Schlimmer als im Kalten Krieg Die USA verweigerten zwei Bolschoi-Künstlern die Einreise, um auf einer Gala in New York zu tanzen

Olga Smirnova als Nikija in „La Bayadère“ am Moskauer Bolschoi-Theater: weltberühmt mit langen Beinen und Schmelzblick. In New York wurde sie jedoch jetzt von nationalistischen Bürokraten verhindert. Foto: Damir Yusupov / Bolschoi

Für das russische Außenministerium ist die Sache ein Skandal: „So etwas gab es nicht mal im Kalten Krieg“, heißt es auf der Homepage der Institution. Es geht um Olga Smirnova, weltberühmte Primaballerina des Moskauer Bolschoi-Balletts. Sie und ihr Tanzpartner Jacopo Tissi sollten am 19. April im Lincoln Center in New York auf der Gala des American Youth Grand Prix als Pas-de-deux-Paar auftreten. Doch die USA verweigerten den beiden das Visum für die Einreise. Der Vorgang ist beispiellos in der Geschichte der Beziehungen der beiden Weltmächte, denn die Künste – und gerade das Ballett – standen bisher über alle politischen Spannungen hinweg für versöhnende Brückenschläge.

Smirnova, Jahrgang 1991, gilt als jüngste und schönste der ganz großen, international viel gastierenden Weltballerinen. In New York tanzte sie bereits 2014 als Gast, und zwar beim angesehenen American Ballet Theater (ABT). Sogar ihre Ausbildung ist nicht rein russisch gewesen, denn noch während ihres Studiums am Sankt Petersburger Waganowa-Institut nahm sie auch Unterricht in Westeuropa, so an der Royal Ballet School in London.

Dass man ihr jetzt die Einreise ins „Trumpland“ verweigert, hat den Charakter einer symbolträchtigen Provokation. Als Weltstar ist Smirnova überall, wo man Ballett tanzt, hoch willkommen – nur in den USA anscheinend nicht mehr. Diese Diskriminierung der jungen Künstlerin ist geeignet, den internationalen Kulturaustausch überhaupt in Frage zu stellen. Wird hier jetzt eine neue Gangart von Seiten der USA eingelegt? Soll der Fall Smirnova kein Einzelfall mehr bleiben?

Auch Jacopo Tissi wurde die Einreise in die USA für den Gala-Auftritt mit Smirnova in New York verweigert. Der Italiener ist als Ballerino beim Bolschoi Ballett in Moskau fest im Engagement. Foto: Damir Yusupov / Bolschoi

Ein zweites Opfer ist schnell ausgemacht: Jacopo Tissi, der ebenfalls Mitglied des Bolschoi-Balletts ist und der Smirnovas Tanzpartner in New York sein sollte, wurde wie ihr das Visum vorenthalten. Obwohl er italienischer Nationalität ist. Das russische Außenministerium kommentierte, dass man in diesem Fall keinen politischen Hintergrund vermute, der sich gegen Italien richte.

Olga Smirnova im Portrait. Eine Primaballerina von Welt – und eine nunmehr augesperrte Botschafterin der schönen Künste. Foto: Bolschoi

Attackiert wird das Bolschoi-Theater als ehrwürdige, weltbekannte und vor allem russische Kultureinrichtung. Kurz gesagt: Attackiert wird Russland. So schlussfolgert auch das russische Außenministerium: „Heute gibt es einflussreiche Kräfte in den USA, die Russland stark unter Druck setzen wollen und die dabei keine Grenzen kennen.“ Diese würden versuchen, die Amerikaner von den Russen mit einer „Visa-Mauer“ fernzuhalten. Reisen russischer Bürger in die USA würden so verunmöglicht.

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Nun ist Smirnova nicht nur Russin, sondern eine Künstlerin mit besonderer Strahlkraft. Ihre Ballettmeisterin am Bolschoi, Maria Kondratieva, sagt es so: „Niemand kann ihr widerstehen, der sie tanzen sieht“. Lange Arme und Beine, ein Schwanenhals, ein nicht zu muskulöser Rücken, ideale Spitzenschuh-Füße, dazu ein bildhübsches, ebenmäßiges Gesicht mit fein gezeichneten Augen, sinnlichen Lippen und markanter Nase – Olga Smirnova ist eine Augenweide, auf der Ballettbühne allemal.

Am 30. April tanzt sie im Bolschoi die Titelrolle in „La Bayadère“ – eben diese Partie tanzte sie 2014 beim ABT. In New York war es die Version von Natalia Makarova, am Bolschoi ist es die von Yuri Grigorovich nach Marius Petipa.

Auch in Deutschland ist die schöne Olga bald wieder zu sehen: als „Kameliendame“ von John Neumeier am 17. und 20. Mai beim Hamburg Ballett. Ihr Partner wird der junge, ebenfalls schöne Christopher Evans vom Hamburg Ballett sein, der diese Saison als Armand debütiert.

Man wird die Botschaft der über Grenzen hinweg wirkenden Kraft der schönen Künste auf jeden Fall würdigen und verstehen!

Olga Smirnova im ersten Akt der „Kameliendame“ von John Neumeier – hier am Bolschoi Theater, aber bald auch in Hamburg zu sehen. Foto: Damir Yusupov / Bolschoi

Im heutigen New York wurde diese positive Botschaft, die Smirnovas anmutiger Tanz bedeutet, jedoch verhindert: von einem aggressiven amerikanischen Nationalismus, der Unsicherheit und Angst erzeugt. Das macht tief betroffen und auch nachdenklich.
Gisela Sonnenburg

www.bolshoi.ru

www.hamburgballett.de

 

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