Kaum sind die schweren Brocken vom Weihnachtsfest verdaut, bahnt sich Komödiantisches mit tragischer Note an: Zwei „Nussknacker“, beide von Rudolf Nurejew und doch recht unterschiedlich, einen hinreißend modernisierten „Schwanensee“ von Xin Peng Wang mit dem Dortmund Ballett, „Eine Mittsommernacht“, ebenfalls hinreißend und modern von Alexander Ekman (ebenfalls aus Dortmund), zwei „Fledermäuse“ – eine aus Wien, eine aus Hamburg – sowie das obligatorische „Neujahrskonzert“ mit dem Wiener Staatsballett habe ich im Gepäck für die Zeit zwischen den Jahren und den Jahreswechsel. Los geht es heute um 19 Uhr mit „Der Nussknacker“ vom Wiener Staatsballett, in einer Aufnahme von 2018: mit der entzückenden Natascha Mair, die jüngst zum English National Ballet nach London wechselte, als Clara, steht die Aufzeichnung als kostenloser Stream 24 Stunden bereit.
Nurejews Wiener „Nussknacker“ ist äußerst bemerkenswert, vereint er doch die Rollen des Drosselmeyer und des Prinzen! Und die russisch-folkloristisch inspirierte Festnote im zweiten Teil ist allein schon sehenswert. Hinzu kommen dramatische Einfälle bei der Umsetzung von Claras Alptraumfantasie – absolut unique!
Zum Vergleich empfiehlt sich außerdem eine bei Opus Arte als DVD neu aufgelegte historische Aufnahme aus dem Jahr 1968, die genau fünfzig Jahre jünger ist als die aus Wien kommende.
Hierin tanzt der Meister Rudolf Nurejew noch selbst die männliche Doppelrolle, mit der ebenfalls legendären Merle Park als Clara an seiner Seite. Wayne Sleep ist als Nachwuchsstar in der Partie des hier puppenhaften „Nussknacker“-Jungen zu erleben. Die Aufführung stammt natürlich aus dem Covent Garden, vom Royal Ballet in London.
Man darf allerdings die Erwartungen nicht zu hoch spannen: Nurejews „Nussknacker“ von 1968 ist noch nicht das Meisterwerk, das es 1985 wurde, als er es als Ballettdirektor an der Pariser Opéra komplettierte. Diese Version – eben von 1985 – wird seit 2012 mit großem Erfolg und in wechselnden brillanten Besetzungen auch in Wien getanzt. Manuel Legris, der ein fantastischer Ballettchef in Wien und doch selbst kein guter Choreograf war, sei dank!
Zurück in Deutschland, dankt man Xin Peng Wang, dem Ballettdirektor und genialen Choreografen vom Dortmund Ballett für die fortgesetzte Rettung der Festtage:
Bis zum 31.12.20 ist sein wirklich bravouröses Stück „Tschaikowsky“ mit Lucia Lacarra und Marlon Dino noch online zu sehen, ab dem 30.12.20 dann sein genuiner „Schwanensee“ mit einem atemberaubend schönen Bühnenbild durch eine Art Spiegelmansardenwand im Theaterhimmel.
Am 31.12.20 ist zudem prompt ein weiterer Dortmunder Knüller dort zu sehen, nämlich „Eine Mittsommernacht“ von Alexander Ekman. Ein wirklich spritzig-heiteres Stück, frei nach Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“.
Die einschlägigen Rezensionen zu all diesen Stücken gibt es übrigens hier auf Anklick: Rudis „Nusssknacker“ aus Wien; Wangs „Tschaikowsky“ und „Schwanensee“; Ekmans „Eine Mittsommernacht“.
Wem zu Silvester dennoch das prustende Lachen der Operette einfach fehlen würde, sollte sich außerdem der gerade zu dieser Jahreszeit rasant beliebten Klamotte „Die Fledermaus“ von Johann Strauß zuwenden.
Gleich zwei große Häuser wetteifern hiermit um die Gunst des internationalen Online-Publikums!
