Die Kraft der Poesie Nadja Saidakova nimmt beim Staatsballett Berlin mit „Onegin“ und Jason Reilly ihren Bühnenabschied – und wird Ballettmeisterin

Nadja Saidakova wechselt im Ballettsaal die Seite

Nadja Saidakova bei der „Ballett-Universität“ im Mai 2017 im Foyer de la Danse in der Deutschen Oper Berlin: gefasst und visionär gleichermaßen. Foto: Gisela Sonnenburg

Es war im März 2013. Das Staatsballett Berlin probte den „Ring um den Ring“, dieses monumentale Werk mit Musik von Richard Wagner, aus der choreografischen Hand von Maurice Béjart. Ich hatte die Ehre, eine Woche lang bei den Proben im Ballettsaal zuzusehen. Der Ballettmeister war Bertrand d’At, ein früherer Mitarbeiter von Béjart, der damals als Gastcoach autorisiert und zuvor Ballettdirektor in Straßburg war. Bertrand starb später an einem Herzleiden, tragisch und kurz vor seinem Hochzeitstermin. Hätte er weniger arbeiten und gesünder leben sollen? Aber in jenen Berliner Tagen war von seiner Erkrankung nichts zu spüren; er arbeitete mit ruhiger Hand, leiser Stimme und unüberbietbarer Genauigkeit. Wenn eine besonders poetische Passage ihn rührte – zumal weil die Tänzer sie so vollkommen hingegeben probten – begann er ein wenig vor Glück zu weinen. Still, ergeben, zärtlich. Eine Tänzerin war ihm eine besondere Freude: Nadja Saidakova, die Darstellerin der Brünnhilde.

Sie war die Walküre, die keusche Gottestochter, die hehre Jungfrau, die mit Speer und scharfen Posen ein Ausbund kämpferischer Weiblichkeit darstellte.

Mit großen Schritten stakste Saidakova ins scharf gestreckte Piqué, warf zugleich ein Bein in ein hohes seitliches Grand Battement. Sie stand auf Zehenspitzen. Stand da wie gemeißelt – und für einige Sekunden schien die Zeit stehen zu bleiben.

Wenn Nadja Saidakova als Walküre dann noch ihren Speer benutzte, damit aufstampfte, ihn schwang wie einen Zauberstab – wer wollte daran zweifeln, dass diese Frau die Welt bewegt?

„Es war immer eine sehr schöne Zeit, dieses Ballett zu proben und zu tanzen“, sagt Nadja mit fast zirpender Stimme, langgezogenen Vokalen und musikalisch rollendem „r“.

Nadja Saidakova wechselt im Ballettsaal die Seite

Nadja Saidakova als Walküre Brünnhilde in „Der Ring um den Ring“ in der Meisterchoreografie von Maurice Béjart beim Staatsballett Berlin. Foto: Bettina Stöß

Sie tanzte die Walküre nicht nur in der Wiederaufnahme 2013, sondern hat auch mit Béjart – der 2007 verstarb – noch selbst in Berlin geprobt. Auch er war beeindruckt von Saidakovas Befähigung und Ausstrahlung. Michael Banzhaf (www.ballett-journal.de/staatsballett-berlin-michael-banzhaf-kammertaenzer/), den er ihr als Siegfried an die Seite gab, war mit seinem robust-männlichen Körperbau ein erotischer Gegensatz zur superschlanken Saidakova.

Da stürmte Siegfried auf den schwarz glänzenden Konzertflügel auf der Bühne zu, der den Walkürenfelsen darstellte.

Dort schlummerte, hingegossen wie eine Fee, Brünnhilde, verkörpert von der feingliedrigen Nadja. Siegfried hob sie hoch, trug sie nach vorn, legte sie ab – und küsste sie, kniend über sie gebeugt. Noch bevor sie erwachte, kontrahierte ihr zarter Körper. Als wäre ihr neues Leben eingehaucht, ließ sie sich mit enormer Wolllust erneut emporheben. Über seinem Kopf schwebend, öffnete sie, bereits im Liebesrausch, die Augen: wie für die Ewigkeit. Was für eine Kunst!

Der Weg dorthin war allerdings nicht leicht.

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Sie weiß, wovon sie spricht, wenn sie die eigene Biografie nicht beschönigt darstellt: Nadja Saidakova in der „Ballett-Universität“ in Berlin. Foto: Gisela Sonnenburg

Nadja Saidakova wurde vor 45 Jahren in der UdSSR geboren. Als Kind tanzte sie in einer Laiengruppe. Sie war gut, sie fiel auf. Und die Lehrerin empfahl den Eltern, sie für die Ballett-Ausbildung anzumelden.

