Traumreise durch die Ballettwelten Die BallettFestwoche 2018 ging beim Bayerischen Staatsballett mit viel Applaus zu Ende – man konnte in neun Vorstellungen die Vielfalt der fantastischen Ballettwelt erleben

Laurretta Summerscales und Yonah Acosta in „Spartacus“ beim Bayerischen Staatsballett: ergreifend. Foto: Wilfried Hösl

Vom Feenreich ins Wunderland und weiter – ganz weit zurück – bis in die Antike: So viele verschiedene Welten bot die BallettFestwoche 2018 mit dem Bayerischen Staatsballett in München. Und das in nur drei Tagen, während sie mit den insgesamt neun Vorstellungen ihrer Dauer in noch mehr fantastische Ländereien der Weltliteratur und des modernen klassischen Tanzes führte. Bejubelte Aufführungen, etliche Debüts, musikalische und tänzerische Brillanz prägen dieses seit 1960 jährlich im April stattfindende Festival. Und bei einer Auslastung von 99,65 Prozent in diesem Jahr (vom 14. bis zum 22. April) muss man wirklich von großer Publikumsfreundlichkeit sprechen. Das Konzept, das Ballettdirektor Igor Zelensky seit seiner Kurskorrektur fährt, kommt definitiv an! Im Folgenden finden Sie einen schnellen Ritt durch drei aufeinander folgende Vorstellungen, die die Tage zu Warteschleifen auf den Abend machten.

Zunächst „Ein Sommernachtstraum“ von John Neumeier. Es war vorerst die letzte Vorstellung in München mit diesem absoluten First-class-Ballett, das alles enthält, was man sich von einem Shakespeare-Traum nur wünschen kann: Liebe, Humor, Poesie. Schalk, Natur, Sex. Kränkung und Rachsucht. Zauber und Vergänglichkeit. Ewige Sehnsucht. Untreue und Treue. Deftiges und Lyrisches, Groteskes und Erhabenes. Kein anderes Ballett fügt all diese lebendigen Widersprüche so edelmütig zu einem funkelnden, glitzernden, mitreißenden Schmuckstück.

Ksenia Ryzhkova als Titania mit ihren Elfen in „In Sommernachtstraum“ von John Neumeier beim Bayerischen Staatsballett – elegant, elegisch, erotisch. Foto: Wilfried Hösl

Ksenia Ryzhkova war wieder eine hinreißende, bezaubernde, so feine wie dramatische Hippolyta und Titania. Als künftige Fürstin in der Menschenwelt und als von ihrem vergrätzten Gatten abgestrafte lüsterne Elfenkönigin ist sie in der Lage, jede Regung der weiblichen Seele zu illustrieren. Und ihre lang gestreckten schönen Beine, ihre anmutige Kopf- und Armarbeit, ihre sauberen Attitüden und Arabesken, ihre gekonnt geschmeidigen akrobatischen Bewegungen – all das führt dazu, dass man eigentlich sofort in ihren Elfenstaat eintreten möchte.

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Als ihr Mann, als Theseus bzw. Oberon, konnte Emilio Pavan mit männlicher Stärke überzeugen. Der Münchner Neuzugang aus Australien hat durchaus Potenzial!

Alexey Popov, neu und toll beim Bayerischen Staatsballett. Da ist eine Beförderung des Solisten fällig! Foto: Bayerisches Staatsballett

Vor allem aber becircte Alexey Popov als Zeremonienmeister Philostrat und als schelmischer Kobold Puck. Aus Moldawien stammend, bei Waganowa in Sankt Petersburg ausgebildet und mit Erfahrung im Corps vom dortigen weltberühmten Mariinsky Ballett ausgestattet, bot er diese Saison ein blitzendes, frisches, freches und schlichtweg begeisterndes Debüt in dieser Doppelrolle. Vor Oberon kuschte dieser Puck betont, um sich ansonsten mit artistischen Finessen voll auszuleben. Was für ein furioses Tanztalent!

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Elvina Ibraimova als putzig-niedliche Helena, Henry Grey als ihr zackig-komischer Demetrius, Kristina Lind als elegant-biegsame Hermia und der virtuose Jonah Cook als ihr verträumter Lysander rundeten die Liebhaber-Riege ab. Zumal die Ausstattung von Jürgen Rose alle individuellen Eigenschaften des Personals nochmals betont.

Aber die Handwerker, die hier eine eigene dritte Handlungsebene bilden, sollte man nicht vergessen! Allen voran lockte Dustin Klein als spitzenschuhgeplagter weiblicher Part in „Pyramus und Thisbe“, dem Theater im Theater im „Sommernachtstraum“, die Lachtränen hervor. Hui, wieviel Charme und Hintergrund diese Travestie hat!

Laurretta Summerscales und Yonah Acosta in „Alice im Wunderland“ von Christopher Wheeldon beim Bayerischen Staatsballett – filigran, fröhlich, surreal. Foto: Charles Tandy

Da hatte es „Alice im Wunderland“ von Christopher Wheeldon am folgenden Abend im Vergleich natürlich nicht leicht. Aber die flotte Klamotte mit dick aufgetragenem Klamauk punktete mit schmissiger, frohgemut vorgetragenen Akzenten. Welch ein Augenschmaus! Die Kostüme von Bob Crowley sind ja megabunt, und Laurretta Summerscales als Alice trug zudem die lieblich-sanfte Note in dieses krud-surreale Tanzstück.

