Seine Augen. So klar und doch so erschütternd. Wie der ganze Mann: David Hallberg, leidgeprüfter Starballerino, der schon mal eine lange Auszeit aus Verletzungsgründen hinter sich bringen musste, der aber als erster US-Amerikaner beim Bolschoi Ballett als Gasttänzer in die Tanzannalen einging, tanzte beim Bayerischen Staatsballett am letzten Samstag die Titelrolle in „Onegin“ von John Cranko. Und das Publikum ließ sich mitreißen, als gelte es, die ganze russische Seele in den Applaus einfließen zu lassen. Aber auch die bayerische Stammbesetzung von „Der Widerspenstigen Zähmung“, ebenfalls von Cranko, evozierte Vorhang auf Vorhang beim Schlussapplaus: Laurretta Summerscales triumphierte am Sonntag in der Titelrolle, gezähmt von ihrem Gatten Yonah Acosta als Petrucchio. Am Dirigentenpult beide Abende: Myron Romanul, wie immer hüpfend und, ebenfalls wie immer, äußerst gute Laune verbreitend.
Zunächst zurück zum Samstag.
Es gibt so viele Möglichkeiten, Onegin zu sein – aber David Hallberg glaubt man den Part des egozentrischen Lebemanns, der die wahre Liebe verpasst und dem das viel zu spät zur Erkenntnis kommt, besonders gerne.
Bildschöne Linien, expressive Haltungen, dazu ein lebendiges mimisches Spiel – was für ein Bild von einem Ballerino!
Natalia Osipova als Tatjana, ebenfalls als Gast nach München angereist (was sie indes häufiger macht), konnte diesem Eugen Onegin selbstredend nur widerstehen, weil das Libretto und die Musik von Peter I. Tschaikowsky (in der genialen Bearbeitung von Kurt-Heinz Stolze) es zwingend so am Ende vorsehen.
Sie muss sich darum selbst besiegen, ihre Lust, diesem willigen Mann zu folgen, unterdrücken, und obwohl sie ihm nach dem letzten passionierten Paartanz fast herrisch den Weg hinaus weist, wissen wir alle doch, wie sehr Tatjana dabei leidet, weil sie diesen elegant gealterten Narziss seit ihrer Jugend liebt.
Damals wollte er sie nicht, und als er sich dann zehn Jahre später in Tatjana verknallt, ist sie schon glücklich mit einem anderen, einem Gentleman von fürstlichem Geblüt, verheiratet.
Dazwischen liegen bezaubernde Ensembletänze, leidenschaftliche Pas de deux, entzückende Soli – und eine zweite gescheiterte Liebesgeschichte, die der Heißblütigkeit eines Poeten geschuldet ist.
Laurretta Summerscales ist hier als zarte Olga in „Onegin“ einfach nur ein Augenschmaus: Als jüngere Schwester von Tatjana verliert sie ihr Lebensglück, weil ihr Verlobter, jener hitzige Poet, Onegin aus eifersüchtigem Zorn zum Duell fordert. Und verliert…
Olga verschwindet von der Bildfäche, aber Laurretta taucht am nächsten Abend wieder auf, völlig verändert:
Da tanzt Laurretta Summerscales – die eben noch Olga war -die ganz anders gelagerte Katharina, diese kratzbürstige, renitente Person, die partout nicht heiraten will (und das im 17. Jahrhundert) und die dann doch vom wilden, argen Petrucchio geködert und hinterlistig grob gezähmt wird.
William Shakespeare, der Erfinder dieser nonfeministischen Schmonzette, zwinkert uns mächtig zu: Ausgerechnet dieses Thema erwählte Meisterchoreograf John Cranko, um eine der am stärksten faszinierenden Ballerinenrollen zu kreieren.
Kate darf widerborstig sein und bockig, sie darf so trotzig springen und herumzetern wie sonst keine im Ballett! Am Ende wird sie doch geliebt, weil sie selbst liebt!
Allerdings muss sie dafür glaubhaft der Liebe den Vorzug geben, und zwar dann, wenn es ernst wird im Leben und fast keine andere Möglichkeit mehr besteht.
Laurretta Summerscales, die ballettöse Münchner Allzweckwaffe, schafft auch das und verleiht zudem diesem Rollenprofil dank der lieblichen Pas-de-deux-Passagen in der „Zähmung“ ihren typischen, zart-femininen Schmelz.
Aber auch Kristina Lind als Bianca, also Katharinas Schwester, muss erwähnt werden.
Lieb und nett, süß und adrett – und doch auch subversiv wie ein Wanderstrudel im Bergsee wirbelt diese Bianca alles durcheinander, ist ein fulminantes Weib und doch ganz Mädchen.
Jonah Cook als cleverer Lucentio schafft es dazu, gleichzeitig satirisch und bildschön zu tanzen. Was für ein Pärchen!
Die zähmende Hand aber von Yonah Acosta hat dennoch das Sagen. Zum Glück ist sie nicht nur stark, sondern auch sanft und lieb.
Und der Geschlechterkampf tobt sicher fröhlich weiter, vorübergehend nur ist Ruh, wenn die Klänge, die Kurt-Heinz Stolze nach Melodien von Domenico Scarlatti schuf, verstummen.
Die Ballettfestwoche 2019 aber läuft und läuft und läuft nach dem Auftaktwochenende mit Wow – einfach prächtig!
Franka Maria Selz / Gisela Sonnenburg