Endspurt in den Ballettsommer Heißes bei den Compagnien in Ost und West, in Nord und Süd

Der Ballettsommer wird heiß

Das Stuttgarter Ballett bietet mit Hyo-Jung Kang und Jason Reilly eine vor Erotik und Spielfreude knisternde Besetzung von „Romeo und Julia“ von John Cranko. Auf in den Ballettsommer! Foto: Stuttgarter Ballett

Wie auch immer sich das Sommerwetter 2017 noch entwickelt: Das Stimmungsbarometer in Sachen Tanz dürfte in den deutschen Ballettmetropolen noch steigen und steigen und steigen. Zu rechnen ist mit einem heißen Ballettsommer: Galas wie in Dortmund und natürlich in Hamburg werden für mehr als nur für Glanz sorgen; Gastspiele aus Peking und Zürich erlauben das Schnuppern und Goutieren von sonst Ungewohntem; Stars wie Polina Semionova in Berlin und diverse Nachwuchschoreografen in München versprechen Ausnahmeerlebnisse. Und das Stuttgarter Ballett besticht mit Ehrlichkeit und großartigem Mut: Dort ließ man eine Uraufführung von Marco Goecke lieber ausfallen, als dass man sie – wegen der angeschlagenen Gesundheit des Choreografen – mit ungutem Gefühl serviert hätte. Stattdessen darf das Stuttgarter Publikum in einen wahren „Romeo und Julia“-Rausch verfallen.

Das Stuttgarter Ballett bietet nämlich an etlichen Terminen die hochkarätige, zeitlos schöne Klassiker-Version der Shakespeare-Tragödie von John Cranko an – etwa am 17. Juni 2017, und zwar dann mit der süßen Hyo-Jung Kang und dem markanten Jason Reilly in den Titelrollen. Eine vor Erotik und Spielfreude nur so knisternde Besetzung!

Romeo fällt hier vor Julia auf die Knie, schon bei der ersten Begegnung, um lange seine Wange an ihre Hand zu schmiegen… was für ein Liebhaber! Und auch seine hinreißenden Sprünge für sie in der Balkon-Szene machen ihn zu einem absoluten Bilderbuch-Verehrer. Ach!

Bis zum Spielzeitende, das in Reid Andersons Truppe erst am 25. Juli 2107 und ebenfalls mit „Romeo und Julia“ eingeläutet wird, darf auch der Stuttgarter Nachwuchs neugierig beäugt werden: Am 9. Juli 2013 tanzt die John Cranko Schule auf – und gegebenenfalls erblickt man dabei die Romeos und Julias der Zukunft.

Damit ist es aber noch nicht genug mit den beiden jungen Liebenden aus Verona in Stuttgart!

Der Ballettsommer wird heiß.

Auch erotisch, zudem lasziv: Primaballerina Katja Wünsche als Julia auf den Armen von William Moore als Romeo… so zu sehen in Christian Spucks Version von „Romeo und Julia“ mit dem Ballett Zürich. Foto: Monika Rittershaus

Denn das Ballett Zürich gibt ab dem 13. Juli 2017 auf dem Festival COLOURS im Theaterhaus Stuttgart ein Gastspiel. Und womit? Genau: mit „Romeo und Julia“, und zwar in der mit Kronleuchtern und Kerzenmeer romantisch modernisierten Choreografie von Christian Spuck.

Da Spuck nun in der John Cranko Schule ausgebildet wurde und früher erst als Tänzer und dann als Hauschoreograf Teil des Stuttgarter Balletts war, hat er nun so etwas wie ein Heimspiel, wenn auch in einer anderen Arena als dem Opernhaus. Wer im Juli in Stuttgart weilt und die Gelegenheit nicht nutzt, Crankos und Spucks Fassungen des großartigen Shakespeare-Stoffs im ganz kurzen zeitlichen Abstand zu sehen und solchermaßen genießend abzugleichen, dem ist wirklich nicht zu helfen.

Allerdings wären die 43. Hamburger Ballett-Tage ein guter Grund, Norddeutschland im Juli nicht zu verlassen.

John Neumeier zeigt mit dem Hamburg Ballett zunächst sein neues abendfüllendes Stück „Anna Karenina“ (am 2. Juli 2017 ist die mit Spannung erwartete Uraufführung), um dann Abend für Abend eine Perle aus dem aktuellen Repertoire zu präsentieren.

So gibt es zum Beispiel am Sonntag, dem 9. Juli 2017, Neumeiers tänzerische Puschkin-Nachdichtung „Tatjana“ zu sehen – zur extra dafür geschöpften Musik von Lera Auerbach.

