News von Sasha Waltz Sasha Waltz, bestgehasste Anwärterin auf einen Intendanzposten, versucht Maulkörbe zu verhängen. Die arme Reiche!

Waltz weg - der Schlachtruf war offenkundig erfolgreich.

Michael Müller und Sasha Waltz bei der Überraschungs-Pressekonferenz, als Müller Waltz und Öhman als kommende Ballettintendanten in der deutschen Hauptstadt vorstellte. Foto: Zeisberg

Sie schwebt. Nicht Sasha Waltz, sondern „Giselle“! Während Sasha Waltz und ihre Anwälte aus der Kanzlei Peter Raue sich bemühen, der Gerüchteküche um Waltz Herr zu werden (was indes nur in Bezug auf veröffentlichte Gerüchte klappt), probt das Staatsballett Berlin (SBB) unverdrossen fleißig die ballettöse Romantik – im Hochkaratformat. Iana Salenko, alternierend mit Dinu Tamazlacaru und Marian Walter als Bühnenpartner, liefert dabei das gewohnte, atemberaubend schöne Weltklasseniveau – es ist nach wie vor ein unerreichter Genuss, sie in der Titelrolle von „Giselle“ zu sehen. Aber auch Ksenia Ovsyanick, neu im Berliner Reigen der Primaballerinen, interpretiert die Bart’sche Inszenierung der zarten Liebenden vom Land mit sehr sehenswertem eigenem Flair. Vor allem im zweiten Akt tanzt sie die ätherische Titelpartie mit unübersehbarer Leidenschaft und einer großartigen Hingabe an jene Poesie, die stärker ist als der Tod. Voilà! Denis Vieira als ihr Albrecht verzückt indes durch ein psychologisch durchdachtes, mitreißendes Spiel – und natürlich jenen exzellenten Entrechats und anmutigen Riesensprüngen, wie sie ein Albrecht nun mal zeigen muss, um zu bestehen. Bravo an diese beiden neuen Interpreten im SBB! Bravo auch an das Ensemble vom Berliner Staatsballett, das mit Präzision und großer Gestaltungskunst die Corps-Szenen zu Höhepunkten macht! Dank dem Ballettmeisterteam unter Gentian Doda, namentlich Barbara Schroeder, Christine Camillo und Tomas Karlborg, welches mit Nadja Saidakova als Coach für Feinsinniges den Hauptdarstellern und dem Ensemble zu Bestleistungen verhilft. Solch eine klassisch geprägte Compagnie einer fachlich nicht dafür qualifizierten Intendantin ausliefern zu wollen, grenzt an ein Verbrechen!

Giselle contra Waltz

Das Staatsballett Berlin mit Ksenia Ovsyanick und Denis Vieira (in der Mitte) beim Schlussapplaus nach „Giselle“ von Patrice Bart – welch eine Brillanz! Foto: Gisela Sonnenburg

Die Tanztheater- und eben nicht Ballettchoreografin Sasha Waltz, als die vom Regierenden Bürgermeister Berlins, Michael Müller, ausersehene kommende Ballettintendantin, hat indes keine Lust, über harsche Kritik an ihr zu diskutieren. Sie heuert lieber ihre teuren Anwälte an. Mit nicht ganz dem erwünschten Erfolg.

So darf ballett-journal.de weiterhin behaupten, dass ein von Waltz dementiertes Gerücht die Runde macht, laut dem sie das Amt als Ballettintendantin in Berlin womöglich ablehne. Aus sonst stets hervorragend unterrichteten Kreisen war nämlich durchgesickert, dass Waltz in der Berliner Kulturverwaltung gewesen sei, um das persönlich zu besprechen.

Natürlich dementierte Sasha Waltz dies. Sie kann vieles dementieren. Das muss man ihr zugestehen.Vielleicht hatten da die Informanten tatsächlich zu viel Fantasie.

