Jenseits aller Klischees Starballerino Osiel Gouneo vom Bayerischen Staatsballett schrieb ein Buch, das nicht ansatzweise so toll ist wie er selbst

Die Internationale Ballettgala XXXV beim Ballett Dortmund

Ein tolles Paar für den virtuosen „Don Quixote“-Pas de deux: Maria Kochetkova, freiberufliche Ballerina, und Osiel Gouneo, Star vom Bayerischen Staatsballett, der aus München zur Ballettgala nach Dortmund einflog. Wow! Foto vom Schlussapplaus: Franka Maria Selz

Er ist ein so interessanter Tänzer! Osiel Gouneo, Erster Solist beim Bayerischen Staatsballett, prescht durch die Leistungs-Pas-de-deux aus „Don Quixote“, „Diana und Acteon“ und „Giselle“ mit einer Leichtigkeit, als wäre es für ihn ein Kinderspiel, mal eben meterhoch zu springen und dabei in der Luft scheinbar stehen zu bleiben. Seine vielfachen Pirouetten dreht er, indem er dabei die Arme langsam schließt oder öffnet oder auch das Spielbein in zahlreiche raffinierte Posen bringt. Wenn er landet, dann beinahe lautlos – und mit wunderschöner Standfestigkeit. Privat trägt er auch mal Schlabberlook, ist verheiratet, hat ein Kind – und viel mit der Pflege und Gesunderhaltung seines bildschönen Körpers zu tun. Er isst keinen Industriezucker mehr und verzichtet weitgehend auf Alkohol. Statt dessen mag er gesunde Pommes von Süßkartoffeln. Lange Auszeiten vom Tanz hat er gesundheitsbedingt schon hinter sich. Aber wenn er tanzt, sieht man das nicht – er schwebt und wirft sich jedes Mal in die Choreografie, als sei es die Premiere. Osiel Gouneo ist ein Erlebnis! Ein gutes Ballettbuch über ihn sollte das beschreiben, es sollte poetisch sein, die Fakten sollten stimmen, und das Konzept des Buches sollte ausreichend mit der Tanzkunst zu tun haben. In diesem Sinne handelt es sich bei seiner Biografie „Black Romeo – Mein Weg in der weißen Welt des Balletts“, bei dem Osiel Gouneo und der ballettfachfremde Thilo Komma-Pöllath als Autoren firmieren, um kein gutes Buch. Der Termin heute Abend um 19 Uhr im Ballettprobenhaus in München, den Sylvia Schreiber moderieren soll, ist lediglich eine gute und seltene Gelegenheit, Osiel mal aus der Nähe und sprechenderweise in Aktion zu sehen.

"Onegin" beim Bayerischen Staatsballett

Onegin, hier getanzt von Osiel Gouneo, ist stets auf der Suche nach Glück und Bewunderung. Foto vom Bayerischen Staatsballett: Emma Kauldhar

Man hätte ein wirklich inhaltsreiches Buch über Osiel schreiben können. Er kommt aus Kuba, wo er weder als Schwarzer noch durch die Tatsache, dass er als männlicher Teenager Ballett trainierte, diskriminiert wurde. Kuba hat, anders, als dieses Buch es darstellt, auch außerhalb des Balletts nicht nur Nachteile.

Alicia Alonso - unvergessen

Unvergesslich schöne und prägnante Linien: Alicia Alonso vom Kubanischen Nationalballett in ihrer Zeit als Primaballerina in der Pose der Odile aus dem „Schwanensee“. Foto: anonym

Alicia Alonso, die 2019 verstorbene Doyenne des Kubanischen Nationalballetts, förderte höchstselbst den talentierten Jungspund, was ihn die nicht ganz perfekte Ehe seiner Eltern vergessen ließ. Bei Alicia erhielt Gouneo auch sein erstes Engagement.

Als er von dort nach Europa ging, versprach er seinen Kumpels noch im Scherz, er werde in drei Jahren als reicher Mann wiederkommen und eine Bar eröffnen. Pustekuchen. Er wurde bislang kein Barbesitzer. Aber ein sensationeller Tänzer, der so viel Schwung und Leidenschaft in jede einzelne Bewegung zu legen mag, dass es eine Sauerei ist, dass jetzt ein so lahmes, blutleeres Büchlein über ihn erschien.

