Es nochmal richtig krachen lassen! John Neumeier wird in seiner letzten Spielzeit als Chef vom Hamburg Ballett ein pralles Programm servieren – und vier Wochen lang die Hamburger Ballett-Tage zelebrieren

"Ein Sommernachtstraum" von John Neumeier - das Lieblingsballett vieler

Alina Cojocaru erwacht hier als Titania: So hübsch zu sehen in „Ein Sommernachtstraum“ von John Neumeier beim Hamburg Ballett. Foto: Kiran West

Auf die Plätze, fertig – und bald geht‘s los! Die Masken sollen in der Hamburgischen Staatsoper zwar noch auf den Nasen bleiben, aber die kommende Spielzeit kann aus Sicht vom Hamburg Ballett schon mal fröhlich angeplant werden. 50 Jahre lang wird John Neumeier dann Ballettchef dort sein, fast 200 tolle Choreografien hat er in seinem Leben geschaffen, viele davon abendfüllend und richtungsweisend – und sein Hamburger Abschiedsjahr wird einem einzigen Feuerwerk aus Tanz und Musik gleichen. Es beginnt am 3. September 22 mit einem großen Open-air-Event, der auch so heißt: „Tanzfeuerwerk“, und er findet bei freiem Eintritt auf dem ehrwürdigen Rathausmarkt in Hamburg statt. „Tanz in die Stadt tragen und Räume der Begegnung schaffen“ – das ist Neumeiers Motto für die Spielzeit 2022/23. Dem entspricht, dass er die fulminante, vierstündige „Matthäus-Passion“ zurück an ihren Entstehungsort, in die Kirche Sankt Michaelis, also in den „Michel“, bringen wird. Darauf haben viele Hamburger:innen seit Jahren gewartet!

"Schicksalstanz mit Nurejew" - eimalig im Babylon in Berlin

Am 29. Mai 22 in Berlin – und nur dann, präsentiert vom Ballett-Journal: Rainer Krenstetter, Lucia Lacarra und Matthew Golding und Roxanne Grosshans tanzen LIVE, danach gibt es den Ralph-Finnies-Film „Nurejew – The White Crow“ mit Oleg Ivenko und Anna Urban vom Hamburg Ballett im Original mit Untertiteln. Beim „Schicksalstanz für Nurejew“ verkörpern sie alle eine Facette in Nurejews Leben. Hier gibt es mehr Infos und die Tickets für nur 24 Euro! Fotos: G. Sonnenburg / AlamodeFilm / L. Januszewski

Am 4. Dezember 22 wird der heute 83-jährige Neumeier seine letzte große Kreation als Hamburger Ballettchef uraufführen lassen, auch das wird ein sakrales Werk sein: „Dona Nobis Pacem“ („Gib uns Frieden!“) mit der h-moll-Messe von Johann Sebastian Bach. Geht es zeitaktueller? Hoffen wir, dass bis dahin weniger Krieg, weniger Wirtschaftskrieg, weniger Vernichtung, weniger Hass, weniger Jeder-gegen-jeden unser aller Dasein bestimmen.

Vier Gastspiele von Baden-Baden über Venedig bis nach Chicago und Tokio sind vorgesehen.

John Neumeier bei der 225. Ballett-Werkstatt vom Hamburg Ballett: geduldig und charmant erklärend. Foto: Kiran West

Für die Hamburger:innen locken nicht nur 4 Ballett-Werkstätte, sondern auch sage und schreibe 15 Ballette (nicht nur 14, wie das Presse-Info zählt) aus dem hochkarätigen Repertoire vom Hamburg Ballett– das entspricht einer Leistungsshow, die man woanders von einem solchen Ensemble nicht mal zur Hälfte erhält.

Dabei ist das Hamburg Ballett nicht mal anzahlmäßig eine der größten Compagnien der Welt. Aber vom Leistungsspektrum, von der künstlerischen Qualität und vom choreografischen Niveau her ist es eben unbedingt mit weltführend – und in Europa wahrscheinlich das ohnehin das allerbeste, wo gibt, sozusagen.

