Glücksfunkelnder Neubeginn Das Staatsballett Berlin beginnt die Saison mit Glücksgefühlen und „From Berlin with Love I“ in der Deutschen Oper

"From Berlin with Love I"

„From Berlin with Love I“: Starballerino Dinu Tamazlacaru beim Applaus der Premiere am 27.8.20 in der Deutschen Oper Berlin. Endlich darf man in der Hauptstadt wieder live Ballett erleben! Foto: Gisela Sonnenburg

Alles ist anders und doch ist es schön! So schön! Mit dem Gala-Programm „From Berlin with Love I“ meldet sich das Staatsballett Berlin (SBB) bei seinem Publikum zurück, und die satte Mischung aus Neu und Alt, aus Gediegen und Gewagt, aus Romantik, Klassik und Moderne ist einfach viel zu gut, um sie als Notnagel abzustempeln. Die kommissarische – und bisher schon langjährig erfahrene – stellvertretende Intendantin Christiane Theobald ist zu bedanken und zu beglückwünschen, dass sie Nägel mit Köpfen macht – und auch die entsprechenden Künstlerinnen und Künstler, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat, um damit zu gewinnen. Das Aufgebot umfasst Soli, Pas de deux und exquisite kleine Gruppen, die Musik bietet solide Orchesterarbeiten (vom Tonband) und köstliche Live-Musiken in Kammerbesetzung. Der am meisten bejubelte Star des Abends in der Premierenausgabe der Gala ist zweifelsohne Dinu Tamazlacaru, der sich trotz Corona-Pause in Topform – mit Sprunggewalt, Präzision und exzellent beseeltem Ausdruck – zeigt. Und die hohe Karatzahl der weiteren Bühnenstars mit ihren erlesenen einzelnen Auftritten lockt ebenfalls: Daniil Simkin, Polina Semionova, Ksenia Ovsyanick, Yolanda Correa, Alexei Orlenco, Evelina Godunova und natürlich Iana Salenko mit Gatte Marian Walter sind dabei. Nicht zu vergessen Elisa Carrillo Cabrera mit Ehemann Mikhail Kaniskin, welcher mit der morgigen Gala-Ausgabe, die auch noch mit Stargästen von außerhalb aufwartet, seinen glamourösen Bühnenabschied nehmen wird. Publikumsliebling Alexander Abdukarimov hingegen zelebriert eine Aufsehen erregende eigene Kreation, und auch der höchst interessante Newcomer Andreas Heise sowie die zartfühlende Chinesin Yabin Wang haben originelle Neuigkeiten choreografiert. Nach monatelanger Abstinenz kann das Publikum jetzt also Ballett in Berlin wieder in vollen Zügen genießen: Da funkelt und brilliert es, da strengen sich die hochtalentierten Kräfte an, ihr Bestes zu geben. Es können zwar nur wenige hundert Karten pro Vorstellunge vergeben werden – wegen der Sicherheitsabstände im Saal – aber es lohnt sich wirklich, sich darum zu bemühen, an diesen auch historisch bemerkenswerten Events teilzunehmen!

"From Berlin with Love I"

Yolanda Correa (li.) und Ksenia Ovsyanick (re.) im „Pas de Quatre“, dem Gipfeltreffen der romantischen Primaballerinen von Anton Dolin nach Jules Perrot, beim Staatsballett Berlin. Zu sehen in „From Berlin with Love I“. And love comes back! Foto: Gisela Sonnenburg

Als Saisonstart ist so eine Gala außerdem eine sehr gute Möglichkeit für eine Compagnie, sich dem Publikum erneut vorzustellen: Die gebündelte Bandbreite der Stile und Themen ermöglicht es, die Vorzüge der einzelnen Tänzerinnen und Tänzer ganz besonders und auch in den Kontrasten zu den anderen wahrzunehmen.

Schließlich wusste ja schon Choreograf George Balanchine: Kostbare Edelsteine verschiedener Varietäten ergänzen sich nicht nur im Schaufenster bei Juwelieren, sondern auch auf der Ballettbühne auf das Vorzüglichste.

Und gäbe es nicht den Corona-Virus, könnte man auch dem Corps de ballet im Rahmen einer hauseigenen Gala schöne Gelegenheiten geben aufzutreten.

Man sollte es sich merken: Galas können, wenn sie mit Konzept zusammengestellt werden, nicht nur ein Spielzeitende abrunden, sondern vor allem auch eine Saison mit dem Feuer der Leidenschaft eröffnen!

Natürlich ist die Stimmung im Zuschauersaal zu Anfang fast gehemmt, denn es ist ein wenig gewöhnungsbedürftig, vier bis sechs Plätze neben sich, vor sich und hinter sich unbesetzt zu sehen. Als Paar oder Gruppe direkt nebeneinander zu sitzen, ist in der Deutschen Oper Berlin (DOB) derzeit nur möglich, wenn man verpartnert ist, im selben Haushalt lebt oder ein juristisch geregeltes Umgangsrecht pflegt. Natürlich ist das für Viele noch befremdlich.

Andererseits dient das erwiesenermaßen der Sicherheit von uns allen, und die weißen Bänder auf den nicht zugelassenen Sitzen haben zudem – bitte nicht lachen – durchaus einen ästhetischen Effekt. Es ist absolut sinnvoll, sich mit der neuen Normalität anzufreunden, statt eigenbrötlerisch darauf zu beharren, dass alles „wie sonst auch“ sein müsse.

Gala total gibt es im Juli 2021 in Luxemburg! Mit Berliner Stars wie Dinu Tamazlacaru – und weiteren internationalen Koryphäen, etwa Lucia Lacarra und Matthew Golding. Man kann sich nicht früh genug um Tickets und Reisedetails kümmern… das Corona-Virus sollte bis dahin kein großes Problem mehr sein. Tickets zur Auswahl gibt es hier auf Anklick. Foto: Primo

Die Philosophen haben derweil Recht, wenn sie feststellen, dass alles im Fluss ist. Achtsamkeit muss heute normal sein – und nicht etwas, das man ignorieren sollte.

