Triumph der Eitelkeit Manche Künstler sind so eitel, dass sie ihr Werk lieber verbieten, als es neu interpretieren zu lassen. Der Zeitgeist-Choreograf Mats Ek ist so ein Fall – seine Erben werden darum vielleicht mal umso reicher

Mats Ek wirkt langsam ekelhaft

„Sie war schwarz“ beim Semperoper Ballett: Mit dem witzigen Christian Bauch und der bildschönen Svetlana Gileva. Foto: Ian Whalen

Ach, was für ein Glück dieser Mann hatte! Mats Ek, als Sohn der damaligen schwedischen Tanzikone Birgit Cullberg geboren, konnte sich erstmal in aller Ruhe mit Regisseuren wie Ingmar Bergman ausprobieren, bevor er dann doch kleinlaut im Ballettsaal anschlich. Mit Mitte 20 wurde er endlich Berufstänzer, mit einem Engagement beim damals gar nicht glamourösen Ballett der Deutschen Oper am Rhein in Deutschland. Seinen eigentlichen Erfolg hatte Ek aber weniger als Ballerino denn als hypermoderner Choreograf. Demonstrativ beendete er diese Karriere allerdings im letzten Jahr, mit einem gefeierten Abschiedsabend in Paris. Am 18. April 2017 wird er nun 72 Jahre alt, ein schönes Alter – aber seinem Benehmen nach könnte man auch auf ein verwöhntes Kleinkind tippen. Das verhilft vielleicht kurzfristig dem Semperoper Ballett in Dresden zu einem weihevollen Abend. Aber danach sieht es mau aus mit Ek.

Denn Mats Ek hält sich konsequent an seine Vorgabe, keine weiteren Lizenzen mehr abzugeben.

Man kann das toll und exotisch finden oder auch geschmacklos – eine gute Portion Eitelkeit steckt in jedem Fall dahinter, wenn ein schöpferischer Künstler seine Werke fortan nicht mehr tanzen lässt.

Damit entzieht er der Gegenwart und der näheren Zukunft die Möglichkeit, seine Stücke neu zu interpretieren.

Besonders tolerant mutet das nicht an. Auch nicht irgendwie menschenfreundlich. Schon gar nicht kulturell verantwortungsbewusst. Was steckt dahinter? Eine Rentnermarotte?

Mats Ek wirkt langsam ekelhaft

Ob diese Rücken so entzücken? „Sie war schwarz“ von Mats Ek in „Thema und Variationen“ beim Semperoper Ballett. Foto: Ian Whalen

Künstlerische Bedenken des Choreografen gegen sämtliche Compagnien der Welt sind jedenfalls bisher nicht bekannt.

Ek gilt ja mir aufgrund seiner exakt zu berechnenden Bewegungen als der „große Schwede“ des zeitgenössischen Balletts – und doch kommen mir immer und immer wieder Zweifel. Wer nun vom Schicksal soviel geschenkt bekam wie er, der sollte an sich nicht derart daran sparen, auch mal was zurückzugeben. Vulgo:

Mats Ek hat den Ballettleuten und ihren Fans eine Menge zu verdanken; sie gaben seinem Leben Sinn und machten ihn reich. Zum Dank entzieht er nun der Tanzwelt ohne deren Chance auf eine Änderung sein Werk. Was soll das?

Vielleicht geht es ihm einfach zu gut?

Oder hat er sogar eingesehen, dass seine Werke längst nicht so bedeutend sind, wie er selbst und andere immer wieder dachten?

Mats Ek: Finanziell hat er für sich ausgesorgt, und Gutes will er mit dem sonst zu verdienenden Geld auch nicht tun.

Also macht er der Welt das makaberste Abschiedsgeschenk, das man sich in so einem Fall denken kann. Statt die Lizenzen preiswerter abzugeben, damit die Jugend damit umgehen kann, sperrt er sie ganz. Nein, das ist kein Geschenk.

Ein Geschenk wäre eine geschenkte Lizenz an eine besonders verdiente Compagnie!

Aber hat man je einen Künstler erlebt, der was verschenkt, das über den Wert eines abgelegten Spitzenschuhs hinaus geht, by the way?

Mats Ek führt die Ichbezogenheit, der schon viele Künstler zum Opfer gefallen sind, im Höchstmaß ad absurdum.