Die Nummer mit der angeblichen Diskriminierung hätte er zudem überhaupt nicht nötig. Der Titel ist, weil er Diskrimierung und Außenseiterum insinuiert,  zudem ein Etikettenschwindel.

Spartacus bewegt die Welt.

Er wirkt weder kalt noch überspannt: Osiel Gouneo vom Bayerischen Staatsballett als „Spartacus“. Foto: Wilfried Hösl

Denn diskriminiert wurde gerade dieser äußerst erfolgsverwöhnte junge Mann wohl eher selten. Osiel Gouneo, der dieses Jahr 34 Jahre alt wird, wurde sein Leben lang gefordert und gefördert und reüssiert seit 2016 als Erster Solist beim Bayerischen Staatsballett. Er verkörpert ein Stück Glamour in München, wird bejubelt und belobigt, erhielt etliche Preise und verdient überdurchschnittlich gut.

Ja, es gibt auch Bitternisse und Enttäuschungen, und von denen schreiben er und  Komma-Pöllath in dem Buch: Zwei Mal in seinem Leben durfte Osiel nicht die Rolle seines Begehrens bei Premieren tanzen.

Ist er darum ein Opfer von Rassismus? Im Ballett erhalten sehr viele Künstler nicht immer ihre Lieblingsrollen. Schon gar nicht zum gewünschten Zeitpunkt.

"Anna Karenina" von John Neumeier beim Bolschoi-Theater

Svetlana Zakharova als moderne „Anna Karenina“ im gleichnamigen Stück von John Neumeier am Bolschoi. Foto aus Moskau: Damit Yusupov

Ein prominentes Beispiel: Svetlana Zakharova, die unumstritten weltbeste aktive Ballerina, wünschte sich 2014 von John Neumeier, mit der Titelrolle bei der Kreation der „Tatjana“ nach Puschkins „Onegin“ dabei zu sein. Aber Neumeier befand schon im Vorfeld, sie sei für ihn keine Tatjana. Dafür kreierte er Jahre später sein Stück „Anna Karenina“ nach Leo Tolstoi im Hinblick auf Svetlana, die dann sehr erfolgreich am Bolschoi in Moskau die russische Erstaufführung tanzte. Aber gewünscht hatte sie sich eigentlich die Rolle der Tatjana.

Im normalen Staatstheaterbetrieb ist es sogar normal, dass alle Ersten Solisten die Hauptrollen tanzen wollen, bei der Premiere aber nun mal nur einer zum Zuge kommen kann. Ja, da gibt es herbe Enttäuschungen, manchmal sogar nicht nur auf Künstlerseite. Aber um auf die Ablehnung der dunklen Hautfarbe zu schließen, braucht man schon mehr Indizien.

"Onegin" beim Bayerischen Staatsballett

Dieses ist eine der vielen berühmten Posen aus „Onegin“, hier aus dem letzten Pas de deux mit Laurretta Summerscales und Osiel Gouneo. Es knistert… Foto vom Bayerischen Staatsballett: Emma Kauldhar

Osiels zweites Beispiel für angeblichen Rassismus betrifft Reid Anderson. Ich stehe ihm, dem früheren Stuttgarter Ballettintendanten, bestimmt nicht unkritisch gegenüber. Aber ein Rassist ist er nicht. Er hat dunkelhäutige Tänzer wie Jason Reilly immer sehr gefördert. Dass kein ganz schwarz aussehender Tänzer bei ihm im Engagement hat, kann auch andere Gründe haben (siehe unten). Osiel Gouneo und sein Co-Autor sollten nicht präpotent Leute beschuldigen, ohne handfest etwas in der Hand zu haben.

Dass Ballett bis vor wenigen Jahren fast ausschließlich weiß war, liegt übrigens auch daran, dass es keine amerikanische, sondern eine typisch europäische Kunst ist. In Europa leben nun mal erst seit einigen Jahrzehnten auch viele Schwarze. Die Tradition des Balletts aber reicht in eine Zeit zurück, in der der menschliche Körper an sich als weiß verstanden wurde, einfach, weil es keine anderen in nennenswerter Anzahl in Europa gab.

