Ist Demis Volpi ein Despot? Offenbar kein unbeschriebenes Blatt: Demis Volpi, in der Kritik stehender Intendant vom Hamburg Ballett, hinterließ beim Ballett am Rhein nicht nur schöne Spuren

Demis Volpi, kommender Hamburger Ballett-Intendant

Demis Volpi am 18.3.24 beim Pressegespräch, der Jahrespressekonferenz vom Hamburg Ballett. Heute, ein gutes Jahr später, scheint die Leichtigkeit dahin. Foto: Jann Wilken

Man sei froh gewesen, als er weg war. Ein solches Fazit seiner Ära wünscht sich kein Ballettchef. Die Branche steht auf Glanz und Ruhm, nicht auf Stress und Ärger. Doch ausgerechnet der smarte Demis Volpi, der mit strahlendem Gesicht und charmanter Lässigkeit diese Saison beim Hamburg Ballett als neuer Intendant startete, muss sich negative Erinnerungen bezüglich seiner Person gefallen lassen. Denn beim Ballett am Rhein, dessen Direktor er war, bevor er dem Ruf nach Hamburg als Nachfolger von John Neumeier folgte, macht man noch heute drei Kreuze, wenn man an ihn denkt. „Man“, das ist zunächst René Lozynski, seines Zeichens Gesamtbetriebsratsvorsitzender der Deutschen Oper am Rhein und seit drei Jahren Vorsitzender der Bühnenkonferenz, die sich als Vertretung der Beschäftigten vieler großer Theater in Deutschland und Österreich versteht. „Wir hatten vier intensive Jahre mit Volpi, und mein Schreibtisch war voll mit Beschwerden über ihn“, seufzt Lozynski.

Volpis heutige Situation ist auf den ersten Blick schon fast Mitleid erregend. Der noch junge Deutsch-Argentinier (40) schien sich beim Ballett am Rhein etwas aufgebaut zu haben, das er für die Hamburger aufgab. Und allein eine passende Wohnung zu finden, war in der reichen, aber übervollen Hansestadt schwierig. Zudem drückte ihn das Erbe von John Neumeier (86), mit dessen hochkarätigen Werken Volpi eher sehr wenig vertraut ist, wohl vom ersten Tag an.

Dass Demis Volpi aber nicht unbelastet nach Hamburg kam, ahnt man erst, seit der Journalist Michael-Georg Müller in der Westdeutschen Zeitung (WZ) kürzlich davon berichtete.

Die Öffentlichkeit staunt jetzt. Nicht mal der Buschfunk hatte bisher derlei Nachrichten von Theater zu Theater über Demis Volpi übermittelt. Hat Volpi eine Rückseite, die so gar nicht zum Bild vom souverän-modernen Tanzchef passt? Hat er eine problematische Persönlichkeit, ist er narzisstisch, gar tyrannisch? Volpis Ansehen galt als tadellos, seit er beim Stuttgarter Ballett die ersten Erfolge als Choreograf einheimste. Und er selbst sieht auch heute das Gros der Vorwürfe der Hamburger an ihn als unbegründet.

Nijinsky-Gala XLVII 2022 beim Hamburg Ballett

John Neumeier kreierte fürs Ballett am Rhein zum Thema Melancholie „from time to time“. Es war auf der Nijinsky-Gala 2022 in Hamburg zu sehen. Foto: Bettina Stöß

In Düsseldorf und Duisburg, den beiden Spielorten vom Ballett am Rhein, schien sich dieser gute Eindruck zu festigen – nach außen hin. Dass es dort innerhalb der Theater wegen Demis Volpi brodelte und massive Vorwürfe an ihn von der unberechtigten fristlosen Kündigung einer Ballerina über zu häufige Abwesenheit bis hin zu Psychoterror den Betriebsrat beschäftigten, war bisher unbekannt.

So war Demis Volpi entgegen der allgemeinen guten Meinung kein unbeschriebenes Blatt, als er gen Norden zog. Weil nun Ende April insgesamt 36 Hamburger Tänzerinnen und Tänzer einen Brandbrief gegen ihn unterzeichneten, steht im Raum, dass mit ihm und seinem Führungspersonal etwas nicht stimmt.

