Spanien liegt am Südpol „Don Quijote“ in der Spar-Version von Ray Barra in München: eine willkommene Abwechslung

Ein etwas anderer Don Quijote tanzt in München auf

Ein süßes Paar, auch privat übrigens: Laurretta Summerscales und Yonah Acosta im spanisch inspirierten „Don Quijote“ von Ray Barra: mal was anderes! Foto: Wilfried Hösl

Wie ähnlich und doch wie anders ist diese Version vom „Don Quijote“ im Vergleich zu den bekannteren! Ray Barra, der als Solist vom American Ballet Theatre aus New York City nach Deutschland kam und dann von John Cranko und dem Stuttgarter Ballett geprägt wurde, erfand für seine Fassung einige neue Details. 1991 wurde dieser „Don Q.“ beim Bayerischen Staatsballett in München uraufgeführt – und seit der Millenniumswende wird er immer mal wieder getanzt. Jetzt brillieren die Britin Laurretta Summerscales und die Brasilianerin Ivy Amista abwechselnd in der Rolle der Kitri. Als Dulcinea zeigt die aus dem sonnigen Kalifornien stammende Kristina Lind ihr Können – und dass die Musik von Ludwig Minkus vom Tonband kommt, wird vom Vorteil reduzierter Eintrittspreise im Prinzregententheater hoffentlich aufgewogen.

Überhaupt ist es, wenn man so will, eine Spar-Version. Denn stark abgespeckt – im Vergleich etwa zu der Version von Rudolf Nurejew – wirken auch das Bühnenbild und die Kostüme. Thomas Pekny und Silvia Strahammer ließen sich materialsparende Ideen einfallen, um eigenwillige Atmosphären zu erschaffen, weit entfernt vom prachtvollen Rot der meisten „Don-Quixote“-Versionen.

Es ist wohl auch kein Zufall, dass Barra den Don hier mit „j“ statt mit „x“ schreibt und die Handlung nicht in Barcelona, sondern in El Toboso ansiedelt. Der Choreograf will sich und sein Werk kenntlich abheben von den anderen Fassungen.

Wiewohl die Handlung nach wie vor auf dem Episodenroman „Don Quixote“ von Miguel de Cervantes beruht und die Kernsubstanz der Choreografie weiterhin auf der Uraufführung durch Marius Petipa.

Die Kennzeichnung der Figuren ist allerdings abweichend von dem Traditionsgut – was für viele Kenner eine willkommene Abwechslung ist.

An die süffige Opulenz, die inhaltliche Konsistenz und die temperamentvollen Feuerwerke der Version von Nurejew kommt Barras Werk allerdings nicht heran.

Dafür ist die Partie der Kitri nicht so maßlos fordernd wie bei Rudi, weil sie in Rays Fasung keine Doppelrolle mit der von Dulcinea ist.

Ob Rudi oder Ray – das fröhliche Humtata der Musik von Minkus bleibt erhalten, auch wenn es in München vom Band statt aus dem Orchestergraben kommt.

Erik Murzagaliyev und Prisca Zeisl: „Don Quijote“ trifft seine Dulcinea zum huldvollen Paartanz. So zu sehen in Ray Barras Version des Stücks beim Bayerischen Staatsballett. Achtung, die Besetzungen der einzelnen Partien wechseln! Foto: Wilfiried Hösl

Die Titelrolle allerdings gewinnt hier an Profil, ist sie doch kein pantomimischer Part (wie es traditionell eingerichtet ist), sondern eine echte Tänzerrolle. Erik Murzagaliyev kann darin zeigen, wie sehr es sich lohnt, als Ballerino nicht nur die Sprungtechnik, sondern auch das Schauspielerische zu trainieren und aufwändig auszuprägen.

Sein Don ist glaubhaft und sowohl bewunderungs- als auch mitleiderregend. Und wenn diesem Möchte-gern-Ritter in seiner heimischen, langweiligen Bibliothek die Decke auf den Kopf fällt und er sich zur eigenen Erbauung die wunderschöne Dulcinea ausdenkt, dann ist das unbedingt liebenswert.

