Hochzeit im Klassenzimmer Kent Nagano dirigiert, nein: atmet „Lohengrin“ von Richard Wagner in der Hamburgischen Staatsoper

Streit im Klassenzimmer

Liebe im Schulzimmer: Titelheld „Lohengrin“ (Roberto Saccà) und Elsa (Ann Petersen) mit der ganzen Rasselbande in Peter Konwitschnys Inszenierung in der Hamburgischen Staatsoper. Foto: Arno Declair

Er dürfte der Beste seines Fachs für Wagner sein. Wenn Kent Nagano den Taktstock hebt, um die Partituren von Richard Wagner anzustimmen, dann kann man sich auf was gefasst machen: Klare, aber sanft geführte Melodiebögen; weiche, vereinnahmend gefühlvolle Mittellagen; weithin berauschende Bässe. Und bei allem Bombast ein Maßhalten und eine Stringenz, eine Balance und eine Deutlichkeit, dass man Wagner ganz bei sich wähnt. Wo andere ins Schwimmen kommen oder viel zuviel aufdrehen, bleibt Nagano auf dem Urgrund dieser Musik, ohne sie dabei klein zu machen – und er bringt das Orchester und die Sänger von da aus zum künstlerischen Höhen-, nein Überflug. Jüngstes Beispiel: Der „Lohengrin“, in einer interessanten Inszenierung von Peter Konwitschny in der Hamburgischen Staatsoper zu sehen – und natürlich zu hören.

Konwitschny hat das Drama um Unschuld und Vertrauensbruch mit kühner Regiehand in ein Klassenzimmer verlegt. Genial und grandios, dieser Einfall! Man fühlt sich zunächst fast an die „Feuerzangenbowle“, diesen Heinz-Rühmann-Film, erinnert, so keck werfen die Schüler (also die Herren vom Chor) mit Papierbällchen.

Aber bald wird klar: Der Pauker Telramund ist ganz und gar kein Komiker. Wolfgang Koch singt und spielt die große Partie des aufgestachelten Bösewichts mit angemessenem Ernst und ausgestelltem Ehrgeiz in der Stimme. Immerhin geht es ja um die künftige Herrschaft; Telramunds Gattin Ortrud ist da sehr hinterher.

Sie ist die treibende dämonische Kraft im Stück – und hat auch musikalisch die stärksten Möglichkeiten. Tanja Ariane Baumgartner ist hier nahezu eine Idealbesetzung: mit rotbezopftem Perückenschopf und im kleidsamen Schulmädchenschwarz lässt sie den Willen zur Macht in all seinen Facetten erschallen.

Immer wieder gelingt es ihr, ihren Mann und andere aufzuhetzen: gegen die blonde Elsa, die in ihrer weißen Bluse ganz die liebe Maid darstellt. Ann Petersen ist aber auch eine gute Besetzung; sie singt die Elsa nicht zu zaghaft, nicht zu kraftlos, macht aber die Mädchenhaftigkeit der Rolle schön deutlich.

Streit im Klassenzimmer

Kent Nagano nach der „Lohengrin“-Aufführung am 13.11.16 am Bühnenausgang der Hamburgischen Staatsoper: Er gibt freundlich Autogramme. Foto: Beatrix Morick

Am wichtigsten auch für den Nachgeschmack ist jedoch der Titelheld: besetzt mit Roberto Saccà. Lohengrin ist hier kein arroganter Draufgänger, kein übergeschnappter Elitezögling oder gar ein wandelndes Mysterium. Sondern er ist vor allem ein Mensch, der helfen will.

Und: ein Mann, der reif für die Liebe ist.

Das singt und spielt Saccà vorzüglich. Der Charakter des Schwanenritters zählt hier mehr als seine hehre Abkunft, und dass Lohengrin sozusagen von der Schuldirektion geschickt wurde, um in die Vorabverurteilung Elsas einzugreifen, entspricht ganz diesem Lohengrin-Naturell: Er hat, ganz klar, ein sympathisches Helfersyndrom.

Die Liebesszenen zwischen ihm und Elsa sind dennoch von berückender Sinnenhaftigkeit.

