Abschied von der frühen Jugend Der Spielzeitwechsel ist manchmal auch mit dem Wechsel des Arbeitsplatzes verbunden

Veränderung gehört beim Spielzeitwechsel dazu.

Das Stück „Infinite Identities“ vom Bundesjugendballett (BJB) umfasst neun Einzelchoreografien von verschiedenen Choreografen, musikalisches A und O dabei: Gustav Mahler. Vier BJB-Mitglieder treten jetzt neue Engagements an. Foto: studio visuell

Das war’s: Mit der letzten Vorstellung des Bundesjugendballetts in der Spielzeit 2014/2016 – mit „Infinite Identities“ im Konzerthaus am Gendarmenmarkt in Berlin – steht nun langsam, aber sicher allüberall in Deutschland der Spielzeitwechsel auf dem Programm. Die Ensembles verändern sich, manche Mitglieder gehen, andere kommen dazu, auch die Repertoires verändern sich. In den Grundfesten aber ist mit einer genussvollen Fortsetzung der in Deutschland außerordentlich erfolgreichen Ballettsaisonen zu rechnen. Highlights wird die Saison 2015/16 voraussichtlich zur Genüge bieten – einige werden hier stellvertretend gewürdigt, ebenso wie einige Tänzerinnen und Tänzer, die ihr Engagement wechseln.

Ilana Werner ist da ein besonderer Fall: Die anmutige, sowohl in klassischen als auch in modernen Stücken mit Persönlichkeit faszinierende Solistin vom Bayerischen Staatsballett traut sich auf französische Pfade – und tritt, ebenfalls als Solistin, beim Ballet du Capitol in Toulouse an. Dort hat die in Zürich geborene, in Zürich, Monte Carlo und München ausgebildete Ballerina bereits intensive Proben als Myrthe in „Giselle“ hinter sich – wir wünschen ihr alles erdenkliche Gute und ermuntern uns gegenseitig, mal in ballettösen Angelegenheiten nach Frankreich zu fahren, und zwar ausnahmsweise nicht nach Paris, sondern eben nach Toulouse!

Veränderung gehört beim Spielzeitwechsel dazu.

Ilana Werner, hier beim Bayerischen Staatsballett mit Karen Azatyan als Titelpaar in „Romeo und Julia“ von John Cranko zu sehen, wechselt von München nach… Toulouse! Foto: Charles Tandy

Auch vier Mitglieder des Hamburger Bundesjugendballetts (BJB) verändern sich: Der vielseitige und geschmeidige Nicolas Gläsmann, gebürtiger Düsseldorfer und in Hamburg ausgebildet, bleibt bei John Neumeier und wechselt ins Hamburg Ballett. Seine bisherige Kollegin, die expressiv-temperamentvolle Maria del Mar Hernandez, Spanierin und in Madrid und Hamburg ausgebildet, tritt beim Ballett Basel in der Schweiz an – sie  lässt den letzten Teil ihres Nachnamens dort erst mal weg. Glückwunsch, Maria del Mar!

Hélias Tur-Dorvault, in Marseille gebürtig und dort sowie in Hamburg ausgebildet, geht mit all seiner Grandezza und all seinem Körperwitz zum NDT 2, also der Nachwuchstruppe vom Nederlands Dans Theater in Den Haag. Damit folgt er bereits einer kleinen Tradition, denn auch Yukino Takaura, die Tänzerin in der ersten Generation des BJB ab 2011 war, ging bereits vom einen Übergangsprojekt, nämlich dem BJB, in das nächste, nämlich nach Den Haag, in die renommierte Minitruppe. Da der Mensch nie auslernt, ist das bestimmt ein interessanter Weg!

