Wer einen Preis oder eine Auszeichnung vergibt, verfolgt damit zumeist höchst eigennützige Interessen. Man heischt kostenlose Werbung durch die Verbreitung der Nachricht; man will sich wichtig machen; man stellt sich auf eine Stufe mit dem oder sogar über das gekürte Subjekt. Kurz: Man will vor allem das eigene Ansehen aufwerten, und dafür benutzt man den oder die Preisträger. Je berühmter dieser schon ist, desto besser. PR besorgt PR, lukrative Geschäfte werden mit dem Schleier der Weihe verdeckt. Diesen Mechanismus durchschauen aber leider nur wenige. Und so muss man selbst ganz genau hinsehen und erkennen: Es steht wohl nicht gut ums Ballett in Deutschland. Denn ausgerechnet das in den Augen vieler Ballettliebenden in Qualität und Leistung kontinuierlich abrutschende Staatsballett Berlin (SBB) erhielt von einem kommerziell ausgerichteten Fachblatt eine Auszeichnung: als „Kompanie des Jahres“. Teilen muss es sich den Titel mit dem Stuttgarter Ballett. Verschiedener könnte der Werdegang zweier Ensembles indes aber nicht sein. In Berlin pendelt man sich seit einem Jahr auf den nahezu provinziellen, nur in der Ausstattung oft aufgeblähten Stil von Ballettchef Christian Spuck ein. In Stuttgart hingegen probiert man unter Tamas Detrich auf hohem Niveau neue Wege aus, hält aber zugleich den Goldstandard des Hauschoreografen John Cranko hoch.
„Kompanie“ heißt es in der Ehrung. Dieses Wort für ein Ballettensemble ist in Deutschland relativ neu. Traditionell heißt es „Compagnie“, was aus dem Französischen kommt, genau wie die Ballettfachsprache. „Compagnie“ bedeutet vor allem „Unternehmen“, im Englischen folgerichtig „Company“. Die deutsche Vokabel „Kompanie“ hat hingegen, sozusagen rheinmetallisch, nur den militärischen Bezug.
Seit die Ampel-Regierung Deutschland „kriegstüchtig“ macht, ist wohl jede Gelegenheit willkommen, militäraffines Denken zu suggerieren. So nennt das Staatsballett Berlin die Gesamtheit seiner Tänzer derzeit auch „Kompanie“. Nicht mehr „Compagnie“. Beim französischen Wort denkt man ja eher an Champagner und Firmenfeste. Beim preußischen „Kompanie“ aber hört man deutlich trampelnde Soldatenstiefel im Innenohr. Ein Mangel an Anmut ist da zu verzeichnen.
Ein weiteres Tanzprodukt aktueller Kulturpolitik ist die vermeintliche Erfolgschoreografin Sasha Waltz. Sie brachte ihre Höhepunkte im Schaffen schon früh hinter sich. Wir erinnern uns: 2020 gab sie dann ihren gerade erst erhaltenen Job als Intendantin vom SBB einfach auf, weil sie – für Kenner erwartungsgemäß – mit den klassisch ausgebildeten Tänzern nicht ausreichend zurechtkam. Ihre einzige, lang vor sich hin geschobene Uraufführung beim SBB tanzten dann ganz andere Tänzer von außerhalb. Seither hat man kaum Großtaten von ihr gesehen.
Doch offenkundig mangels anderer geeigneter Kandidaten ergattert Sasha Waltz in diesem Jahr den Deutschen Tanzpreis, auf dessen Shortlist sie dank guter Beziehungen schon seit etwa zwanzig Jahren stehen dürfte. Am 12. Oktober 2024 ist es soweit: Der Dachverband Tanz Deutschland richtet eine Tanz-Gala in Essen beim Aalto-Ballett aus, bei der Waltz die begehrte Ehrung in Empfang nehmen darf.
So vereint das Schicksal unter der Ägide von Terpsichore erneut zwei ehemalige Zwangsverheiratete: Endlich haben die Sasha und das SBB mal wieder was gemeinsam, nämlich unverdienten Lorbeer.
Bei einem solchen Aufmarsch der Berliner Mittelmäßigkeit darf eine weitere Persönlichkeit des Ballettlebens der Hauptstadt nicht fehlen: Dr. Christiane Theobald, die unter dem Spitznamen „Frau Doktor“ nach jahrelangem Stellvertreterdasein zuletzt das Glück hatte, sich als kommissarische Ballettintendantin vom SBB hinzustellen. Mittlerweile fand sie – wirklich glücklicherweise aus der Sicht von Menschen, die was von Ballett verstehen – in den staatlich bezahlten Ruhestand.
Und was soll man sagen? Mikhail Kaniskin und Elisa Carrillo Cabrera, ehemalige SBB-Stars, die nunmehr in Mexiko die Stange des Balletts hochhalten, luden Theobald in ihren Ballettsaal im fernen Sonnenland ein – und das, obwohl es böse Zungen gibt, die versichern, dass Christiane Theobald eine Choreo von Marius Petipa nicht von einer von Maurice Béjart unterscheiden könnte, wenn man es ihr nicht mitteilt. Aber das sind vielleicht nur argwöhnische Gerüchte.
Dass Theobald in dem Verfahren gegen die Berliner Ballettmeisterin Barbara Schroeder, die zu Unrecht des Rassismus bezichtigt worden war, keine rühmliche Rolle spielte, wird da allzu leicht vergessen. Vor allem ein subventionierter Radiosender, der dieses Jahr zu Ehren von Theobald schon mehrere Sendungen brachte, hat bei den Fakten eher wenig Durchblick.
Da wird sie, die nie Tänzerin, sondern Dramaturgin war, mal eben als „Tänzerin“ bezeichnet, und eine der beiden akustische Shows über sie heißt im Titel auch noch „Ein Leben für den Tanz“. Mit diesem allerweltsbeliebigen Zusatz gibt es ja schon gleich zwei völlig verschiedene Fernseh-Sendungen über den nun wirklich genialen Starchoreografen John Neumeier, der sich vom Berliner Mittelmaß wohl nicht zufällig ganz schön fern hielt.
Gisela Sonnenburg