Schließlich ist ein erhöhter Respekt voreinander nie ein Mangel, auch dann nicht, wenn er diesem eklige Corona-Virus zu danken ist, das unsere Welt – auch unsere Kulturwelt – noch einige Zeit mitregieren wird.

Tatsächlich vergisst man bald, dass man hier unter besonderen Umständen platziert worden ist. Das liegt vor allem an den hinreißenden Darbietungen!

Und noch etwas stellt sich ganz nebenbei heraus:

Die Möglichkeit, sich gut zu konzentrieren, wird durch die größere Ruhe während der Aufführung gesteigert, und manche Bühnenmomente – vor allem die stillen, oft besonders tiefen – können noch intensiver erlebt werden als bei vollem Haus, das immer auch ein erhöhtes Aufkommen an Flüstern, Räuspern, Rascheln und Hüsteln mit sich bringt.

Schließlich hat man auch vermehrte Beinfreiheit, wenn man die Beine ungehindert seitlich ausstrecken kann – ein erfreulicher Komfortbonus.

Und der Sichtkontakt mit den anderen Zuschauern ist ja nach wie vor gegeben, solange es im Saal hell ist.

Es muss also niemand befürchten, sich im Opernhaus fremd, unbequem oder allein gelassen zu fühlen. Die Atmosphäre ist wie immer so gut, wie das Publikum gestimmt ist – und die festlich gehobene Anspannung vor und während einer Aufführung kann wie sonst auch genossen werden.

Jetzt aber flugs in die Show, sonst ist sie vorbei, bevor wir hier enden!

Das Premierenprogramm „From Berlin with Love I“ beginnt und endet mit je einer Choreografie von Anton Dolin, jenem Altmeister der Ballets Russes, den ich noch vor knapp vier Jahrzehnten in Hamburg selbst als Coach einer Gala-Nummer aus „Le train bleu“ erleben durfte. Dolin (1904 – 1983), gebürtiger Brite, tanzte schon in den goldenen 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts bei Serge Diaghilev und seinen Ballets Russes in Paris, er kreierte und interpretierte legendäre Partien aus dem Bereich der beginnenden Moderne. 1950 gründete er mit Alicia Markova das heutige English National Theatre – und als Coach, Choreograf und Ballettmeister blieb er seiner Kunst ein Leben lang treu.

Den romantischen „Pas de Quatre“, mit dem die vier berühmtesten Primaballerinen ihrer Zeit schon 1845 in der Choreografie von „Giselle“-Miterfinder Jules Perrot reüssierten, hat Dolin überformt und auf das weniger süßliche moderne Geschmacksniveau gebracht. Jetzt wurde – wegen der Sicherheitsabstände – hier und da nochmals an der Choreo gefummelt, sodass es zwar Gruppenbilder im Tanz der vier Sylphiden gibt, aber keine eng umschlungen getanzten Passagen.

Aber ach, es ist die pure, fluffige, leichtfüßige Poesie der Romantik, die sich hier nach wie vor formuliert!

Die Musik von Cesare Pugni unterstützt das Tändeln und Locken, die zarte Hingebung und lyrische Magie dieser Tänze!

"From Berlin with Love I"

Vier wunderschöne Primaballerinen synchron in der Luft – so zu sehen in „From Berlin with Love I“ gleich zu Beginn im „Pas de Quatre“ von Anton Dolin, einstudiert von Mikhail Kaniskin. Foto: Carlos Quezada

Zu viert bilden die luftig gekleideten Damen ein schier überirdisches Quartett im roséfarbenen Licht, vor aufgemalter Naturkulisse mit Wald und Berggipfeln wie aus dem Atelier der Romantik selbst.

Das erste Solo hat die berückende Iana Salenko in der Partie der Lucile Grahn. Die Dänin wurde von Auguste Bournonville in Kopenhagen ausgebildet, und sie verkörperte vorbildlich die zarten, klaren Linien bei kräftigem Ausdruck des dänischen Balletts.

Hier hätte Mikhail Kaniskin, der sich seit Jahren mit Dolin beschäftigt und der jetzt für die Berliner Einstudierung zeichnet, vielleicht noch einen Hauch stärker auf das typisch Dänische achten können: kleine Bögen bei den Bewegungen statt große, stramme statt lose fließende Zwischenposen.Aber auch so kommt das besondere Flair der Primaballerina sehr schön über die Rampe.

Denn unbeirrbar süß und sprungmächtig flirrt La Salenko über die Szene, sie wirbelt und battiert, flattert und hält die grazile Pose mit sanftem Lächeln. Ein Schmetterling in Menschengestalt!

Die elegante Yoland Correa als Carlotta Grisi (die eine Schülerin der Mailänder Scala war) steht Salenko-Grahn nichts nach und beeindruckt mit raffiniert aufgestellten Piqué-Pirouetten.

Walzer satt bietet dann das Solo der charmanten Elisa Carrilla Cabrera als Fanny Cerrito. Die Italienerin war der Inbegriff der Sinnlichkeit ihrer Zeit, und Elisa füllt mit flirrenden Balancés die Bühne.

"From Berlin with Love I"

Ksenia Ovsyanick beim Applaus nach dem „Pas de Quatre“ von Anton Dolin, in der Gala „From Berlin with Love I“ beim Staatsballett Berlin. Wie fein! Foto: Gisela Sonnenburg

Schließlich begeistert Ksenia Ovsyanick als Marie Taglioni, also als die ungekrönte Königin dieses Gespanns, denn Taglioni tanzte als erste Ballerina überhaupt eine ganze Vorstellung in Spitzenschuhen. Das war „La Sylphide“ 1932, und die Kostüme der vier glorreichen Damen im „Pas de Quatre“ sind an diese Inszenierung angelehnt.

Der Blütenkranz im Haar ist dabei typischerweise durch den am oberen Hinterkopf geformten Dutt nach oben gewölbt, während sich unterhalb des Mieders zahlreiche Tüllschichten zu einem voluminösen Rock aufbauschen. Die Füße, die darunter hervorschauen, wirken durch diese luftigen Stoffmassen umso zierlicher.