Zumal Kristina Lind als huldvolle Schöne alle Fantasien von Sanftmut und Eleganz in sich zu vereinen weiß. Sie ist eine Dulcinea wie aus dem Bilderbuch!

Don Quijotes Knappe Sancho (hier ohne den Nachnamen Pansa) ist allerdings weit weniger edelmütig. Konstantin Ivkin, der die Rolle tanzt, mag darüber indes glücklich sein. Denn Barras Sancho hat es in sich, er ist ein herum tollendes Ausbund an Lüsternheit – und stets und ständig auf der Suche nach der nächsten Schürze, die er vielleicht erobern kann.

Bei Nurejew ist Sancho ein verfressener, grobschlächtiger Mönch, der sich für seine Völlereigelüste ungeschickt die Lebensmittel klaut. Bei Barra ist er ein hampelnder, nervöser, geiler Kerl, der immerzu den Supermacho spielen will. Ohne allzu viel Erfolg indes…

Allerdings bringt das ein kleines dramaturgisches Problem mit sich: Der Hurenbock (Sancho) und der versponnene Träumer (Don Q.): Ob so ein Duo es wirklich langfristig miteinander aushalten könnte? Ein großer Psychologe war Ray Barra leider nicht. Da sind der Fresssack und der Träumer von Nurejews Gnaden ein viel realistischeres Pärchen…

Dafür ist Don Quijote deutlich tatkräftiger als Don Quixote.

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Olé! Laurretta Summerscales als Kitri – eine Augenweide. Aber dennoch verliebt „Don Quijote“ sich nur in seine Traumfrau Dulcinea… in der Version von Ray Barra beim Bayerischen Staatsballett. Foto. Wilfried Hösl

Er verliebt sich auch nicht in Kitri, weil er in ihr auch nicht seine Dulcinea erblickt. Das war ohnehin eine Erfindung von Petipa!

Im Roman von Cervantes ist es hingegen so, dass der Don sich ein Bauernmädchen als Vorlage für seine Dulcinea sucht, ohne es dem Mädel auch nur zu sagen, dass er sie gern lieben würde. Er ist mehr ein Dichter als ein Liebhaber und verleiht seiner Traumfrau den Namen „Dulcinea del Toboso“ („Süße von Toboso“) nach dem Ort El Toboso (wo heute übrigens ein zweiteiliges Denkmal für den Roman „Don Quixote“ steht).

Ein etwas anderer Don Quijote tanzt in München auf

„Don Quijote“ und Sancho mopsen sich in der langweiligen Bibliothek… Erik Murzagaliyev und Konstantin Ivkin wissen sich aber bald mit Visionen zu helfen… beim Bayerischen Staatsballett in München. Foto: Wilfried Hösl

Statt in Barcelona, wird hier bei Ray Barra darum in El Toboso getanzt. Das Liebespaar Kitri und Basilio (der hier nicht Basil, sondern eben Basilio heißt) rückt damit von der Großstadt aufs Land.

Ansonsten bleibt die Story wie gehabt: Die Wirtshaustochter Kitri darf ihren Liebsten, den Barbier Basilio, nicht heiraten, weil der Vater ihr den reichen Camacho (nicht Gamache wie sonst) als Gatten aufdrücken will.

Während Gamache als barocke, überkandidelte Tunte sonst stets eine recht dankbare Lachnummer ist, muss der Tänzer vom Camacho seinen Part eher seriös und, wie der Name schon sagt, als Macho tanzen. Keine leichte Aufgabe, die den lyrisch-dynamischen Münchner Ballerino Javier Amo denn auch zugleich unter- und überfordert.

Ein etwas anderer Don Quijote tanzt in München auf

Der „Kitri-Sprung“ – mit Schmackes von Laurretta Summerscales getanzt. So zu sehen in „Don Quijote“ beim Bayerischen Staatsballett. Foto: Wilfried Hösl

Aber Laurretta Summerscales als Kitri reißt es raus, sie rettet diese Szene wie auch so viele andere! Sie tanzt ihre Partie mit viel Charme und Schmiss, mit Witz, auch mit einer gewissen Bodenständigkeit, was gerade zu dieser ländlichen Kitri außerordentlich gut passt. Und ihre Balancen sind sprichwörtlich!