"Black Romeo" ist kein wirklich gutes Buch von Osiel Gouneo und Thilo Komma-Pöllath

Blick ins Buch: Osiel Gouneo, „Black Romeo“, brilliert auf schönen Fotos im Band, der bei C. H. Beck erschien. Faksimile mit Fotos von Erik Berg und Wilfried Hösl: Gisela Sonnenburg

Und während der Russin Svetlana Zakharova international schon mehr als 30.000 Euro für einen einzigen Gala-Auftritt offeriert wurden, ist Osiel Gouneo in diesem Sinne nicht mal ein Weltstar des Balletts. Dazu hat er – was ihn auch sympathisch macht – sich nicht genügend vermarktet. Immerhin ist er ein international renommierter Star, vor allem auch in der High-Society-Metropole München, und wann immer er irgendwo  bei einer Gala auftritt, wird er gefeiert und geliebt. Er hat also sehr schöne Erfolge – und man sollte damit leben können, dass nicht jeder Ballerino ein Nurejew ist, nicht mal ein Roberto Bolle.

Konkret schmerzte Osiel besonders, dass er in Oslo nicht bei der Premiere als Des Grieux in „Manon“ auftreten durfte – und auch nicht als Lescaut, dessen Partie er ebenfalls einstudiert hatte. Das war das Veto der Lizenzgeberin – der Witwe des Choreografen Kenneth MacMillan. Aber es muss nicht als rassistisch interpretiert werden. Später hat Osiel den Des Grieux ja getanzt. Und welche Partie wann mit wem besetzt wird, richtet sich immer nach einer Vielzahl von Kriterien. Nicht die Hautfarbe, sondern die Art der Bewegungen sowie Körperbau und Mimik bestimmen, welcher Typ ein Tänzer ist. Osiel Gouneo ist da vor allem kraftvoll-männlich.

"Black Romeo" ist kein wirklich gutes Buch von Osiel Gouneo und Thilo Komma-Pöllath

Mit dem „Black Romeo“ hat sich Osiel Gouneo nicht wirklich einen Gefallen getan. Faksimile des Buches: Gisela Sonnenburg

Und man muss auch bedenken: Osiel ist ein fantastischer Tänzer, aber er hat im Bereich des Oberkörpers, vor allem im oberen Rücken und bei den stets fest und gerade gehaltenen Schultern auch kleine Defizite. Er wirkt daher nicht immer ganz so geschmeidig und agil wie andere Ballerinos. Die Rolle des Puck in „Ein Sommernachtstraum“ von John Neumeier gefiel Osiel darum für sich selbst  nicht so gut, und es ist überhaupt keine Schande, zuzugeben, dass man auch mal etwas nicht so gerne gemacht hat. Wer Osiel als Puck gesehen hat, bekam von seinen Zweifeln übrigens gar nichts mit: Er war fantastisch.

Die Abneigung gegen den Puck und auch viele andere persönliche Dinge offenbart Osiel Gouneo allerdings sowieso nicht in diesem Buch, sondern in anderen Interviews, die er gegeben hat. Im Buch wird nur über seine gefühlten Supererfolge geredet.

Die wiederum haben viel mit seinem ganz hervorragenden Körperbewusstsein  zu tun. Denn der Körper ist das Instrument des Tanzes.

Dazu hätte man so gern mehr von Osiel Gouneo erfahren!

Elfen und Liebe im Sommernachtstraum

Puck (Osiel Gouneo) in einer akrobatischen „Nummer“ in der Elfenwelt vom „Sommernachtstraum“ von John Neumeier. Foto vom Bayerischen Staatsballett: Wilfried Hösl

Wirklich: Er hätte in seinem Buch vor allem über seine Beziehung zu seinem eigenen Körper sprechen sollen. So etwas fehlt nämlich noch auf dem Buchmarkt, wahrscheinlich, weil es so schwierig für Tänzer ist, in diesen Dingen ehrlich zu sein. Aber Osiel Gouneo traut man es glatt zu.

Er wurde in seinen geschmeidigen, für Tanz wie gemachten Body hineingeboren. Aber es kostete auch viel mentales und auch materielles Investment, daraus etwas zu machen. Während der Ausbildung und auch im Beruf schmiedete Osiel immer stärker an sich weiter. Er überwand mit Fleiß, Know-how, Disziplin und Temperament alle Hürden der organischen Widerstände.

