Hamburger Sieg der Gerechtigkeit Endlich kommt die ersehnte News: Demis Volpi ist seit heute Mittag nicht mehr der Ballettintendant vom Hamburg Ballett

"Romeo und Julia" 2025 beim Hamburg Ballett

Ein wichtiger Sieg für diese tollen Tänzerinnen und Tänzer ist errungen: Azul Ardizzone und Louis Musin (mittig vorn) mit dem Hamburg Ballett beim Schlussapplaus nach „Romeo und Julia“ von John Neumeier in der Hamburgischen Staatsoper am 16.05.25. Foto: Gisela Sonnenburg

Da dürften einige Sektkorken knallen: Was relativ lange währt, wird endlich gut. Wochenlang kämpften die Tänzerinnen und Tänzer vom Hamburg Ballett, unterstützt von ihren Fans und der Mehrheit der einschlägig relevanten deutschen Presse, um ihre Freiheit. Und zwar um die Freiheit von ihrem neuen, stets lächelnden, im Verhalten aber ganz offenbar unzumutbaren Chef namens Demis Volpi (siehe Berichte hier im Ballett-Journal). Heute zur Mittagszeit verkündete nun endlich der Aufsichtsrat der Hamburgischen Staatsoper, dass man sich mit Volpi, bis dahin Ballettintendant vom Hamburg Ballett, auf eine Auflösung seines Vertrags zum Ende der Spielzeit bei sofortiger Freistellung geeinigt habe.

Wie hoch die Summe in Geld ist, die man dem knapp 40-jährigen Volpi zahlen wird, der sich ja nun neue Wege suchen muss, ist derzeit nicht bekannt. Aber für die Rettung des weltberühmten Hamburg Balletts – das der als Genie gefeierte Choreograf John Neumeier aufgebaut und 51 Jahre lang geleitet hat – darf es wohl gern auch mal teurer sein. Immerhin standen doch das gesamte Renommée und vor allem die künstlerische Qualität dieser tollen Truppe auf dem Spiel.

"Die Möwe" von John Neumeier begeistert

Lloyd Riggins, John Neumeiers langjähriger Stellvertreter, wird jetzt wohl endlich Chef vom Hamburg Ballett, vorerst kommissarisch. Foto: Gisela Sonnenburg

Den Ausschlag gab, nach etlichen Skandalen, die zuletzt durchgeführte schriftliche und anonyme Online-Einzelbefragung (eine arbeitsrechtliche Gefährdungsbeurteilung) der Mitglieder vom Hamburg Ballett. Der Hamburger Kultursenator Carsten Brosda hat darauf reagiert und ist insofern zu loben, als er jetzt nichts beschönigt, sondern nurmehr bedauert, dass es keine Grundlage für eine weitere Zusammenarbeit Volpis mit dem Hamburg Ballett mehr gibt.

Künftig soll eine vor Ort geprägte Interimsleitung das Ensemble leiten. Mit Lloyd Riggins, den John Neumeier viele Jahre auch als Nachfolger einarbeitete, führen der Senat und der Betriebsrat nun Gespräche, ebenso mit Nicolas Hartmann, dem bisherigen Betriebsdirektor, der als kommissarischer Geschäftsführer im Gepräch ist. Auch mit Gigi Hyatt, der pädagogischen Leiterin der dem Hamburg Ballett angeschlossenen Schule, wird kommuniziert. Sie hatte sich einst für Volpi ausgesprochen, ohne ihn und seine Arbeit allzu gut zu kennen.

Ob man jetzt auf die Wiederaufnahme des romantischen Balletts „Napoli“, das Riggins 2014 mit großem Erfolg für Hamburg rekonstruierte, hoffen darf?

"Nijinsky" von John Neumeier

Alexandr Trusch vom Hamburg Ballett tanzt die Titelfigur in „Nijinsky“ von John Neumeier mit atemberaubender Anmut und Ausdruckskraft, ab morgen ist er damit wieder zu sehen. Foto: Kiran West

Die freiwillige Kündigung von Alexandr Trusch, dem beliebtesten Ersten Solisten vom Hamburg Ballett, dürfte von ihm selbst jedenfalls zurückgenommen und das auch angenommen werden. Ob er, der der wirksame Anführer des Protests war, oder auch Edvin Revazov, der neben seiner Karriere als Erster Solist schon das Hamburger Kammerballett leitet, in die neue Führungsspitze Eingang haben werden, bleibt abzuwarten.