Mats Ek wirkt langsam ekelhaft

Typisch für Mats Ek: die Füße in der angezogenen Flex-Position. Aber können das nicht auch andere Choreografen?! Hier die daran schuldlosen Anna Merkulova und Johannes Schmidt in „Sie war schwarz“ beim Semperoper Ballett. Foto: Ian Whalen

Übrigens sind Choreografen insofern auch ein Spezialfall, als sie ohne all die Steuergelder, die ihre Kreationen finanzieren, gar nicht tätig sein könnten. Komponisten können allein am Klavier arbeiten. Autoren am Schreibtisch, Maler und Bildhauer im Atelier. Aber Tanzmacher brauchen die teuren Ballettcompagnien, um Neues zu ersinnen. Vielleicht sollte man überlegen, die Theater stärker an den Lizenzrechten zu beteiligen?

Man hat mit Mats Ek so den Verdacht: Da will sich Einer rar machen, da wird einer sehr faul, da hat Einer keine Lust mehr auf die regulierte Pflege seines eigenen Werkes. Auf die Freiheit der anderen, es neu zu interpretieren, schon gar nicht! Und: Da hat einer gar kein Vertrauen zu anderen, die seine Stücke weiter lehren könnten. Mats Ek, die neue Personifikation der Eitelkeit?

Manche werden seinen Stücken nachweinen.

Andere finden sein Verhalten vor allem ein denkbar schlechtes Vorbild für die Tanzszene – und für Künstler überhaupt.

Bescheidenheit ist es sicher nicht, dass er seine Werke nicht mehr tanzen lässt…

Man stelle sich mal vor, man dürfe Goethe nicht mehr aufführen. Oder Shakespeare. Oder man dürfe Marius Petipa nicht mehr tanzen! Oder Neumeier! Hilfe!

Na, nun ist Mats Ek ganz sicher kein Goethe, auch kein Neumeier, auch keiner des modernen Bühnentanzes. Und so tut er manchen Ballettfans mit dem verordneten Rückzug seiner Kunst sogar einen Gefallen.

Mir hat ohnehin nur ein Werk von ihm so richtig gut gefallen: der ultrawitzige, charmante, zeitgemäße Pas de deux „Appartement“, der 2003 in Paris uraufgeführt wurde. Vor allem Sylvie Guillem begeisterte immer wieder darin, tanzte das Stück behende und aggressiv, wechselhaft und doch nachgerade existenzialistisch das Leben liebend.

Weil dieses Stück mit seiner kongruenten inneren und äußeren Handlung so überzeugt – ein Kennzeichen, das für kein anderes Stück von Ek gilt – habe ich den Verdacht, dass hier mehr Tänzerherzblut drinsteckt als Choreografenverstand.

Womöglich ist hier aus einer Improvisation etwas erwachsen, das auf einmal Hand und Fuß und ein voll tragfähiges Konzept hat. Solche Einzel- und Glücksfälle gibt es ja, und sie können jedem gelingen.

Mats Ek wirkt langsam ekelhaft

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Ansonsten aber war Ek vor allem durch eine typische Formensprache bekannt geworden. Seine Interpretation der zweiten Position, gekrönt von bestimmten Linien der Arme, und seine im Flex abstehenden Füße finden sich fast in all seinen Balletten, ob krass modernisiertes Handlungsballett oder geschmäcklerisch aufgezäumter abstrakter Tanz.

Inhaltlich war indessen nie viel zu holen bei Ek.

So vergatterte Mats Ek 1996 das Hamburg Ballett zu einem künstlerischen Tiefpunkt: mit der Uraufführung eines extrem sozialkitschigen, mit lauter peinlichen Klischees befrachteten „Dornröschen“. Übrigens mit dem schönen Ägypter Gamal Gouda (heute Erster Ballettmeister in Dresden), der als ausländischer Dealer herhalten musste. Uh! „Dornröschen“, mit der Musik von Peter I. Tschaikowsky, als klamottige Drogenstory. Danach hat man keine Sehnsucht!

Da wartet man lieber auf die Rückkehr von John Neumeiers „Dornröschen“, dessen Rahmenhandlung auch mit Blue Jeans und Zeitgeist aufwartet – ha, aber mit was für Tänzen darin!