Ovsyanick schwebt durch die Sphäre und hält doch lange, wunderschöne Balancen, zahlreiche exakt ausgeführte Arabesken und zierliche, fein platzierte Posen verleihen dem Tanz zusätzlich den Gusto des Poetisch-Außerirdischen.

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Yolanda Correa und Ksenia Ovsyanick beim Applaus nach Anton Dolins „Pas de Quatre“ im Gala-Programm „From Berlin with Love I“. Foto: Gisela Sonnenburg

Und wenn diese Damen zu zweit, zu dritt und auch zu viert die Kunst zelebrieren, vollständig vergessen zu machen, dass auch sie nur Menschen sind, dann sind weitere Höhepunkte des Abends schnell erreicht.

Selbstverständlich geschieht all dies dennoch mit aller Zartheit, zu der ein klassisch-romantischer Tanz nachgerade verpflichtet. Wie ein erfrischender Lufthauch im Sommer wirkt der „Pas de Quatre“ („Schritt zu viert“)!

Kein Wunder also, dass viel Applaus gespendet wird.

Und dann heißt es: tief einatmen und auf ein Experiment gefasst sein. Denn Alexander Abdukarimov, der seit Beginn seiner Karriere beim Staatsballett Berlin 2014 durch den Willen zur eigenen Choreografie auffiel, präsentiert sein avantgardistisches Solo „Look out from the Silence“ („Schau aus der Stille“).

Der gebürtige Moskowiter greift hier zu einer seltenen Requisite, die seinen Tanz ergänzt, erhellt und sogar Partner ist: eine Lampe, die sowohl als am Boden liegender Scheinwerfer als auch als schwingende Pendelleuchte in sonstiger absoluter Dunkelheit keine geringe Partie inne hat.

"From Berlin with Love I"

Alexander Abdukarimov, Tänzer und Choreograf, beim Applaus nach seinem Stück „Look out from the Silence“ in der DOB. Bravo! Foto: Gisela Sonnenburg

Der moderne Mensch, wie Abdukarimov ihn versteht, trägt nur eine Art Shorts und ist ansonsten in der Welt mit sich allein. Fast ist er ein Adam ohne Eva im Universum des Nichts, denn einsame Finsternis umgibt ihn.

Diese existenzialistische Auffassung erinnert an den Choreografen und ehemaligen Berliner Ballettintendanten Nacho Duato, der Abdukarimov auch vom Ballett in Kiel nach Berlin holte.

Hier, in der Schau aus der Stille, gibt es aber zusätzlich das Licht als Partner und Requisit. Während der Tänzer sich am Boden wälzt, legt der Scheinwerfer ihm einen Teppich aus Licht unter den Körper.

Doch aus dem Einklang wird ein Duell: In smarten, schönen, zumeist fließenden Bewegungen greift Abdukarimov sich die Lichtquelle und funktioniert sie um: zu einer von oben herab hängenden Leuchte. Damit steht er im Lichtkegel und spielt mit der Möglichkeit, die sich bewegende Lampe zu erhaschen.

Verzweiflung und Sehnsucht dominieren hier die Gefühle, die Vereinzelung und Anonymisierung – das ist ganz deutlich – wird von Abdukarimov richtigerweise als großes Problem der Gegenwart diagnostiziert.

Da wird das Licht zu einer Metapher: für Hoffnung, Gnade, Realität – für alles, was ablenkt von der gegenwärtigen Misere und dem unerschöpflichen Lauern der Depression auf den nächstmöglichen Zugriff in einer Welt, in der die Menschen einander nicht mehr verstehen wollen.

Alexander Abdukarimov zeigt eindringlich den Kampf gegen dieses wirklich nicht solitäre Geschehen, und dass er dazu sanfte Pianomusik von Ezio Bosso gewählt hat, sorgt nochmals dafür, dass die Sache unter die Haut geht. Bravo!

Dieser gelungenen Avantgarde folgt ein tänzerischer Rückblick auf das Schaffen eines gerade in Europa wichtigen modernen Klassikers aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts: auf Heinz Spoerli.

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Spoerli hatte mit der Einstudierung seines „Peer Gynt“, in dem er einen sprechenden Schauspieler zusammen mit Tänzerinnen und Tänzern auf der Bühne agieren lässt, eine unvergessliche Spur in Berlin hinterlassen. Das war 2011. Jetzt präsentiert das SBB ein weit seltener getanztes Werk von ihm, nämlich einen Auszug aus „Ein Sommernachtstraum“, den er 1996 für das damals von ihm geleitete Zürcher Ballett neu inszenierte.

Auffallend ist die Ähnlichkeit der Szenerie zur ohnehin viele Ballette auch anderer Choreografen prägenden Inszenierung des Stücks in Hamburg durch John Neumeier von 1977.

Auch bei Spoerli tragen die Elfen silbrige Leotards und flanieren anmutig durch einen wabernden Nebel, der Zaubersinn, Verwirrung und Erotik suggeriert.

Und wie Neumeier, der den Elfenwald in „Ein Sommernachtstraum“ mit Orgelmusik von György Ligeti unterlegt, entschied sich Spoerli für zeitgenössische Musik als Untermalung des Zauberhaften: ein Violinkonzert von Philipp Glass ist es hier.

Allerdings sind die Armbewegungen bei Spoerli ausführlicher und lieblicher, sogar romantisch-verspielt und in Rundungen schwelgend, während sie bei Neumeier bekanntermaßen streng und zumeist geradlinig sind.

Aus dem Nebel tanzen Spoerlis Paare nacheinander in erhabener, ja unbestechlich anmutiger Weise hervor, und die Tanzenden können sowohl Elfen sein als auch verzauberte Liebhaberpärchen. Mit ihnen kommt ein ganz eigenes Universum auf die Bühne…

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Sarah Brodbeck – mit sehr fließend-weichen Bewegungen – tanzt hier mit dem männlichen Vahe Martirosyan, die ranke Alizée Sicre mit dem passionierten Alexei Orlenco und Evelina Godunova – äußerst klar und doch sehr feminin – mit dem agilen Yevgeniy Khissamutdinov.