Nicht nur Tänzerinnen und Tänzer vom Hamburg Ballett sind unglücklich mit Volpi als neuem Boss. Auch in der technischen Verwaltung gab es schon freiwillige Kündigungen von Menschen, deren Kollegen eigentlich fest damit gerechnet hatten, dass sie noch Jahre bleiben werden.

In Nordrhein-Westfalen sollen sich hingegen in den vier Jahren mit Volpi Beschäftigte aus allen Gewerken, also auch von den Abteilungen Ton, Licht und Bühnentechnik, massiv über ihn beschwert haben. Befehle zu Änderungen von technischen Einstellungen sollten angeblich innerhalb von Minuten umgesetzt werden: Mangelnden Realitätssinn und Unprofessionalität vermuteten Mitarbeiter darum bei Volpi.

So manche Vorwürfe erinnern nun stark an Formulierungen aus dem Brandbrief vom 23. April 2025, der dem BALLETT-JOURNAL vorliegt und den die Hamburger Protesttänzer im Original dem Kultursenator Carsten Brosda übergaben.

Es würden „bei den Verantwortlichen das Wissen und das Interesse fehlen“, um das weltweit bejubelte Ensemble zu leiten, so der Wortlaut des Tänzerbriefs.

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Und nicht nur Demis Volpi, sondern auch von ihm mitgebrachte Führungskräfte wie Damiano Pettenella – der beim Hamburg Ballett der neue Erste Ballettmeister ist – standen schon in Düsseldorf im Kreuzfeuer einer ganz ähnlichen Kritik.

„Die Tänzer litten unter Überbelastung und Unterforderung zugleich, weil es keine solide Planung gab“, sagt René Lozynski im Rückblick. Heute sei das beim Ballett am Rhein zum Glück konkret anders: mit der neuen Ballettdirektion, die aus der Doppelspitze mit der Choreografin Bridget Breiner und dem vom Ballettmeisteramt kommenden Raphael Coumes-Marquet besteht. „Das ist ein großer Unterschied zu vorher. Sie sind offen, sie sind erreichbar, es gibt eine produktive Arbeitshaltung“, vermeldet Lozynski. So sollte es ja eigentlich im professionellen Bereich der in Deutschland hoch subventionierten Theater sowieso sein.

Die Hamburger Tanzstars wie Alexandr Trusch, Edvin Revazov, Christopher Evans, Alessandro Frola, Anna Laudere und Madoka Sugai, aber eben auch weitere dreißig Tanzkünstlerinnen und Tanzkünstler vom Hamburg Ballett (die derzeit nicht öffentlich genannt werden wollen) werfen Demis Volpi nun einerseits vor, künstlerisch nicht auf der Höhe zu sein. Sein Stück „The thing with feathers“, das sich schon im Repertoire der Hamburger befindet, so Alexandr Trusch, sei „unfassbar banal“.

Das „handwerkliche Verständnis für Ballett und eine künstlerische Version“ würden bei der neuen Leitung aber insgesamt fehlen, meinen die durch die langjährige Arbeit mit dem Genie John Neumeier für solche Dinge sensibilisierten Künstler in ihrem Brief an Brosda.

"Nijinsky" von John Neumeier

Alexandr Trusch (links) und Edvin Revazov in „Nijinsky“ von John Neumeier beim Hamburg Ballett. Foto: Kiran West

Andererseits würde die besorgte Tänzerschaft auch „zwischenmenschlich“ bei Demis Volpi und seinem Stab „dringenden Handlungsbedarf“ haben. Denn „schlechte Kommunikation“, „fehlende Transparenz“ und „eine oft abschätzige Haltung“ würden das Arbeitsklima vergiften.

Er sei aber „in stetem Dialog mit dem Ensemble“, meint Demis Volpi dazu.

Zudem hapere es jedoch an grundlegenden arbeitsalltäglichen Vorgängen wie der Probendisposition, beklagen Alexandr Trusch und seine 35 Mitstreiter. Die „künstlerische Komplexität“ und auch schon allein der „Umfang“ der Handlungsballette von John Neumeier etwa werde völlig unterschätzt. Wobei man wohl sogar fast den Eindruck böser Absicht hat. Denn diese wichtigen Dinge würden „einfach nicht respektiert und berücksichtigt“.