Die Hamburgische Staatsoper zeigt bereits ab dem 30.12. und bis zum 1.1.21 eine Preview auf ihre knallbunte, effektvolle Inszenierung von Barbe & Doucet, in der musikalischen Leitung von Jonathan Darlington. Interviews mit den genannten Künstlern machen Appetit auf mehr – hoffen wir auf eine Premiere im neuen Jahr!
Die Wiener Staatsoper hingegen erlaubt sich einen für unsere Zeiten großartigen Event und spielt die „Fledermaus“-Premiere live vor leerem Zuschauersaal – und gönnt dem Stream-Publikum solchermaßen ebenfalls ein Live-Erlebnis, nämlich einen Live-Stream. Wow!
Das ist eine kulturelle Punktlandung zu Silvester:
Um 17 Uhr am 31.12.20 kann man sich also live an der Wiener „Fledermaus“ in der allseits beliebten, bewährten Inszenierung von Otto Schenk erfreuen. Peter Simonischek als Frosch ist allein schon sehenswert – und unter der musikalischen Leitung von Cornelius Meister singen und scherzen vor allem die großartige Camilla Nylund und der famose Georg Nigl.
Am 1.1. kann man dann ab 19 Uhr zum Vergleich dieselbe Inszenierung in einer anderen Besetzung genießen, allerdings ebenfalls mit Burg-Schauspieler (und Ehrenmitglied der Wiener Burg) Peter Simonischek, der 2011, als diese Vorstellung aufgezeichnet wurde, vielleicht das Eine oder Andere etwas anders gemacht hat.
Ebenfalls aus Wien kommt dann um 11.15 Uhr am ersten Tag vom neuen Jahr das 81. Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker. Es wird am 2.1.21 zur Primetime um 20.15 Uhr auf 3sat wiederholt.
Riccardo Muti ist der Dirigent in diesem Jahr, und die Ballettchoreografien kommen von José Martínez. Der gebürtige Spanier, der als Étoile an der Pariser Opéra tanzte, war auch letztes Mal für die Neujahrstänze aus Wien verantwortlich – im ersten Jahr der Corona-Epidemie wollte man wohl kein Risiko eingehen und engagierte ihn erneut, für die im Sommer zu drehenden Balletteinlagen. Sie werden wie immer als Filme ins Konzert eingespielt.
Und dann tanzen Alice Firenze und Sveva Gargiulo, Ketevan Papava und Davide Dato zu den Klängen der Margherita-Polka von Josef Strauß, die somit erstmals überhaupt bei einem Neujahrskonzert aus Wien zu hören ist.
Von Johann Strauß (Sohn) stammt dann der Walzer „Frühlingsstimmen“, den Martínez für vier Paare inszeniert hat: für Liudmila Konovalova mit Denys Cherevychko, für Ketevan Papava mit Roman Lazik, für Alice Firenze mit Masayu Kimoto und für Eszter Ledán mit Zsolt Török.
Wer zuhause genügend Platz hat, sollte sich von dem Temperament und der guten Laune der Wiener mitreißen lassen und ein paar Runden im Walzertakt tänzeln!
Am Neujahrsabend lockt dann das Staatsballett Berlin ab 18 Uhr vor den Monitor: Eigentlich sollte ja heute, am 29.12., schon eine neue Gala dort premieren, sie fiel – wie so Vieles – dem Lockdown zum Opfer. Dafür gibt alsbald jetzt online „From Berlin with Love 2021“ – und das gute Streamstück bleibt auch dort stehen, kann also auch im Verlauf des Januars noch eingesehen werden.
Außer Pas de deux aus „Nussknacker“ (in der Neubesetzung mit Aya Okumura und Alejandro Virelles) und „Schwanensee“ (mit dem ebenfalls noch recht neuen Dreamteam Yolanda Correa und Dinu Tamazlacaru) gibt es auch Neues wie „Für Elise“ von Arshak Ghalumyan mit Elisa Carrillo Cabrera zu sehen. Also los!
Wir hören dann 2021 wieder voneinander. Bis dahin: PROSIT NEUJAHR!
Auf in ein hoffentlich besseres neues Jahr!
Gisela Sonnenburg