Wie in einem Zauberkasten Bei der Hamburger Theaternacht mutierte die Bühne der Hamburgischen Staatsoper zum Kunstraum

Die Bühne von der Bühne aus

Die Blicke können auf der Bühne der Hamburgischen Staatsoper malerisch wandern: beim Hochsehen in den Schnürboden von Zugstange zu Zugstange. Foto: Kurt-Michael Westermann

Schwarze Planken, metallene Leisten, ein schwankender Boden: Auf der Bühne der Hamburgischen Staatsoper fühlt es sich an wie auf einem Schiff, einem großen Dampfer. Heute ist die Bühne ein Museum, ein begehbarer Kunstraum, ein Black Cube – aber es ist gar nicht wie auf einem Präsentierteller oder so. Es ist mehr intim, man ist unter sich auf der dennoch großen Bühne; die Welt ist jedoch klar abgesteckt und begrenzt. Das schafft ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Dabei sind wir rund 400 Leute, man sollte meinen, damit wäre so eine Opernhausbühne voll. Denkste – es würden nochmal soviele mit uns auf die Bretter, die die Welt bedeuten, passen!

Außerdem ist es angenehm warm, vom Scheinwerfergelichter: Das Bühnenklima ist südseemäßig sonnig. Oben sieht man Lichterreihen, Sicherheitskästen, Seile. Der Bühnenhimmel ist gut aufgeräumt! Schweiß und Parfüm verteilen sich bis in 26 Meter Höhe: Es riecht mitnichten nach Staub und Puder, sondern nach – Leben. So langsam fange ich an zu verstehen, wieso sich die Künstler danach drängen, hier zu stehen.

Möglich machte dieses Erlebnis die Hamburger Theaternacht, die letztes Wochenende unter Beteiligung von 42 Theatern im elften Jahr stattfand und erstmals Führungen über die Opernbühne anbot. Ich war bei der ersten von vier Begehungen dabei. Mit mir hatten 399 andere Besucher Gelegenheit, dort zu stehen, wo sonst Sänger und Tänzer brillieren. Aber unsere Menschenmenge füllt die harmonisch proportionierte Bühne nicht mal zur Hälfte. Um uns stehen Techniker, starke Jungs, die konzentriert aufpassen, daß nichts passiert. Für den Notfall haben sie Taschenlampen. So eine Bühne birgt schließlich ein hohes Unfallrisiko – und ist kein Freizeitpark.

Die Hauptrolle im Aufklärungsstück spielt Hans Peter Boecker, der Technische Direktor: Er erklärt geduldig die Funktionen und Bauweisen der querlaufenden „Zugstangen“, die über uns hängen und mit Scheinwerfern gespickt sind. „Jede Zugstange kann mit 500 Kilogramm belastet werden“, Boecker ist stolz auf die Leistungen der Kunstapparatur. Bei Vorstellungen werden um die 300 Scheinwerfer angeworfen; insgesamt ist in 600 Schaltkreisen eine Wattleistung von rund 500 000 möglich. Theater sichern also auch in der Stromwirtschaft Arbeitsplätze.

Blickt man ins Publikum, sieht man wegen der starken Lichter – nichts. Nur ein freundliches, dankbares, dunkles Nichts. Irgendwie beruhigend. Vorne rechts und links ist aber je ein Monitor in die Bewandung eingelassen: Darauf erscheint bei Vorführungen der Dirigent. Damit die Künstler für ihren Einsatz nicht in den Orchestergraben schielen müssen. So nackt, wie wir die Bühne, diese Grande Dame, jetzt erleben, ist sie ja bei Aufführungen niemals: Dann trägt sie schwer an Bühnenbildern und Kostümen. 500 Kilogramm pro Quadratmeter kann sie aushalten: Stahlgerüste, Riesenbauten, Menschentürme.

Lautsprecher gibt es wie unsichtbare Flüsterquellen in allen Ecken und Winkeln der Bühne. Ein Surroundsound de luxe. Besonders wichtig ist er bei eingespielten Donnerwettern, Toncollagen oder Echopassagen. Kein Kanonenschlag ohne Tontechnikerkunst! Zudem kann sich hier und da einfach der Boden auftun, Teile der Bühne gleichen kleinen Fahrstühlen. Boecker macht mal einen Spaß, läßt sich versenken. Einen knappen Quadratmeter groß ist das Terrain, das ihn geräuschlos mit sich in den Untergrund nimmt. Ein typischer Trick im Zauberkasten!

Dort unten beginnt nochmals eine Welt für sich. Manche bezeichnen die Höhle unter der Bühne als Gedärm des Hauses. Es wird als Lager für Dekorationen genutzt. Auch da ist es taghell, das sehen wir von oben: durch eine zwei Zentimeter breite Ritze zwischen zwei Bodenplatten. Für Sängerinnen in High Heels sind diese Rillen übrigens gar nicht lustig. Aber meistens liegt noch ein Boden auf dem Boden – oder wenigstens ein Teppich. Für Tänzer wird sogar der „Schwingboden“ aufgebaut, der lückenlos ist und bei Sprüngen die Gelenke schont.

An den Wänden Existenzialismus pur: Schwarz gestrichener Backstein bildet die dreiseitige Umrandung des magischen Guckkastens. Hinten aber geht die Welt noch weiter: Eine Art Double der Bühne ist die Probebühne I. Sie schließt sich in gleicher Größe direkt an – und wird doch nie zum glanzvollen Blickpunkt wie ihre große Schwester. Wie wichtig sie ist, wissen nur die Insider.
Gisela Sonnenburg

www.hamburgische-staatsoper.de

UND BITTE HIERHIN SEHEN: www.ballett-journal.de/impresssum/ 

ballett journal