Als Nadja neun war, lebte sie zusammen mit rund 300 anderen Ballettschülern in Perm im Ballettinternat. Acht Jahre dauert die Ausbildung. Eine Zeit, voll von Schmerz und Leid, neben der Freude am Tanzen.

Jean-Christophe Maillot, der welterfahrene französische Choreograf, sagt über die Ballettausbildung in Russland: „Für das, was manche Lehrer dort mit den Kindern machen, würden sie zum Beispiel in Frankreich verhaftet.“

Das kann Nadja nur bestätigen: „Ich würde meinen Kindern nie eine so harte Ausbildung zumuten wollen.“

Manchmal, sagt sie, blieb der Abdruck einer schlagenden Hand tagelang auf der Innenseite des Oberschenkels zu sehen.

Dressur und Drill waren an der Tagesordnung – es war wohl wie im Bilderbuch der Abschreckung.

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Privat waren die Lehrer ganz anders zu den Kindern, luden sie zu sich ein, waren freundlich, warmherzig – Autoritäten, die die fernen Eltern ein Stück weit zu ersetzen suchten.

Niemand in Nadjas Umkreis zweifelte das sadomasochistisch geprägte Programm an. Die Kinder fügten sich, ohne zu murren, trainierten sechs Tage die Woche – und freuten sich wie kleine Gefangene auf die wenigen Feier- und Ferientage.

„Ich hatte noch Glück“, sagt Nadja heute, denn besonders brutale Lehrer hatte sie nicht im regulären Unterricht, sondern „nur“ als Coach für die Vorbereitung von Aufführungen. Nestwärme versuchten sich die Zöglinge gegenseitig zu geben: Die Kinder hielten zusammen, trotz starken Konkurrenzdrucks.

Die Permer Akademie war und ist übrigens sehr angesehen und brachte viele erfolgreiche Ballerinen und Ballerinos hervor. Sie wurde 1943 gegründet und geht auf die Waganowa-Ballettakademie in Leningrad zurück. Diese wurde während des Krieges nach Perm ausgelagert; nach dem Krieg wurde dort ein eigenständiges Institut aufgebaut.

Dass heute über die Schattenseiten der professionellen und international anerkannten Ballettausbildungen überhaupt gesprochen wird, ist neu; aber das Bedürfnis, nicht alles zu verschweigen, bricht sich hier und da Bahn.

Nicht nur in Russland ähneln Ballettausbildungen mitunter einer Tierdressur.

Es wird wohl zumeist nicht willkürlich Gewalt angewandt, nicht nur aus einer Laune oder gar aus reinem Sadismus heraus. Aber doch gezielt, um Motivation, Gehorsam und Muskelanstrengung zu verstärken.

Und auch von folterähnlichen Demütigungen wird berichtet. Die jungen Menschen sollen abgehärtet werden – und ihre Grenzen immer weiter überschreiten lernen. Wer so ein System durchlaufen hat, ist so leicht nicht mehr zu schockieren.

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Die Gala des Étoiles lockt nach Luxemburg: am 20. und 21. Mai 2017 findet hier das Spitzentreffen vieler verschiedener Ballettsuperstars statt. Nicht verpassen! Zu den Tickets geht es hier: www.luxembourg-ticket.lu/fr/8/eid,10227/gala-des-%C9toiles-2017.html Foto: Press Photo

Inwieweit und wo heute noch derartige Unterdrückungsmuster lebendig sind, ist unklar. Insgesamt, so die Meinung der meisten Insider, ersetzen softere Unterrichtsmethoden die ganz harten Strategien. Klar aber ist: Eine Profiballettausbildung ist nichts für Empfindliche.

Nadja Saidakova sieht allerdings auch Positives in dem Ehrgeiz und all der Willenskraft, die sich bei ihr unter diesen Bedingungen entwickelten: „Die Ausbildung hat mich hart gemacht, sie hat mich gestählt, und ich habe gelernt, vieles zu ertragen, auch vieles zu opfern. Das hat mir später sehr geholfen.“

So, als Nadja 1997/98 im Anschluss an eine Stressfaktur – einen Ermüdungsbruch am Knochen – mit starken Problemen zu kämpfen hatte: „Ich habe dadurch gelernt, aus Krisen Kraft zu schöpfen.“

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Nadja Saidakova als Königin im „Schwanensee“ von Patrice Bart mit dem Staatsballett Berlin. Foto (Ausschnitt): Sandra Hastenteufel

Schnitt. Als Königin in „Schwanensee“ in der Inszenierung von Patrice Bart zeigt Nadja Saidakova tänzerisch den Konflikt einer reifen, dominanten Frau, die einen machtbesessenen Premierminister lieb. Der will ihren Sohn, den Prinzen, vernichten. Saidakova tanzt das mit sprichwörtlicher Eleganz, aber auch Dramatik. Schauspiel und Tanz vermischen sich. Sie ist eine Bart-Interpretin der ersten Berliner Stunde.

