„Ein Tänzer sollte nie aufhören zu experimentieren!“ Alexander Jones tanzt aktuell den „Onegin“ in Stuttgart – ein außergewöhnlicher und außergewöhnlich junger Titelheld, der freundlich einige knifflige Fragen beantwortete

Alexander Jones als Onegin

Alexander Jones in seiner aktuellen Paraderolle, als Titelheld in „Onegin“ von John Cranko: auf eleganteste Weise gefrustet, zudem megacool, überheblich und blasiert… und unwiderstehlich! Foto: Ulrich Beuttenmüller

Das Publikum liebt ihn für seine tolle Balance, seinen Schwung, seinen Ballon bei den Sprüngen, für seine noble Haltung bei allen noch so komplizierten technischen Finessen – und für seine große Glaubwürdigkeit im Spiel: Im englischen Essex geboren, wurde Alexander Jones in London an der Royal Ballet School ausgebildet. Erst 2005 schloss er diese Ausbildung ab. Er gewann einige Preise, so den Dame Ninette de Valois-Preis. Sein sauberer Stil und sein starker Wille zum Ausdruck brachten ihn schon fürs erste Engagement zum Stuttgarter Ballett.

Bereits nach einem Jahr als Gruppentänzer avancierte er 2006/07 zum Halbsolisten, zwei Jahre später zum Solisten und ab 2011/2012 zum Ersten Solisten. Seine erste Paraderolle war John Crankos Titelheld aus „Romeo und Julia“. Aber auch als „Mann“ in Crankos „Lied der Erde“, als John Neumeiers Armand in der „Kameliendame“, als Petrucchio in Crankos „Der Widerspenstigen Zähmung“ oder als James in Peter Schaufuss’ „La Sylphide“ beglückte er schon. Und ob als Albrecht oder Hilarion – auch die Romantik von „Giselle“ liegt ihm, und mit „My Way“ von Stephan Thoss bewies er Sinn für den zeitgenössisch-neuartigen Tanz.

In John Crankos „Onegin“, nach dem russischen Versroman von Alexander Puschkin, geht es hingegen um die wechselhafte Liebesgeschichte eines Dandys im 19. Jahrhundert, dem zu spät auffällt, dass er seine große Liebe einst ablehnte. Für diese Titelgestalt ist Alexander Jones zwar noch sehr jung, aber bestens vorbereitet. Im folgenden Interview geht es um sein diesbezügliches Rollenverständnis – und wie er es entwickelte.

Ballett-Journal: Onegin ist extrem wild und untypisch für einen Balletthelden. Er ist ein selbstzufriedener Dandy und so gar kein Prinz. Ist es deshalb schwierig, den Charakter des Onegin zu tanzen? Aber Sie mögen es? Und warum? Wegen der großartigen Choreografie von Cranko?
Alexander Jones: Ich würde Onegin nicht als „extrem wild“ bezeichnen. Er ist blasiert und distanziert sich von den Charakteren, die ihn umgeben. Er ist in seiner eigenen Welt gefangen. Das einzige Mal, als er beschließt, sich zu amüsieren und ein bisschen ausgelassen zu sein, verursacht er noch mehr Aufruhr. Zuvor hat er ja Tatjana schon vor den Kopf gestoßen! Ab da eskaliert die Situation, weil keiner nachgeben will, und letztendlich kommt es zum Duell. Onegin schafft es also, durch seine eigene kleine Frustration alle anderen um ihn herum in Aufruhr zu bringen. – Ich liebe es, die Rolle des Onegin zu tanzen! Aber ich habe dabei nicht immer das Gefühl, dass ich mich selbst mag. Am Ende des Balletts habe ich ein leichtes Gefühl der Leere in mir. Manchmal, während des Probenprozesses, kann es sogar sein, dass ich sehr analytisch werde, und ich gebe meiner Partnerin auf besonders bestimmte oder direkte Art Korrekturen. Ja, die Rolle ist schwer zu tanzen. In diesem, wie in allen Cranko-Balletten – aber vor allem in „Onegin“ – erzählen die Schritte aber eine Geschichte. Solange es musikalisch und mit Gefühl getanzt wird, hat man damit schon die Hälfte des Weges geschafft.

Ballett-Journal: Wie ist Ihrer Meinung nach Onegins Beziehung zu Frauen? Sie haben als Tänzer des Romeo so großen Erfolg, aber das ist ein ganz anderer Typ. Finden Sie, Onegin ist dennoch zu vergleichen? Immerhin sind beide auf gewisse Art Sunnyboys und bei den Damen sehr beliebt…
Alexander Jones: Onegins Reaktion Tatjana gegenüber ist im ersten Akt ablehnend und herablassend. Er ist sicher nicht der Typ fürs Heiraten oder um eine Familie zu gründen. Onegin könnte es gar nicht noch mehr egal sein, ob sich die Frauen für ihn interessieren oder nicht. Es gibt sowieso nichts, was ihm wirklich wichtig ist, außer dass sein Onkel stirbt und ihm sein Anwesen und Geld hinterlässt. Romeo hingegen ist leidenschaftlich, was sein Leben angeht – während Onegin von seinem Leben gelangweilt ist. Ich finde es schwer, die beiden zu vergleichen, auch weil sie an sehr unterschiedlichen Punkten in ihren Leben stehen, wenn die jeweiligen Ballette einsetzen.