Der Ballettsommer wird heiß.

Alexandr Trusch als Lensky und Edvin Revazov als Eugen Onegin – in „Tatjana“, dem Ballett von John Neumeier. Foto vom Hamburg Ballett: Holger Badekow

Am 16. Juli 2017 gipfeln diese weltweit einzigartigen Ballett-Festspiele in die legendäre Nijinsky-Gala XLIII, die von Neumeier selbst moderiert wird und deren Programm noch streng geheim ist.

Zuvor, am 11. und 12. Juli 2017, ist allerdings noch das Chinesische Nationalballett aus Peking zu Gast beim Hamburg Ballett: mit einem vierteiligen zeitgenössischen Abend, der unter anderem das tief bewegende Stück „How beautiful is Heaven“ von Zhang Disha beinhaltet. Wer es also sonst eher nicht nach China schafft, hat nun die Gelegenheit zu sehen, was man dort an Virtuosität und Modernität erschafft.

Ebenfalls ein Gastspiel – wenn auch eines ganz anderer Façon – wird die sächsische Barockstadt Dresden im Sommer bunter machen: In der Heimstatt vom Semperoper Ballett, das sich mit „Giselle“ von David Dawson in die Ferien verabschiedet, gastiert im Juli 2017 die wirklich sehr gelungene Musical-Produktion „Die Schöne und das Biest“, die solchermaßen nach einer absolvierten Tourneeschleife nach Ostdeutschland zurück kehren wird (www.ballett-journal.de/die-schoene-und-das-biest-budapest/).

Eine stetige Rückkehrerin ist auch Polina Semionova.

Sie, die sich mit viel Talent, Fleiß, Beharrlichkeit und dennoch auch unverdrossener Freundlichkeit einen Ruf von Welt verdient hat wie kaum jemand sonst, wird in Nacho Duatos frohgemut-leichtfüßiger Version von „Dornröschen“ bezaubern – beim Staatsballett Berlin.

Die erste Babypause hat der Superstar soeben erfolgreich hinter sich gebracht, jetzt gehört Polinas ballettöser Körper wieder ganz der Bühne.

Und sie hat so eine Ausstrahlung! Und so eine Hingabe, so eine Leidenschaft, so eine Seele! Und: So eine wohltuende Abneigung gegen Oberflächlichkeit und Scheinheiligkeit! Nichts an Polinas Tanz ist im Lauf ihrer Karriere automatenhaft geworden – obwohl man ihr überall auf dieser Erde, wo man BALLETT buchstabieren kann, die eleganten Füße küsst und oft schon bloß über ihr Erscheinen frohlocken würde.

Der Ballettsommer wird heiß.

Prototyp der freiberuflichen Superballerina: Polina Semionova, hier in „Onegin“ von John Cranko beim Staatsballett Berlin. Foto (Ausschnitt): Enrico Nawrath

Wenn es den lebenden Prototyp einer freiberuflichen Superballerina von Welt gibt, dann ist es La Semionova!

Also: ab 18. Juni bis 5. Juli 2017 tanzt sie als „Dornröschen“ mit dem Staatsballett Berlin in der Deutschen Oper Berlin!

Internationale Stars gibt es jetzt aber auch, jawohl, beim Ballett Dortmund zu sehen.

Am 24. und 25. Juni 2017 steigt dort die große „Internationale Ballettgala XXV“, also die 25. Ballettgala und sozusagen eine Jubiläumsausgabe. Zwei Mal jährlich steigt nämlich in der achtgrößten Stadt Deutschlands so eine Ballettsause.

Tobias Ehinger, Ballettmanager vom Ballett Dortmund frohlockt denn auch zu Recht: „Wir sind sehr glücklich, dass sich internationale Ballettgalas in Dortmund etabliert haben.“

Herzlichen Glückwunsch!

Die Besonderheit: Die Dortmunder Philharmoniker werden live spielen, unter der Leitung von Motonori Kobayeshi. Die Ohren werden also mit verwöhnt!

Der Ballettsommer wird heiß.

Eine Impression von der Probe zur Klassik-Szene in „Faust II – Erlösung!“ von Xin Peng Wang mit dem Ballett Dortmund: mitreißend! Foto: Gisela Sonnenburg

Auch tänzerisch wird so Einiges aufgefahren…

Osiel Gouneo vom Bayerischen Staatsballett wird zum Beispiel in „Le Corsaire“ zu bewundern sein, und mit Francesca Hayward und Marcelino Samba zeigt sich der Star-Nachwuchs vom Royal Ballet aus London. A propos Nachwuchs: Joseph Gatti vom Orlando Ballet tanzt mit einem Elfjährigen – eine generationenübergreifende Show und eine wirklich seltene Performance.

