Eigentlich sollte in Dresden im September 2020 das abendfüllende Großballett „Die Tempeltänzerin / La Bayadère“ in der Inszenierung von Aaron S. Watkin nach Marius Petipa auf dem Programm stehen. Das Stück ist bekannt, auch in dieser Dresdner Version, wurde bisher dort allerdings unter dem französischen Originaltitel „La Bayadère“ ohne die zusätzliche deutsche Übersetzung „Tempeltänzerin“ gezeigt. Die nicht eben glückliche Verdoppelung des Titels ist wohl dem Geschmack des neuen Opernintendanten Peter Theiler geschuldet. Aber das Semperoper Ballett ist ohnehin realistisch, lässt die Vorstellung entfallen – und bietet stattdessen einen spannenden, zeitgemäßen „Corona-Spielplan“ an. Das Gala-Programm „Semper Essenz: We will dance!“ wird in acht Vorstellungen ab dem 18. September 20 (bis zum 25. Oktober 20) etliche gebündelte Highlights aus dem Repertoire, Neukreationen sowie ein Medley aus in Dresden neuen Stücken zeigen.
Der Titel zeigt schon an, dass man sich mit dem neuen Ballettkonzept dem Opernprogramm angliedert, denn auch die Semperoper nennt ihre neuartigen, der Corona-Krise geschuldeten Programmabende „Semper Essenz“ – und präsentiert damit so genannte „halbszenische“ Kurzversionen ihrer Inszenierungen.
Andererseits klingt der das Ballett in Dresden kennzeichnende Zusatz mit Ausrufezeichen „We will dance!“ durchaus fröhlich und aufmunternd – und zeigt doch auch trotzig, dass sich die Ballettwelt in der sächsischen Metropole nicht unterkriegen lassen wird. Egal, was passiert, im Elbflorenz verkündet das Ballett: „We will dance!“ („Wir werden tanzen!“)
Kenner freuen sich nun vor allem auf Auszüge aus modernen Balletten von David Dawson und Jiri Kylián, von William Forsythe – den die Truppe ganz besonders superbe zu interpretieren weiß – und von Hans van Manen. Nicht zu vergessen Alexander Ekman, der zuletzt auch beim Staatsballett Berlin und beim Ballett Dortmund große Erfolge feierte.
Hinzu kommt die Neugierde auf Neukreationen: Was fiel den Nachwuchschoreografen des Hauses ein, um mit den Corona-Abstandsregeln auf der Bühne zurecht zu kommen?
Als Clou verspricht Ballettdirektor Aaron S. Watkin ein „Pasticcio“, also ein Medley, und zwar aus Stücken, die Watkin schon immer mal in der Semperoper zeigen wollte. Mehr wird hierzu nicht verraten, es handelt sich bei dem „Pasticcio“ um eine Überraschung. Der italienische Begriff bezieht sich hier natürlich nicht auf Pasta oder Pasteten, sondern auf die Collagetechnik in der klassischen Musik, die aus Auszügen aus verschiedenen Werken ein neues auferstehen lässt.
Bezüglich der die Gala zusammen fassenden Optik setzt Watkin auf Purismus: „weitgehend ohne Bühnenbilder und Kostüm“ sollen die Tänzerinnen und Tänzer vor allem über die Bewegung ihrer Körper gut zur Geltung kommen.
Natürlich klingt das auch ein Stück weit tapfer – und danach, aus der Not eine Tugend zu machen. Aber es wäre nicht das erste Mal in der Kulturgeschichte, dass ein solcher Zwang etwas höchst Erfreuliches hervorbringt.
Zumal der markante Marcelo Gomes – der zu einer Me, too-Anschuldigung in den USA leider beharrlich schweigt – in Dresden als Gaststar auftreten wird, ebenso wie die quietschfidele Maria Kochetkova, die so zierlich wie virtuos sowohl in klassisch-romantischen als auch in modern-avantgardistischen Stücken zu begeistern weiß.
Bleibt zu erwähnen, dass es ab September 20 in Dresden auch einige neu engagierte, fest angestellte Ballerinen und Ballerinos zu erleben gibt – und dass Adison Gibson, die Kanadierin, die in Stuttgart ausgebildet wurde und seit 2014 in der Semperoper tanzt, zur Solistin befördert wurde und der Amerikaner Julian Amir Lacey (seit 2013 in Dresden) nunmehr als Solist seine formvollendeten Pirouetten dreht.
Dass es bei den „We will dance!“-Galas nicht nur Musik vom Tonträger, sondern auch Live-Klänge mit der Sächsischen Staatskapelle gibt, ist ein besonderes Plus.
Es wird ermöglicht durch die Orchesterarrangements von Dirigent Benjamin Pope. Er hat nicht nur mit internationalen Balletttruppen bis zum Hongkong Ballet Erfahrung, sondern auch mit Filmmusiken. Auch beim Film geht es ja manchmal um das, was jetzt in der Corona-Zeit ganz wichtig ist: Das Beste von Allem zu nehmen und dann aus dem Wenigen ein Mehr zu machen!
Gisela Sonnenburg