Dabei fällt mir – nur von der Kompliziertheit des Namens her angestoßen – ein, dass Anton Dolin, der Choreograf des Eingangsstücks, mit GeburtsnamenSydney Francis Patrick Chippendall Healey-Kayhieß. Und es gibt zahlreiche ähnliche Beispiele auch lebender Ballettkünstler dafür, dass manchmal ein flotter Künstlername für alle Beteiligten nur Vorteile hat. Besonders natürlich für jene, die den Namen des Betreffenden bekannt machen sollen… In Deutschland kann man sich Künstlernamen übrigens auch in den Personalausweis eintragen lassen, was immer dann wichtig ist, wenn man die Identität zweifelsfrei belegen möchte.

Soviel als Anregung für angehende und junge Künstlerinnen und Künstler, die sich möglicherweise mit einem griffigen Namen in die Tradition von Balanchine, Dolin, Marlene Dietrich und, jawohl, Marilyn Monroe, Lotte Lenya und Margot Fonteyn einreihen wollen.

Die Paare sind sichtlich der Zwänge der Alltagswelt enthoben und tanzen beinahe somnambul durch eine surreal-imaginierte Zauberwelt. Es ist Nachtzeit – und der Traum hat ohne gängelndes Über-Ich das Sagen.

"From Berlin with Love I"

Evelina Godunova und Yevgeniy Khissamutdinov nach dem Auszug aus „Ein Sommernachtstraum“ von Heinz Spoerli auf der Gala „From Berlin with Love I“ in der Deutschen Oper Berlin. Staatsballett Berlin, ole! Foto: Gisela Sonnenburg

Aus der Form geraten die schönen, edelmütigen Pärchen dennoch nicht: Ob sie sich mit besonders raffinierten Verquickungen hervortun oder ob sie synchron die Damen in Arabesken und Penchés gleiten lassen, von den Herren sachkundig gelenkt – es ist eine Gegengesellschaft zur Wirklichkeit, die wir sehen, und ihr utopischer Charakter macht sie so interessant.

Im Kontext des vorangegangenen Stücks von Alexander Abdukarimov passt diese Illusion des Menschenmöglichen allemal hervorragend: Beide Choreografen leiden unter dem, was sie erkennen und nicht ändern können, und sie entwerfen in ihrem Tanz die ausführlichen Reaktionen. Abdukarimov, indem er aufrütteln und vielleicht auch etwas provozieren will; Spoerli, indem er sich die vollkommene Welt erträumt und uns daran teilhaben lässt.

Beides sind legitime Wege, und man sollte nicht den Fehler begehen, die Kunst hier in irgendeine Schmalspur drücken zu wollen.

Das ist gerade auch Sinn und Zweck einer Gala: zu zeigen, wie es gehen kann, nämlich so und so und so, aber eben auch so!

Wie es unbedingt auch ganz toll geht, zeigt dann Polina Semionova. Diese Meisterin der Ballettbühne bricht das letzte Eis, das womöglich noch irgendwo im Parkett oder auf den Rängen die Begeisterung zurückhielt, weil der Eine oder die Andere mit der neuen Kargheit der nichtbesetzten Plätze haderte.

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Eisbrecherin und Meistertänzerin: Polina Semionova nach „Cinque“ von Mauro Bigonzetti in „From Berlin with Love I“ in der DOB. Wow! Foto: Gisela Sonnenburg

Polina kommt, im modernen schwarzen Latex-Tutu – und siegt in eins. Mauro Bigonzetti (der sich in Berlin mit seinem „Caravaggio“ selbst ein choreografisches Denkmal gesetzt hat) choreografierte Polinas Solo „Cinque“ („Fünf“): zum Lacrimosa von Antonio Vivaldi.

Ach, und wie findet das engelsgleiche Klagelied, im Falsett vorgetragen, tänzerisch sein Pendant und seine Entsprechung!

Leiden und Befreiung, aber auch Leidenschaft und Hingabe prägen diesen Tanz.

Manches ist dabei ungewohnt: Da wird aus einem klassischen Tendu ein Aufbegehren, aber aus dem zeitgleichen Hochwerfen des rechten Beines und Armes als Schlusspose eine Art Einsicht in die Unveränderbarkeit des Daseins.

Bigonzetti hat diese Bewegungen sozusagen anti-typisch eingesetzt, denn normalerweise ist das brave Tendu eher besänftigend und das hochgerissene Bein eher ein Akt des Aufbegehrens. Aber die Dynamik und das Zusammenspiel mit der Musik machen den Ausdruck: sehr geschickt zeigt der choreografische Blick die Dinge hier in einem anderen Licht.

Und La Semionova ist genau die Richtige, um das auszukosten und auszuloten! Da stimmt jeder Winkel ihrer Bewegungen, auch jede Regung in ihrem schönen Gesicht.

Das ist schwerlich zu toppen.

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Iana Salenko und Marian Walter freudestrahlend beim Applaus nach dem „Schwanensee“-Adagio aus dem 2. Akt der Inszenierung von Patrice Bart. Zu sehen in „From Berlin with Love I“ in der DOB. Foto: Gisela Sonnenburg

Da kann man nur mit einer ganz anderen Art von Fraulichkeit gegen an: Iana Salenko als Odette aus dem „Schwanensee“ ist so eine Möglichkeit. Ihr Ehemann Marian Walter stürmt zuvor im weißen Prinzengewand auf die Bühne, scheinbar konfus, verloren in dieser Welt des Schauders, nach Heil suchend – und nach der Frau, die er liebt.

Aber ist es eine Frau, dieses Wesen aus Grazie und weißen Federn?

Und wie! Iana Salenko trippelt zierlich herein, ganz Schwanenmädchen, eine Prinzessin aus einer anderen Welt.

Trotz einer Verletzung tanzt Marian Walter hier tadellos den verliebten Bewunderer, geleitet und hebt die Angebete nahezu schwerelos. Sehr tapfer und auch sehr schön!