Denn auch als Barts „Giselle“ reüssierte sie schon, voller Anmut und mit melancholischer Romantik in den kontrolliert geführten, zugleich wie geatmet wirkenden Bewegungen.

Der frühere Nurejew-Assistent Bart sank vor Begeisterung für sie auf die Knie.

Hinzu kommt bei Nadja eine Bühnenpräsenz, wie sie nur ganz wenigen Primaballerinen zueigen ist. „Ich habe immer alles als Rolle gesehen, auch Partien in abstrakten Stücken, wie in ‚Symphony in C“ von George Balanchine“, sagt sie.

Ausdruck statt Angeberei ist Saidakovas Stil – nie fiel sie der Eitelkeit anheim, ihr hohes technisches Können auszustellen und sich darauf allein zu verlassen.

Von der kecken Klara im „Nussknacker“ über den edlen „Schwanensee“ (hier zunächst in der Hauptrolle der Odette / Odile) bis zum flinken Unisex-Girl in William Forsythes „Herman Schmerman“, von Solveig in Heinz Spoerlis „Peer Gynt“ bis zur modern-mondänen Eleganz bei Itzik Galili: Nadja Saidakova erfand sich für jede Rolle, jedes Stück neu.

Ihre Lebenspartie, die der Tatjana im „Onegin“ von John Cranko, tanzt sie seit 2003. Und wie!

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Nadja Saidakova als Tatjana in „Onegin“ in den Armen ihres Schicksals… noch einmal in Berlin zu sehen! Foto: Enrico Nawrath

Wie sie da zu Beginn als Mädchen Tatjana vor dem Mann, dem sie verfallen wird, erschrickt! Und wie sie am Ende des Stücks um ihr mentales Überleben kämpft, indem sie ihm die Tür weist! Man meint jedes Mal, das Stück zum ersten Mal zu sehen – und doch versteht man die komplizierte Beziehung zwischen Tatjana und Onegin ad hoc, wenn Saidakova tanzt.

Mit sieben verschiedenen Partnern zeigte sie schon den erschütternden Konflikt einer Frau, die sich gegen ihre Leidenschaft entscheidet – ein Fall von Selbstüberwindung und innerer Kraft, der in der Tat fürs Ballett wie gemacht zu sein scheint.

Jetzt probt Saidakova mit ihrem achten „Onegin“-Partner: für ihre Abschiedsvorstellung am 19. Mai 2017. Nie zuvor tanzte sie mit Jason Reilly, Star vom Stuttgarter Ballett. Aber beide kennen den „Onegin“ bestens – höchste Zeit, dass sie zusammen ihr Partnerdebüt geben.

Mit dieser Partie wird Saidakova sich von der Bühne verabschieden. Immerhin geht damit ein Wunsch von ihr in Erfüllung, bevor sie ganz auf die Seite der Ballettmeister wechselt.

Im letzten Jahr hat sie zunehmend für die tanzenden Kollegen als Coach gearbeitet.

Ballettmeister sind ja Trainer, Spielleiter, „Dirigenten der Körper“, wenn man so will – und für Nadja Saidakova und das klassische Ballett sind sie auch diejenigen, die die Geheimnisse bestimmter Rollengestaltungen in historischen Ballettinszenierungen weiter geben.

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„Schwanensee“ – mit Vladimir Malakhov (links) und Nadja Saidakova (mittig hinten) als Sohn und Mutter in Bedrängnis und Konflikten… Foto vom Staatsballett Berlin: Sandra Hastenteufel

Erfolge als Ballettmeisterin kann Saidakova schon vorweisen. So mit der „Giselle“ ihrer Kollegin, der Primaballerina Ksenia Ovsyanick. Und mit deren Olga in „Onegin“  – diese gelang beiden sogar so gut, dass man sagen muss: Ovsyanick ist sicher eine der besten Olgas überhaupt, so pur und unverfälscht, so weiblich und kokett, aber nie artifiziell oder aufgesetzt. „Olga habe ich selbst nie getanzt“, sagt Saidakova mit schelmischem Blick. Denn als Tänzerin ist sie mehr auf große Theatralik, nicht auf leichtherzige Lyrik spezialisiert.

