
Ein Ausbund an Sinnlichkeit: Leroy Mokgatle als Puck in Edward Clug „Ein Sommernachtstraum“ beim Staatsballett Berlin. Jetzt wurde sie für den Theaterpreis FAUST nominiert. Foto: Yan Revazov
Wen die Götter lieben, den lassen sie schon längst nicht mehr jung sterben. Und wen die Mainstream-Götter lieben, dem verleihen sie vor allem Preise: wichtige und unwichtige, undotierte und solche, die dem Empfänger viel Geld bringen. Der John-Neumeier-Preis für Choreografie etwa wird von der Hapag-Lloyd-Stiftung gespendet und ist zwar mit 50.000 Euro recht hoch dotiert, versinkt ansonsten aber in Bedeutungslosigkeit. Neumeier, der Namensgeber, hält dafür nur sein Konterfei hin, aber mit sinnvoller Nachwuchsförderung hat die Sache nichts zu tun. Vielmehr bleiben hier Millionäre unter sich, wenn es heißt: Der Preis ist heiß – und er geht nicht an ein einigermaßen bekanntes hoffnungsvolles Talent (derer gibt es in Deutschland aktuell nicht viele), sondern an einen US-Amerikaner, dessen Bruder Profi-Sportler ist und der im Harvard-Extension-Programm studiert (nein, das hat mit Haaren nichts zu tun). Silas Farley, der somit am 19.06.25 in Hamburg gekürte Tänzer und Choreograf aus den USA, hat allerdings in Deutschland oder Europa nicht ein einziges Mal kreiert oder etwas einstudiert, und nicht mal auf YouTube ist ein Werk von ihm zu sehen. Dort vermarktet er nur immer wieder sich selbst in Werbeportraits. Auf Facebook steht ein Auszug eines Werks von ihm – und es wirkt total banal. Farley hat eine Position bei einer Winztruppe in den USA, schreibt und redet aber mehr, als dass er choreografiert. Peinlich. Dazu gibt es am Ende dieses Artikels mehr zu lesen, es gibt zu diesem Preis nämlich eine investigative Überraschung. Da hat es Christian Spuck, der künstlerisch aktive Chef vom Staatsballett Berlin, schon besser: Er erhält in diesem Jahr den Deutschen Tanzpreis, der zwar auch längst zu einem Statement für Regierungspropaganda heruntergekommen ist und kritische Künstler und Macher selbstverständlich rigoros ausklammert. Aber immerhin kann man hier auf eine lange Tradition jährlich verliehener Preise an immerhin bekannte Stars zurückblicken.

Silas Farley (rechts) aus den USA ist in Europa zwar völlig unbekannt, erhielt aber den John-Neumeier-Preis für Choreografie von der Hapag-Lloyd-Stiftung. Links: Michael Behrendt. Foto: Kiran West
Manche Nominierung für den FAUST, einen der wichtigsten deutschen Theaterpreise, macht hingegen mal wieder so richtig lachen: Das Hamburg Ballett, das seit Jahrzehnten die nun wirklich ergreifenden Stücke von John Neumeier grandios aufführt und dafür vom FAUST mit Ignoranz gestraft ist, wurde ausgerechnet mit der ziemlich oberflächlichen Resteverwertung von William Forsythe namens „Blake Works V (The Barre Project)“ nominiert. Da liegt einem doch glatt ein „Buh!“ für die Jury auf der Zunge.
Schön ist allerdings, dass die hervorragende Leistung von Leroy Mokgatle vom Staatsballett Berlin als Puck in „Ein Sommernachtstraum“ von Edward Clug, die allgemein sehr großen Anklang findet, auch für den FAUST kandidieren darf. Man konnte wohl nicht übersehen, dass hier mal eine Darstellerin in einer großen Partie zu sich selbst gefunden hat. Ihr trockener Charme wird auch obsiegen, da würde ich jede Wette eingehen.
Etwas kleinere Chancen, den diesjährigen FAUST zu gewinnen, hat der Tänzer Long Zou vom Ballett am Rhein, und zwar für seinen Auftritt in „Invocation“ („Anrufung“) des südafrikanischen Choreografen Mthuthuzeli November.
Warum nun nicht der schöpferisch tätige Choreograf nominiert wurde, weiß man nicht. Denn das Stück besticht mit einer spannenden, autobiografisch geprägten Melange aus afrikanischen Klängen und neoklassischem Ballett.