Nun sollten Tänzer nicht dazu gezwungen werden, verletzt körperlich zu arbeiten, und das war hier auch ganz sicher nicht der Fall. Aber wenn ein Körperkünstler sich soweit kennt, dass er weiß, was er sich zumuten kann und was nicht, dann ist das genau richtig.

In diesem Fall ist es so, dass Marian zwar den Schwanensee-Prinzen im Adagio tanzt, nicht aber die „Variations for Four“ von Anton Dolin, die das live getanzte Programm abschließen.

Mit seiner Ehefrau tanzte Walter den „Schwanensee“ schon oft, auch in Berlin, und zwar sowohl in der Vollausstattung der Inszenierung von Patrice Bart nach Marius Petipa und Lew Iwanow – als auch in der reduzierten Kulisse, nachdem Weihnachten 2017 ein Wasserschaden die Bühnentechnik ruiniert hatte.

"From Berlin with Love I"

Love, Love. Love: Iana Salenko und Marian Walter nach dem „Schwanensee“-Adagio in „From Berlin with Love I“ in der DOB. Foto vom Applaus: Gisela Sonnenburg

Jetzt ist es sozusagen die dritte Berliner Variante, die sie tanzen, wobei es keine Änderungen gibt, sich durch die Gala aber der Kontext des klassischen Liebestanzes modifiziert.

Der Moment der brillanten Klassik, gepaart mit dem Herzschmerz der Liebesgeschichte von „Schwanensee“, blitzt hier auf wie ein Segen, der aus der Unendlichkeit stammt.

Natürlich ist das Stück nicht umsonst im Laufe eines Jahrhunderts unersetzlich in der Kunst geworden!

Die Arabesken der Dame bestechen mit Schönheit und Zielgenauigkeit, der mit perfektem Timing zufassende Herr führt seine Geliebte mit Charme und Souveränität.

Und bei den Hebungen könnte man meinen, Iana Salenko erhebe sich selbständig wie ein Vögelchen in die Luft – so leicht liegt sie auf den Handflächen ihres Partners.Dass die ergreifende Musik von Peter I. Tschaikowsky, der wohl besser als jeder andere wusste, was Sehnsucht ist, hier in einer Kammerbesetzung als Trio live gespielt wird, steigert den Genuss nochmals.

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Elisabeth Heise-Glass an der nachgerade becircenden Violine, Arne Christian Pelz am samtenen Violincello und Alina Pronina am rhythmisch dominierenden Klavier haben den Orchestergraben für sich. Fehlt da nicht was? Man ist diese Musik mit vollem Orchesterrauschen gewöhnt und kennt sie allenfalls in der trockenen Probenversion als Klavierauszug.

Doch der Klang der drei Instrumente zeigt nicht nur die sehr gute Akustik in der DOB, in deren Stille jede angestrichene Saite eine Sensation für sich wird.

Die drei Musiker beweisen auch, dass Kammerbesetzung bei groß angelegter Musik möglich ist, wenn sie eine eigene Interpretation und nicht nur eine Reduktion darstellt.

Zum intimen Adagio-Pas de deux passen die Nuancen der Trio-Interpretation ganz vorzüglich. Ob man sich auch eine Ballszene auf Kammermusik zugeschnitten vorstellen kann, muss man abwarten – in Corona-Zeiten wird sicher auch das irgendwann irgendwo auf uns zukommen.

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Iana Salenko und Marian Walter sind ein fabelhaftes „Schwanensee“-Paar, hier beim Applaus auf der Premiere von „From Berlin with Love I“ in der DOB. Foto: Gisela Sonnenburg

Wer einen kompletten reduzierten (jaja) „Schwanensee“ sehen will, muss im September und Oktober 20 nach München schauen, wo das Bayerische Staatsballett dergleichen versucht. Wir haben eine Ankündigung hier – und werden weiter aktuell berichten.

Jetzt aber zum definitiven Highlight der Gala „From Berlin with Love I“, das als Kontrast auf den elegischen „Schwanensee“ bestens passt:

Es ist das virtuose Herrensolo „Les Bourgeois“ von Ben van Cauwenbergh, brillant und spritzig, furios und witzig getanzt und gespielt von Dinu Tamazlacaru.

Er hat mit diesem Stück schon zu Zeiten von Vladimir Malakhov als Berliner Ballettintendant Triumphe gefeiert, und daran knüpft er jetzt wieder an.

Zu dem gleichnamigen Chanson von und mit Jacques Brel wird die Geschichte eines angetrunkenen Schlachtenbummlers erzählt, der in den Straßen des nächtlichen Paris das Feuer für seine Zigarette vermisst, ansonsten aber soviel feurige Leidenschaft in sich fühlt, dass er fulminante Pirouetten und Sprünge vollführt.

Eingebettet sind die Manegen und Vielfachdrehungen in ein ausdrucksstarkes mimisches Spiel, in dem sich der Held als windiger Typ, aber auch als liebenswertes Monster entpuppt.

Das Groteske und das Sympathische gehen hier zusammen, was für Ballett so bedeutend ist: Komik und Erhabenheit schließen sich nicht aus, sondern kulminieren in einem mitreißend empathischen Tanz.

Der Titel wiederum ist ironisch-scherzhaft zu verstehen: „Les Bourgeois“, „Die Bürgerlichen“, zeigt, wie unbürgerlich sogar der Normalo in Anzug und Krawatte ist, wenn er mal ein bisschen aufdrehen darf.

Anzughose, Hemd und Krawatte sind denn auch unerlässlich als Kostüm für dieses markante Kurzballett, das außer Dinu Tamazlacaru auch Daniil Simkin vom Staatsballett Berlin im Repertoire hat. Ihre Interpretationen unterscheiden sich nicht nur durch das persönliche Schauspiel, sondern auch leicht choreografisch – ein Knüller ist und bleibt das absolut anspruchsvolle Stück aber in jedem Fall.