Der extrem bühnenpräsente, in Hamburg ausgebildete Ukrainer Yehor Hordiyenko schließlich – den viele gern weiter in Hamburg gesehen hätten – geht nach Essen ans Aalto Theater, unter das Ballettdirektorat des inspirierten Choreografen Ben Van Cauwenbergh. Seinem Talent für große Sprünge wird der schöne Yehor dort sicher gut frönen können. Da auch die aus Dresden bekannte, grandios-moderne „Giselle“ von David Dawson dort auf dem Spielplan steht, muss man voll Vertrauen sein und endlich auch in Essen ins Ballett gehen. Alles Gute!

NEUE LEBENSETAPPEN BEGINNEN

Für all diese KünstlerInnen ist nun womöglich ein Abschied von ihrer frühen Jugend angesagt – das Leben wird ja mit zunehmenden Jahren nicht unbedingt leichter. Da heißt es tapfer sein und weiter machen! Ein Wechsel birgt naturgemäß immer auch Risiken und Nebenwirkungen – vor allem, wenn man aus einer so exponierten und erfolgsverwöhnten Kleintruppe wie dem BJB kommt, in dem jeder der acht Spitzentänzer so etwas wie ein Solist ist. In den neuen Ensembles heißt es dann, sich lächelnd und mit Aplomb hochzuarbeiten, auf Glück, Geduld und das eigene Können setzend. Aber die Mühe lohnt sich ja zumeist, gerade im Ballett: ein befriedigenderer Beruf ist für ProfitänzerInnen, die ein faires Engagement haben, zumeist gar nicht vorstellbar.

In Essen lockt übrigens schon am 30. August ein „Tag der offenen Tür“: ab 12 Uhr stehen die Tore offen, um sich im Aalto-Theater mit dem Flair des Ensembles vertraut zu machen. Auch das Semperoper Ballett in Dresden beginnt die neue Spielzeit frühzeitig: „Impressing the Czar“ von William Forsythe eröffnet am 9. September dort die Saison, und wo wir gerade in Dresden sind: am 7. November wird dort Kenneth MacMillans „Manon“ mit der Musik von Jules Massenet premieren, es wird zugleich die letzte große Rolle des Weltstartänzers Jiří Bubeníček sein, der sich danach ganz der Choreografie zuwenden wird.

Veränderung gehört beim Spielzeitwechsel dazu.

Poetisch, dramatisch, technisch und inhaltlich anspruchsvoll: „Tristan + Isolde“ von David Dawson beim Semperoper Ballett in Dresden. Foto: Gisela Sonnenburg

„Tristan + Isolde“, ein wirklich umwerfend ergreifendes neues Ballett von David Dawson, das erst letzte Spielzeit mit der ebenfalls mitreißend-schwelgenden neuen Musik von Szymon Bróska uraufgeführt wurde, wird am 17. Januar 2016 wieder getanzt – man sollte schon jetzt eine Fahrt nach Dresden einplanen, wenn man daran Interesse hat, bedeutende modern-klassische Ballettkunst zu sehen.

Veränderung gehört beim Spielzeitwechsel dazu.

So schick sieht die edel Papier gewordene „Vorschau“ beim Staatsballett Berlin auch nach ein paar Stunden Sonne auf dem Balkon noch aus. Auch der Inhalt verheißt die für Berlins Startruppe typische Mischung aus puristischer Tiefsinnigkeit und verspielter Detailfreude. Zeitgenössische Choreografien und klassische Ballette wechseln sch nämlich ab. Prägend ist dabei – auch für die wellenförmige Pose des Quintetts auf dem Cover der „Vorschau“ – die stilbewusste Handschrift des Ballettintendanten Nacho Duato. Faksimile: Gisela Sonnenburg

Das Staatsballett Berlin (SBB) lockt mit „Duato / Kylián / Naharin“ zu einem vielversprechenden zeitgenössischen Abend, mit Stücken von Nacho Duato, Jiri Kylián und Ohad Naharin, dem Erfinder einer eigenen Bewegungslehre: am 22. Oktober ist in der Deutschen Oper Berlin die Premiere. Repertoire-Stücke wie „Onegin“, „Giselle“  und Duatos „Dornröschen“ tanzt das SBB ohnehin so virtuos wie beglückend – weitere Highlights werden mit hoher Wahrscheinlichkeit die kommenden Premieren sein, darunter „Herrumbre“ („Rost“) von Nacho Duato (Premiere am 14. Februar 2016). Außerdem kann man in Berlin alle drei Tschaikowski-Ballette sehen!