Ebenso, ob sich das Programm der avisierten Premiere am 6. Juli 25 nun nochmals ändern wird.

Die Geschichte

Demis Volpi hier in Aktion bei Proben für seine „Geschichte vom Soldaten“ mit dem Stuttgarter Ballett. Vielleicht nimmt man ihn in Stuttgart wieder, aber als Freischaffenden? Foto: Roman Novitzky / Stuttgarter Ballett

Demis Volpi selbst zeigt sich nicht wirklich einsichtig, was sein Verhalten angeht, sondern er interpretiert sich als gescheiterten Visionär: „Meine Vision – sowohl in künstlerischer Hinsicht als auch im Hinblick auf eine zeitgemäße Struktur, die offene und verantwortungsvolle Zusammenarbeit innerhalb einer Ballettcompagnie ermöglicht – ließ sich trotz intensiver Bemühungen unter den aktuellen Rahmenbedingungen am Hamburg Ballett nicht weiter verwirklichen.“

Dazu könnten sicher viele Künstler, die unter ihm offenbar sehr stark gelitten haben, noch etwas sagen. Aber zurzeit ist das vielleicht nicht nötig.

Dennoch wird nicht alles sein wie vor dem Antritt Volpis mit Beginn der laufenden Spielzeit.

Christopher Evans, noch Erster Solist in Hamburg, nahm ein Engagement in Karlsruhe an. Und Alessandro Frola wird in jedem Fall nach Wien gehen in der Sommerpause.

Ob Madoka Sugai unter den neuen Umständen bleibt, wird sich zeigen.

Azul Ardizzone, die jüngste Entdeckung Neumeiers, die schon seit 2023 die Julia tanzt, aber erst diesen Sommer ihr Examen als Tänzerin machte, von Volpi hingegen ziemlich mies ausgegrenzt wurde, wird jetzt auf ein Engagement bei ihrer Lieblingstruppe hoffen dürfen.

"Die Kameliendame" von John Neumeier im Sommer 2024 beim Hamburg Ballett

Jacopo Bellussi mit Ida Praetorius nach der „Kameliendame“ von John Neumeier beim Hamburg Ballett. Foto: Gisela Sonnenburg

Jacopo Bellussi, der soeben erst seinen Abschied als Hamburger Startänzer feierte, hat allerdings schon reichlich neue Pläne. Aber er erklärte sich gegenüber Ballett-Journal bereit, gegebenfalls als Gaststar wieder mit dem Hamburg Ballett aufzutreten.

Wer dann langfristig und in welcher Position diese hervorragende, starke, auch charakterlich starke  Compagnie führen wird, steht derweil noch nicht fest. Zunächst gelten die Pläne nur bis Ende der Saison 2025/26.

Auf jeden Fall will man beim neuen Anlauf nicht aus der Hüfte schießen und Leute als „Jury“ befragen, die sich mit dem Hamburg Ballett nicht genügend auskennen (auf diese Weise fiel nämlich seinerzeit die Wahl auf Volpi, und zu den damals Schuldigen zählt neben dem Amsterdamer Ballettchef Ted Brandsen auch die letztlich eben doch a bisserl sehr ahnungslose SZ-Autorin und Chefredakteurin von TANZ, die Ballettexpertin Dorion Weickmann).

Es würde sicherlich auch keinen Sinn machen, wieder jemanden als Neumeier-Nachfolge zu nehmen, der mit dem Hamburg Ballett bis dato kaum etwas zu tun hatte. Diese Lektion dürfte aber nunmehr, nach dem Hamburger Sieg der Gerechtigkeit, Konsens sein.

Die große Erleichterung über Volpis Abgang ist jedenfalls ganz auf Seiten der seriösen Ballettwelt.
Gisela Sonnenburg 

P.S. Ob Carsten Brosda heimlich ein ganz großer Fan von Svetlana Zakharova ist? Die Bolshoi-Queen, die auch schon bei John Neumeier und auf einer Nijinsky-Gala getanzt hat, wird heute 46, und auch ihr sei, wie dem Hamburg Ballett, der HERZLICHSTE GLÜCKWUNSCH für das kommende Jahr übermittelt! 

P.S.S. Später wurde bekannt, dass Demis Volpi die gesamte Summe seines Vertrags erhält: 1,1 Millionen Euro. Die hätte man vielleicht sinnvoller fürs Hamburg Ballett und seine Schule verwenden können. 

www.hamburgballett.de

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