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Aber auch Javier Amo als Carroll / weißes Kaninchen und – wieder! – Alexey Popov als Jack / Herzbube vereinnahmten mit ihren souveränen Sprüngen und Bewegungsphrasen. Jonah Cook passte sich perfekt in die Rollen vom Zauberer / Hutmacher ein, und Henry Grey als Radscha / Raupe wusste das märchenhafte Element zu bekräftigen.

Man kommt aus dieser Vorstellung und weiß gar nicht mehr, wo einem der Kopf steht vor lauter Schmunzeln und Staunen!

In eine ganz andere Welt entführte dann der „Spartacus“ von Yuri Grigorovich. Dieser Klassiker der sowjetischen Tanzkunst ergreift nach wie vor mit seinem erhabenen Pathos und seinen unerschütterlichen Idealen von Freiheit. Ein Gesamtkunstwerk höchster Güte!

Yonah Acosta als „Spartacus“ beim Bayerischen Staatsballett: ein Tatmensch, der für die Freiheit kämpft, leidet, siegt und stirbt. Foto: Wilfried Hösl

Yonah Acosta in der Titelrolle erweist sich als großartiger, sprungmächtiger Tatmensch, als ein Draufgänger fast, als unbändiger, wunderbarer Anführer des Sklavenaufstands, um den es hier geht. Der schöne Kubaner bewältigt all die großen Sprünge mühelos, mit Linien vom Feinsten – und seine Rolleninterpretation, die das Stürmende und Drängende an Spartacus betont (und nicht die selbst gefundene Pflicht zum Freiheitskampf), ist durchaus neu!

Jinhao Zhang – ein toller, krasser Crassus in „Spartacus“ von Yuri Grigorovich beim Bayerischen Staatsballett. Bravo! Und auch hier würde man dem Künstler eine Beförderung wünschen! Foto: Wilfried Hösl

Aber Jinhao Zhang steht ihm als krasser Crassus nichts nach! Der Chinese, wie Acosta mit Tanzerfahrung vom English National Ballet in London kommend und wie dieser auch erst seit dieser Spielzeit in München tanzend, fiel schon des öfteren auf: als besonders begabter, als besonders fleißiger Ballerino. Jetzt hatte er die Chance zu zeigen, was in ihm steckt – und er versetzte einen in Aufruhr! Seine Cambrés im Sprung sind einfach fabelhaft, seine Darstellung des Fiesen, Hinterhältigen ist brillant – und man fragt sich, wieso ein Demi-Solist diese Partie um so vieles besser tanzt als der hierfür mitunter teuer engagierte, einstmals geniale, mittlerweile aber ziemlich abgehalfterte Sergej Polunin. Ah, da ist wohl eine Beförderung für Jinhao Zhang fällig!

Prisca Zeisel – hier auf dem Pressefoto vom Bayerischen Staatsballett – tanzt als Ägina die Gemeinheit in Person, frivol und listig, mit aasigem Lächeln. Toll.

Und noch eine Überraschung bot der „Spartacus“ auf der BallettFestwoche: Prisca Zeisel ist eine Ägina wie aus dem Bilderbuch der bösartigen Diven. Mit aasigem Lächeln quält sie die Männer, die sie erst heiß machte, bis zum Zustand der Raserei – ach, und sie kann so schön kalt und herzlos sein! Und dabei doch so charmant… gefährlich!

Da ist Laurretta Summerscales, die Vielbegabte, als Phrygia genau das Gegenteil. Ist sie als Alice spritzig, niedlich, kindlich, fragil, wirkt sie hier ganz weich und weiblich, so sanft und verletzlich. Ihre Posen sind excellent, ihr Esprit makellos. Und als Spartacus stirbt, schüttelt sie ein Weinkrampf so herzzerreißend, dass man unmöglich nicht mitweinen kann.

Laurretta Summerscales als Phrygia in „Spartacus“ beim Bayerischen Staatsballett: liebend und leidend. Foto: Wilfried Hösl

Die Tragödie von Freiheit und Unterdrückung – wie lange wird sie in dieser Welt noch anhalten? Wird es je einen für alle gangbaren Weg geben?

Ballett ist genau die richtige Kunst, uns daran immer wieder zu ermahnen und uns immer wieder mit Anmut und Grandezza ein Beispiel von einer Welt zu zeigen, wie sie sein könnte. Ein Festival mit täglichen Vorstellungen macht das auf kulturhaltige Weise besonders deutlich.

Yonah Acosta und das Ensemble in „Spartacus“ von Yuri Grigorovich. Kämpferisch! Foto: Wilfried Hösl

Und das Bayerische Staatsballett – auch sein Ensemble! – konnte mal wieder zeigen, wie zukunftsträchtig diese Truppe ist, deren Profil wieder ganz seiner Tradition entspricht: mit viel Kraft und vor allem auch Lebendigkeit zu tanzen.

Danke nach München für die hervorragende Organisation und Fortführung dieser bedeutenden Festival-Tradition!
Franka Maria Selz / Gisela Sonnenburg

Große Einzeltexte zu den jeweiligen Stücken gibt es auch hier im Ballett-Journal!

www.bayerisches-staatsballett.de

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