Dass Elsa ihren Bruder, den rechtmäßigen künftigen Herrscher über Brabant, im Waldweiher ertränkt haben soll, glaubt man ohnehin nicht eine Sekunde. Aber erst am Ende verplappert sich Ortrud im Zorn und gesteht, in einer fantastischen Wutarie, dass sie selbst den jungen Mann in einen Schwan verwandelt habe.

Es ist derselbe, der Lohengrin nach Brabant brachte.

Mein lieber Schwan! In Konwitschnys Inszenierung ist der Vogel indes kein Vogel, sondern zunächst, als Lohengrin mit ihm von unten durch einen Lichtschacht auf die Bühne kommt, ein Kind. Es deutet den Schwan nur an, mit Flügelbewegungen der Arme.

Streit im Klassenzimmer

Lohengrin besiegt Telramund – immer und immer wieder… aber sein „süßes Weib“ Elsa lieben darf er deshalb noch lange nicht. Szenenfoto aus Peter Konwitschnys „Lohengrin“ mit Roberto Saccà in der Hamburgischen Staatsoper. Foto: Arno Declair

Am Ende – und das ist ein konsequent schockierender Effekt – ist dieses Kind mit schwerem Metallhelm und einem im Anschlag gehaltenen Maschinengewehr ausgestattet. Wir sehen dieses Gör von hinten, es zeigt uns jetzt nicht mal sein Gesicht: Der künftige Herrscher dieser Gesellschaft, die nie erwachsen werden will, wird also Krieg bringen. Sehr viel Krieg.

Dass Gottfried, so heißt der Junge, überhaupt zu diesem Zeitpunkt zurück verwandelt ist, verdankt er indes dem Vertrauensbruch seiner Schwester an Lohengrin. Was für ein Paradoxon!

In der Hochzeitsnacht – hier neckisch-lapidar auf blütenweißem Matratzenlager zwischen Schulpulten ins Klassenzimmer hinein drapiert – konnte Elsa ihre Neugier und ihr Misstrauen nicht zurück halten. Sie fragte Lohengrin, wer er sei. Genau das hatte er ihr aber verboten, hatte als Gegenleistung für ihre wundersame Rettung durch ihn verlangt, dass sie ihn als Anonymous akzeptiert.

Hatte er doch Telramund im Duell für Elsa mit quasi blindem Glauben an ihre Unschuld besiegt!

Helmut Brade, der Ausstatter, hielt sich im Verein mit Regisseur Konwitschny auch in diesen Szenen ganz ans Klassenzimmer-Konzept. Holzschwerter stehen darin symbolisch, aber auch ganz realistisch als Spielzeug wie als Waffe.

Der Krieg gegen die Ungarn spielt denn auch in den Untertönen von Beginn an mit, hier im „Lohengrin“.

Der letzte Akt dann spielt auf kahler Bühne, nur der Schacht für Lohengrin ist da, als er entschwindet – eine Strafe für Elsa, weil sie ihm nicht ebenso blind vertrauen konnte wie er ihr.

Ortrud ist entlarvt, Telramund entehrt, der König mit seiner Karnevalskrone (der Rolle angemessen hin- und hergerissen: Wilhelm Schwinghammer) ist wie immer ratlos.

Streit im Klassenzimmer

Telramund (Wolfgang Koch) am Boden, die verzankten Freundinnen Elsa (Ann Petersen) und Ortrud (Tanja Ariane Baumgartner) auf der Schulbank: So zu sehen und zu hören im bravourösen „Lohengrin“ von Peter Konwitschny in Hamburg. Foto: Arno Declair

Ende gut – gar nichts gut, außer der Kunst. So macht man aus einem altbekannten großen Stück ein brennend aktuelles Zeitgeistdrama.

P.S. Oder hat irgendwer noch Zweifel daran, dass es wegen der großen Spaltungen durch Überbevölkerung in Deutschland bald wieder Krieg geben wird?

Wieder mit Kent Nagano am Freitag, den 18.11.16, um 18 Uhr in Hamburg (für Anreisende aus Berlin: Es gibt danach noch einen Zug zurück!)

www.hamburgische-staatsoper.de

 

 

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