Liebe und Zukunft Marian Walter debütierte mit Grandezza beim Staatsballett Berlin als Prinz Désiré in „Dornröschen“ von Marcia Haydée an der Seite von Yolanda Correa

"Dornröschen" mit Marian Walter beim Staatsballett Berlin

Das neue Traumpaar im aktuellen „Dornröschen“ vom Staatsballett Berlin: Yolanda Correa und Marian Walter (vorn), hinten Ensemble. Foto vom Schlussapplaus: Gisela Sonnenburg

Nicht jede hat so viel Glück wie Aurora, die Titelheldin im Ballett „Dornröschen“. Wenn die zauberhafte Primaballerina Yolanda Correa diese Partie beim Staatsballett Berlin (SBB) tanzt, hat sie neuerdings zusätzlich das Glück, den nach einer schweren Covid-19-Erkrankung mit Brillanz auf die Bühne zurückgekehrten Marian Walter als Partner zu haben. Bei seinem Debüt als Prinz Désiré in der einst in Stuttgart entstandenen Version von Marcia Haydée glänzten und begeisterten die beiden am gestrigen Donnerstag in der Deutschen Oper Berlin. Jede zarte Regung der Liebe formulieren die beiden mit innigem Bezug aufeinander, und im Laufe des Stücks steigert sich ihre Zuneigung zum furiosen Grand Pas de deux. Die „Fische“, auch der freihändige, waren mitreißend und akkurat, und all ihre Posen luden zum faszinierten Schwelgen ein. Yolanda Correa hielt die Attituden und Arabesken, die Penchés und Passés mit wunderbarem Timing! Und Marian Walter gab einfach alles bei diesem für ihn wirklich wichtigen Auftritt. Was für ein Prinz! Zusammen kamen die beiden einem wie aus dem Märchenbuch vor. Da nun auch noch Robert Reimer das Dirigat führte – ich habe seinen „Märchensound“ etwa bei Tschaikowsky-Partituren schon häufig gelobt – konnte man von großem Glück sprechen, der Vorstellung beizuwohnen.

"Dornröschen" mit Marian Walter beim Staatsballett Berlin

Dirigent Robert Reimer beim Schlussapplaus nach „Dornröschen“ mit dem SBB in der Deutschen Oper Berlin. Foto: Gisela Sonnenburg

Schon die Ouvertüre ist ein Donnern und Schmeicheln in eines. Peter I. Tschaikowsky befand selbst, dass dieses Stück sein musikalisch bestes sei. Wer vor allem der  Schwanensee-Violine anhängt, wird da widersprechen wollen. Aber Fakt ist: Man taucht hier ein in die Klangwelten des 19. Jahrhunderts, als sei man ein lebendiger Teil von ihr.

Das Eingangsmotiv gehört bereits der Carabosse, einer bei Marcia Haydée tragenden Figur, die sie für ihren damals schon ehemaligen Partner Richard Cragun ersann.

Als Carabosse, die als böse Diva hier die böse Fee und somit teuflische Energie verkörpert, war gestern wieder Dinu Tamazlacaru zu bestaunen. Eigentlich sollte David (Motta) Soares sein Debüt als mondäne „Hexe“ geben. Aber er war wohl noch nicht so weit.

"Dornröschen" mit Marian Walter beim Staatsballett Berlin

Dinu Tamazlacaru als Carabosse beim Schlussapplaus nach „Dornröschen“ beim Staatsballett Berlin. Foto: Gisela Sonnenburg

Und so genoss man Dinu Tamazlacaru, der auch schon in der Premiere mit Polina Semionova in der Titelrolle furios sein Temperament versprühte. Ganz in Schwarz mit rubinrotem Kapuzenumhang und mit in Latex gequetschten, sprungmächtigen Begleitern macht er bei jedem Auftritt mächtig Eindruck.

Die Überraschung des Abends: Krasina Pavlova als Fliederfee. Ihre positive, feminine  Energie – als gute Fee – ist der Gegenpol zur en travestie besetzten Carabosse. Man darf ruhig sagen, dass auch in einer solchen Konstellation Gegensätze etwa zwischen den Geschlechtern reizvoll und erlaubt sind.

Krasina Pavlova, die zudem gestern ihren Geburtstag beging (den wievielten fragen hier nicht), strahlt regelrecht mit Anmut und Präzision in ihrem fliederfarbenen Tutu, und sie verbindet mit ihren noblen Gesten die Energien im Raum.

Aber auch die Schreitrollen und vor allem das Damen-Corps de ballet teilen mit jedem Port de bras und jedem Balancé ihre Liebe zum Tanz mit. Perfekte Synchronizität gelingt den jungen Damen, ob sie als Hofgesellschaft, als Auroras Freundinnen, im Walzer, als Waldnymphen oder in der Polonaise und Mazurka im dritten Akt auftreten.

"Dornröschen" mit Marian Walter beim Staatsballett Berlin

Die „Juwelen“ aus „Dornröschen“ vom SBB beim Schlussapplaus. Foto: Gisela Sonnenburg

Und dann erst die Divertissements! Als Feen und später teilweise als Verkörperung von Juwelen wissen unter anderem Luciana Voltolini und Evelina Godunova all die verspielte Opulenz und auch gelegentlich die Schlichtheit der klassischen Choreografie wiederzugeben.

Schließlich sorgen die Märchenfiguren – Prinzessin Florine und der Blaue Vogel, Rotkäppchen und der Wolf, Schneewittchen mit den sieben Wichteln (das Wort „Zwerge“ war Marcia Haydée zu herabsetzend, sie ist also fast so etwas wie eine Trendsetterin beim Wortauswechseln aus Gründen der Korrektheit) – für einen Furor der Niedlichkeit, sie sind vor allem kurzweilig angelegt.

