Da kann man nur ironisch danken: Der Berliner „Tagesspiegel“ hat sich dieses Jahr ein besonderes Ostergeschenk für mich ausgedacht. Seine Autorin Sandra Luzina – das ist diejenige, die Sasha Waltz als Berliner Ballettintendantin empfahl – ließ das Ballett-Journal mal eben locker-flockig und ohne weitere Begründung als „offen rassistisch“ bezeichnen. Was für ein Osterei! Nee, liebe Leute, so geht das nicht! Man kann nicht jede und jeden, die oder der eine andere Meinung vertritt als man selbst, als „rassistisch“ herabsetzen. Meine begründete Kritik an einer dunkelhäutigen Tänzerin, die Sündenböcke für ihr eigenes berufliches Versagen sucht, ist nicht gleichzusetzen mit Rassismus. Es ist vielmehr diskriminierend und persönlichkeitsrechtsverletzend, das Etikett „Rassismus“ blindwütig und ohne sachlichen Grund einer Allzweckwaffe gleich einzusetzen. Ganz offensichtlich empfindet mich der „Tagesspiegel“ wegen der manchmal fast 10.000 Leser*innen pro Tag, die ich hier habe, wohl auch als Konkurrenz. Da nutzt man die Gelegenheit und will mich öffentlich unmöglich machen. Meinungen müssen in einer Demokratie aber funktionieren, und zwar nicht als Hetze, sondern als sachlich-fachliche Argumentation. Mit oder ohne Leidenschaft: Ein Anwalt, der seine Mandantin schützen will, indem er die Rechte ihrer Kritikerin verletzt, macht seinen Job nicht so gut, wie er glaubt.
Er bezieht sich auf mir nicht mal bekannte Schriftsätze einer mir ebenfalls nicht mal bekannten Anwältin. Diese habe aus meinem Ballett-Journal-Blog, der„offen rassistisch“ sei, zitiert. Er hat diese Zitate entweder nicht überprüft oder er kann nicht lesen.
Dieser Anwalt, den der „Tagesspiegel“ zitiert, war Vertrauensanwalt des Berliner Senats in Sachen Korruptionsbekämpfung. Dann kam der Verdacht auf, dass er sein Amt für Geschäfte missbrauchte. Danach wurde er Aufsichtsratsvorsitzender eines börsennotierten Unternehmens. Ein Spezialist für Rassismus ist er nicht. Ich darf erwähnen, dass ich im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg zwölf Jahre lang, bis 2010, die Pressearbeit für ein soziokulturelles Zentrum, also für das, was man damals „Multikulti“ nannte, gemacht habe. Eine afrikanische Trommelband gehörte da ebenso zu meinen Schützlingen wie arabische Jugendliche, eine Flamenco-Tänzerin und der Verein Lebenshilfe e.V., der sich Menschen mit Behinderungen widmet. Damals hat der „Tagesspiegel“ mir freundliche Reporterinnen geschickt, die über die entsprechenden Veranstaltungen bei uns berichteten. „Offenen Rassismus“ hat der „Tagesspiegel“ damals, obwohl er ja selbst bei mir recherchierte, sicher nicht festgestellt.
Dieses Mal hat die Redaktion vom „Tagesspiegel“ offenbar vergessen, was Anstand ist. Die Aussage des Anwalts Christoph Partsch, den der „Tagesspiegel“ zitierte, um meine Kritik an Chloé Lopes Gomes zu disqualifizieren, wurde anscheinend überhaupt nicht überprüft. Und die Kollegin Sandra Luzina hielt es auch nicht für notwendig, von mir eine Stellungnahme zu diesem schwerwiegenden Vorwurf einzuholen.
Jede und jeder, die oder der meinen Ballett-Journal-Blog liest oder mich aus anderen Zusammenhängen kennt, wird den Vorwurf des Rassismus vollkommen absurd finden. Häufig wettere ich hier gegen die AfD. Auch außerhalb des Ballett-Journals habe ich mich oft gegen Diskriminierungen gewandt, ich habe für Homosexuelle und für Menschen aus anderen Ländern und Kulturen gekämpft, ich habe in renommierten großen sowie vor allem in linken Medien angstlos Diskriminierungen und Rassismus in meinen Artikeln angeprangert und mich für die Rechte von Minderheiten eingesetzt.