Fachliche Ahnungslosigkeit, gepaart mit rückhaltlosem Machtstreben – diese unheilvolle Mischung will auch schon René Lozynski vor Jahren an Demis Volpi beobachtet haben. Gezielt sei willkürlich agiert worden:

„Da wurde eine Atmosphäre der Angst geschürt.“

Heute, da die Probleme Volpis mit seinen Untergebenen aus Hamburg offenbar sind, würden sich einige Tänzerinnen und Tänzer vom Ballett am Rhein sogar Vorwürfe machen, weil sie die Hamburger Kollegen nicht gewarnt hätten.

Ist Demis Volpi nun ein Despot? Sind vielleicht alle oder die meisten  Ballettdirektoren so etwas wie Despoten? „Es fiel auch schon das Wort ‚Soziopath‘, um Demis Volpi einzuschätzen“, sagt Lozynski.

Das neue Balletthaus ist fertig.

Das Balletthaus im Düsseldorfer Stadtteil Bilk. Hier probt das Ballett am Rhein. Foto: Gert Weigelt

Manchmal, so erinnert er sich, sei er auf die Bitten von Künstlern hin zu Bühnenproben gegangen, um die Tänzerinnen und Tänzer mit seiner Anwesenheit zu beschützen. Denn wenn er demonstrativ weit vorn im Publikum saß, traute sich nach Wahrnehmung der Betroffenen niemand aus Volpis Führungsriege, einzelne Ensemble-Mitglieder verbal herabzusetzen oder mit unangemessenen Anweisungen einzuschüchtern oder zu traktieren.

„Da war ich zeitweise der Ballettpolizist“, so Lozynski, der über reichlich Erfahrung mit den verschiedensten Theaterformaten in Deutschland verfügt.

Es sei ja oft wild und chaotisch am Theater, gerade, wenn es ums Menschliche gehe, so der Berufsnetzwerker. Aber eine derartige Häufung von Problemen wie in der Ära Volpi beim Ballett am Rhein sei extraordinär.

Dass sich damals niemand an die Presse wandte, rächt sich heute: Viele Beschäftigte vom Hamburg Ballett und der Hamburgischen Staatsoper, aber auch Zuschauerinnen und Zuschauer hätten sich ein böses Erwachen mit dem so nett wirkenden Demis Volpi gern erspart.

Demis Volpi und seine erste Ballett-Werkstatt

Sie tanzen hier von Justin Peck „The Times Are Racing“: Futaba Ishizaki und Matias Oberlin. Foto vom Hamburg Ballett: Kiran West

Da hilft es wenig, dass Volpi und sein Ballettmeisterchef Pettanella die ehemalige und jetzige Hamburger Tänzerin Futaba Ishizaki – wie schon früher beim Ballett am Rhein – protegieren. Denn Ishizaki ist die private Partnerin von Pettanella, was so manchen Kennern des Hamburg Ballett erklärt, wieso sie zur Solistin aufgebaut wurde.

Protektion statt Problemlösungen: Auf solche Kalamitäten würde man in der Hansestadt langfristig sicher gern verzichten. Darum sollen nun Gespräche der verschiedenen Lager im Sinne einer Mediation – an der auch Carsten Brosda und John Neumeier teilnehmen sollen – für Korrekturen sorgen.

Handfeste arbeitsrechtliche Sorgen lassen sich aber nur selten wegreden. Und nach dem, was man hört, werden noch weitere Enthüllungen auf uns zukommen.

Die beste Lösung wäre wohl, Demis Volpi nurmehr als Gast weiterzubeschäftigen und ihn ansonsten abzufinden, um mit Alexandr Trusch, Edvin Revazov und Lloyd Riggins, dem Neumeier-Experten vom Hamburg Ballett, einer neuen Leitung eine Chance zu geben. Kompetenz – auch soziale Kompetenz – und Führungsstärke haben alle drei schon vor Ort in Hamburg bewiesen.
Gisela Sonnenburg

P.S. Und zur Unterstützung der leidenden Hamburger Tänzerschaft trudelte alsbald noch ein Solidaritätsbrief von 17 aktuellen und ehemaligen Tänzerinnen und Tänzern aus Düsseldorf ein. Tenor: Die Vorwürfe an Volpi sind berechtigt. 

www.hamburgballett.de

 

 

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