Long Zou in „Invocation“ von Mthuthuzeli November beim Ballett am Rhein. Foto: Altin Kaftira
Aber die Jury befand, dass die Ausdruckskraft des chinesischen Tänzers Long Zou für die Wirkung der Choreo wesenhaft sei. Das ist nun indes eine merkwürdige Begründung, die die Choreografie unbestreitbar degradiert, ganz so, als wäre sie ohne diesen einen Tänzer (der nicht mal die einzige Hauptrolle tanzt) nicht wirklich gut. Merkwürdig. Denn jede Choreo glänzt mit sehr gutem Tanz nochmal so viel. Und ein neues Stück, das gut ist, sollte man unbedingt belobigen und herausstellen. Die Jury ist da wohl irgendwie nicht ganz auf der Höhe.
Dafür weiß sie, was en vogue ist. Dass eine nicht-weiße Hautfarbe und ein wenig Geschlechterverwirrung derzeit (und sicher auch in den kommenden Jahren) total im Trend liegen, beweisen die oben genannten Liebkosungen des Geldes und der Macht derzeit allemal.
Warum auch nicht? Das Ballett ist als eine weiß geprägte Kunst mit überwiegend dual geprägten Geschlechterrollen entstanden. Wie im übrigen nahezu alles andere in der abendländischen Kultur auch. Darum wird jetzt politisch stark forciert, dass mal andere Farben in die Sache kommen. Schön für jene, die früher diskriminiert worden wären!
Und wer sich künftig als Ballettdirektor bewerben will, sollte mindestens offen queer sein, zudem eine möglichst dunkle Hautfarbe und gern auch eine andere als die christliche Religion vorweisen können. Das nennen wir dann soziale Gerechtigkeit in der Kunst.
Dann kommen auch die Preise hinterhergelaufen. Schließlich liegt der eigentliche Sinn von Preisen heutzutage nicht mehr darin, die Empfänger öffentlich anzuerkennen, sondern er liegt vor allem darin, den Verleihenden ein positives Image und kostenlose Werbung zu verschaffen.
Darum Dank an die Reederei Hapag Lloyd dafür, dass ihre Stiftung uns das in diesem Jahr so deutlich vor Augen geführt hat: indem sie einen Künstler auspreist, der als solcher so gut wie überhaupt nicht sichtbar ist. Übrigens steht hinter Hapag Lloyd als eine von zwei Eigentümerinnen die in Hamburger Kulturkreisen ohnehin schon unbeliebte Kühne Holding AG, die dem Opernhauskiller und Nazi-Nachfahren Klaus-Michael Kühne gehört.

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Man darf also mit Fug und Recht sagen: Kühne hat sich mit diesem lächerlichen Preis den Starchoreografen John Neumeier gekauft. Und das schon vor zwei Jahren, als der Choreografie-Preis erstmals verliehen wurde, und zwar an Neumeiers langjährigen Lieblingstänzer Edvin Revazov, der nebenbei Leiter vom Hamburger Kammerballett ist.
Mit einem kritischen Statement von Neumeier zu dem von Kühne penetrant geplanten neuen Protz-Opernhaus in der Hamburger HafenCity wird von daher wohl nicht mehr zu rechnen sein. Da mag die Hamburger Architektenkammer, die das Fehlen einer öffentlichen Ausschreibung beim neuen Opernhaus bemängelt, noch so im Recht sein.
Und auch ich wies schon mehrfach auf all die Argumente gegen eine Schließung der jetzigen Hamburgischen Staatsoper hin. Ich ließ mich aber auch nicht von Kühne kaufen.
Schlimm ist allerdings auch, dass die altgediente Annette Bopp vom Tanznetz ein Lobgehudel auf die Preisverleihung 2025 veröffentlichte, ohne auch nur ansatzweise die Hintergründe zum John-Neumeier-Preis recherchiert zu haben. Wenigstens die Fachpresse sollte da doch die Augen offen halten.
Gisela Sonnenburg