Zudem sollten Frau Luzina, Frau Lopes Gomes und ihr Anwalt wissen, dass meine schönen dunklen Augen und meine tollen schwarzen Haare selbstverständlich nicht rein deutscher Herkunft sind. Ich habe mit meinem Vater einen direkten iranischen Vorfahren.
Ich weiß sehr gut, wie es ist, diskriminiert zu werden, auch in rassistischer Hinsicht. Ich habe es oft genug selbst erlitten, vor allem, als ich jung war. Das hat mich aber nicht dazu gebracht, andere Menschen fälschlich der Diskriminierung zu beschuldigen.
Warum bringen Menschen andere Menschen um, wenn ihnen deren Hautfarbe nicht passt? Warum werden Menschen, die „anders“ sind, ausgegrenzt? Warum werden wir Frauen immer noch stärker diskriminiert und benachteiligt als die Männer? Ich bin diesen Fragen nachgegangen, seit ich in der Pubertät war, aber ich fand keine Entschuldigung für Rassismus, nur Erklärungen. Darum lautet meine Antwort stets: zero tolerance against discrimination.
Doch wenn in meinen Augen und aufgrund meiner Recherchen und Kenntnisse ganz offenkundig gelogen wird, um sich als diskriminiertes Opfer darzustellen, dann ist es meine Pflicht als Journalistin und auch als Bürgerin dieser Demokratie, das zu sagen.
Falls jemand Zweifel daran hat, dass ich hier im Ballett-Journal für das Gute, Wahre, Schöne und Gerechte kämpfe, zeige ich gern eine Auswahl von denen, die ich hier mit Fotos und Worten gelobt habe, ohne, dass ihre Hautfarbe eine Rolle spielte.
Da ist Larissa Machado, die mit dem Bundesjugendballett in einem Flüchtlingsprojekt in Hamburg auftrat. Ich glaube nicht, dass man meinen großen Bericht darüber (http://ballett-journal.de/bundesjugendballett-ballinstadt/) als „offen rassistisch“ bezeichnen kann.
Da ist Osiel Gouneo, der beim Bayerischen Staatsballett seine viel bewunderten Sprünge macht (http://ballett-journal.de/bayerisches-staatsballett-berlin-staatsoper-unter-den-linden-corona-online/).
Da ist Jason Reilly, der beim Stuttgarter Ballett tanzt, den ich dort oftmals lobe, zuletzt vorgestern, und der auch schon als Gaststar in Berlin gefiel (http://ballett-journal.de/staatsballett-berlin-onegin-nadja-saidakova-jason-reilly/).
Und da ist Elisa Carrillo Cabrera, Primaballerina beim Staatsballett Berlin, die aus Mexiko stammt, und deren Karriere ich ebenfalls seit vielen Jahren lobend begleite (http://ballett-journal.de/staatsballett-berlin-la-bayadere-elisa-carrillo-cabrera-aurora-dickie-alejandro-virelles/).
Wir haben im Ballett außer Schwarzen und Weißen aber auch Japaner*innen und Chines*innen, Brasilianer*innen und Kubaner*innen, wir haben Menschen mit allen nur möglichen Hautfarben auf den Ballettbühnen, und es war von Mainstream-Medien wie dem „Tagesspiegel“ aus meiner Sicht keine gute Idee, ausgerechnet eine staatliche Balletttruppe in Deutschland als Brennpunkt für angeblichen Rassismus auszurufen. Allerdings war das skandalträchtig.
Da das Staatsballett Berlin derzeit führungslos ist und nur eine kommissarische Leiterin hat, war es wohl besonders einfach, einige seiner Mitglieder zu verunsichern und mit suggestiven Schilderungen auf die Seite der Ankläger zu ziehen. Das ließ sich dann gut verkaufen. Man kennt die hysterische Denunziationsbereitschaft, die Menschen in Gruppen mitunter entwickeln. Man erinnere sich an das Drama „Hexenjagd“ von Arthur Miller.