Bis die hohen Sprünge, die vielfachen Pirouetten, die eleganten Arabesken, aber auch das einfache Beugen der Knie zur Meisterschaft geführt waren. Wie fühlt sich das eigentlich alles an?

Das hätte man gern gelesen. Doch leider erschöpft sich dieses Buch vom Weg eines Schwarzen durch eine weiße Welt in der Beschreibung äußerlicher Vorgänge.

"Tschaikowski-Ouvertüren" von Ratmansky

Osiel Gouneo als Hahn im Korb, an Ratmanskys „Namouna“ erinnernd, in den „Tschaikowski-Ouvertüren“: Foto: Bayerisches Staatsballett

Das beginnt in der Kindheit. Die Ehe von Gouneos Eltern war wohl nicht optimal, aber Freud‘sche Kenntnisse kann man dem Buch nun auch nicht anlasten. Inwiefern seine Kindheit außerhalb der Ballettstunden Osiel Gouneo geprägt hat, wird nicht wirklich klar.

Die weitere Karriere Gouneos wird auf den knapp 250 gebundenen Seiten abgespult, unterbrochen wird der Erfolgsfluss nur von zwei schweren Verletzungen. Einzelne Kapitel blicken vor oder zurück, eine richtige Dramaturgie gibt es hier nicht.

Für intelligente Menschen ist dieses Buch strunzlangweilig: Alles wird nur angetippt – und von Ballett hat der Autor Thilo Komma-Pöllath wirklich null Ahnung. Man wundert sich, warum er als Autor gewählt wurde.

Eigentlich ist es ein Buch über eine Person, die darin nur als Schablone auftaucht.

Spartacus bewegt die Welt.

Osiel Gouneo sehnt sich nach Freiheit… als „Spartacus“, in der legendären Choreografie von Yuri Grigorovich. Foto vom Bayerischen Staatsballett in München: Wilfried Hösl

Die Persönlichkeit des Tänzers Osiel Gouneo bleibt uns mit „Black Romeo“ also schlicht fern. Romeo war übrigens auch gar nicht seine wichtigste Rolle, ist nicht mal seine Lieblingspartie. Aber um das zu wissen, muss man selbst recherchieren.

Die Darstellung Kubas, des Landes seiner Herkunft und seiner so wichtigen Ausbildung, wird hier zudem von einem seltsamen Marketing-Gedanken getragen. Beworben wird nämlich die Idee des Kapitalismus, weshalb an Kuba nichts Gutes gelassen wird.

Nur Alicia Alonso, die schon verstorbene Chefin vom Kubanischen Nationalballett, wird positiv gezeigt. Sie half Gouneo schließlich beim Karrierestart. Aber sonst wirkt alles, sogar das international bekannte kubanische Gesundheitssystem, stark mangelhaft.

Die zauberhafte Natur des Inselstaats, die mitreißende Mentalität der Menschen dort, auch die einfachen lukullischen Genüsse bleiben verschwiegen.

Klar, nur der Westen kann was – diese Propagandalüge schwingt in jeder Zeile mit.

Jewels" beim Bayerischen Staatsballett

Spritzig: Osiel Gouneo und Stargast Nancy Osbaldeston in den „Rubies“ in „Jewels“ von George Balanchine beim Bayerischen Staatsballett. Foto: Wilfried Hösl

Beim Thema „Cancel Culture“ versucht Komma-Pöllrath allerdings mit gesundem Menschenverstand zu punkten. Denn natürlich möchte Gouneo Rollen wie den „Mohren“ im Strawinsky-Ballett „Petruschka“ tanzen. Und er findet auch, dass der weiße Star Placido Domingo ruhig weiter als bester „Othello“-Opernsänger überhaupt gelten darf.

Was jedoch fehlt, ist der entscheidende Hinweis auf Differenzierung.

Denn es kommt auf den Kontext an, ob etwas auf der Bühne rassistisch ist oder nicht. Wenn ein geschminkter schwarzer Teint der Inszenierung nach grob lächerlich gemacht wird, ist es ein Blackfacing bzw. Whitefacing und also verbotener Rassismus. Wenn es aber zum Kostüm gehört, ist es nur Make-up und keine Diskriminierung. Diese Unterscheidung wäre wünschenswert im Theaterbetrieb – und keine andere.