Dinu Tamazlacaru beherrscht hier jede kleinste und größte Bewegung: jede Gesichtsregung, jede Geste, jeden Sprung – bis hin zum „Helikopter“ – und jede zigfache Pirouette; mit seiner Technik und seiner vielfältigen Ausdruckskraft vermag er eine Figur so deutlich darzustellen, dass man meint, dieser ganz nahe und vertraut zu sein.

Und so amüsiert und begeistert der außer Rand und Band geratene Bourgeois, wärmt das Herz und beschäftigt die Seele.

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Dinu Tamazlacaru nach dem atemberaubend witzig-virtuosen Stück „Les Bourgeois“ auf der Gala „From Berlin with Love I“ beim Staatsballett Berlin. Was will man mehr?! Foto: Gisela Sonnenburg

Fast möchte man am Ende auf die Bühne springen und ihm ein Feuerzeug zuwerfen – aber da hat sich das Bild vom lechzenden Bourgeois schon eingeprägt, während das Licht auf der Bühne erlosch.

Bravos und Jubelstürme sind da einfach unvermeidlich!

Die so erzeugte glücksfunkelnde Stimmung ist genau richtig, um sich auf Neues einzulassen.

Das kommt in Gestalt von Primaballerina Yolanda Correa in einem nagelneuen Stück von Andreas Heise auf uns zu. Heise, der vorzüglich auch Opern und Sprechtheaterstücke mit passenden Choreos beliefert, kreierte trotz Corona-Abstandsregeln das jetzt uraufgeführte Solo für Yolanda. Aber ist es überhaupt ein Solo?

Der Cellist Arne Christian Pelz sitzt mit auf der Bühne, und das nicht ohne Grund…

Aber zunächst liegt der Fokus auf der Wahrnehmung des Tanzes. Es überrascht: die Strenge, die von Yolanda hier ausgeht.

Die gebürtige Kubanerin trägt nämlich ein vorn hochgeschlossenes bodenlanges Kleid, dessen enormes Rückendekolleté sie uns allerdings zuerst zeigt. Darüber sitzt ihr fest geknoteter Dutt im Nacken, die schönen Arme sind von schwarzen Ärmeln bedeckt.

Die Instrumentalversion von „Du bist die Ruh‘“ von Franz Schubert verströmt ebenfalls ein puristisch-modernistisches, auch befragend existenzialistisches Flair, und das greift Heise in seiner Choreografie auf.

Wie eine Hommage an den schwedischen Choreografiegroßmeister Mats Ek mutet das Stück an, mit vielen Flexbewegungen der Füße beim Heben des Beines, mit einer oft genutzten offenen Position der Füße am Boden – und mit einer Verknotung der Hände vor dem Mund und auf dem Rücken, was auf die Introvertiertheit der gezeigten Person hinweist.

Da Yolanda Correa vor 2018, als sie nach Berlin kam, beim Königlichen Ballett in Stockholm tanzte, passt dieser nordische Stil natürlich zu ihr, und womöglich haben Choreograf und Tänzerin hier etwas zusammen entwickelt, das mit ihrer Biografie zu tun hat.

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Yolanda Correa beim herzlichen Applaus für die Uraufführung von „Du bist die Ruh'“ von Andreas Heise (Musik: Franz Schubert) bei der Gala „From Berlin with Love I“. Toll! Foto: Gisela Sonnenburg

Das düster-raffinierte Kleid, das einerseits nonnenhaft, andererseits (rückwärtig gesehen) extrem erotisch wirkt, verstärkt diesen Eindruck des Doppelbödigen.

Ambivalenz steckt auch im Detail der Choreo. Da geht es mal vor, dann wieder zurück, insgesamt aber bewegt sich die offenbar nachdenkliche Heldin hier auf einer Diagonalen auf den Cellisten zu. Flirtet sie mit ihm? Gefällt er ihr? Oder ist er eine Bedrohung für sie, weil er den Ton angibt, ohne sie zu fragen, wie sie sich fühlt?

Das Zusammenspiel Tanz – Musik ist hier auch Thema des Ballettstücks, und sowohl die inneren Konflikte, die die Tanzende offenbar hat und austrägt, als auch die rein sachlich notwendige Zweckpaarung von Musiker und Tänzerin bergen enormes Potenzial.

Alina Pronina am Klavier kann da nicht dazwischen funken und will es wohl auch nicht. Sie liefert die Musik, die das Leben selbst darstellt – und der Fluss des Seins würde auch ohne zaudernde Kommunikation zwischen Cello und Tänzerin bestens funktionieren.

Schließlich schafft es die Tanzende, nach einigen eruptiven körperlichen Ausbrüchen zu einer Lösung zu kommen. Sie hört dem Cello zu – und beginnt mit zarter schöner Stimme einige Takte zu singen.

Das wirkt nicht peinlich, sondern zeitigt weiter ein Stück der Bühnenpersönlichkeit von Yolanda Correa. Und schließlich handelt es sich bei der Musik ja ursprünglich um ein Lied.

Waltraud Meier hatte es übrigens sehr prononciert im Repertoire.

Damit wird Yolanda nicht konkurrieren wollen, aber dafür wird man Frau Meier auch niemals dieses Ballett tanzen sehen, so ist zumindest anzunehmen.

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Arne Christian Pelz und sein Cello nach „Du bist die Ruh'“ von Andreas Heise (Musik: Franz Schubert) beim Staatsballett Berlin auf der Bühne der DOB beim Applaus. Foto: Gisela Sonnenburg

Als die Tänzerin mit der Musik endet, belässt sie ihre Hände gefaltet auf dem Rücken und geht, entschlossen wie eine Gouvernante, zum Bühnenhorizont, von dem sie auch kam.

Es ist ein Stück über die Emanzipation einer Frau, fraglos; und es ist moderner als jedes andere Tanzstück für eine Frau, das ich aus den letzten Jahren kenne.

Es thematisiert ohne Worte, wie schwer es für Frauen heute ist, Beruf und Liebe zusammenzubringen; wenn sie sich nicht ohne Aufhebens unterordnen wollen, wird es ihnen oft sehr schwer gemacht – und umso wichtiger ist es, dass sie zu sich und zu ihrem eigenen Lebensweg finden, statt nur der Bequemlichkeit zu folgen.