Zudem sind die Arbeitsmärkte nicht nur im Tanz derart hart und überfüllt geworden, dass die meisten Kandidat*innen für diese Traumjobs sich früher oder später diskriminiert fühlen. Weshalb auch immer. Es ist ja auch nicht „gerecht“, dass nur Wenige an die Spitze kommen können. Aber das heißt noch lange nicht, dass die Anderen diskriminiert werden.
Mit mir möchten meine Denunzianten aber wohl lieber „Tod eines Handlungsreisenden“, auch von Arthur Miller, spielen. Schließlich könnte ein Ballett-Journal, das angeblich „offen rassistisch“ ist, rasch pleite gehen.
Meine Werte – und da gehört Antirassismus nachweislich dazu – sind meinen Gegnern, die mich vom Markt drängen wollen, egal. Aber es ist eine Persönlichkeitsrechtsverletzung, eine Diskriminierung und ein Verstoß gegen das Gebot des lauteren Wettbewerbs, mich ohne Grund „offen rassistisch“ zu nennen.
Der „Tagesspiegel“ ist kein unbedachtes Anfängerblatt. Dort weiß man, was es für ein Internet-Medium im Kulturbereich bedeutet, als „offen rassistisch“ dargestellt zu werden. Jede potenzielle Neukundin, jeder Neukunde liest das, bevor sie oder er sich mit Grausen von mir abwenden. Rassismus ist nichts, was man wegreden kann. Zu behaupten, etwas sei rassistisch, ist eine Abstempelung, eine Stigmatisierung. Es bedeutet das Out.
Zumal ohne jede konkrete Begründung. Das ist keine erkennbare Meinungsäußerung, sondern ein Todesurteil. Und zwar ein unberechtigtes.
Ich bin diejenige Journalistin, die in den letzten Jahren am meisten über Ballett in Deutschland berichtet hat. Auch und gerade über das Staatsballett Berlin. Und ich habe längst nicht alles dort gebilligt oder gelobt. Ich sage meine Meinung begründet und deutlich, auch im Sinne des Verrisses oder im Anprangern von Missständen, was ich zum Beispiel in Sachen Staatlicher Ballettschule Berlin nach gründlichen Eigenrecherchen getan habe. Das ist meine berufliche Aufgabe.
Aber die Leistungen von Chloé Lopes Gomes waren einfach auffallend schlecht. Wenn man sie überhaupt mal auf die Bühne ließ! Es gab andere Ballerinen, denen gekündigt wurde, obwohl sie weit besser tanzen und sich auf der Bühne durchaus bewährt haben. Und die eine weiße Hautfarbe haben. Doch über Kündigungen im künstlerischen Bereich entscheidet vor allem das subjektive Konzept der jeweiligen Leitung.
Echte Werte wie Teamfähigkeit können da neben der bloßen Leistung eine Rolle spielen, aber auch Dinge wie Belastbarkeit, Auffassungsgabe und Flexibilität. Es entscheiden aber auch Qualitäten wie Ausstrahlung und Rolleninterpretation, und da sind Bewertungen oft nicht einheitlich. Arbeitgeber*innen haben Spielraum, wen sie bevorzugen und wen nicht. Der Arbeitsmarkt, so wie er ist, ist nicht immer gerecht, im Ballett nicht und auch in anderen Branchen nicht. Das hat mit Diskriminierung nichts zu tun.
Chloé Lopes Gomes verlangt 20.000 Euro Schadensersatz von ihrem Noch-Arbeitgeber, weil ihr gekündigt wurde. Dabei bezieht sie noch bis Ende der Spielzeit regulär ihr Gehalt. Sei es ihr gegönnt!
Aber zu schreiben, dass sie außerordentlich schlecht getanzt hat, ist ganz sicher kein Verbrechen und ganz sicher auch kein Rassismus.
Nochmal zum Mitschreiben:
Ein angeblich rassistisches Kulturmedium hat keine Existenzberechtigung.
Meine Wertvorstellungen sind auch nicht im entferntesten rassistisch. Rassisten würden schwer enttäuscht, wenn sie das Ballett-Journal lesen.
Soll das nun die Rache dafür sein, dass der Mandantin von Partsch beim Staatsballett Berlin gekündigt wurde? Soll ich jetzt der Sündenbock sein?
Zu behaupten, mein Blog sei rassistisch oder offen rassistisch – das geht nicht. Da geht es nicht um Meinung, sondern um ein Fakt.
