Wenn man ihn so sieht: Er könnte auch ein amerikanischer GI auf Urlaub sein. Seine Gesinnung ist tatsächlich alles andere als USA-kritisch. Er ist vielmehr die „Smartness“ in Person. Böse Zungen sagen: Er besteht vor allem aus Gleitmittel, aus dem Gleitmittel der Macht nach oben. Demis Volpi, 1985 gebürtiger Argentinier und längst eingedeutscht, hat vielleicht gerade wegen seiner Smartness das Rennen um den bestdotierten Ballettintendantenposten in Deutschland gemacht. Am 1. August 2024 wird er als Ballettchef vom weltberühmten Hamburg Ballett an der Alster antreten. Bis dahin bleibt er Ballettdirektor und Chefchoreograf vom Ballett am Rhein, was er seit zwei Jahren ist. Er macht seinen Job dort nicht schlecht, aber sein Niveau ist selbstverständlich provinziell, und das war es auch schon, als er beim Stuttgarter Ballett – dank seiner guten Beziehungen zum damaligen Stuttgarter Balletthai Reid Anderson – mit viel technischem Bühnenaufwand einige saisonale Publikumsrenner fabrizierte. Bunt, grob und laut: So ist meistens der Stil von Volpi, der in seinen Arbeiten manchmal zudem einen Hang zu makabrem Humor zeigt. Mit „Krabat“ nach dem Kinderbuch von Otfried Preußler hatte er seinen ersten größeren und bislang auch größten Erfolg. Große Themen kloppt Volpi oft kindgerecht klein, und er haut auch mal gern Dinge zusammen, die eigentlich so nicht gehen. Hauptsache, das ist neu! Und Tragik ist für ihn nur eine weitere Form von Entertainment. Tiefgang? Nicht bei Volpi. Klischees kann er besser. Passt so ein Klamauk-Experte nach Hamburg?
Bei seinem Karneval-der-Tiere-Ballett für Kinder ließ er am Ende den Schwan lustvoll lynchen, ganz so, als sei Ballett ein Comic und der Schwan darin nicht etwa das Symbol für Schönheit und Liebe. Sondern nur ein dummes Tier, das man essen kann. Kinder konnten so gleich lernen, was Verrohung ist.
Die Rückständigkeit seines Frauenbildes zeigte Volpi dann in einer unsäglichen „Salome“ beim Stuttgarter Ballett, wo er auch in höchst dilettantischer, plakativer Manier eine „Geschichte des Soldaten“ nach der Musik von Igor Strawinsky choreografierte. Ein ausführlicher Beitrag zu seinem etwas stumpfsinnigen Erfolgsballett „Krabat“ findet sich hier im Ballett-Journal: Bühnentechnik ahoi, Tanz ade!
Die Auswahl scheint jedoch bedacht: John Neumeier riskiert halt nicht gern, dass seine bald 50-jährige Ära eine auch nur annähernd konkurrenzfähige Nachfolge haben könnte. Zur etwas heuchlerischen Absegnung ließ er sich aber die Zustimmung einer angeblichen „Findungskommission“, ausschließlich aus Freunden von Neumeier bestehend, geben. Politisch sind übrigens alle darin stramm auf Kurs mit den USA-hörigen Regierungen.
Heute platzte nun die hanseatische Bombe, nachdem Spekulationen über eine etwaige Ablöse des scheidenden Hamburger Chefs John Neumeiers durch den internationalen Star-Choreografen Christopher Wheeldon zunehmend absurd erschienen (das Ballett-Journal berichtete). Wer nun in jüngster Vergangenheit beobachtet hatte, dass Neumeier seine jüngste Uraufführung, einen Pas de trois mit dem beliebigen Titel „from time to time“ beim Ballett am Rhein zeigen ließ, konnte sich an fünf Fingern ausrechnen, dass der junge Demis Volpi der Auserwählte für Neumeiers Thron sein würde.