Man denkt bei diesem aufklärerischen Tanz auch an die Frauendramen von Henrik Ibsen, dem norwegischen Nationaldichter. Yolanda könnte denn auch eine tolle Nora verkörpern – man müsste Andreas Heise nur dazu beauftragen.

Wer eine weitere Arbeit von ihm sehen möchte, dem sei der „Jahrhundert-Jedermann“ aus Salzburg in der Regie von Michael Sturminger, der zurzeit auch online bei YouTube zu sehen ist, ans Herz gelegt. Hier findet sich auf Anklick die ausführliche Rezension im Ballett-Journal, mit Link zum Stück.

Faktisch ist von Heise noch viel zu erwarten, zumal er gern kooperiert und alles andere als ein zu eigensinnig-eigenbrötlerischer Geist ist. Kommunikation gehört heute nun mal mit zur Kunst – und da sind Heises Arbeiten glücklicherweise sehr beredt.

Ein Wiedersehen auf der Gala gibt es im Anschluss mit einem Pas de deux, der ebenfalls die Kunst mit thematisiert: „Kazimir’s Colours“ – wieder von dem begabten „Caravaggio“-Choreografen Mauro Bigonzetti – wird von Elisa Carrillo Cabrera und ihrem Ehemann Mikhail Kaniskin mit gebührender Eleganz getanzt.

Es geht um Kasimir Malewitsch, den Maler, der den Beginn der russischen und internationalen Moderne maßgeblich beeinflusste. Kubismus und Fauvismus prägten ihn – so auch den Tanz, der in Strandkleidung (das Girl trägt eine Art Bikini) ganz familiär wirkt.

Spektakuläre Würfe, eine Musik von Dmitri Schostakowitsch sowie messerscharf gestylte Posen kennzeichnen diesen Paartanz, der frisch und trotz der Corona-Probleme mit vollen Stränden und Freibädern keineswegs abgestanden wirkt.

"From Berlin with Love I"

Grüße von Malewitsch: Elisa Carrillo Cabrera und Ehemann Mikhail Kaniskin beim Applaus nach dem Pas de deux „Kazimir’s Colours“ auf der Gala „From Berlin with Love I“ beim Staatsballett Berlin. Top! Foto: Gisela Sonnenburg

Die Freizügigkeit des Strandbades steht hier für die neue Freiheit, mit der Kunst umzugehen – immerhin erfand Malewitsch mit einfachsten bildnerischen Mitteln Stilikonen wie das scheinbar simple Kreuz oder das unifarbene Quadrat.

Mehr von Mikhail Kaniskin gibt es dann am Samstagabend in der DOB, also morgen, wenn dieser immer noch sichtlich ganz hervorragend vom Bolschoi geprägte Primoballerino – leider – seinen Abschied vom SBB nimmt.

Jetzt aber geht es weiter mit einer deutschen Uraufführung, die sich auch als Eingangsstück durchaus gelohnt hätte:

„M – D A O“  wirkt zwar im Titel kryptisch, meint aber die Auseinandersetzung mit dem Thema der antiken Medea, also jener betrogenen und belogenen Frau, die zur Rache an ihrem Gatten die gemeinsamen Kinder tötet.

Die chinesischstämmige Choreografin Yabin Wang studierte das Stück 2016 beim English National Ballet in London ein, wo auch Ksenia Ovsyanick tanzte, bevor sie nach Berlin kam.

Beeinflusst von Sidi Larbi Cherkaoui (nach eigenem Bekunden) hat Yabin Wang ein berührendes Damensolo entwickelt, das nach hehrer Musik der englischen Violinistin und Komponistin Jocelyn Pook reibungslos funktioniert und eine stilisiert-emotionale Beziehung der Tänzerin zu ihrer eigenen Natur nahelegt.

Reuig ist diese Medea nicht gerade, dafür quält sie sich mit ausgedehnten Bewegungen, die sie im Stehen, im Knien, am Boden auslebt.

"From Berlin with Love I"

Eine neue Interpretation von Medea: Ksenia Ovsyanick nach ihrem Solo „M – D A O“ von Yabin Wang beim Staatsballett Berlin im Gala-Programm „From Berlin with Love I“.  Foto: Gisela Sonnenburg

In der Interpretation von Ksenia Ovsyanick scheint Medea aber vor allem auch den Kräften ihrer Umwelt ausgeliefert; auf diese reagiert sie, und die Dynamik dessen ist ihr offenbar entglitten – eben das ist ihre Tragödie.

Rätselhaft wirkt sie dennoch, und das soll wohl auch so sein. Die Ästhetik der Tänzerin scheint hier vorherrschend vor der inhaltlichen Aussage – beim einmaligen Ansehen stört das allerdings kaum. Im Gegenteil: Fasziniert lauscht man dem Tanz und sieht die a cappella singende Frauenstimme, um es synästhetisch zu formulieren.

Vom Frauenleid zum Machoglück:

„Variations for Four“ ist ein schelmisches Männerstück von Anton Dolin für vier ausgezeichnete Temperamentstänzer.

Er kreierte es in den 50er-Jahren für seine Londoner Truppe und studierte es 1958 erstmals mit dem American Ballet Theatre in New York ein.

Jetzt ist es Mikhail Kaniskin, der Dolins Arbeit, Dolins Stil an die Berliner weitergibt.

"From Berlin with Love I"

Cameron Hunter (links hinten) und Daniil Simkin (rechts vorne) in Anton Dolins „Variations for Four“ – einem witzigen Stück für vier Herren. Voilà, das ist eine Arabeske! Zu sehen auf der Gala „From Berlin with Love I“ beim Staatsballett Berlin. Foto: Carlos Quezada

Das Bühnenbild im Hintergrund zeigt eine Art Weltall-Fantasie – sehr sci-fi-mäßig – während die wunderbar nach Balanchines Stil duftenden Kostüme von Elena Zaitseva stammen. Jede einzelne Paillette!

