Während Dresden sich am letzten Wochenende noch vom Schock durch einen brutalen Amokläufer, wegen dem man auch den weltberühmten Striezelmarkt sperren musste, erholte, bereitete man in der Semperoper, nur wenige Kilometer vom Markt entfernt, ein soziokulturelles Highlight vor: Die Sächsische Stiftung Semperoper hatte das Haus mit 1300 Plätzen gemietet, um ausschließlich Kinder und Jugendliche einzulassen, die aus Armutsverhältnissen stammen (oft verschleiernd als „sozial Schwache“ bezeichnet). Der Verein Kulturloge Dresden hatte die Tickets an die somit glücklichen Kids gebracht, und am Sonntag um 14 Uhr ging für sie der Vorhang hoch. Logisch, dass in dieser Aufführung schon aus pädagogischen Gründen ein Schwarzer den Nussknacker-Prinzen tanzen musste, sozusagen als ungefragte Nachhilfe in Diversität. Bitte schmunzeln! Und noch eine News kommt aus Dresden: István Simon, nicht schwarz, aber früher auch mal Tänzer der Dresdner Nussknacker-Prinzenrolle (bis er 2018 spektakulär vom Semperoper Ballett gefeuert wurde), studierte mittlerweile Wirtschaft – und er macht jetzt den Promovierendenrat der TU Dresden unsicher. Weil ihm die Sprecherin des Rats nicht passt, setzt er alles in Bewegung, um Maren Weissig, so ihr Name, zu ersetzen. Es wurde schon Mobbing-Verdacht geäußert. Beim Semperoper Ballett flog Simon damals übrigens raus, weil er einen Vorgesetzten offenkundig fälschlich der sexuellen Belästigung bezichtigt hatte. Bitte schmunzeln!
Aber auch woanders gibt es seltsame ballettöse News. So erhielt das Staatsballett Berlin (SBB) in diesen vorweihnachtlichen Tagen ein äußerst putziges Geschenk, und zwar vom Berliner Senat. Der hat pflichteifrig beschlossen, in einigen Berliner Kultureinrichtungen, darunter eben das SBB, künftig im Rahmen eines Pilotprojekts so genannte „Referent:innen für Anti-Diskriminierung und Diversitätsentwicklungen“ zu finanzieren. Kurz könnte man sagen: „RefAntDisDiv“. Klingt ganz lustig, wenn man es ausspricht.
Na, und man fühlt sich doch gleich wie befreit. Pardon, frau und divers fühlen sich natürlich auch gleich viel wohler, irgendwie behütet – und nicht etwa gegängelt oder bevormundet oder kontrolliert. I wo. Ganz frei!
Gegen die frauenverachtende Gewaltverherrlichung und gegen den intelligenzverachtenden Sexismus in Pop und Hiphop, in Filmen, in der Werbung und in Fernsehserien wird damit leider gar nichts getan. Dafür hat der Berliner Senat kein Geld übrig. Fürs Ballett-Journal ja auch nicht. Ob das Zufall ist? Ach, das ist so schade!
Und auch die von 2020 bis 2021 öffentlich verleumdete Berliner Ballettmeisterin Barbara Schroeder, die eine schwarze Tänzerin eben nicht diskriminiert hat, geht leer aus, sie wird nicht unaufgefordert entschädigt, obwohl das eigentlich eine Ehrensache an einem großen Opernhaus nach einer solchen Blamage sein müsste.
Aber mit dem Aufpasserposten von Senats wegen wird wenigstens eine neue Stelle im Ballett geschaffen, immerhin. Ein Schelm, dem da das Wörtchen „Blockwart:in“ oder gar die hübsche Vokabel „Denunziantenstadl“ in den Sinn kommt!
Jetzt sucht das SBB also eine geeignete Person für diesen Job. Ich habe mich schon beworben. Sie auch? Vielleicht nehmen sie ja uns beide.