Aber so oder so: In solchen Fällen geht es oft vor allem um die Gelder, die als Abfindung gezahlt werden. Und schon einmal machte Waltz einen lukrativen Rückzieher – und sahnte dabei schwer ab: Als sie sich beim Erhalt einer sechsstelligen Summe aus dem Projekt eines Denkmal-Entwurfs (Stichwort: Riesenwippe als Einheitsdenkmal) sang- und klanglos zurückzog. Da muss sie sich nicht wundern, wenn man Gerüchte über ihren freiwilligen Abgang für wahrscheinlich hält.

Andere Choreografenkollegen fänden es derweil schon rein menschlich verständlich, wenn man nicht als bestgehasste Ballettintendantin der Welt in die Geschichte eingehen will.

Und noch nie hat sich eine Compagnie so lautstark und auch so berechtigt gegen eine avisierte Chefin gewehrt, wie jetzt das Staatsballett Berlin – zudem unter lebhafter Unterstützung des Publikums.

Giselle contra Waltz

Iana Salenko und Dinu Tamazlacaru beim Handkuss – nach einer aktuellen „Giselle“-Vorstellung vom Staatsballett Berlin. Foto: Gisela Sonnenburg

John Neumeiers Einwurf, auch er sei 1973 in Hamburg als Ballettchef nicht von allen erwünscht gewesen, ist da kein gutes Beispiel – er war damals bereits ein erfolgreicher Ballettdirektor und zuvor Ballerino, er kam mit in Frankfurt, Stuttgart und London gesammelter Profi-Erfahrung im Ballett an die Elbe.

Waltz hingegen entstammt der freien Tanzszene; ihr Publikum ist ein definitiv anderes als diejenigen, die Abend für Abend die 1 800 Plätze in der Deutschen Oper in Berlin füllen. Tanztheater in Berlin lockt zudem selten in solche großen Hallen. Auch das von Waltz mitunter genutzte Schiller Theater, das derzeit von der Berliner Staatsoper als Ausweichspielstätte genutzt wird, bringt es keineswegs auf eine solche Riesenzahl an Sitzplätzen. In der freien Szene gelten ein paar hundert Zuschauer jedenfalls schon als viel, und auch die Theatersäle, in denen Waltz‘ Truppe auftrat und auftritt, sind zumeist nicht mit den Ausmaßen der Deutschen Oper Berlin zu vergleichen.

Dass Waltz als Ballettintendanz mit dem für sie als Postenpartner avisierten Nachwuchsballettdirektor Johannes Öhman denn auch völlig fehlbesetzt wäre, denken derweil immer mehr Menschen, nicht nur die Ballettfans.

Eine Grande Dame der deutschen  Schauspielkunst, die vor allem durch Film und Fernsehen prominente Schauspielerin Carmen-Maja Antoni – die in der Hauptstadt seit langem ein Star beim Berliner Ensemble am Schiffbauerdamm ist – bekundete mir im Gespräch schon ihren Widerwillen gegen eine solch absurde Kulturpolitik.

Ihrem Rollenprofil, das unter anderem von ihrer „Mutter Courage“ geprägt ist, macht Antoni damit alle Ehre: Zivilcourage ist hier das Schlagwort.

Giselle contra Waltz

Carmen-Maja Antoni, eine der bedeutendsten deutschsprachigen Schauspielerinnen, hat Mitleid mit dem Staatsballett Berlin. Sie würde, scherzhaft gesagt, auch nicht unter einem Baseballteam spielen wollen… Foto: Gisela Sonnenburg

Hinter vorgehaltener Hand tuschelt man in den Theaterkantinen dieser Republik denn auch so Manches bezüglich der scheinbaren Geldgier einer Sasha Waltz.

Das würde der Anwalt von Waltz sicher bezweifeln wollen. Aber ihm wird auch nicht die Kanzlei weggenommen, um daraus ein Büro für Gerichtsvollzieher zu machen.

