Sinnlichkeit und Besinnlichkeit Ostern fällt dieses Jahr besonders besinnlich aus – das Hamburg Ballett, das Staatsballett Berlin, das Stuttgarter Ballett und das Bayerische Staatsballett geben ihr Bestes

Die Matthäus-Passion von John Neumeier in Hamburg

Alexandr Trusch tanzte bisher im ersten Teil der „Matthäus-Passion“ von John Neumeier spannende Brudertänze mit Aleix Martínez. Jetzt lockt auch eine neue Besetzung. Zu sehen beim Hamburg Ballett. Foto: Kiran West

Eigentlich dachte man, es würde vielleicht das beste Osterfest seit langem. Denn die Corona-Pandemie scheint zurückgedrängt, die Theater können sich wieder mehr und mehr füllen. Trotzdem säen die Gedanken an Krieg und Flucht traurige Gefühle – und dass die Ballettwelt stärker in Ost und West auseinanderklafft denn je, stimmt auch nicht gerade glücklich. Nun ist Ostern aber ohnehin nicht nur das heidnische „sinnliche“ Fest des Frühlings mit Osterhasen, Schlemmereien und bunt gefärbten Eiern. Es ist im christlichen Sinn auch das durchaus besinnliche Fest der Auferstehung, anlässlich der von Jesus Christus. Zielgenau punktet darum John Neumeier, wenn er über die Ostertage sein vierstündiges sakrales Mammutwerk, die „Matthäus-Passion“, vom Hamburg Ballett aufführen lässt. Da Neumeiers kommende Uraufführung sich ebenfalls mit Bach und Gott beschäftigt, kann das österliche Ansehen hier auch eine gute Vorbereitung sein. Und: Mit Nicolas Gläsmann als Jesus steht auch eine Neubesetzung auf dem Plan, die sehr neugierig macht. Jacopo Bellussi, Yun-Su Park, Christopher Evans, Alessandro Frola und Louis Musin werden in dieser Besetzungsriege  ebenfalls zu sehen sein. Damit gibt es ein paar anmutig wandelnde Gründe mehr, sich diese angemessene Oster-Show nicht entgehen zu lassen. Wer nun nicht nach Hamburg kommen kann, tröste sich mit der im Handel erhältlichen DVD-Aufzeichnung von 2005, in der John Neumeier noch selbst die Hauptpartie tanzt.

"Pure Bliss" von Johan Inger mit drei Stücken in Stuttgart

„Dornröschen“? Nein, „Aurora’s Nap“ von Johan Inger zelebriert hier das Feiern als Fest der Satire – mit viel Klamauk. Komödiantisches über Ostern also im Schwabenland. Foto: Stuttgarter Ballett

Es sei denn, sie leben im Schwabenland und mögen es sowieso lieber ein bisschen knallig und grotesk über die Feiertage. Das Stuttgarter Ballett zeigt nämlich am Ostersonntag gleich zwei Mal sein jüngstes modernes Programm mit dem etwas irreführenden Titel „Pure Bliss“ („Der pure Segen“) mit drei Stücken von Johan Inger.

Fehlt noch ein Ostergeschenk? Diese Tickets sind es wert! Ost und West, im Tanz vereint: „After the Rain“ von Christopher Wheeldon, getanzt von Lucia Lacarra und Matthew Golding, sowie drei weitere getanzte Highlights mit Moderation und Bezug zum Leben von Rudolf Nurejew plus Kultfilm „Nurejew – The White Crow“ von und mit Ralph Finnies, mit Oleg Ivenko und Anna Urban! Der Film läuft im russisch-französisch-englischen Original – mit toller hörspielreifer Soundkulisse zu deutschen Untertiteln. Das gibt es nur einmal und zwar in Berlin, am Sonntag, 29. Mai 22 im BABYLON in Berlin-Mitte, für nur 24 Euro pro Ticket. Tanz im Kino mit Jugendstil-Flair! Rasch hier buchen! Foto: Leszek Januszewski / Cut: Gisela Sonnenburg

Wer allerdings in der Nachmittags- und wer in der Abendvorstellung tanzen wird, steht leider noch nicht fest. Typisch Stuggi! Es ist ja eine nicht nur liebenswerte Stuttgarter Spezialität, die Besetzungen im Ballett oft erst „auf den letzten Drücker“ festzulegen und bekanntzugeben.