Für nicht wenige Fans ist das Hamburg Ballett sowieso unvergleichlich, von daher sozusagen das weltbeste – und bei einem solchen Spielplan mit so vielen hervorragenden Tanzkünstler:innen ist es auch nicht schwer, sich da anzuschließen. Wenn sich sogar die Presseabteilung verzählt, weil es von so vielen Programm-Highlights zu berichten gibt – dann kann man sich denken, dass einem schon vom Drübernachdenken fast schwindlig werden kann.

Man sollte denn auch mit dem Ticket-Buchen nicht zu lange warten! Derzeit sind wegen Corona noch viele Menschen zurückhaltend, aber wenn da der Damm einmal gebrochen ist, sind die Wunschplätze vielleicht schon weg.

Es geht letztlich darum, es nochmal richtig krachen zu lassen! Denn fünf Jahrzehnte lang gab es mit den Neumeier-Balletten stets eine fantastische Auswahl in Hamburg – an das Danach will man eigentlich noch nicht allzu viel denken.

Ein Mann stemmt sich gegen eine Gruppe: Alexandre Riabko und das Ensemble vom Hamburg Ballett im Einsatz vom ersten Satz der "Dritten Sinfonie von Gustav Mahler" in der Choreografie von John Neumeier. Foto: Kiran West

Carsten Jung, Hélène Bouchet und Alexandre Riabko mit dem legendären Pas de trois im vierten Satz der „Dritten Sinfonie von Gustav Mahler“ von John Neumeier beim Hamburg Ballett. Foto: Kiran West

Unter anderem kehren die weltweit innovativste Mahler-Vertanzung „Dritte Sinfonie von Gustav Mahler“ und die herzzerreißenden „Illusionen – wie Schwanensee“ auf den Spielplan zurück, ebenso das bei Jung und Alt gleichermaßen beliebte „Romeo und Julia“ sowie die selten gezeigten, von vielen Kenner:innen heiß und innig geliebten „Préludes CV“, die Neumeier einst ganz bestimmten Tänzer:innentypen auf den Leib kreierte.

Der Nussknacker“ (die bestmögliche Version), „Ghost Light“ (das fühligste Ballett unserer Zeit), „Dornröschen“ (mit Modern-Folk-Klassik-Mix), „Die Glasmenagerie“ (sehr melancholisch), „Liliom“ (ganz besonders ans Herz gehend), „Ein Sommernachtstraum“ (das witzigste Ballett aller Zeiten), „Bernstein Dances“ (erotisch und peppig), „Beethoven-Projekt II“ (nachdenklich und tiefsinnig), „Sylvia“ (echt feministisch, dennoch bezaubernd schön), „Hamlet 21“ (immer ein Erlebnis!), „Nijinsky“ (das weltbeste Stück überhaupt).

Außerdem gibt es „The Winter’s Tale“ von Christopher Wheeldon zu sehen.

Das rasante Finale dieser kommenden Spielzeit werden – mit drei Gastcompagnien – die „48. Hamburger Ballett-Tage“ sein, die nicht, wie sonst, zwei Wochen dauern (was auch schon alljährlich ein unglaubliches Highlight-Festival ist), sondern doppelt so lange.

Vier Wochen lang gibt es dann Ballett, Ballett, Ballett satt – vom Feinsten und vom Chef höchstselbst kredenzt.

Die Nijinsky-Gala -Höhepunkte

Gruppenbild mit Gastgeber John Neumeier und jeder Menge Blumen, beim Schlussapplaus nach der Nijinsky-Gala XLV beim Hamburg Ballett. Foto: Kiran West

Die abschließende „Nijinsky-Gala XLVIII“ wird wohl so ziemlich alle zeigen, die Rang und Namen haben, die das Prädikat „besondere:r Künstler:in“ wirklich verdienen – und wenn es die Umstände erlauben, so Neumeier, wird auch das Bolschoi Ballett mit an Bord sein.

