
Demis Volpi begrüßte das Publikum vom Hamburg Ballett am 31.12.24 mit allen guten Wünschen für 2025. Jetzt zeigt er, was er wirklich drauf hat. Foto: Franka Maria Selz
Unter Ausschluss der sonstigen Öffentlichkeit wurde das BALLETT-JOURNAL Zeuge einer ganz neuartigen Bewegung in Deutschland: Erstmals in der Weltgeschichte wollen Sponsoren und Mäzene die Zukunft eines staatlichen Tanzensembles bestimmen. Das Hamburg Ballett soll künftig Pfeffersack-Truppe heißen und alles machen, was sich die reichen tanzverwöhnten Hamburger Bürgerinnen und Bürger wünschen. Das Leben ist ein Wunschkonzert! Endlich! Endlich drängelt sich das bisschen Geld vor und überflügelt alle Fachleute mit seiner bestechlichen Meinung. Rund 400.000 Euro Nachwuchsförderung im Jahr, und das kontinuierlich seit Dekaden, haben als Argument ausgereicht, um den Verein „Freunde des Ballettzentrums Hamburg e.V.“ zur neuen Quasi-Intendanz auszurufen. Als Chef soll der erst vor kurzem in der Stadt gelandete Demis Volpi, also der aktuell in der Kritik stehender Hamburger Ballettintendant, benannt werden. Trotz oder wegen starker arbeitsrechtlicher Vorwürfe gegen Volpi, die in jedem Nicht-Bananen-Bundesland zur fristlosen Kündigung eines künstlerischen Leiters geführt hätten, soll Demis Volpi, dessen für den 6. Juli 25 geplante Uraufführung ebenfalls mit „DEM…“ beginnt, eine neue Chance gegeben werden. Das Besondere am Pfeffersack-Ballett: Alle dürfen auf der Bühne mitmachen, und Ungebildete, Ungelenke, Taumelnde und Dickleibige werden sogar bevorzugt! Mit deutlich mehr Laien und viel weniger Profis in den bekannten Stücken von John Neumeier spart Hamburg auch enorm viel Geld. Geübt wird für diese Auftritte schon seit längerem heimlich unter dem Label „Tanz mit mir“ unter der Ägide von Elisabeth Bell vom Hamburg Ballett. Kritische Stimmen, dergleichen sei hochnotpeinlich und habe mit Kunst und Kunstvermittlung nichts mehr zu tun, können erfolgreich unterdrückt werden. Die neue Sponsoren-Hüpfegruppe wird hingegen keine Grenzen mehr kennen und auch für Geflüchtete jedweder Statur offen stehen. Tobias Kratzer, künftiger Opernintendant in Hamburg, hat schon eingewilligt, als Gast mitzuturnen, obwohl die Aktion seine kostenfreie persönliche Beratung von Ticketkäuferinnen und Ticketkäufer noch um einiges toppen dürfte.
Ganz offiziell sind diese Pläne zwar noch nicht. Aber ein Sprecher der Hamburger Kulturbehörde teilte dem BALLETT-JOURNAL auf Anfrage bereits mit: „In so einer Situation müssen alle Seiten gehört und es muss die Möglichkeit ausgelotet werden, ob und wenn ja wie ein erneuertes Miteinander möglich ist.“ Denn: „Allen Seiten ist klar, dass jetzt schnell möglichst gemeinsam Lösungen gefunden werden müssen, um zu verhindern, dass alle weiter Schaden nehmen.“
Alle werden also immer dabei sein, wenn es heißt: Ballett für alle, Oper für alle, Tanz für alle und überhaupt alles für alle!