Elisa Badenes als Hauptprotagonistin in „Aurora’s Nap“, dem witzigsten und jüngsten der drei Stücke, ist allerdings bereits wenige Wochen nach der Uraufführung darin legendär gewesen und wird es sich bestimmt nicht entgehen lassen, auch am Osterfest damit zu brillieren.

"Jewels" von George Balanchine - immer begeisternd

Polina Semionova, hier mit Alejandro Virelles, nach den „Diamonds“ in „Jewels“ von George Balanchine: frenetischer Applaus für das Staatsballett Berlin. Das Foto vom Schlussapplaus stammt von Gisela Sonnenburg

Am Ostermontag zeigt dann das Staatsballett Berlin sein edelstes und vornehmstes Programm: „Jewels“, also die Juwelen, von George Balanchine. Immer wieder beglücken hier neue und ältere Besetzungen, und die Musiken von Fauré, Stravinsky und Tschaikowsky helfen ebenfalls stets, diesen Dreiteiler zu einem besonderen Erlebnis zu machen.

Stars wie Polina Semionova, Daniil Simkin und Evelina Godunova, aber auch Krasina Pavlova, Julia Golitsina und Murilo de Oliveira machen dieses Ostermontagsprogramm auch in interpretatorischer Hinsicht zu einem Highlight.

Das Bayerische Staatsballett in München hingegen – derzeit ohne Direktor – hat die Juwelen von Balanchine zwar auch im Repertoire und im Programm der laufenden Spielzeit, zeigt aber am Ostermontag seine „Coppélia“ in der bewährten, international schon zu sehenden Version von Roland Petit. Die Inszenierung ist ein bisschen seicht, ein bisschen oberflächlich, aber auf alle Fälle ein Augenschmaus. Da tänzelt nicht nur zum berühmten „Stundenwalzer“ in der Musik von Léo Delibes so manches Herz mit!

"Coppélia" im Original in Wien - und verhunzt in München

Luigi Bonino setzt sich in Szene: in „Coppélia“ von Roland Petit beim Bayerischen Staatsballett. Hier ist die Einstudierung aus Moskau zu sehen. Foto: Oleg Chernous

Die Besetzung steht allerdings hier auch noch nicht fest – ob Maria Baranova oder Ksenia Rhyzkova, Kristina Lind oder Madison Young oder eine andere der tollen Ballerinen wird noch für sich behalten. Man wandelt mit der Zurückhaltung der Besetzungsangaben ganz schön auf Stuttgarter Spuren, was allerdings weder die Künstler:innen noch das Publikum so richtig erfreut.

Schließlich möchten manche Kenner:innen eine ganz bestimmte Besetzung sehen und das auch einplanen, und die Künstler:innen wiederum möchten sich auch lieber mit etwas Vorlauf auf ihre Auftritte vorbereiten.

Das könnte man sich doch glatt zu Ostern wünschen: dass die Besetzungen im Ballett mindestens ein bis zwei Wochen vor dem jeweiligen Termin bekannt gegeben werden.

Hamburg und Berlin sind hier mal richtig vorbildhaft!

Wir wollen zum Fest aber nicht streiten – und wünschen allüberall außer fleißigen  Osterhasen auch viel Vergnügen! Letztlich, das dürfen wir hoffen, werden sich die Wahrheit und die Wahrhaftigkeit, das Pragmatische und das Standhafte auch auf Erden durchsetzen.
Gisela Sonnenburg

Lesen Sie hier, was nicht in BILD und SPIEGEL steht! Und spenden Sie bitte! Journalismus ist harte Arbeit, und das Ballett-Journal ist ein kleines, tapferes Projekt ohne regelmäßige Einnahmen. Wir danken es Ihnen von Herzen, wenn Sie spenden, und versprechen, weiterhin tüchtig zu sein!

www.hamburgballett.de

www.stuttgarter-ballett.de

 www.staatsballett-berlin.de

www.bayerisches-staatsballett.de

 

 

ballett journal