Das sieht im Grunde wohl auch Osiel Gouneo so, es fehlt ihm nur an Worten, es klipp und klar zu sagen.

"Spartacus" von Grigorich - ein moderner Klassiker

Was für ein Erlebnis: Ksenia Ryzhkova als Phrygia und Osiel Gouneo als „Spartacus“ beim Bayerischen Staatsballett. Unvergesslich! Das hervorragende Foto stammt von: Luca Vantusso

Zu den Rollen, die Gouneo schon mit viel Engagement und Erfolg tanzte, hat ihn Komma-Pöllrath leider nicht genügend befragt.

„Spartacus“, das großartige sowjetische Ballett von Yuri Grigorovich, mit dessen Titelrolle Gouneo in München so viel Erfolg hatte, wird zudem auch noch konsequent falsch geschrieben: „Spartakus“.

Dabei sprang Gouneo darin so passioniert und hingebungsvoll, dass es eine pure Lust war, ihm zuzusehen.

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Spartacus ist die Rolle eines Revoluzzers, des Anführers eines Sklavenaufstands im alten Rom. Osiel, aus dem Land von Che Guevara kommend, hat das Flair hierfür sozusagen mit der Muttermilch aufgesogen, auch wenn es dann noch viel Arbeit war, es in die Ballettform zu transponieren. Das ist eben sein großer Verdienst: mit seiner Interpretation einen echt kubanisch und trotzdem authentischen Spartacus abzuliefern. Ach, man hätte ihn so gern damit auf einer DVD / BluRay in allen einschlägigen Geschäften sozusagen unsterblich werdend gesehen!

"Onegin" beim Bayerischen Staatsballett

Kurz vor dem Duell ahnen die Damen, wer gewinnen wird… Onegin (Osiel Gouneo) weiß es auch. Foto vom Bayerischen Staatsballett: Emma Kauldhar

Dass Des Grieux aus „Manon“ und die Titelpartie des „Onegin“ von John Cranko Osiels Lieblingsrollen sind, erfährt man in diesem Buch aber auch nicht. Dabei tanzt er den barock verliebten Des Grieux mit viel smartem Charme, was wunderschön anzusehen ist. Und als Onegin ist er ein zwar hochmütiger, aber auch souveräner Dandy, der keinesfalls unverständlich und nur ignorant rüberkommt (was die große Gefahr bei dieser Rolle ist). Das steht aber alles nicht im Buch.

Dafür erfährt man, dass Gouneo Videos von anderen Stars auf seinem Computer hortet. Die dürften zur Vorbereitung einer großen Partie aber kaum ausreichen. Insofern schadet das Buch dem Startänzer: Es lässt ihn, ganz anders als sein Tanz, dumm und oberflächlich wirken.

Der Buchtitel schließlich zitiert, offenkundig aus Gründen des Marketing, den schon etwas älteren kubanischen Startänzer Carlos Acosta: den ersten schwarzen Romeo beim Royal Ballet in London. Osiel Gouneo tanzte dann in Paris als erster Schwarzer die Jugendpartie des Romeo. Für sein Profil als Tänzer ist die Partie des Romeo aber nicht am bedeutendsten, eher ist es die als „Spartacus“ oder auch Crankos „Onegin“.

"Tschaikowski-Ouvertüren" von Ratmansky

Hamlet (Osiel Gouneo) gedankenvoll am Boden… in den „Tschaikowski-Ouvertüren“ von Alexei Ratmansky. Foto: Bayerisches Staatsballett

Nach Deutschland kam Osiel übrigens relativ spontan, weil er in Oslo, wo er zuvor unter Vertrag war, mit der „Ausbootung“ aus der „Manon“-Premiere vermeintlich diskriminiert wurde. Offenbar hat ihm niemand gesagt, dass es solche „Ausbootungen“ im Ballett häufig gibt, dass sie oft ungerecht erscheinen, aber dass ihre Opfer meistens weiß sind. Solche Wunden gehören zum Job. Leider.