An Maria Giambona, die in der „Dornröschen“-Version von Nacho Duato das Rotkäppchen beim Staatsballett Berlin tanzte, kommt die etwas steife und nicht wirklich spielfreudige Ester Duarte allerdings nicht heran.

Dafür dürfen wieder Schülerinnen und Schüler der Staatlichen Ballettschule Berlin mittanzen, etwa als Wichtel – und sicher sind sie dankbar dafür.

Alexander Bird als Ali Baba, der hier die Juwelen hereinführen und mit einem fetzigen, an Ali aus „Le Corsaire“ angelehnten Solo charmieren darf, war nicht immer sicher in den Landungen, machte das aber mit geschickten Ausgleichsschritten und wunderhübschem Lächeln wett.

Die vier Prinzen, die Aurora gern für sich gewonnen hätten, hegen hier zwar im ersten Akt eine manchmal witzige Rivalität, sind dann beim großen Hochzeitsfest des Traumpaares aber versöhnlich.

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Sollte jemand die Geschichte nicht mehr parat haben, schaut er bitte hier in der Premierenrezension nach.

Was das Thema Zukunft angeht, hat Haydées kunterbuntes, dank Jürgen Rose fantastisch ausgestattetes Gesamtkunstwerk immer noch viel Potenzial. Obwohl die Uraufführung im Mai 1987 auch schon etwas zurückliegt – und obwohl Marcia Haydée sichtlich aus der Perspektive als Tänzerin choreografiert hat.

Sie nutzte dabei die überlieferte Choreografie von Marius Petipa, die 1890 in Piter (Sankt Petersburg) mit viel Pomp und Hintersinn erfunden wurde.

Wie stark Petipa die Frauen verstand, zeigt etwa das somnambule Solo der in der Handlung im ersten Akt gerade 16-jährigen Prinzessin Aurora. Nachdem sie sich an einer Nadel, die in einem Strauß roter Rosen versteckt war, stach, gerät sie ins hoch künstlerisch durchgetaktete Taumeln – und leidet unendlich, weil sie ihren fröhlichen Geburtstag, ihr gerade aufblühendes sinnenfreudiges Leben verlassen muss.

Schließlich fällt sie in den Tiefschlaf, aufgefangen vom Vater und behütet von allen Anwesenden, die nicht zu Carabosses Tross gehören.

Prinz Désiré kämpft schließlich mit den negativen Kräften, um Aurora zu erwecken.

"Dornröschen" mit Marian Walter beim Staatsballett Berlin

Alle sind glücklich, auf der Bühne wie im Zuschauerraum, nach einer gloriosen „Dornröschen“-Vorstellung in der Deutschen Oper Berlin. Foto vom Schlussapplaus: Gisela Sonnenburg

Doch obwohl vordergründig die Liebe und die Zuversicht der Fliederfee gewinnen, steht am Ende Carabosse vor dem Vorhang. Der Kampf wird weiter gehen…

Weil Carabosse-Darsteller Dinu Tamazlacaru, der wie Marian Walter mittlerweile als Gaststar beim SBB rangiert, aus Moldawien stammt – aus der künstlerischen Oberschicht, denn seine Mutter war eine prominente Volksliedsängerin – sei zum Schluss darauf verwiesen, dass die Realität nicht ganz so rosig einher kommt wie das Ballettmärchen.

Die Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen (von der Linken) wies gerade heute darauf hin, dass nach der Ukraine Moldawien wohl der nächste Staat ist, den der Westen gern militärisch im Boot hätte, obwohl das gegen die Zwei-plus-Vier-Protokolle von 1990/91 krass verstößt. Damals war – dem Sicherheitsinteresse Russlands nach der Auflösung des Warschauer Pakts nachkommend – beschlossen worden, einige Staaten, darunter die Ukraine und Moldau, militärisch neutral zu halten.

Dafür erhielten sie ihre Loslösung aus der ehemaligen SU und alle Freiheiten, sich wirtschaftlich zu entfalten, auch etwa mit EU-Beitritten. Nur das Militärische sollte keine Bedrohung Moskaus werden, denn wenn US-amerikanische (Atom-)Waffen so dicht an Moskau postiert würden, könnte der Westen die gesamte russische Führung auf Knopfdruck auslöschen.

Auch wenn sich das die BILD-Leser derzeit heftig wünschen – gerechte Weltpolitik sieht anders aus.

Wer etwas von Hegemonie und Gleichgewicht der Kräfte versteht, kann die aktuelle, bezüglich Russland seit langem heimlich hasserfüllte Politik des Westens – die der deutschen Regierung inbegriffen – nicht gutheißen. Länder wie Spanien, Belgien und die Niederlande haben übrigens einen Großteil der wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland schon wieder aufgehoben.

"Dornröschen" mit Marian Walter beim Staatsballett Berlin

Die Fliederfee – Krasina Pavlova – beim wohlverdienten, jubelnden Applaus. Feminine Kraft und Anmut wirken hier gegen das Böse! Foto vom Schlussapplaus nach „Dornröschen“ beim SBB: Gisela Sonnenburg

„Dornröschen“ wird uns nicht allein in eine friedliche Zukunft führen können. Aber es bleibt die Hoffnung, dass die tänzerische Hegemonie auf die Politik überspringt.
Gisela Sonnenburg 

www.staatsballett-berlin.de

"Dornröschen" mit Marian Walter beim Staatsballett Berlin

Die Wichtel alias die Schülerschaft von der Staatlichen Ballettschule Berlin beim Schlussapplaus nach „Dornröschen“ beim SBB. Foto: Gisela Sonnenburg

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