Auch weitere Bemühungen von Ek, alten Klassikern sensationsgeile Publicity zu verpassen, gingen meiner Meinung nach total in die Hose: „Schwanensee“ als ein Matschtanz von Glatzköpfen im Entengang und, natürlich, die arme „Giselle“ als Fall für die Psychiatrie. Oje. Muss jetzt jede Femme fatale, die unglücklich verliebt ist und vom Lover betrogen wurde, in die Klapsmühle? Kein Frauenbild von heute!

Wie altbacken, wie trivial, wie patriarchal – und wie vorgestrig ist doch diese Modernisierung gewesen. Da ist ja das Original aus dem 19. Jahrhundert bereits viel fortschrittlicher in Sachen Emanzipation!

Aber vielleicht hat Ek, der Hintergründige, all das gar nicht ernst gemeint.

Man könnte doch meinen, Mats Ek habe sie alle nur veräppelt, all die nach Neuigkeiten im Theater Süchtigen, all jene, die zwanghaft nach Modernisierung brüllen, weil sie schon das gute Alte nie verstanden, ohne fachlich auch nur einen Schimmer Ahnung zu haben.

Ek gab ihnen, was sie wollten: Formale Avantgarde mit dem Gehalt der geistigen Restriktion.

Wenn man so will, war Mats Ek der Overkill für den zeitgenössischen Tanz: frei von Selbstironie, dafür umso derber im Umgang mit Traditionen.

Politische Konzepte aber fehlen in seinem Werk völlig – nicht mal auf der metaphysischen Ebene, die gerade im Ballett und im Tanz sehr einfach Liebesutopien oder Freiheitsideen zu offerieren vermag, konnte man mit Mats Ek rechnen.

Aber sein Formalismus zog Viele an – und machte den Choreografen selbst schwer reich. So reich, dass er jetzt auf weitere Einnahmen aus seiner Kunst freiwillig verzichtet – im Tausch hat er vollends seine Ruhe vom Kulturbetrieb.

Nur seine Erben haben gut lachen: Sie können, wenn die Lizenzrechte bei Eks Tod auf sie übergehen, damit vermutlich machen, was sie wollen. Unter Umständen werden sie dann nie gesehene Höchstpreise für Werke von Mats Ek erzielen, weil es diese ja zuletzt gar nicht mehr zu sehen gab.

So etwas nennt man dann wirtschaftliche Spekulation – und sie hat mit freiem Wettbewerb nichts mehr zu tun. Sie verdient nur eins: ein lautes Pfui!

Mats Ek wirkt langsam ekelhaft

Noch einmal die tolle Anna Merkulova und der schauspielerisch sehr begabte Johannes Schmidt in „Sie war schwarz“ von Mats Ek. Vorerst zum allerletzten Mal weltweit zu sehen! Beim Semperoper Ballett in Dresden. Foto: Ian Whalen

Darum ächtet man Mats Ek besser, denn solche fiesen Geschäftsmethoden sind es auch, die überall auf unserer kleinen Erde sehr viel Unheil anrichten. So etwas brauchen wir im Ballett nicht auch noch: Preisspekulationen aufgrund künstlicher Verknappung nennt man das auf Wirtschaftsdeutsch.

Zum Besuch der weltweit vorerst letzten Vorstellung seines mittelmäßig gelungenen Stücks „Sie war schwarz“ (www.ballett-journal.de/semperoper-ballett-thema-und-variationen/ ) – das auf einem TV-Serienwitz beruht – beim Semperoper Ballett wird denn auch nur bedingt geraten. Auch, wenn die Tänzerinnen und Tänzer das Allerbeste draus machen und exzellent auftanzen:

Künstler, die so wenig Verantwortungsgefühl gegenüber der Allgemeinheit haben wie Mats Ek, verdienen es nicht, dass man für sie Eintritt zahlt. Lasst Ek lieber in der Versenkung verschwinden – es gibt genügend andere, in jeder Hinsicht bessere Tanzmacher!

P.S. Der ostdeutsche Choreograf Tom Schilling, der schon lange keine Lizenzen mehr verkauft, ist hier übrigens moralisch insofern aus dem Schneider, als er einen politisch-künstlerischen Grund hat für sein Selbstverbot: Er sah seine Werke, größtenteils an der Komischen Oper in Berlin uraufgeführt, eng verwoben mit der DDR und bestimmten Werten. Mit deren Untergang sah Schilling sein Werk fortan als machtlos an.
Gisela Sonnenburg

Termin: siehe „Spielplan“ – am 30. März 2017 zum letzten Mal

www.semperoper.de

 

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