Auch das Stuttgarter Ballett punktet mit einem originalen Tschaikowski, nämlich dem „Dornröschen“ – und wie in Berlin sind hier auch die verschiedenen Besetzungen jeweils eine Extra-Ansicht wert. Die Version von Marcia Haydée ist allerdings traditioneller als die von Nacho Duato, weshalb gerade die Kenntnis beider Fassungen sich in absolut erhellender Weise anbietet. Ungewöhnlich wird bestimmt der Abend zum Genre „Kammerballett“ mit je einem Stück von Hans van Manen, Glen Tetley und dem Stuttgarter Nachwuchstalent Katarzyna Kozielska (welches auch uraufgeführt wird) – Premierentermin ist am 4. März 2016.

Veränderung gehört beim Spielzeitwechsel dazu.

Das Stuttgarter Ballett bietet gleich mehrere moderne Triple Bills – hier ein Blick ins Spielzeit-Begleitbuch der Staatstheater Stuttgart. Faksimile: Gisela Sonnenburg

Das Hamburg Ballett bietet, wie erhofft, weiterhin ein sattes John-Neumeier-Panorama; jede Auswahl seiner über 150 Meisterwerke ist es wert, besehen zu werden. Höhepunkte sind natürlich die Premieren sprich Uraufführungen des genialen Ballettsouveräns: So erwartet uns am 6. Dezember die „Duse“, also ein getanztes Künstlerportrait der Schauspielerin Eleonora Duse, mit Alessandra Ferri in der Hauptrolle. Aber auch die „Ersten Schritte“, die Gala der Hamburger Ballettschule – John Neumeier ist erfahrungsgemäß ein Highlight: Professionell bis in die kleinen Zehen der Kinder und Teenager wird da gearbeitet und getanzt (14. Juni 2016).

Veränderung gehört beim Spielzeitwechsel dazu.

Das Spielzeitbuch vom Hamburg Ballett – John Neumeier beweist: Das Ballett „Duse“ ist bereits fest eingeplant; im Untertitel benennt Neumeier sein kommendes Werk über Eleonora Duse mit „Mythos und Mystik“. Faksimile: Gisela Sonnenburg

Das Ballett am Rhein, das übrigens vom 20. bis zum 22. August beim Edinburgh International Festival in Schottland das Ballett „7“ von Martin Schläpfer zu Gustav Mahlers siebenter Sinfonie tanzt, zeigt dieses fetzig-historisch erzählende Tanzstück, mit der Ziffer „b.17“ benannt, auch zum frühen Spielzeitauftakt am 5. September im Theater Duisburg. Ungewöhnlich ist die Kombination der Premiere am 16. Januar 2016 daselbst: Je ein Stück des klassischen Romantikers Auguste Bournonville, des modernen Erneuerers Antony Tudor und des Zeitgenossen Terence Kohler (Uraufführung) bebildern unter der Ziffer „b.26“ ein Abendprogramm.

Ganz im Süden der Republik, in München, lockt indes das Bayerische Staatsballett mit einer feuerwerksartig glamourösen Abschiedsspielzeit des so beliebten wie verdienstvollen Ballettdirektors Ivan Liška. Eine brillant bestückte Matinee-Gala macht hier am 13. September den Anfang, aber auch Publikumsrenner wie John Neumeiers „Ein Sommernachtstraum“, John Crankos „Romeo und Julia“ und Ivan Liškas „Le Corsaire“ (ab 30. Oktober) werden die Augen der Ballettomane zum Leuchten bringen.

Das ballett-journal.de wird weiter berichten – und auch in der Sommerpause in lockerer Folge auf Ballett aufmerksam machen.
Gisela Sonnenburg

 

 

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