Was nicht heißt, dass sie Lyrik nicht schätzen würde!

Auch verbale Poesie ist Teil ihres Lebens. Die Verse von Alexander Puschkin, der als russischer Nationaldichter im 19. Jahrhundert den „Onegin“ wie auch andere erzählende Lyrik schrieb, sind der Saidakova ins Herz eingeschrieben wie Gebete.

Viele dieser Zeilen kennt sie seit ihrer Kindheit auswändig – und wenn sie Gelegenheit hat, trägt sie sie gern vor.

So in der jüngsten „Ballett-Universität“ im Foyer de la Danse im Ballettzentrum, angesiedelt in den Arbeitsräumen der Deutschen Oper Berlin.

Ausgedruckte Fotos hingen da wie Fahnen von der Decke, sanftes rotes Licht flutete das Podium.

Nadja Saidakova las, mit gut verständlicher Stimme auf russisch, Puschkin vor – aus „Onegin“, später aus dem Märchen „Ruslan und Ludmilla“.

So also ist Saidakova ganz persönlich, so kennen sie sonst nur ihr Lebensgefährte, der Berliner Ballerino Vladislav Marinov, und ihre beiden Kinder.

Die Kraft der Poesie – das könnte das Credo der Kulttänzerin sein.

Aber es gibt auch noch eine andere Antriebsfeder bei Nadja Saidakova: eine heimliche Maßlosigkeit im Umgang mit sich selbst. Sie hat die Tendenz, zuviel von sich zu verlangen.

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Lauter Nadja-Saidakova-Ausdrucke im Fahnenhimmel: so gesehen bei der „Ballett-Universität“ im Mai 2017 im Foyer de la Danse in Berlin. Foto: Gisela Sonnenburg

Sie musste – bereits als erwachsene, erfolgreiche Ballerina – erst lernen, mit dieser eigenen Ambition, mit diesem Überehrgeiz, umzugehen. Sie hätte sich sonst fast überfordert, sie musste sich bremsen, auch bremsen lassen.

Im Jahr nach ihrer Stressfraktur brach etwas in ihr auf, sie haderte mit sich, ihr Himmel verfinsterte sich – bis sie die Depression mit Saidakova’scher Beharrlichkeit überwand.

„Seither kenne ich mich noch besser“, sagt sie, und diese tiefe Kenntnis der eigenen Psyche hilft ihr, anderen zu helfen, wenn es darum geht, aus Tanz eine Kunst mit Seele zu machen.

Das Staatsballett Berlin wird davon profitieren, eine so selbsterfahrene Ballettmeisterin zu haben.

Aber wie kam sie eigentlich nach Berlin?

Saidakova tanzte nach dem Studiumsabschluss im Klassischen Ballett Moskau, lebte in einer Tänzer-WG zusammen mit Vladimir Malakhov.

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„Peer Gynt“ von Heinz Spoerli war beim Staatsballett Berlin ein großer poetischer Erfolg: mit Nadja Saidakova als Solveig und „Peer Gynt“ Vladimir Malakhov. Foto: Bettina Stöß

Choreograf und Ballettdirektor Heinz Spoerli entdeckte Nadja in einer kleinen Solopartie während einer Aufführung, er ließ sich ihr vorstellen – und versprach ihr trotz ihrer Jugend die Odette / Odile in „Schwanensee“, wenn sie zu ihm nach Düsseldorf wechsle. Auf einer Tournee setzte Nadja sich dann ab, blieb in Deutschland. Und tanzte, noch blutjung, die Hauptpartien von „Schwanensee“. Man lag ihr zu Füßen!

Einer ihrer Bühnenpartner in Düsseldorf war übrigens Jörg Mannes, der heutige Ballettdirektor in Hannover.

Als das Angebot von der Staatsoper Unter den Linden aus Berlin kam, konnte sie nicht ablehnen: seit 1995 tanzt sie in der Spree-Metropole.

Als sie kam, war sie sofort ein Hingucker: weniger dünn als andere Ballerinen war sie damals, dafür doppelt so sinnlich.

Und sie war aufgeschlossen, tanzhungrig, energetisch offen für alles.

Sie machte Karriere, keine Frage. Und wurde, als Vladimir Malakhov seit 2004 das Staatsballett Berlin anführte, zu einem wandelnden Begriff in der internationalen Ballettwelt. Die Saidakova, olala! Jede Gala mit ihr ist etwas Besonderes.