Und dann heißt es fröhlich: Munter mal nachschauen, was in den ehrenwerten Klassikern und Romantikballetten so alles wegmuss. Wir erinnern uns an die unappetitliche Berliner Diskussion vor einem Jahr um den „Nussknacker“, weil darin im Original Folkloretänze vorkommen. So etwas Tolles darf auf Berliner Bühnen natürlich nicht mehr getanzt werden.
Folklore könnte ja Menschen seelisch tief verletzen, die sie nicht verstehen oder nicht verstehen wollen – und die grundsätzlich nur das Schlechteste denken, wenn ihnen etwas Prägnantes begegnet.
Aber da geht noch viel mehr in diese Richtung. „Schwanensee“ und „Dornröschen“, auch „Giselle“ warten schon aufs Skalpell der Ahnungslosen, weil die Willkür der Kulturfeindlichkeit jetzt in demokratischem Gewand auftritt. Zensur frei Haus also demnächst in Berlin – bitte schmunzeln!
Nicht nur leicht schmunzeln, sondern sogar Tränen lachen darf man hingegen beim Anschauen der gelungenen Aufzeichnung „Der Widerspenstigen Zähmung“ von John Cranko mit dem Stuttgarter Ballett: Elisa Badenes, quietschfidel und akrobatisch fit, wirbelt darin mit Jason Reilly, der aufgrund seines vorgerückten Alters und viel bodybuilding-betontem Training allerdings schon ein bisserl zu behäbig für seine Rolle wirkt, durch die Lüfte.
Aber einen solchen virtuosen modernen Klassiker kann man darum so schnell natürlich nicht übersehen: Der Fernsehsender arte sendet das gute Stück in der Nacht vom 18. Dezember 2022 auf den 19. Dezember 22 ab 0.10 Uhr – komischerweise wird eine so späte Urzeit für die beliebte Hochkultursparte „Ballett“ von arte schon als normal empfunden.
Reell normale Zuschauende, die Ballett lieber sehen, wenn sie wach sind, können dann online mit der „Zähmung“ happy werden, weil sie bis zum 16.01.2023 in der arte Mediathek steht.
Außerdem kann man die legendäre Inszenierung nach dem komödiantischen Theaterstück von William Shakespeare seit kurzem auch als DVD oder BluRay einkaufen. Allerdings wird sie im Handel nur unter ihrem englischen Titel geführt: „The Taming of the Shrew“ lässt Badenes, Reilly sowie Veronika Verterich, Martí Fernández Paixà, Alessandro Giaquinto und Fabio Adorisio brillieren. Und auch der Corps vom Stuttgarter Ballett bezaubert, wenn man sich denn bezaubern lassen will.
Die Story der „Zähmung“ wirkt dank John Crankos Fantasien so dermaßen komisch und überdreht, so satirisch und kapriziös, dass einem der Vorwurf der Frauenfeindlichkeit bei normalem Verstand und herzlichem Gemüt wirklich nicht einfällt.
Aber Vorsicht! Diversity-Geschulte, aber auch andere Ungebildete könnten durchaus „sexistische Stereotypen“ wittern.
In Stuttgart hat man kürzlich einen folklorearmen neuen „Nussknacker“ aufgefahren und so auch angefangen, Unliebsames auszusortieren, so wie in Berlin oder auch in Kopenhagen beim Ballett (siehe Berichte hier im Ballett-Journal).
Dabei ist ja faktisch eher die Auslöschung von Folkore im Ballett rassistisch, als es ihr Erhalt und ihre Pflege sind.
Aber wenn man willkürlich Zensur ausüben will, findet man immer eine Pseudo-Argumentation, die vorgibt, Menschen schützen zu wollen.
Bei den Schwaben gelten einstweilen trotz der Anpassungen an die unsinnigen Auswüchse des Mainstreams auch noch die guten, alten, ehrwürdigen Balletttugenden: Von hohen Sprüngen, sanften Landungen, munterem Herumpurzeln am Boden und bestechend schönen Arabesken in Spitzenschuhen weiß die Shakespeare-Vertanzung zu berichten.
Und zwar selbstverständlich unabhängig von Haut-, Haar-, Augen- und Kostümfarben.