Ihr Partner ist allerdings noch nicht ganz reif für die Rolle des kecken Basilio, er muss das Spielerische noch ein wenig üben, diese Sicherheit wird mit der Zeit wohl kommen: Yonah Acosta ist ein Sprungtalent mit exzellenter Technik, aber die Gefühle zeigt er einfach noch zu wenig.

Der junge Mann mit kubanischem Tanzblut trägt ja den verflixt nochmal berühmten Namen eines Verwandten – und schleppt somit eine schwere, wenn auch bei der Karriere wohl hilfreiche Last mit sich herum. Ein Carlos Acosta ist er derzeit aber eher nicht… es fehlen die Wildheit, die Ausgelassenheit, die große Emotion.

Ein etwas anderer Don Quijote tanzt in München auf

Ivy Amista – hier als Mercedes in „Don Quijote“ – tanzt in anderer Besetzung die Kitri. Graziös und temperamentvoll! Beim Bayerischen Staatsballett, in der Version von Ray Barra. Foto: Wilfried Hösl

Hier ist die andere aktuelle Münchner Besetzung durchaus vielversprechend: Osiel Gouneo hat an sich alle Verspieltheit und Power parat, die man sich von einem Basilio nur wünscht. Und Ivy Amista ist als flotte Kitri schon auf Galas sehr positiv ins Auge gefallen. Olé!

Und auch Ksenia Ryzhkova, die ursprünglich als Kitri avisiert war, aber dann aktuell leider ausfiel (gute Besserung!), ist es zuzutrauen, das Publikum auch im Rüschenrock in ihren starken Bann zu ziehen und Begeisterung auszulösen.

Ansonsten muss man zur Kenntnis nehmen, dass dieses tanzwütige Spanien, wie Ray Barra es zeichnet, auch am Südpol liegen könnte. Keine deftigen Zigeunertänze, keine wolllüstigen Wirtshauständeleien, nicht mal eine durch ihre Lyrik schwer sinnliche Dryadenkönigin gibt es hier!

Dafür darf Don Quijote ausgiebig mit seiner Traum-Dulcinea dem Pas de deux frönen… und mit dem wunderbar männlichen Henry Grey als Matador und der femininen Prisca Zeisel als Mercedes ist immerhin ein sprudelnder Quell heißblütiger spanischer Tanzart vorhanden.

Ein etwas anderer Don Quijote tanzt in München auf

Spanien – oder doch der Südpol? Die Kulisse ist puristisch reduziert, alles Flair muss der Tanz leisten! Hier Jonah Cook als Matador und Ivy Amista als Mercedes in „Don Quijjote“ von Ray Barra beim Bayerischen Staatsballett. Foto: Wilfried Hösl

In anderer Besetzung sind es übrigens Jonah Cook und Ivy Amista, die hier fürs rasante Spanien-Gefühl zuständig sind – na, aber bitte! Das traut man ihnen doch nur zu gerne zu!

Don Quijote hat nun noch eine feine Besonderheit in Barras Version: Er verdingt sich als Helfershelfer der Liebe und sorgt dafür, dass Basilios Plan, sich die Zustimmung zur Ehe durch Kitris Vater zu erschleichen, aufgeht.

Schalkhaft ersticht sich Basilio also zum Schein, um angeblich sterbend die Zustimmung des verwirrten Vaters zu erheischen – und Don Quijote sieht sich somit in der Rolle eines altruistischen Amors.

Am Ende ist alles eine runde Sache: Das Liebespaar darf heiraten und grandios auftanzen.

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Don Quijote hingegen lässt sich von der ewigen Vision seiner schönen Dulcinea leiten – und sich von der erhabenen Traumfrau einerseits samt lüsternem Knappen Sancho als höchst irdische Begleitung andererseits in die Ferne locken.

Auf zu neuen Abenteuern!
Franka Maria Selz / Gisela Sonnenburg

Termine: siehe Spielplan

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