Es ist schon merkwürdig, dass ausgerechnet die Nischenkunst Ballett jetzt angewiesen ist auf möglichst breitflächigen Zuspruch.

Aber vielleicht bringt das auch die Sparte Ballett insgesamt ein Stück nach vorne: Wenn man sieht, dass ballettöse Kunst und Kultur nicht nur den Fachleuten wichtig sind.

„Save Staatsballett“ – diese mit einer Online-Petition und einem eigenen Facebook-Account aufwartende Aktion der Berliner Tänzerinnen und Tänzer läuft weiterhin, und wer dort noch nicht unterzeichnete, sollte das schleunigst tun. Es ist eine gute Tat!

Die Ballerinen und Ballerini vom SBB haben sich derweil auf einen jahrelangen Kampf um ihre Zukunft, um ihre Existenz als auch klassische Compagnie eingerichtet – und haben möglicherweise den entscheidenden Punktestand bereits erreicht.

Giselle contra Waltz

Standhaft und schön in jeder Beziehung, ob beim Schlussapplaus oder in der Kulturpolitik: das Staatsballett Berlin nach „Giselle“. Foto: Gisela Sonnenburg

Mit dem mutmaßlich bald zuständigen Kulturpoltiker Klaus Lederer von den Linken kommt nämlich ein Vertreter einer Partei in Berlin ans Ruder, die Ballett nicht für abartiges Gehopse hält, sondern die die Tradition dieser international bedeutenden Körperkunst pflegen will. Ballett ist ja auch ein starkes Berliner Kulturgut und war das, vor allem im Osten der Stadt, auch zu Zeiten der Teilung der Stadt.

Der bisherige kulturpolitische Sprecher der Linken in Berlin, Wolfgang Brauer, gab denn auch mustergültig ein großes Engagement für das Staatsballett Berlin als Messlatte vor. Dank an dieser Stelle an Herrn Brauer, auch im Namen aller Ballettbegeisterten! Man hofft natürlich, dass Lederer dem nicht nachstehen will!

Ob Sasha Waltz unter der kommenden Regierung nun mehr als die bislang zugesagten rund zwei Millionen Euro Fördergeld pro Jahr – zum Teil aus dem Landeshaushalt – für ihre eigene kleine Truppe (Sasha Waltz & Guests) erhält, bleibt abzuwarten. Sie will ihre Guests-Truppe ja in jedem Fall beibehalten, sagte sie – als SBB-Chefin dann sozusagen nebenberuflich. Man kann ja nie genug Geld verdienen, das scheint ihre wichtigste Handlungsmaxime.

So jammerte Waltz schon vor Jahren, sie habe einen Traum begraben müssen, weil sie nicht genügend Geld für das bekomme, was sie vorhabe. Dabei hat sie ihr Tanztrüppchen doch immerhin behalten!

Giselle gegen Waltz

Thomas Ostermeier, Schaubühnen-Chef und seit kurzem Ehrendoktor, hat auch keinen Bedarf mehr an Sasha Waltz. Foto: Schaubühne am Lehniner Platz Berlin

Bei Schaubühnen-Chef Thomas Ostermeier, der soeben einen Ehrendoktortitel verliehen bekam (bei der Gelegenheit: eine  herzliche Gratulation an ihn für diese Auszeichnung!) machte sich Sasha Waltz allerdings auch nicht allzu beliebt.

Sie räumte dort als Tanztheaterchefin schon vor Jahren das Feld, nachdem sie immer mehr an finanziellen Zugaben haben wollte.

Leben und Wahnsinn… In „Giselle“ wird die Titelfigur wahnsinnig und stirbt einen raschen Herztod, weil sie erkennen muss, dass der Mann, den sie liebt, sie betrog und eine andere heiraten wird. Das ist wirkliches Leid.