Alexander Jones ohne Kostüm

Alexander Jones, ganz ohne Kostüm und fast so naturbelassen, als käme er soeben vom Training oder sei auf dem Weg in eine Probe: ein begnadeter Künstler, aber auch ein ganz normaler junger Mann. Foto: Roman Novitzky

Ballett-Journal: Sie sind so jung für einen Onegin! Sie kamen erst vor knapp zehn Jahren in den Beruf. Was ist Ihre Hauptidee bei der Interpretation? Und was ist Ihrer Auffassung nach Onegins Interesse in Dingen der Gesellschaft und der Liebe?
Alexander Jones: Für einen Onegin bin ich jung, aber Dinge wie Liebe, Kummer und Zurückweisung habe ich schon erlebt. Das sind alles Gefühle, die uns helfen, dramatische Handlungsballette zu spielen. Es ist keine Frage des Alters, sondern der Lebenserfahrung. Onegin ist offensichtlich eine unglückliche Person, er ist unbeständig, und er sucht nach mehr Erfüllung. Ich finde, man muss Mitleid mit ihm haben, er ist ein trauriger Mann.

Ballett-Journal: Onegin hat eine große Tradition in der Geschichte des Balletttanzes. Haben Sie da ein Vorbild? Oder ist es gerade wichtig, eine ganz eigene Interpretation zu entwickeln, ohne allzu viel zurück zu sehen? Wer coachte Sie denn? Und was war besonders wichtig, während Sie probten?
Alexander Jones: Ich habe kein Vorbild für Onegin. Ich habe leider nie ein Video von Ray Barra gesehen, dem Tänzer, für den John Cranko diese Rolle geschaffen hat, aber ich würde gerne mal eine solche Aufzeichnung anschauen. Onegin ist definitiv eine Rolle, die man für sich selbst entwickeln muss. Wie es Georgette (Anmerkung d. Red.: Georgette Tsinguirides ist eine bedeutende Choreologin und Ballettmeisterin für Cranko-Ballette) sagt: „Was immer du in dem Moment fühlst – wenn du daran glaubst, dann ist es richtig.“

Ballett-Journal: Wie ist Onegins Beziehung zu den anderen Männern im Stück? Etwa zu Lenski, seinem Freund, den er im Duell tötet? Und zu Gremin, der Tatjana geheiratet hat?
Alexander Jones: Lenski ist für Onegin anfangs interessant, aber er ist auch der erste, den er in der Nachbarschaft trifft. Dann wird Lenski für Onegin bald zu jemandem, dessen Gesellschaft einen zwar nicht stört, der einen eben unterhält, aber man hört gar nicht richtig zu. Onegins Verhältnis zu Gremin wiederum ist von Respekt geprägt. Onegin ist ja ein Mitglied der höheren Gesellschaft, und es ist ihm wichtig, mit Männern von Gremins Rang zu verkehren.

„ICH KÖNNTE TATJANA NICHT WIDERSTEHEN“

Ballett-Journal: Zuerst liebt Tatjana Onegin, aber er will sie los werden. Am Ende verliebt er sich in sie – und sie schickt ihn weg, obwohl sie ihn noch immer liebt. Halten Sie es für möglich, dass er einige Jahre später nochmals zu ihr kommt? (Das hat Puschkin nicht geschrieben, aber man kann es ja fragen.)
Alexander Jones: Ich würde sagen: ja. Ich an seiner Stelle könnte nicht widerstehen, erneut zu ihr zurück zu kommen. Ich würde mir sagen, dass ich einfach wieder gehe, wenn ich sehe, dass sie glücklich ist. Das Problem ist, dass Onegin weiß, dass sie ohne ihn niemals wahrhaft glücklich sein wird. Vielleicht wird ihn aber auch sein Stolz davon abhalten, nochmals zu ihr zurückzugehen.

Ballett-Journal: Haben Sie eine Lieblingsszene als Onegin? Und warum?
Alexander Jones: Die Brief-Szenen! Also, mein Lieblingsteil ist dieser Moment am Ende des Stücks: Wenn Tatjana sich vom Tisch umdreht, den Brief Onegins in der Hand hat und darauf besteht, dass Onegin ihn zurücknimmt. Dann zerreißt sie den Brief vor seinen Augen, und ihm bleibt nichts anderes übrig, als verzweifelt vor ihr auf den Boden zu sinken, nur für eine Sekunde, bevor sie ihn für immer aus ihrem Leben verbannt. – Ich mag es, Briefe zu schreiben. Man kann darin nämlich Dinge ausdrücken, die man niemals direkt sagen könnte!

