Im Westen was Neues Das Ballett Dortmund zeigt „Dust“ von Akram Khan, das Ballett am Rhein lockt mit „Come in“, das Aalto Ballett in Essen singt in „Rock around Barock“ und in Stuttgart premiert ein Abend von Johan Inger

 

Im Westen tanzt zurzeit die Moderne

Adeline Pastor und Davit Jeyranyan in „Rock around Barock“ von Ben Van Cauwenbergh beim Aalto-Ballett in Essen. Yeah, yeah, yeah – von Bach bis Tango, von den Beatles bis zum Rheinmain-Rock. Foto: Bettina Stöß

Die aufregenden News derzeit kommen aus dem Westen. In Dortmund, Duisburg, Essen und – ein wenig südwestlicher gelegen – in Stuttgart powert die Ballettkunst mit Vielfalt und modernen Einfällen. Die klassische Tanzgrundlage bewährt sich in hochmodernen Balletten – und es wird munter auch mal das Crossover mit anderen Gattungen praktiziert. Zum Vorfrühling passt soviel Lust am Neuen ganz vorzüglich. Mit viel Beifall premierten denn auch am letzten Wochenende beim Ballett Dortmund die als „New London Moves“ präsentierten neuen drei Stücke im Repertoire, die die Truppe als international wettbewerbsfähig darstellen sollen. Das ist das Ballett Dortmund nun aber sowieso, zum Einen wegen seines hochkarätigen Chefchoreografen Xin Peng Wang, zum Anderen aufgrund seiner tänzerischen Qualitäten. Die neuen Stücke aus Großbritannien haben nun allerdings sehr unterschiedliche Qualitäten. Der Frühling probiert halt noch, könnte man sagen. Aber: nach einem Langweilerstück von Wayne McGregor, der übrigens Wangs geniale „Göttliche Komödie“ in London kürzlich so schlicht wie schlecht nachmachte und mit seinem äußerst simplen, aber aufgeblasenen  „Dante Project“ kläglich scheiterte (und dem ohnehin seit Jahren nichts mehr einfällt), sowie nach einem mittelmäßigen Beliebigkeitswerk von Douglas Lee (das nicht unbedingt der Rede wert ist) lockt mit dem phänomenalen „Dust“ („Staub“) von Akram Khan tatsächlich eine sensationelle neue Show ins Dortmunder Opernhaus, die am Samstag, den 26.2.22, wieder zu sehen ist.

Es geht darin um Liebe, Tod und Erinnerung im Ersten Weltkrieg. 2014 wurde das Stück von Khan kreiert – und es ist eine Hommage an die großen Gefühle, ästhetisch und ausdrucksstark in Szene gesetzt. Khan, der mit seiner modernisierten und auch noch nur  pseudo-indischen  „Giselle“ nicht jeden Geschmack wirklich zu treffen wusste, hat in „Dust“ all sein Können zusammengefasst und auf den Punkt gebracht.

Im Westen tanzt zurzeit die Moderne

„Dust“ von Akram Khan ist das Highlight bei den „New London Moves“ vom Ballett Dortmund. Hier eine Gruppenszene, es gibt aber auch innige Paartänze. Foto: Leszek Januszewski

Trotzdem hat man demnächst eine starke Konkurrenz in der Nähe: Das Ballett am Rhein zeigt am Freitag, den 25.2.22, im Theater Duisburg mit „Come in“ flippige Stücke von Twyla Tharp und Aszure Barton. Twyla Tharp, die amerikanische Altmeisterin, die unter anderem einst das Musical „Hair“ choreografierte, ist mit ihrem freundlich-umarmenden, dennoch radikal modern-revuehaften Tanzstil einmalig, und es wird höchste Zeit, dass man diesen mal wieder live auf einer Bühne sehen kann. Und ihre„Commentaries on the Floating World“, die „Kommentare zur treibenden Welt“, sind sogar eine Uraufführung!

Im Westen tanzt zurzeit die Moderne

„Come in“ ruft verlockend der Titel des zweiteiligen Programms starker Frauen zum Ballett am Rhein. Foto: Bettina Stöß

Aszure Barton ist dann eine würdige Nachfolgerin von Tharp im Reigen der weiblichen Choreografen, obwohl sie eher durch Vielseitigkeit als durch den einen prägnanten Stil gekennzeichnet ist. Neugierig sollte man von daher immer sein, wenn von ihr, der kanadischen Jungchoreografin, die man für deutsche Verhältnisse fast als Entdeckung von Ivan Liska, ehemals Direktor vom Bayerischen Staatsballett, bezeichnen kann, etwas Neues kommt.