Peter Tschentscher, Erster Bürgermeister von Hamburg (zweiter von links) als Maskottchen des HSV, live vom NDR am Montag, 19.05.25, vom Rathaus-Balkon aus während der Feier zum HSV-Aufstieg übertragen. Videostill: Gisela Sonnenburg
In Anlehnung an die erfolgreich inszenierte HSV-Aufstiegsfeier vor dem Rathaus in Hamburg am vorgestrigen Montag – bei der zahlreiche frisch blondierte Mädchen mit fußballuntypisch stocknüchternen Kavalieren zu Ehren des auf dem Rathaus-Balkon die Hommage annehmenden Peter Tschentscher, Erster Bürgermeister von Hamburg, mitgebrachte Fahnen schwenkten und im vorgegebenen Takt hüpften – soll dann auch die Hochkultur auf den Massengeschmack gebracht werden.
Karin Martin, langjährige Vorsitzende der „Freunde vom Ballettzentrum Hamburg e.V.“, wurde dabei gesehen, wie sie versuchte, sich in die aufgebrezelte, aber gesichtslose Masse vom Montag zu integrieren. Auch ihre Gefährtin Ulrike Schmidt, die viele Jahre das rückhaltlose Vertrauen des Hamburger Tanztitanen John Neumeier genoss, und die nunmehr die Stiftung zur Förderung der Hamburgischen Staatsoper auf dem Kurs der Eitelkeit und des Größenwahns hält, wurde bei Warmmachübungen erkannt.
Fit sein für die Geldgeber! Die Hamburgerinnen und Hamburger stimmen sich also schon auf allen Ebenen auf die Töne der neuen Zeit ein. Ines Schamburg-Dickstein und weitere Ladies, auch mit von und zu im Namen und sowieso aus der Hamburger Mäzenatenszene stammend, reiben sich derweil die Händchen: Spenden fürs Ballett bedeutet Steuersparen!

Spenden, um zu lesen und so dem Ballett zu dienen: Lesen Sie hier, was nicht in BILD, ABENDBLATT und SPIEGEL steht! Und spenden Sie bitte! Unterstützen Sie die Presse- und Meinungsvielfalt, die Kompetenz und die Hintergründigkeit vom BALLETT-JOURNAL!
Denn das ist die Qualifikation der neuen Meinungsmacher: Sie haben weder Theaterwissenschaft noch Musikgeschichte studiert, sie haben definitiv keinen geschulten Geschmack, sie haben null Ahnung von Stil oder gar von Philosophiegeschichte, und sie wissen vielleicht nicht mal, dass ein Theodor W. Adorno, ein Hans Mayer oder ein GeorgLukácz, also maßgebliche Theoretiker bei der Deutung der Kulturgeschichte, überhaupt gelebt haben. Aber sie wissen, wie man es schafft, Steuern zu sparen und sich zeitgleich auch noch den roten Teppich ins Opernhaus auslegen zu lassen.
Carsten Brosda, amtierender Kultursenator in Hamburg, hat sich dankenswerterweise bereit erklärt, für die offen klaffenden Bildungslücken aufzukommen. Schließlich sei die Zukunft der Pfeffersack-Truppe und ihrer Ballettschule – welche von den „Freunden e.V.“ mit Stipendien und anderen Leckereien unterstützt wird – so bedeutsam, dass man auf erbsenzählerische Detailbeschau rundum verzichten müsse.
Gigi Hyatt, amtierende Leiterin der Ballettschule, wurde beim Kotau vor laufender Kamera erwischt. Sie sei bereit, so schwörte sie unter Eid, alle Unbill in Kauf zu nehmen und jede Schülerin und jeden Schüler von der Schule zu weisen, die oder der nicht mitmache, um Demis Volpi künftig untertänigst zu Willen zu sein.
Da die Hansestadt Hamburg dank ihres gewinnbringenden Hafens lediglich über jährliche Milliardenüberschüsse verfügt, wird auch Hyatts Bereitschaft zur Verkleinerung der Schule wohlwollend aufgenommen und in die sonstigen Sparmaßnahmen beim Ballett integriert.

Auch der Oberkörper dehnt sich: Hier unterrichtet Gigi Hyatt, die Leiterin der Ballettschule vom Hamburg Ballett, im Ballettzentrum Hamburg. Die Freunde vom Ballettzentrum waren da noch nicht so nah an ihr dran. Foto: Holger Badekow
John Neumeier war für ein Statement nicht erreichbar. Aber rechnen kann man ja auch allein: Bei 400 Seelen, die der „Freunde“-Verein umfasst, gibt jedes Mitglied durchschnittlich gerade mal 1.000 Euro pro Jahr, also nicht mal 100 Euro monatlich, um die persönliche Steuerbilanz zu verschönern und ganz nebenbei dadurch einem hoch begabten Tanztalent ein Stipendium zu gewähren.
Den Bonus, die neue Intendanz vom Tanz mitzubestimmen – und sei es die alte, die man behalten will – bekommen diese Reichen nun geschenkt. Ganz schön preiswert, diese Machtergreifung! Hamburg aber wird sie bitter bezahlen, wenn sie Wirklichkeit wird. Der vorsätzliche Abbau von Qualität im Ballett hat sich noch immer gerächt.
Gisela Sonnenburg
www.freunde-des-ballettzentrums.de