Ballett-Journal: Sie tanzen auch den Armand in der „Kameliendame“. Kann man diese Rolle mit dem Onegin vergleichen, oder sind sie zu verschieden? Vielleicht ist da so ein Moment von Melancholie, den beide teilen.
Alexander Jones: Ja, ich finde, Armand lässt sich besser mit Onegin vergleichen als Romeo. Beide erleben Liebeskummer und Trennung. Und beide werden von ihrem weiblichen Gegenüber geliebt, aber für beide ist die Liebe sehr kompliziert. Beide werden ja von der Person getrennt, mit der sie zusammen sein möchten.

„MAN MUSS AUTHENTISCH SEIN!“

Ballett-Journal: Was ist wichtiger im Ballett: Technisch und im Ausdruck brillant zu sein – oder originell zu sein und anrührend? (Das mag eine schwere Frage sein, sorry, aber ich würde gern wissen, ob es wichtiger ist, sich sicher zu fühlen, als zu experimentieren.)
Alexander Jones: Das kommt definitiv auf das jeweilige Ballett an! In George Balanchines „Theme and Variations“ brauchst du eine saubere Technik, um von Anfang bis Ende zu glänzen. Ich denke, wenn man sich auf ein neues Ballett vorbereitet, dann will man als Tänzer bei dem bleiben, was man geprobt hat. Natürlich macht man auch Experimente, aber wir brauchen eine Basis, auf die wir uns beziehen können, damit wir uns an die ursprüngliche Interpretation der Rolle erinnern zu können. Wenn ich ein Ballett nach längerer Pause wieder tanze, fange ich es gerne nochmal von vorne an und experimentiere damit. Manche Tänzer versuchen, Technik und Emotion bei solchen Fragen voneinander zu trennen. Ich finde, um zu berühren, muss man authentisch sein. Man kann das Publikum nicht berühren, wenn man einen anderen Künstler nachahmt. Diese Rollen muss man mit seinen eigenen Erfahrungen entwickeln. Und: Ein Tänzer sollte niemals aufhören zu experimentieren! Ich denke, wir experimentieren immer, ob wir es merken oder nicht.

Ballett-Journal: Können Sie mir bitte etwas über Ihre weiblichen Partner auf der Bühne verraten? Was ist wichtig an einer Ballerina, um eine gute Partnerin zu sein, zum Beispiel in „Romeo und Julia“, in der „Kameliendame“ und in „Onegin“?
Alexander Jones: Ich habe mit jeder meiner Partnerinnen besondere, aber sehr individuelle Beziehungen. Keine zwei Partnerinnen sind gleich – und das sollten sie auch nicht sein. Meistens, wenn ich an einem Stück arbeite, unterhalte ich mich mit meiner jeweiligen Partnerin sehr viel. So entstehen Vertrauen und gegenseitiges Verständnis. Es ist so wichtig, zu seiner Partnerin eine gute Beziehung zu haben!

Alexander Jones als Romeo

Eine leidenschaftliche Liebe auf der Bühne und viel Vertrauen des Tanzpaares beim Zusammenspiel: Alexander Jones als Romeo und Hyo-Jung Kang als Julia in John Crankos „Romeo und Julia“. Nach einer bejubelten“Romeo“-Vorstellung im April 2011 kürte der Stuttgarter Ballettintendant Reid Anderson den smarten Alexander Jones zum Ersten Solisten ab der dann folgenden Spielzeit 2011 / 2012. Foto: Stuttgarter Baleltt

Ballett-Journal: Wie bereiten Sie sich denn auf eine Vorstellung vor? Und was machen Sie danach, um wieder „runter“ zu kommen?
Alexander Jones: Prinzipiell gibt es drei Sachen, die ich vor einer Vorstellung tue, während ich noch zuhause bin: Essen, Schlafen, Lesen. Wenn ich ins Theater komme, dusche ich, dann gehe ich gleich in die Maske, dann fünfzehn Minuten an die Stange. Damit ich auf der Bühne noch ein paar Dinge ausprobieren kann, bevor der Vorhang hoch geht. Diese Routine hilft mir vor einer Vorstellung, ruhig zu bleiben, was vor allem für Onegin sehr wichtig ist. Ich habe tatsächlich festgestellt, dass es gerade vor einer Vorstellung von Onegin sehr wichtig für mich ist, ruhig zu sein, dann kann ich am natürlichsten agieren und reagieren. Nach einer Vorstellung wird es abends zwar später als normalerweise, aber ich habe keine besondere Strategie, um danach wieder runterzukommen.
Interview: Gisela Sonnenburg

Am 14. und 27.2. tanzt Alexander Jones im Stuttgarter Nationaltheater den Onegin, am 10. und 26.2. ist es sein Kollege Jason Reilly.

Mehr über den Helden Onegin bitte hier:

www.ballett-journal.de/ein-traumpaar-und-doch-ein-anti-paar/

www.stuttgarter-ballett.de

UND SEHEN SIE BITTE INS IMPRESSUM: www.ballett-journal.de/impresssum/

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