Erstes digitales Ballettfestival München hat mal wieder die Nase vorn: Das Bayerische Staatsballett präsentiert die erste „Digitale Ballettfestwoche 2021“. Deren Premiere konkurriert allerdings mit dem Ballett Dortmund

"Vorhang auf" ist der festliche Auftakt!

„Le Corsaire“ ist der Höhepunkt dieses ersten digitalen Ballettfestivals, der Digitalen Ballettfestwoche 2021 vom Bayerischen Staatsballett. Das fantasievolle Ballett rund um hier moralisch überlegene Piraten bietet viel Märchenhaftes, viel Begeisterndes, viel Charme. Und viel Raffinesse! Foto: Charles Tandy

Einerseits öffnen sich hier und da die Pforten der Museen, andererseits weiß niemand, wann die Opernhäuser und Theater wieder live und in echt Zuschauer empfangen dürfen. Wer schlau ist, richtet sich auf Bildschirmkost ein. Das Bayerische Staatsballett hat – nach dem Ballett Dortmund, das bereits fulminante Online-Events anbot – die Zeichen der Zeit erkannt und serviert nun seine erste Digitale Ballettfestwoche 2021. Start ist am Samstag, den 17. April 21, mit der Uraufführung von „Der Schneesturm“ von Andrey Kaydanovskiy zur ebenfalls nagelneuen Musik von Lorenz Dangel. Fans des russischen Dichters Alexander Puschkin, der im 19. Jahrhundert den „Schneesturm“ erfand, werden reinschauen wollen. Allerdings konkurriert diese Premiere mit einer weiteren Online-Uraufführung: mit „Verklärte Nacht“ von Marijn Rademaker beim Ballett Dortmund. Die Musik dort ist zwar bereits ein Klassiker der Moderne, aber Arnold Schönberg als Ballettgrundlage ist ganz sicher nicht von der Hand zu weisen. Ob man sich nun für wildes Hin-und-Her-Zappen entscheidet oder für eine zeitversetzte Online-Ansicht, zumal die Dortmunder Premiere am Wochenende online bleibt und der „Schneesturm“ am Freitag, den 23. April 21, online wiederholt wird, muss jede(r) selbst entscheiden. Beim Bayerischen Staatsballett (BS) geht es jedenfalls am Sonntag, 18. April 21, gleich festivalgemäß weiter: mit dem Abend „Paradigma“, der Stücke von Russell Maliphant, Sharon Eyal / Gai Behar und Liam Scarlett vereint. Diese Triple Bill war ja die erste Online-Premiere, die das BS sich letztes Jahr leistete. Rezensionen dazu finden Sie hier im Ballett-Journal, wie auch zu den weiteren kommenden Stücken, die dank des Festival-Streams bald in München wieder angesagt sind.

So folgt am Montag, 19. April 21, mit „Portrait Wayne McGregor“ ein Dreiteiler mit aggressiver moderner Körpersprache, die das Wort „Akrobatik“ exemplarisch ins Ballett übertragen hat.

Am Dienstag, 20. April 21, spülen dagegen die bezaubernden „Jewels“ von George Balanchine die Stimmung wieder weich, und die musikalische Leitung von Robert Reimer macht diesen Stream zu einem ganz besonderen Genuss.

Jewels" beim Bayerischen Staatsballett

Softness und Romantik: Jeanette Kakareka in den Armen von Henry Grey – erhaben und sanft in den „Emeralds“, dem ersten Teil der „Jewels“ von George Balanchine beim Bayerischen Staatsballett. Foto: Wilfried Hösl

Jörg Mannes hat dann am Mittwoch, 21. April 21, mit dem Bayerischen Juniorballett seinen großen Auftritt: Seine Kreation „Unsterbliche Geliebte“ bezieht sich auf die bevorzugte Briefpartnerin von Ludwig van Beethoven, von dem auch die Musik zu dem Stück stammt. Zwei weitere Choreografien runden das Programm ab.

„Schwanensee“ ist dann am Donnerstag, 22. April 21, ein Klassiker, dem niemand widerstehen kann: Ksenia Ryzhkova tanzt die Odile / Odette, Jinhao Zhang den Siegfried, Emilio Pavan den Rotbart und Laurretta Summerscales die Charlotte. Ray Barras Version wird für Dramatik hoch zehn auf den Monitoren sorgen!