Sasha Waltz hingegen ist sich zu vornehm, ihre Konflikte (in diesem Fall mit der Presse) selbst zu regeln. Ein Anruf von ihr oder eine E-Mail von ihr oder einem Sprecher mit persönlicher Ansprache hätten mich vielleicht davon überzeugt, dass wenigstens ihr Burn-out vor einigen Jahren kein Grund wäre, sie nicht zur Ballettchefin zu wählen.

Ohne Vorwarnung in solchen Fällen zum Anwalt zu rennen, finde ich indes hilflos.

Von daher muss ich sagen: Es hat sich erneut bestätigt, was schon das Staatsballett Berlin feststellen musste. Ein Dialog jenseits von Rechthaberei ist mit Waltz offenbar kaum möglich.

So hatte Waltz den Tänzerinnen und Tänzern vom SBB mal ein angeblich offenes Gespräch angeboten, aber hierzu sollten die Ballettkünstler ihre Fragen 24 Stunden vorher schriftlich bei Waltz und Öhman einreichen. So etwas ist kein offenes Gespräch!

Giselle contra Waltz

Nach dem Schweben kommt der Applaus: Ksenia Ovsyanick und Denis Vieira mit dem Staatsballett Berlin nach „Giselle“. Foto: Gisela Sonnenburg

Das Einreichen von Fragen – sowas ist zum Beispiel im Journalismus manchmal üblich, etwa, wenn es um kulturpolitische Fragen von großer Relevanz geht.

Bei einem Dialog unter Künstlern ist das einseitige Verlangen der Fragen vorab als Maßregelung und Begrenzung zu interpretieren.

Es ist ein Akt der Demütigung, von Weltkünstlern wie Iana Salenko und Ksenia Ovsyanick so etwas anzufordern. Es ist aber auch ein Akt autoritärer Willkür, so etwas überhaupt von einem Ensemble, das einem erst in der Zukunft anvertraut werden soll, einzufordern.

Liebes Staatsballett Berlin, denke bitte nicht immer nur an Deine künstlerischen Qualitäten – sondern wehre Dich weiter deutlich gegen die Pläne, Dir Waltz und Öhman vor die Nase zu setzen!

Für Sasha Waltz ist es nun vermutlich ein herber Rückschlag, dass sie dem ballett-journal.de nicht den ganz großen Maulkorb des Schweigens verhängen kann, den sie landgerichtlich so gern bekommen hätte.

Na, sie wird es überleben.

Aber dass sie künftig das Staatsballett Berlin versaut – das sollten alle, die Ahnung von Tanz- und Ballettkunst haben, helfen zu verhindern.

Noch einmal zum Mitschreiben für alle unkundigen Politiker: Ballett und Tanztheater sind nicht dasselbe!

Klassisches Ballett und modernes Ballett sind nicht dasselbe!

Guter Stil und Maulkorbgelüste sind auch nicht immer ein- und dasselbe!

Und Sasha Waltz sei angeraten – sollte sie nochmal ein Problem mit mir haben – mit mir direkt, und zwar diskret, zu kommunizieren, um eine Lösung zu finden. Ich bin ja kein Unmensch.

Eine große Kanzlei, die sich zudem möglicherweise schwer überschätzt, ist jedoch kein eleganter Ratgeber.

Giselle contra Waltz

Iana Salenko und Dinu Tamazlacaru beim Applaus nach „Giselle“ mit dem Staatsballett Berlin. Foto: Gisela Sonnenburg

Vielleicht guckt sich Waltz aber in aller Ruhe erst nochmal „Giselle“ beim Staatsballett Berlin an. Oder auch den „Nussknacker“. Oder „Dornröschen“. Oder sogar alle drei?

Womöglich bringt sie das ja zur offen zu bekundenden Einsicht, dass sie in diesem Laden irgendwie im völlig falschen Film sitzen würde.
Gisela Sonnenburg

www.staatsballett-berlin.de

 

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