Lebende Choreografen, die Weltkunst produzieren, werden dann höchstens zu Gast in Hamburg sein: David Dawson oder Sidi Larbi Cherkaoui, Johan Inger oder Yuri Possokhov.
Das Modell einer kopflosen Übergangszeit steht Hamburg nun zwar nicht direkt bevor, weil Neumeier seinen Vertrag entgegen bisherigen Plänen bis 2024 verlängert. Aber bis 2024 ist es dennoch eine zu lange Zeit, um den Einfluss von Volpi bis dahin draußen zu halten. Mich erinnert das an einige Berliner Erfahrungen. Sasha Waltz wurde ja auch auf diese Art jahrelang als Berliner Ballettintendantin angekündigt und wirkte in dieser Zeit auch schon schwer entscheidungsträchtig, warf dann aber nur wenige Monate nach Amtsantritt das Handtuch.
Auch aktuell befindet sich das Staatsballett Berlin in einer latenten Krise, in einer Situation mit provisorischer Leitung. Und hat null Konzept für den Spielplan. Aber während der erst im nächsten Jahr kommende Ballettchef Christian Spuck – auch er ein beinharter USA-Verfechter, auch er ein Zögling von Reid Andersons Gnaden aus Stuttgart – bereits einen Persönlichen Referenten am Berliner Haus hat, muss man sich um das Ballett in Berlin ernsthaft Sorgen machen. Denn Spuck, der in den letzten Jahren das Ballett Zürich leitete, gilt manchen als künstlerisch ausgebrannt und ist zudem von einem zwanghaften Drall zur Originalität besessen.
Immerhin ist eine Katastrophe nicht eingetreten: Marco Goecke, dem dritten unseligen choreografischen „Großtalent“ dank des Moguls Reid Anderson – Goecke ist derzeit Ballettdirektor in Hannover – wird erstmal nicht Ballettchef in Hamburg. Aber bestimmt wird Kumpel Volpi ihn dort bald als Gastchoreograf engagieren. Dann darf man auch im Neumeier-Hort erleben, wie aggressiv und langweilig zugleich der formalistische Zappel-Stil von Goecke ist. Manches davon ist so schlecht, dass es unbedingt einen Preis erhalten muss.
Heutzutage bedeuten Preise ja nicht etwa Qualität, sondern, dass eine Lobby dahinter steht. Und dieser Trend wird sich wohl noch verschärfen. Die lobbyistisch gepushten Künstler werden weiter nach oben gejubelt, während die wirklich Guten zumindest bei den einflussreichen Ämtern draußen bleiben müssen.
Typisch für ein Land in Kriegshysterie. Typisch ist auch der Appetit auf einen smarten Bubi wie Demis Volpi als Chef. Frohsinn ist doch das Wichtigste beim Durchhalten, nicht wahr?
Schade ist das allerdings, wenn man bedenkt, was für einen langsamen, aber sicheren Abstieg das nicht nur für das Hamburg Ballett, sondern auch für seine renommierte Ballettschule bedeuten wird.
Diese tanzte vor einigen Jahren bereits sein Kinder-Stück „Karneval der Tiere“ von 2011, in dem der Schwan, dieses Symbol für alles Gute im Ballett, gelyncht und gegessen wird. Volpi kam sich bestimmt toll vor mit seinem zwangsoriginellen Regelverstoß. Aber als Ballettpädagoge dürfte er damit eine Null sein.
Sicher: Solange die Sponsoren und Mäzene zahlen, wird man sich weiterhin hervorragend ausgebildete Jugendliche im Ausland kaufen und nach einigen Jahren des Unterrichts in Hamburg als eigenen Nachwuchs ausgeben können. Aber wird die Wirtschaft weiter fürs teure Ballett in Hamburg zahlen?