Dieses sowie das Stuttgarter Ballett und das Königliche Dänische Ballett sollen die Gastspiel-Compagnien bei den Hamburger Ballett-Tagen 2023 sein – es handelt sich also um eine ebenso aufregende wie vielseitige  Festival-Ausgabe. Dass sie außerdem für Neumeier-Liebhaber:innen viele neue Blickwinkel und Interpretationen bezüglich seiner Werke bereit halten wird, steht außer Zweifel.

„Othello“ (der einzig wahre) soll dann vom Königlichen Dänischen Ballett kommen, „Anna Karenina“ (die bei Neumeier im Hier und Heute lebt) soll zur tollen Tschaikowsky-Musik vom Bolschoi Ballett dargeboten werden, und die bekanntermaßen süchtig machende „Die Kameliendame“ wird mit dem Stuttgarter Ballett auftanzen.

Was Neumeier nicht sagte: Sollte das Bolschoi Ballett nächstes Jahr den ehrenwerten Hanseat:innen noch nicht wieder genehm sein oder selbst verhindert sein zu kommen, kann man auf das National Ballet of Canada als Gastcompany zurückgreifen, denn Neumeiers „Anna Karenina“ entstand als Koproduktion der drei Ensembles: Hamburg Ballett, Bolschoi Ballett und National Ballet of Canada.

Dass die Tänzer:innen vom Bolschoi denen vom National Canada Ballet  haushoch überlegen sind, braucht man nicht erst erwähnen. Die Frage ist, ob im hassverblendeten Westen das überhaupt noch jemanden interessiert. Lügen haben derzeit ja Konjunktur, und so wird man sich in Hamburg künftig auch gern mit Zweitklassigem als angeblicher Vorzugsware begnügen.

Für die Jugend, die einem in diesen Zeiten nur Leid tun kann, gibt es kommende Spielzeit in Hamburg zusätzliche Programme, und wer es zu anspruchsvoll findet, sich immer nur voll und ganz den dramaturgisch erhabenen Neumeier-Stücken zuzuwenden, kann auch mal auf leichtere Kost beim Bundesjugendballett oder auch auf die Präsentation der Ballettschule vom Hamburg Ballett – John Neumeier ausweichen.

Die "Nijinsky-Gala XLIV" 2018 war ein großer Erfolg

Das Bundesjugendballett passt ganz wunderbar auch auf die große Bühne der Hamburgischen Staatsoper, tanzt aber in Hamburg meistens im Ernst-Deutsch-Theater. Foto: Kiran West

Es hat niemand in diesem Jahrhundert geschafft, ein solches ballettöses Reich beisammen zu halten und zu lenken – schon seine Erschaffung im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts glich einem Wunder.

Während Ballett in Paris und New York immer mal wieder von mächtig viel Staub auf der einen Seite und von krampfhaften Verjüngungskuren, die nicht so recht fruchten wollen, auf der anderen Seite bedroht wird, steht das Hamburg Ballett für eine scheinbar unangestrengte Kontinuität, die sich nie in den Niederungen des Gewöhnlichen oder Peinlichen verliert.

Hier tanzen Jacopo Bellussi und Emilie Mazon die Titelfiguren „Romeo und Julia“ in der Inszenierung von John Neumeier beim Hamburg Ballett. Foto: Kiran West

Was für eine Lebensleistung, einen solchen Laden für das anspruchsvollste Publikum fit zu halten, auf hohem Niveau immer wieder neu zu beleben und alle Unbill der Zeit auf eben diesem hohen Niveau überstehen zu lassen!

Die insiderische Ballettwelt muss sich vor John Neumeier verneigen, ebenso wie das nur gelegentlich ballettaffine Publikum, das sein Verständnis von der Tanzkunst nirgendwo besser ausbilden kann als bei ihm.
Gisela Sonnenburg

www.hamburgballett.de

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