Dass das Betriebssystem der staatlichen Ballette ziemlich verschwenderisch und oft schlecht organisiert ist, versteht man, wenn man sieht, wie oft große Partien einstudiert und nie auf die Bühne gebracht werden. Da ist es ein nur kleines Malheur, wenn man erst später damit vors Publikum darf und noch nicht zur lokalen Premiere.

Kontinuierliche unbegründete Zurücksetzung, haltlose Herabsetzung oder unberechtigte Demütigung hat Osiel Gouneo zum Glück nie erlebt. Wenn er etwas für die Opfer echter Diskriminierung tun will, so soll er das machen. Aber sich Schuhe anzuziehen, die nicht wirklich passen – das geht nicht.

Dass Gouneo und Komma-Pöllrath zudem vermuten, mit den Klassiker würden die Opernhäuser vor allem Geld machen wollen, klingt gar nicht schön. Es stimmt auch einfach nicht. Natürlich ist es, im Gegenteil, richtig teuer, echtes klassisches Ballett im vollen Ornat zu zeigen. Auch, wenn man dann stets ein ausverkauftes Haus hat: Das Investment ist enorm. Die aufwändigen Kulissen und Kostüme, die intensive Probenarbeit, die Beschäftigung des Orchesters sowie auch die Gagen der Stars machen die Klassik nun mal echt teuer. Dafür ist es ja auch Steuergeld, das dieser Kunst zufließt – und daran zu sparen, wäre schlicht barbarisch.

Elfen und Liebe im Sommernachtstraum

Hat bei der Hochzeitsfeier im zweiten Akt vom „Sommernachtstraum“ Oberwasser: der außerordentlich schön springende Osiel Gouneo als Philostrat beim Bayerischen Staatsballett. Foto: Wilfried Hösl

Mit zeitgenössischen Stücken, in denen oft nur ein Zehntel der Tänzer auf der Bühne steht und wo statt der Kulissen und Kostümen nur das Licht aufwändig gestaltet ist, wo die Musik dann auch noch vom Band kommt und Star-Gagen eher selten gezahlt werden, fährt man wesentlich billiger. Im Klartext: Solche Stücke sind Sparprogramm und also „wirtschaftlich“, während man in die großen Klassiker finanziell reinbuttern muss. Aber dafür hat man dann auch wahrhaftig große Kunst.

Seltsam, dass einem Staatsballetttänzer das nicht von selbst einfällt. Aber dafür ist die Perspektive als Erster Solist wohl nicht umspannend genug. Und Osiel hat offenbar auch noch nie versucht, nur eine einzige Gala finanziell eigenständig zu organisieren. Dann wüsste er um die Kosten, die da auf einen zukommen.

"Tschaikowski-Ouvertüren" von Ratmansky

Osiel Gouneo und Sofia Ivanova-Skoblikova proben „Hamlet“ für die „Tschaikowski-Ouvertüren“ mit Alexei Ratmansky – beim Bayerischen Staatsballett auf der Matinee. Foto: Ksenia Orlova

Der Narzissmus, der im Tanz ein großes Problem ist, wird im Buch allerdings gar nicht thematisiert. Auch die Einseitigkeit der Profi-Ausbildung, die immer weniger geistige Bildung enthält und immer mehr technische Ausprägungen annimmt, wird nicht kritisiert. Der Blick hebt sich hier nicht von der oberflächlichen Begaffung der äußeren Abläufe – es ist wirklich kein gutes Buch.

Der Text auf der Rückseite des Buchumschlags stapelt für Osiels ersten und vielleicht auch letzten publizistischen Versuch schließlich allzu hoch: Osiel Gouneo lege ein „Zeugnis einer eindrucksvollen Selbstermächtigung“ ab, heißt es dort, und er tue es „jenseits aller Klischees von Schwarz und Weiß“. Man könnte das für pure Ironie halten. Fazit: Toller Tänzer, schlechtes Buch.
Gisela Sonnenburg

Kein Buchtipp: Osiel Gouneo mit Thilo Komma-Pöllrath: „Black Romeo – Mein Weg in der weißen Welt des Balletts“, 249 S., gebunden, Verlag C. H. Beck, München, 2024, 28 Euro. ISBN: 978 3 406 79119 2

www.bayerisches-staatsballett.de

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