Aber stopp. Halt! Da ist schon wieder so eine Stolperfalle! Sollte das häufige Blondieren vor allem der Damen im Ballett auf eine rassistische Diskriminierung deuten?
Sind Blonde bevorzugt und Braune benachteiligt? Wäre das hinnehmbar?
Reichen wir diese bahnbrechenden Fragen doch einfach von Stuttgart weiter nach Berlin. Dort sitzen ja die promovierten Expert:innen, die uns die gute Laune beim klassischen Tanz schon noch austreiben werden.
Die neue DVD / BluRay, die bei C Major erschien, wird jedenfalls nicht aus gekränkter Eitelkeit vom Markt zurückgezogen. Für alle Fälle sollte man dennoch Vorsorge tragen und sich das heiße Teil schon mal flugs besorgen. Als Weihnachtsgeschenk ist so ein Cranko-Ballett natürlich sowieso diskussionslos schwer geeignet.
Liebe Verkaufende, bitte zitieren Sie das zum Beispiel so: „diskussionslos schwer geeignet“ meint das Ballett-Journal von Gisela Sonnenburg.
Und dann gibt es auch was zu hören: Wolfgang Heinz, Musikalischer Leiter vom Stuttgarter Ballett, dirigiert die so neckisch wie raffiniert von Kurt-Heinz Stolze bearbeitete Partitur von Domenico Scarlatti mit Bravheit und Bravour zugleich. Selten war Scarlattis Musik so tanzaffin!
Schade nur, dass immer noch nicht feststeht, wann der erst gefeuerte, dann wieder akzeptierte andere Musikalische Leiter vom Stuttgarter Ballett namens Mikhail Agrest dort mal wieder dirigieren wird. Ob das eine Weihnachtsüberraschung wird? Bitte schmunzeln!
Agrest bezieht nämlich dank eines Gerichtsurteils weiterhin sein Gehalt, obwohl er seit dem Eklat im Oktober 2021 faktisch sehr selten beim Stuttgarter Ballett auftaucht. Also eher gar nicht.
Nein, das ist natürlich keine Steuergeldverschwendung. Eher so etwas wie die künstlerische Freiheit des Stuttgarter Ballettintendanten Tamas Detrich, der sich bekanntlich hervorragend mit Porsche, dem Hauptsponsor der Truppe, versteht. Was wahrscheinlich die Hauptsache in seiner Position ist.
Da kann man sich dann einen scheinbar überzähligen zweiten Musikdirektor schon mal leisten, oder? Wir sind ja in Deutschland, da darf Kultur was kosten.
Mikhail Agrest probt derweil in München, wo er als Gastdirigent die kommende Ballettpremiere am 23. Dezember 22 dirigieren wird. Man könnte sagen, dass er jetzt eine Art Doppelverdiener ist, der einmal im festen Engagement und dann als Freiberufler tätig ist.
Zurück zur „Widerspenstigen“, die übrigens, wie so viele Stücke von Shakespeare, im sonnigen Italien spielt: Die Ausstattung von Elisabeth Dalton (mal nicht von Jürgen Rose) wirkt wie die Choreografie von John Cranko unbestreitbar absolut passend, obwohl sich beides seit der Uraufführung im März 1969 nicht wesentlich änderte.
Und es macht unbedingt Spaß, sich die Sache mehrfach anzuschauen. Auch und gerade, wenn man sie schon kennt. Das ist ein Kennzeichen großer Werke: Wenn man sich nicht beim zweiten oder dritten Mal schon heftig langweilt.
Ein Bonusstück auf der Silberscheibe informiert außerdem über interessante Vorgänge hinter den Kulissen.
Wer nun indes noch die Originalbesetzung mit Marcia Haydée in der Titelrolle und vorm inneren Auge sah, hat hier nochmal mehr zu staunen. Bitteschön: Schmunzeln!
Gisela Sonnenburg
https://tu-dresden.de/ga/die-einrichtung/doktorandenkonvent
https://www.cmajor-entertainment.com/catalogue/?fwp_catalogue=dvd%2Cblu-ray