Am Freitag, dem 23. April 21, gibt es dann die zweite Gelegenheit, den „Schneesturm“ von Kaydanovskij zu sehen.

Das Beste kommt fast zuletzt: Am Samstag, 24. April 21, lockt ein Wiedersehen mit der wirklich großartigen Version von „Le Corsaire“, die Ivan Liska als Rekonstruktion von Marius Petipas Arbeit zusammen mit Doug Fullington erstellt hat.

Daria Sukhorukova tanzt die weibliche Hauptrolle Medora – mit unnachahmlichem Schmelz – und der unvergessene Tigran Mikayelyan, der elegante Maxim Chashchegorov und der rasante Matej Urban werden um die Wette springen, was das Zeug hält. Holla, das ist klassisches Ballett, wie es sein soll!

Die zarte Mai Kono fasziniert zudem als Gulnara und der „Lebende Garten“ entzückt mit traumhaft arrangierten, rosaroten Blumenmädchen. Wer das verpasst, der oder dem ist nun wirklich nicht mehr zu helfen.

"Le Corsaire" bezeugt in München die Lebensfreude.

So soll es wirklich sein:  Als Grand Pas de deux oder auch als Grand Pas de trois – in „Le Corsaire“ beim Bayerischen Staatsballett sieht man klassisches Ballett vom Feinsten. Foto. Charles Tandy

Damit ist die Ballettfestwoche 21 beinahe vorbei. Abschließend gibt es aber noch ein filmisches und ein tänzerisches Extra-Bonbon: „30 Jahre Bayerisches Staatsballett“ heißt das Programm, das am Sonntag, den 25. April 21, online gesendet wird.

Es besteht aus „Filmischen Erinnerungen“ an die zurückliegenden 30 Jahre des von Konstanze Vernon gegründeten Ensembles (das Jubiliäum fiel ins Jahr 2020) sowie aus dem „Black Cake“, dem „Schwarzen Kuchen“, den der Choreograf Hans van Manen zu Musik von Tschaikowsky, Janacek, Strawinsky und anderen schuf. Unter den Tänzerinnen finden sich übrigens Judith Turos, heute Ballettmeisterin beim BS, und Christiana Stefanou, die mit einem Fitness-betonten Konzept die erneuerte Ballettakademie der Wiener Staatsoper leitet.

Man tut also in jedem Fall was für seine Bildung und auch für sein Vergnügen, wenn man diese Online-Stücke nicht auslässt!
Gisela Sonnenburg

„Der Schneesturm“ beim Bayerischen Staatsballett: eher ein Reinfall. Grell, aber oberflächlich, lang, aber auch langweilig. Foto: Katja Lotter

P.S. Die Online-Uraufführung von „Der Schneesturm“ geriet zum glatten Reinfall. Komponist Lorenz Dangel imitiert in den besten Momenten Sergej Prokoffiew, dümpelt aber meistens in wenig konstruktiven Geräusch-Atmosphären als Inspiration herum. Einfach nur ein paar Akkorde draufgelegt und schon passt die Laube? – Nee, so einfach ist das nicht mit abendfüllenden Werken.

Das gilt auch für die Choreografie von Andrey Kaydanovskiy. Hier ein bisschen was von John Neumeiers großartigen  Ensemble-Szenen abkupfern und da ein bisschen Intensität von Jiri Kylián nachmachen – das reicht einfach nicht.

Und was Dramaturg Serge Honegger in der Einleitung behauptet, dass nämlich weltweit noch nie ein Ballett nach Puschkins „Schneesturm“ premiert sei, stimmt auch nicht. Just letztes Jahr hatte „Der Schneesturm“ in Form eines ergreifend-genial choreografierten Pas de deux von Yuri Possokhov als integrativer Teil von „Fordlandia“ mit Lucia Lacarra und Matthew Golding beim Ballett Dortmund Weltpremiere.

Also: Liebe Leute, wenn Ihr es nicht könnt, dann lasst es doch einfach! So eine Oberflächlichkeit statt ernsthafter Kunst braucht kein Mensch.
– Gisela Sonnenburg

www.staatsoper.tv

www.theaterdo.de

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