Ich werde mich trotzdem nicht beirren lassen. Für mich galt immer: black ist beauty. Das wird auch so bleiben.
Und ich würde gern mehr schwarzhäutige Menschen im Ballett sehen. Wer das auch möchte, sollte sich dafür einsetzen, dass das Ballett insgesamt gefördert und negative Vorurteile sowohl gegen persons of colour als auch gegen das Ballett in der Gesellschaft abgebaut werden. Denn viele Menschen, vor allem solche, die in kleinbürgerlichen Verhältnissen leben und nur wenig Kontakt mit gebildeten Ausländern oder mit der Hochkultur haben, haben Ressentiments, die nicht ausgesprochen werden und die nicht in Ordnung sind. Auch in der Contemporary Dance Szene gibt es Ressentiments gegen das Ballett, die wahrscheinlich niedrige Beweggründe haben.
Um etwas zu ändern, muss das System der Bildungsförderung sich verbessern. Das fängt bei den Ballettschulen an, zumal bei den Profi-Ausbildungsstätten. Und das fängt noch früher an: Wenn begabten Kindern nicht automatisch Zugang zur Kunst gewährt wird, wenn ihre Neigungen und Talente nicht gezielt gefördert werden. Hier gibt es noch viel zu tun.
Aber wenn jemand schlecht tanzt, dann darf ich das sagen, egal, welche Hautfarbe er oder sie hat – und wenn ich den Eindruck habe, dass jemand lügt, um damit ein Medienstar zu werden, dann ist es ebenfalls meine Aufgabe, das offen zu legen.
Leistung und Charakter müssen nun mal okay sein, nicht nur, um Tänzerin zu werden, sondern auch um es auch zu bleiben. Das sollte aber auch für Journalist*innen gelten.
Aus meiner Sicht ist es eine Schande, dass so viele Medien, die über Chloé Lopes Gomes berichteten, nicht auch die andere Seite interviewten, also Menschen, die die von Frau Lopes Gomes beschuldigte Ballettmeisterin entlasten.
Diese Mühe haben sich die meisten anderen Medien einfach nicht gemacht. Sie haben Lopes Gomes auch nie tanzen sehen. Oder die betreffende Ballettmeisterin jahrelang – wie auch das Staatsballett Berlin insgesamt – bei der Arbeit beobachtet.
Ich habe nicht einseitig recherchiert. Ich kannte die Personen dieser Handlung aus beruflichen Gründen auch schon vor dem Eklat.
Die betroffene Ballettmeisterin ist meiner Einschätzung nach schon von ihrer naiven Charakterstruktur her gar nicht in der Lage, rassistisch zu handeln. Für sie zählt nur die Motivation zur Leistung, und zwar im Dienst der Schönheit des Balletts. Die natürliche Hautfarbe einer Tänzerin hat sie noch nie gestört.
Das haben mir etliche Mitglieder vom Staatsballett Berlin bestätigt. Sie war ja wohl sogar die Einzige unter einer Vielzahl von Choreograf*innen und Ballettmeister*innen, die Chloé Lopes Gomes überhaupt für Bühnenauftritte besetzt hat. Sie wollte ihr wirklich eine Chance geben, sich zu entwickeln, sie wollte sie motivieren, an sich zu arbeiten und ein paar schöne Bühnenerlebnisse mitzunehmen. Der Undank hätte gröber nicht sein können!
Ich habe mir ja schon für die Berichterstattung letztes Jahr beide Seiten angehört. Und mein Ergebnis ist, damals wie heute: Man kann nicht einfach Rassismus unterstellen, nur weil einem das gut in den Kram passt. Das kann man nicht mit einer arglosen Ballettmeisterin machen, und das kann man erst recht nicht mit mir machen.
Sorry, lieber „Tagesspiegel“, aber für dich gibt es die rote Karte!
Gisela Sonnenburg
Dieser Beitrag hat mich 10,5 Stunden intensive Arbeitszeit gekostet.
P.S. Nach Erhalt einer Abmahnung hat der „Tagesspiegel“ die Ehrverletzung gegen mich im Zitat von Christoph Partsch in der Online-Ausgabe gelöscht.
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