Bevor man diese allerdings glitzern sieht, stehen die Herren beim „Lappen hoch!“, also beim Heben des Vorhangs, mit schwarzen Umhängetüchern da, ganz so, als seien sie lauter Albrechts aus „Giselle“ – und hätten sich von der Liebestragödie getröstet und würden nun abenteuerlustig erstmal das Junggesellendasein genießen.

Die Musik von Marguerite Keogh – wieder handelt es sich um eine Komponistin – trumpft zunächst mit Trompeten auf, bevor es orchestral gediegen in klassischer Anmutung weitergeht. An sich meint man, akustisch einem Sci-Fi-Kinofilm beizuwohnen, die Kulisse ist nämlich kein Zufall.

Die süßen Prinzen, die man sieht, könnten allerdings auch einem klassischen „Dornröschen“-Ballett oder einem Stück von Balanchine entstammen.

Gerade in diesem Bruch liegt bereits der erste Witz des Stücks: So muss man schmunzeln, wenn die Herren ihre Tücher abwerfen und aus den finsteren Gestalten, die da soldatesk in der fünften Position stehen, putzmuntere Paillettenprinzen werden.

Aber die Klassik hat eben doch mehr Drive als bemühte „Star Wars“ -Stilistik!

Und so tanzen die vier, als gelte es, einen Preis für Jugend und Schönheit zu erringen.

"From Berlin with Love I"

Dinu Tamazlacaru genießt den Schlussapplaus nach „From Berlin with Love I“ – er war bei der Premiere der Star der Stars. Bravissimo! Foto: Gisela Sonnenburg

Dinu Tamazlacaru hat hier den Hauptpart: mit Solo-Manegen (gleich doppelt im Kreis) und aberwitzigen Kombinationen beeindruckt er und feuert das Publikum an.

Daniil Simkin wirkt ganz vorzüglich elegant, wenn er sich – wie hier – etwas zurücknimmt und auf das setzt, was er als danseur noble schier in aller Fülle hat: Sprungkraft, Power und eine schöne Zartheit.

Marian Walter hätte nun mit seinem explizit lyrischen Talent ganz wunderbar in diesen Männerreigen gepasst. Und Alexei Orlenco hätte in der ursprünglichen Besetzung mit seinem souveränen Schmelz ebenfalls eine sehr tolle Ergänzung geleistet, da bin ich mir sicher.

Statt dessen tanzen nun Cameron Hunter und Konstantin Lorenz die beiden anderen Partien, und obwohl sie generell gute Tänzer sind und Cameron Hunter auch in Hauptrollen von Balanchine- und Duato-Stücken schon beeindruckte, fehlt ihnen hier doch der gewisse Wumms, die gewisse Fertigkeit.

Es mag der Zeitfaktor sein, der hier alles entscheidend ist: Vielleicht ist die zweite Vorstellung mit den beiden schon nachgerade berückend.

Bis dahin hält man sich besser an die Stars Dinu und Daniil, die mit den technischen Komplikationen der Choreografie ebenso spielerisch-lässig wie schelmisch-kokett fertig werden wie mit ihrer figuralen Anordnung.

Denn manchmal scheinen die vier Helden hier zu konkurrieren, manchmal aber tanzen sie auch einträchtig und harmonisch synchron.

Im Wechselspiel liegen die Trümpfe – wie es im Leben halt auch manchmal so ist.

Wer für wunderschöne Sprünge und Arabesken etwas übrig hat, muss hier also blitzaufmerksam sein und kann schön genießen.

"From Berlin with Love I"

Marcia Haydée, Cranko-Muse und wandelnde Ballettlegende aus Stuttgart, fand die Premiere der Gala „From Berlin with Love I“ beim Staatsballett Berlin auch sehr schön. Sie ist gerade in Berlin, um ihr „Dornröschen“ einzustudieren. Hoffen wir auf tolle Vorstellungen! Foto: Gisela Sonnenburg

Als Quadrille aus „Dornröschen“ kann man sich die vier Süßen übrigens auch Sci-fi-ähnlich auf einem fremden Stern gelandet vorstellen. Und weil „Dornröschen“ bereits mit einer Zeitmaschine agiert (ohne das so zu beschreiben, aber es werden hundert Jahre in dem Märchen glatt verschlafen), liegt das Zeitreisen-Thema auch wirklich nahe.

Wird die Zukunft so aussehen? Werden die Männer wie Prinzen gewandet durch eine knallbunte Kulisse tänzeln?

Ich hätte nichts dagegen. Und Marcia Haydée, die die Vorstellung auch sehr toll fand, ebenfalls nicht. Zumal Marcia gerade ganz auf „Dornröschen“ eingestimmt ist, da sie ihre Stuttgarter Version des Balletts mit dem SBB einstudiert.

Als schweißtreibendes Dessert nach der Gala verwöhnt – nach heftigem Schlussapplaus – noch ein Film vom SBB-Filmspezialist Vladislav Marinov auf großer Leinwand das Publikum: Szenen aus dem Training und aus der Probenarbeit sind hier zusammengeschnitten, plätschernde Pianoklänge verbinden das Ganze zu einem Megaclip.

"From Berlin with Love I"

Hochkaräter beim Applaus in der DOB auf der Bühne: Daniil Simkin, Ksenia Ovsyanick, Iana Salenko, Marian Walter, Dinu Tamazlacaru und Polina Semionova (von links nach rechts) nach „From Berlin with Love I“. Foto: Gisela Sonnenburg

Das Staatsballett Berlin, das ist nun erwiesen, lässt sich von dem Corona-Virus nicht einschüchtern – sondern tanzt sich weiter in die Herzen seines Publikums, was genau der Platz ist, wo es hingehört. Wunderbar!
Gisela Sonnenburg

www.staatsballett-berlin.de

Wer nicht nur ein Herz für Ballett, sondern auch ein halbwegs gefülltes Portemonnaie hat, darf diesem Projekt gerne etwas spenden – ohne staatliche Förderung ist es heutzutage nämlich gar nicht mal so einfach…

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