kühne und den Senatskulturbanausen, in eine Mehrzweckhalle umzubauen. Welchen Vorteil sollte ein Neubau außerdem haben? Eine Elphi, die mit moderner Architektur prankt, gibt es ja schon. Noch mehr Bühnentechnik im Innern, als es sie bisher schon gibt, ist in Oper und Ballett zudem wahrlich nicht nötig. Im Gegenteil: Die traditionellen Künste benötigen Raum, um selbst zu wirken und nicht von Zirkuseffekten übertüncht zu werden.
Merke: Junge Dinger mögen flott aussehen. Aber das macht sie noch lange nicht zu besseren Partnerinnen.

Wie ein Blick hinter die Kulissen ist der Blick von der Bühne aus in den Schnürboden. Die Blicke können auf der Bühne der Hamburgischen Staatsoper sogar wandern: von Zugstange zu Zugstange. Foto: Kurt-Michael Westermann
Wenn Kühne und die Stadt Hamburg Geld ausgeben wollen, so gibt es viele andere Ideen, die sinnstiftender sind. Gerade am Baakenhöft, wo die Kühne-Oper auf eine Landzunge hingeklotzt werden soll, dräut eine ganz andere historische Ereignislatte.
Von dort wurden nämlich deutsche Soldaten Richtung Afrika eingeschifft, um Kolonialismus nebst Völkermord zu etablieren. Darum ist ein entsprechender Gedenkort dort im Gespräch – und sicher viel passender als ein Gebäude für die in der Tat nicht selten europazentristischen Künste, wie etwa Oper und Ballett des 19. Jahrhunderts.
Es hat ja auch niemand an den Qualitäten der traditionsreichen Hamburgischen Staatsoper und ihrem passenden Standort zwischen Alster, Dammtorbahnhof und Gänsemarkt wirklich gezweifelt.
Nur Klaus-Michael Kühne, der sich zudem weigert, seine Firma, die auf geerbtem Vermögen beruht, wissenschaftlich im Hinblick auf die NS-Zeit untersuchen zu lassen. Dabei erhielt „Kühne + Nagel“ 1937 von den Nazis das so genannte „Gaudiplom“: als nationalsozialistischer Musterbetrieb, der geraubtes sprich „arisiertes“ Vermögen für den Staat der Nazi-Schergen durchs Land kutschierte. Vielleicht investiert Kühne besser mal ins eigene Nest, bevor er anderen Leuten die Hütte unterm Hintern klaut.
Gisela Sonnenburg
P.S.
Eine Oper an einem Ort der Täter
Und schon ist es geschehen. In einer so genannten „Sonderpressekonferenz“ (ein schreckliches Wort, das an die „Sonderbehandlungen“ der Nazis erinnert) verkündeten am 07. Februar 25 der Senator Brosda, der Erste Bürgermeister Tschentscher und einige Abgesandte von Kühne (von seiner Schweizer Firma wie auch von seiner Schweizer Kühne-Stiftung) im Rathaus, dass man sich geeinigt habe. Weibliche Intelligenz fehlte dabei übrigens ganz; die Herrenriege saß geschlossen ohne auch nur einen Anflug von Diversität da.
Die Oper im Stadtzentrum soll nun ihrem Willen nach geschlossen und die so genannte Kühne-Oper in der HafenCity auf dem Baakenhöft gebaut werden. Damit soll an einem Ort der Täter, an dem längst eine Gedenkstätte fällig ist, statt derselben das neue, von niemandem – außer von Kühne – heiß ersehnte Opernhaus hingeklotzt werden. Größer, spektakulärer, wohl auch hässlicher als das alte soll es werden.

Diese Riege weißer Männer (mittig: Peter Tschentscher, links von ihm: Carsten Brosda) verkündete das avisierte Aus für die Staatsoper in Hamburg an ihrem angestammten, zentral gelegenen Platz. Foto: Gisela Sonnenburg
Öffentlich ausgeschrieben wird der Auftrag nicht – Herr Kühne hat schon gewählt, wie das in seinen Augen flotte Ding aussehen soll. Demokratie geht zwar irgendwie anders. Aber: „Tannhäuser“ und „Dornröschen“ helfen dann beim ganz großen Vergessen.
Die Vergleiche des Neubaus mit Hamburgs Kunsthalle oder der Laeiszhalle dort (von der Hamburger Politik vorgetragen) passen indes nicht. Denn erstens liegen diese zwei mit Mäzenengeld erbauten Kulturtempel im Stadtzentrum, und zweitens wurde für sie kein anderer historisch bedeutsamer Kulturort aufgegeben.
Hamburg lässt sich also, weil die Hamburger Bürgerschaft vermutlich zustimmen wird, von einem Milliardär auf der Nase rumtanzen und die rundum bewährte traditionelle Staatsoper wegnehmen, um mit einem großkotzigen, vorgeblichen „Jahrhundertprojekt“ (Tschentscher) mal wieder was zum Angeben zu haben. So dumm muss eine Stadt erstmal sein.
Gisela Sonnenburg
P.S.S. Wer sich gegen die Pläne des Senats aussprechen möchte, kann hier eine Petition von Denkmalschützern unter dem Schlagwort LASST DIE OPER IN DER STADT! unterzeichnen.