Ihr Stück gab dem Programm den Gesamttitel, und dass es schon 2006 in New York uraufgeführt wurde, von einer Truppe, die nach dem brenzligen New Yorker Stadtquartier „Hell’s Kitchen“ benannt wurde, erinnert umso stärker an den Werbeslogan einer bekannten Drogerie-Kette. In diesem Sinne: Come in and find out!

Und nochmal dräut die starke Konkurrenz am rheinländischen Horizont:

Das Aalto Ballett in Essen nimmt bereits am Donnerstag, dem 24.2.22, seine stets bejubelte Collage „Rock around Barock“ wieder auf. Darin wird getanzt, gespielt, gesungen – und Tango, Spitzentanz und Barockrequisiten feiern ein fröhliches Miteinander.

Musikalisch setzt sich das fort: Die streng-schönen Klänge von Bach werden vom rhythmischen Beatles-Sound konterkariert. Ballettdirektor und Chefchoreograf Ben Van Cauwenbergh reizt die Talente seiner Ballettkünstler:innen aus, und um sie sich mit einem ungewöhnlichen Live-Sound messen zu lassen, holte er die Rockband Mallet aus Wiesbaden nach Essen. Rheinmain-Rock trifft auf klassische Harmonien – noch weiter kann man den kunterbunten Bogen der Heiterkeit einfach nicht spannen.

Im Westen tanzt Neues

Moisés León Noriega rockt mit klassisch-modernen Tanzmethoden in „Rock around Barock“ von Ben Van Cauwenbergh. Nur beim Aalto-Ballett in Essen zu sehen! Foto: Bettina Stöß

Wem die leichte Muse zu dieser Jahreszeit allerdings definitiv zu leicht ist, wird sich ab Freitag, dem 25.2.22, gern zum Stuttgarter Ballett locken lassen, wo der originelle schwedische Choreograf Johan Inger zu einem Dreiteiler namens „Pure Bliss“ einlädt.

Inger hat schon der traditionell blutrünstigen „Carmen“ ein modernes, lüstern-rotes Gesicht verliehen, er hat den „Boléro“ von Maurice Ravel unter dem Titel „Walking Mad“ als sich steigerndes Stück nordischer Erotik zelebriert, höchst angezogen übrigens und sich vom still wiegenden Paartanz zum heißen Gruppentanz steigernd.

Jetzt zeigt Inger mit dem Stuttgarter Ballett eine Uraufführung mit dem Titel „Aurora’s Nap“ („Auroras Schläfchen“), und dass die Musik von Peter I. Tschaikowsky kommt, ist bei dem Stücktitel wirklich kein Zufall. Man darf sich auf Satire und Ironie, aber auch auf ein furioses Feuerwerk theaterwirksamer Körperinszenierungen freuen: Dornröschen mal ganz anders!

Vorab werden mit „Bliss“ („Segen“) zum „Köln-Konzert“ des einstigen Zeitgeist-Pianisten Keith Jarrett und mit „Out of Breath“ („Außer Atem“) zwei bewährte Inger-Stücke gezeigt. Auch sie werden das Hingehen lohnen, auch wenn die „reine Glückseligkeit“, die der Programmtitel „Pure Bliss“ verspricht, ein klein wenig nach Parodie duftet.

Im Westen tanzt Neues

Ein Probenauszug aus „Bliss“ ist schon als PR-Trailer zu sehen – mit vor Glück scheinbar schwebenden Menschen. Aber die Hintergründigkeit von Johan Inger wird nicht lange auf sich warten lassen. Videostill vom Stuttgarter Ballett: Gisela Sonnenburg

„Freiheit und Gemeinschaft“ würden in „Bliss“ illustriert, verspricht der PR-Text. Aber sind das überhaupt noch Werte in unserer Gesellschaft? Können solche Träume in abgasgeschwängerten Städten überhaupt noch kommentarlos überleben?

Den Kampf mit einer Mauer statt mit verdreckter Luft zeigt dann „Out of Breath“, bevor die Spannung steigt und die Uraufführung zurück in die vermeintliche Sicherheit des Parodistisch-Erhebenden geleitet.

Ahoi und viel Genuss!
Gisela Sonnenburg

www.theaterdo.de

www.operamrhein.de

www.theater-essen.de

www.stuttgarter-ballett.de

 

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