Am stillen Welttheatertag 2021 – also heute – kam vom Ballett Dortmund eine so ungewöhnliche wie begrüßenswerte Art und Weise, das Publikum mit dem Werk des Chefchoreografen Xin Peng Wang bekannt zu machen. Im fernsehgeschulten Doku-Format der Reportage, allerdings ohne die im Feuilleton übliche Subjektivität, informiert bis morgen kurz vor Mitternacht der Film „Die göttliche Komödie – Weltliteratur als Ballett“ online die Ballettfans: Es geht in ihm sowohl über den Dichter Dante Aleghieri als auch über die Arbeit zu Dante des Dortmunder Ballettdirektors Wang. Natürlich geht es vor allem um die Hintergründe zur Entstehung von Wangs Ballett-Dreiteiler zum Thema. Vom Inferno (der Hölle) übers Purgatorio (Fegefeuer) bis zum Paradiso (Paradies):
Wo Dante über 14000 Verse braucht, genügen dem Ballettmacher Wang drei Abende – aber die haben es in sich.
Wangs Dramaturg Christian Baier, der auch für das Drehbuch dieses Films verantwortlich zeichnet, erklärt im Film en detail seine Sicht auf diese sensationelle Umsetzung von Weltliteratur in ein Weltballett.
Xin Peng Wang erläutert seine Herangehensweise – und ringt einem reichlich Respekt ab.
Auch der Bühnenbildner Frank Fellmann, der Kostümdesigner Bernd Skodzig und der Lichtkünstler Carlo Cerri kommen zu Wort und lassen ihre Zeichen in der Inszenierung noch besser verstehen.
Man erfährt also, wie der Stahltrichter, der in allen drei Stücken zeitweise das Bühnenbild beherrscht, je nach Licht und Konzept verschieden eingesetzt wird.
Und sogar die beiden wichtigsten Tänzer dürfen mitteilen, wie sie sich mit dem in der Ballettwelt einmaligen Event fühlen. Und siehe da: Vor allem der zweite Teil, das „Purgatorio“, forderte sie stark. Javier Cachiero Alemán (Dante) und Daria Suzi (Beatrice) lassen keinen Zweifel daran!
Am stärksten aber spricht der Tanz für sich.
Szenen mit Lucia Lacarra, die im wichtigen ersten Teil als Beatrice reüssierte, mit Guillem Rojo i Gallego oder auch mit Dann Wilkinson, der aktuell den Dichter Vergil tanzt – welcher seinen Kollegen Dante durch die Gefilde führt – bringen zum Schwelgen.
Man taucht mit ein in die Welt aus Hitze und Schweiß, aus Angst und Höllendrama. Ebenso ins sühneheischende Fegefeuer, das hier so spannend ist wie sonst nur ein gut gemachter Krimi.
Der dritte Teil – das „Paradiso“ – ist allerdings im Gegensatz zu den beiden ersten Teilen noch gar nicht uraufgeführt. Aber hier sehen wir bereits wunderschöne Szenen, etwa mit einer ganz in transparentes Weiß gehüllten Beatrice mit Gefolge…
Der Film weist zunächst aber auch auf die außergewöhnlich schwierigen Lebensumstände von Dante hin. Geboren, um von einer angesehenen Familie im Florenz der Frührenaissance in die Politik geschickt zu werden, legt er sich mit zu vielen Machthabern an. Und er wird 1302 enteignet, verbannt und für vogelfrei, also rechtlos, erklärt.
Durch Italien ziehend und von der Hand in den Mund lebend, schreibt er sein Hauptwerk „Die göttliche Komödie“, eine christliche Vision des Jenseits, wie sie bis heute einmalig geblieben ist.
Weil Dante der erste Schriftkundige in Italien ist, der seine Verse nicht auf Latein, sondern in der Sprache des Volkes notiert, gilt er zudem als Begründer der italienischsprachigen Literatur.
Die weibliche Zentralfigur sowohl in Dantes Fantasie als auch in seinem Weltendrama entspricht ja auch einer biografischen Liebe, nämlich seiner Jugendliebe, die mit einem anderen Mann verheiratet wurde. Als sie mit 24 Jahren starb, begann Dante zu schreiben…
Xin Peng Wang hat sich gründlich mit Dante beschäftigt, bevor er zum Choreografieren des Stücks überging. Ihn beeindruckte die Fantasie Dantes, der sowohl mittelalterliche Horrorvisionen von der Hölle und vom Fegefeuer als auch fast romantisch antizipierende Träume von Erlösung und Elysium beschrieb.
Historische Fakten und Dokumente mischen sich hier mit Blicken in die Ballettsäle und auf die Bühne. Und da findet sich Dante in einer absolut überzeugenden, ganz eigenen – wortlosen – Formulierung wieder.
Bilder von großer Macht erblühen in dieser anderen Welt, die das Bühnenuniversum bedeutet. Die Poesie, die sie entsenden, geht fraglos unter die Haut. Xin Peng Wang, Christian Baier und das Ballett Dortmund haben Großes geleistet, fraglos.
Der Film macht allein schon durch die zahlreichen Szenenbilder aus den drei Ballettabenden große Lust, diese erneut, erstmals oder in einer Reihe zu sehen.
Und in einem transzendierend hellen Licht wird das Stück einst enden…
Bis um 23.50 Uhr am morgigen Sonntag ist die Doku noch online zu sehen. Nur zu!
Gisela Sonnenburg
Die beiden Premierenberichte zum „Inferno“ und zum „Purgatorio“ sowie ein Vorabbericht aufs „Paradiso“ bitte hier auf Klick!