Und dann tanzt in Dortmund auch der schöne Erste Solist Denys Cherevychko aus Wien auf, ebenso wie Alexis Fletcher und Scott Fowler aus Vancouver.

Der frühere Dortmunder Star und Publikumsliebling Mark Radjapov zeigt eine neue Eigenkreation – und von Starchoreograf Itzik Galili kommt sogar eine Uraufführung, und zwar zum Thema der vier kleinen Schwäne, die aus „Schwanensee“ bekannt sind…

Das wird eine wohl atemberaubend witzige Parodie, Galili („The Sofa“) ist ja ein Fachmann für so etwas. Und der Dortmunder Jungstar Giacomo Altovino, der soeben in Moskau bei der Verleihung des Prix de Benois großen Eindruck machte, ist auch mit dabei…

Der Ballettsommer wird heiß.

Giacomo Altovino bei der Probe zu „Faust II – Erlösung!“ von Xin Peng Wang beim Ballett Dortmund. Aber auch bei Itzik Galilis neuer Kreation mischt der begabte Jungstar mit… Foto: Gisela Sonnenburg

Mit weiteren Highlights wie der Klassik-Szene aus Xin Peng Wangs „Faust II – Erlösung!“ und der berührenden Schlussszene aus Wangs „Faust I – Gewissen!“ brilliert weiterhin das Ballett Dortmund. Aus Wangs „Krieg und Frieden“ gibt es zudem einen dynamischen, rein männlich besetzten Pas de Quatre zu sehen – Leo Tolstoi als literarische Vorlage steht ja bei Ballettchoreografen derzeit hoch im Kurs.

Womit wir wieder im hohen Norden wären, denn auch John Neumeiers kommende Kreation „Anna Karenina“ entsteht ja nach einem Werk von Tolstoi.

Cinderella - ein Märchen für Menschen.

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Ganz im Süden Deutschlands lockt hingegen kurz vor den Sommerferien das Thema Experiment.

Der „Ballettabend – Junge Choreographen“ hält da ab dem 30. Juni 2017 das Bayerische Staatsballett (BS) und sein Publikum in Schwung: unter anderem mit je einem neuen Werk von Andrey Kaydanovskiy vom Staatsballett Wien – dessen „Discovery“ recht vielversprechend klingt – und von Benoit Favre aus der Schweiz. Dessen neues Stück heißt „Out of place“, und Favre ist manchen schon deshalb ein Begriff, weil er 2015 beim Tanzolymp in Berlin viele schwer überzeugt hat.

Berühmt-berüchtigt für betont modernes Selbstgemachtes ist der BS-Tänzer Dustin Klein, der auch schon für die Juniortruppe vom Bayerischen Staatsballett choreografiert hat. Sein neues Stück „Mama, ich kann fliegen“ lässt Flugversuche der überraschenden Art vermuten.

Aus Sankt Petersburg, vom Mariinsky Theater, kommt hingegen Anton Pimonov mit den „Marimba Dances“. Anspruchsvolle tänzerische Technik wird er auszureizen wissen.

Der Ballettsommer wird heiß.

Das Bundesjugendballett im Ernst Deutsch Theater beim Schlussapplaus nach der Hamburger Premiere von „Ein kleiner Prinz“: eine außergewöhnliche musikalische Crossover- und Inklusionsarbeit. Foto: Gisela Sonnenburg

Junge Choreografien lassen sich aber auch mit dem Bundesjugendballett (BJB) in sommerlicher Stimmung besehen: am 19. und 20. Juni 2017 gibt es, wie letztes Jahr, die außergewöhnliche Inklusionsarbeit „Ein kleiner Prinz“ im Ernst Deutsch Theater in Hamburg, und bis zum 19. August 2017, wenn es in Berlin Station macht, tourt das BJB mit verschiedenen Programmen durchs In- und Ausland.

Bei so vielen ballettösen Möglichkeiten kann uns das Wetter doch wirklich irgendwie total egal sein, oder?
Gisela Sonnenburg

www.hamburgballett.de

www.bundesjugendballett.de

www.staatsballett-berlin.de

 www.semperoper.de

 www.theaterdo.de

 www.stuttgarter-ballett.de

 www.theaterhaus.de

 www.opernhaus.ch

 www.staatsballett.de

 

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