Immerhin ist Volpi völlig unverdächtig, Politik oder Wirtschaft in Deutschland zu kritisieren. Solche Fähigkeiten gehörten früher zu einem demokratischen Künstler dazu – aber diese Kompetenzen wurden, wie wir schon wissen, längst abgelöst von Buckelei vorm Geld und von „Kooperation“ mit den herrschenden Eliten. Weshalb die neu geschöpften Werke in Deutschland ja auch zunehmend an Spannung nachlassen.
Schade ist die Ernennung Volpis allerdings auch für Neumeiers engen Mitarbeiter Lloyd Riggins, der früher vom „absoluta bulla“ erst jahrelang als Nachfolger präsentiert und dann sein Stellvertreter wurde. Stellvertreter vom Hamburger Ballettchef soll der wie Neumeier in den USA geborene Riggins aber auch unter Volpi bleiben. Ein ewiger Stellvertreter? Und während die durch und durch regierungstreue Hamburger Lokalpresse den immer etwas unbedarft wirkenden jungen Volpi in den höchsten Himmel der Unterhaltungskunst loben wird, muss Riggins hinter den Kulissen vermutlich den Laden zusammen halten.
Riggins‘ Kompetenz bezüglich der Neumeier-Choreografien wird dann zum Tragen kommen, wenn diese weiterhin oder erneut auf der Bühne der Hamburgischen Staatsoper aufgeführt werden. Wieviele das pro Saison sein werden, ist zur Zeit noch nicht bekannt.
Aber Riggins‘ höchst erfolgreiche, angenehm verspielte und auch humoristisch wirklich entzückende Inszenierung des ursprünglich dänischen Ballettschmuckstücks „Napoli“ von 2014 in Hamburg rückt vielleicht wieder ins Gedächtnis und auch auf den Spielplan – und sei es schon deshalb, um die Anhänger von Lloyd Riggins zu beschwichtigen. Denn merkwürdig ist es schon, wenn sich jemand jahrelang auf so eine Position vorbereiten soll, man ihm dann aber einen Jungspund ohne weiteren internationalen Glanz vor die Nase setzt.
Ja, Volpi hat auch im Ausland gearbeitet. Beim Lettischen Nationalballett zum Beispiel. Und natürlich beim American Ballet Theatre, dem Frontballett der USA.
Aber vor allem machte er seine Karriere erst als Tänzer, dann als Choreograf bei Reid Anderson und dem Stuttgarter Ballett, das ich nicht ohne Grund nach seinem Hauptsponsor zeitweise auch „Porsche Ballett“ nenne.
Dass Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda, mit dem man im Februar 2019 in der Hamburgischen Staatsoper ganz nach Art der Jubelperser noch „Happy Birthday“ zu Neumeiers 80. sang, sich jetzt als Ballettexperte geriert und behauptet, „mit Demis Volpi kann die herausragende Geschichte des Hamburger Ballett weitergeschrieben und mit neuen Impulsen in die Zukunft geführt werden“, klingt ganz schön vollmundig.
Das Hamburger Statement von Volpi zu seinem Antritt klingt wiederum so wenig spontan und so wenig echt, dass man ihm dort unbedingt einen neuen Pressesprecher wünscht. Oder eine Frau oder jemand Diverses, die oder das ihm dann etwas authentischere Floskeln in den Mund legt.
Nachgerade lächerlich macht Volpi sich mit dem Satz, ohne John Neumeiers Zuspruch würde er nicht nach Hamburg kommen, da „wäre dieser Schritt für mich undenkbar“. In der Tat: Wer Neumeiers Macht beim Hamburg Ballett kennt, für den ist undenkbar, dass sein Nachfolger nicht vor allem von ihm selbst ausgesucht wurde. Aber das würde man vor Ort niemals zugeben – dazu hat die Heuchelei in den letzten Jahren schon zuviel Raum beim Hamburg Ballett ergriffen.
Gisela Sonnenburg
https://ballett-journal.de/stuttgarter-ballett-krabat/
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