Aber ohne guten Partner, sagt La Saidakova, lässt es sich nicht gut tanzen. Sie lebt für die besonderen Momente auf der Bühne, die ein intensiver Austausch, ein Geben und zugleich ein Nehmen sind – wenn man so will: ein Lieben.

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Noch ein Blick auf den Bilderhimmel mit Nadja Saidakova während der „Ballett-Universität“ im Mai 2017 in der DOB. Foto: Gisela Sonnenburg

Viele solcher Momente hatte sie mit „Vladi“. Für Malakhov und sie war es damals ein unerwartetes, beglückendes Wiedersehen in Berlin. Ihm tat es gut, dass ihm da eine Kollegin aus Moskauer Tagen beim Einleben in die deutsche Hauptstadt half.

Aber auch Spoerli traf sie in Berlin erneut, als er seinen „Peer Gynt“ einstudierte. Der nicht geringe Ärger darüber, dass sie seine Truppe verlassen hatte, war verflogen – Spoerli genoss es, dass ihm die schöne Nadja als Solveig zur Verfügung stand.

Im Laufe ihres Berufslebens wurde Saidakova immer mehr ein bestimmter Typ: wandelbar, aber sehr ätherisch in allem, was sie tanzt und auf der Bühne macht. Sie wurde schlanker und schlanker – und ist heute mit Mitte 40 so zart, dass man bei einer Umarmung Angst hat, sie zu zerbrechen.

Dafür kann sie noch Vieles tanzen wie eine 30-Jährige – und sie profitiert auch von der Ausnahmesituation, in der sich das Staatsballett Berlin derzeit befindet. Denn unter Malakhov hätte Saidakova vermutlich, wie alle anderen Damen damals auch, mit 42 Jahren die Berliner Ballettbühnen verlassen müssen.

Jetzt aber darf sie eine Art persönlichen Rekord aufstellen – und die reifste ihr mögliche Tatjana zeigen.

Für Nadja ist das Tanzen aber nicht alles. Sie wollte an sich arbeiten, sie wollte lernen, das weiter zu geben, was sie kann.

2011 erwarb sie ein Diplom beim weltbekannten Bolschoi-Ballettmeister Boris Akimov in Moskau, bei dem sie häufig trainiert hatte. „Er ist so fantastisch beim Arbeiten“, schwärmt die Primaballerina, sehr viel habe sie bei ihm gelernt.

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Facebook hat es gepostet: Boris Akimov (dritter von links) mit prima Ballerinos vom Hamburg Ballett, inklusive Otto Bubenicek (dritter von rechts) als Trainingsgast im Mai 2017. Faksimile: Gisela Sonnenburg

Akimov ist weltweit als Trainer eine legendäre Größe – derzeit weilt er in Deutschland, unterrichtet das Hamburg Ballett.

„Er hat mir viel Rückenwind für meine Arbeit als Ballettmeisterin gegeben“, sagt Nadja. Und ist doch ganz bescheiden, betont immer wieder, dass sie mit dieser Arbeit eigentlich noch ganz am Anfang stehe.

Zumal sie jetzt in Sachen „Onegin“ für eine Vorstellung nochmals das Lager wechselt. Zurück auf die Bühne!

„Du bist mir oft im Traum erschienen, / Ich liebt’ Dich, eh ich Dich gesehn, / Dein Zauberblick ließ mich vergehen, / Und Deine Stimme klang tief innen / Mir längst… das war kein Traum, viel mehr!“

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Nadja Saidakova konzentriert sich auf Lyrik von Puschkin… so gesehen und gehört in der „Ballett-Universität“ im Mai 2017 in der DOB. Foto: Gisela Sonnenburg

So schreibt Tatjana, verliebt bis über beide Ohren, bei Puschkin an den arroganten Lebemann Onegin – und Nadja fühlt sowohl diese Mädchenseele als auch den gereiften Geist der Tatjana aus dem dritten Akt ganz. Für sie ist das eine Einheit, nicht zu trennen.

„Wenn wir proben, fällt es mir als Tänzerin schwer, mit dem Schluss anzufangen“, gesteht sie. „Ich brauche die Entwicklung der Tatjana, denn sie ist ja logisch und notwendig, und ich muss das alles fühlen, um es dann voll einzubringen.“

Ihr Publikum spürt und liebt an ihr genau das!
Gisela Sonnenburg

Nadja Saidakova: noch einmal in „Schwanensee“ am Sonntag, 14. Mai 2017, in der Deutschen Oper Berlin – und am Freitag, 19. Mai 2017 in „Onegin“ im Schiller Theater in Berlin

www.staatsballett-berlin.de

 

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