Es rauscht und röhrt, es brummt und summt, es sprudelt und quillt, es wogt und wallt, bis aus dem klanglichen Wellenwust sanft die Ersten Violinen aufsteigen: So beginnt 2023 das Bayreuther „Rheingold“, und genau so muss es sein, wenn der„Ring des Nibelungen“ beginnt. Der Rhein, der gute alte Fluss, spannt sich da akustisch um eine Sphäre, die mysteriös und verlockend zugleich wirkt. Das tiefe ES der Kontrabässe, der allererste, sehr leise Ton hier, ist dabei tonangebend. Wenn dann die drei Rheintöchter singend erschallen, ist klar, worum es geht: um Erotik, um Macht, um Verführung. Eine Spur leichter als seine Bayreuther Vorgänger Cornelius Meister (2022) und Marek Janowski (2017), nämlich nachgerade lichtdurchwirkt dirigiert der finnische Stardirigent Pietari Inkinen dieses Jahr den ersten Teil vom „Ring“ von Richard Wagner in Bayreuth. Und wer glaubt, die Bayreuther Festspiele gehörten zum alten Eisen, muss erstaunt zugeben: Musikalisch berückt der diesjährige „Ring“ vollends und wartet mit stimmigen Überraschungen aus dem Graben auf.
Dabei verfolgt Inkinen ein außergewöhnliches Vorgehen: Er hat nicht nur ein großes Gesamtkonzept für die vier Abende vom „Ring des Nibelungen“, die den Untergang der göttlichen alten Welt und das Scheitern ihrer Erneuerung schildern, er hat auch für jedes der vier Stücke, die in sich geschlossen Geschichten von Zwist und Niedertracht, von Liebe und Vergehen erzählen, eine eigene Strategie der Intonation parat. Das ist neu: Dass sich nicht ein stringenter musikalischer Stil durch die Tetralogie von A bis Z in einer Aufführungsserie zieht, sondern: dass vor allem die Unterschiede der einzelnen Werke betont werden.
Drei der vier Stücke sind bereits gelaufen. Faszinierend-raffiniert erweist sich da Inkinens Herangehensweise.
„Das Rheingold“ wird dabei überraschend leicht, aber nicht zu leicht, präsentiert. Die dramatisch-wuchtigen Passagen sind durchaus kenntlich gemacht, den hervorragenden Sängern mit Bass (allen voran: Tomasz Konierczny als Wotan, dann Raimund Nolte als Donner, Olafur Sigurdarson als Alberich sowie Jens-Erik Aasbo als Fasolt und Tobias Kehrer als Fafner) wird ausreichend Spielraum eingeräumt.
Aber dann bricht die melodische Süße der lyrischen Motivik vom „Ring“ wie ein Lichtstrahl ins Dunkel: hell und klar leuchtet die Musik, reißt einen mit in entrückte Räume der Fantasie.
Die Illumination der Liebe steht darin der Macht entgegen: Laut Libretto raubt Alberich den Rheintöchtern das von ihnen bewachte Gold, um daraus einen Ring zu schmieden, der ihm endlose Macht verleihen soll. Dafür muss er aller Liebe entsagen.
Die Götter haben sich derweil die Burg Walhall von dem Riesenpaar Fasolt und Fafner bauen lassen. Die fordern jetzt ihren Lohn: die schöne Freia. Da aber nur sie die Goldäpfel pflegen und wachsen lassen kann, die die Götter am ewigen Leben erhalten, zögert Wotan und sucht nach einem anderen Handel. Da entführen die Riesen die begehrte Frau. Die Götter altern von jetzt an…
Und ein Kampf um Macht und Eros entspinnt sich, wie ihn die Welt noch nicht gesehen, noch nie zuvor gehört hat.
Am Ende hat Wotan es mit Tricks und Komplizenschaft erreicht, sich das Rheingold von den Nibelungen, denen es eigentlich gehört, anliefern zu lassen. Auch den von Alberich indes verfluchten Ring der Macht konnte Gott Wotan an sich nehmen. Die Götter – Wotan und Gattin Fricka (bewährt streng und stimmlich dominahaft anziehend: Christa Mayer) – ziehen in ihre neue Protzburg Walhall ein. Doch die Rheintöchter klagen im Hintergrund voll unstillbaren Leides um den Verlust des Goldes, auch des Rechts.
Ein mächtiger Tusch bildet den Ausklang und zugleich den Auftakt für den kommenden zweiten Teil der Tetralogie.
Inkinen hat alle Steigerungen im Stück erkannt und pointiert präsentiert. Man wurde entführt in eine Welt des Rauschs, der Sucht nach Gold und nach Erfolg einerseits, in das Streben nach einem perfekten Jenseits, also der erneuerten Götterwelt, andererseits.
Aufbau und Destruktion kämpfen im „Ring“ wie in der Natur die Elemente es miteinander machen. Wasser, Feuer, Luft, Metall und natürlich die Erde – all das erschallt hier in wechselnden Abfolgen, jeweils die Einzelteile des „Rings“ prägend. Insofern ist die Idee, die einzelnen Abende mit unterschiedlichem Impetus spielen zu lassen, logisch und nicht nur emotional überzeugend.
Dem leichten Wasserspiel vom „Rheingold“ folgt die verbotene, aber feurig-metallische Liebe zwischen zwei Geschwistern, die das Herz der „Walküre“ erweicht und sie dafür büßen lässt.
Walküren sind Töchter des obersten Gottes Wotan, die auserwählte, in der Schlacht gefallene Helden ins jenseitige Gefilde namens Walhall zum ewigen frohen Dasein bei den Göttern geleiten dürfen. Da nicht immer Krieg ist, haben die Walküren nicht immer alle Hände voll zu tun, aber sie mischen sich im Auftrag Wotans und seiner Gattin Fricka gern auch in kleinere menschliche Streitigkeiten ein. Solange es dabei nur um Tod und Leben geht.
Konkret geht es in „Die Walküre“ um eine der neun außerehelichen Töchter Wotans namens Brünnhilde. Catherine Foster muss hier genannt werden: Schon in der absolut schlüssigen, zudem ästhetisch begeisternden Inszenierung von Frank Castorf von 2013 brillierte die britische Sopranistin in dieser Rolle – ein Glück, dass sie Bayreuth treu blieb und stets aufs Neue mit vollen, rollenden Klängen der Stärke und Zartheit in den Bann reißt. So auch dieses Jahr.
Ihre Partie, die abtrünnige Tochter, ist eine der spannendsten Frauenfiguren von Richard Wagner, der bekanntlich Libretto, Text und Partitur aus einer, nämlich seiner Hand schuf. Sie ist die brillante, talentierte, strebsame Tochter, gehorsam bis auf einen Moment. Und genau der kostet sie dann ihre Unsterblichkeit, weil der Göttervater Wotan jeden noch so kleinen Regelverstoß hart ahndet, ahnden muss.
Wotan verkleidet sich hier gelegentlich als Wanderer, um auf Erden zu wandeln – und in dieser Gestalt namens Wälse zeugte er die Zwillinge Sieglinde und Siegmund. Weil das Mädchen früh geraubt und später einem Mann namens Hunding zur Ehefrau gegeben wurde, kennen Sieglinde und Siegmund sich nicht.
Dafür verlieben sie sich ineinander, als Siegmund – auf Wanderschaft – bei Hunding um die Möglichkeit zu übernachten anfragt. Als er singend von sich erzählt, erkennt Hunding ihn, und zwar nicht als geliebten Schwager und somit Verwandten, sondern als Teil einer Sippe, mit der Hundings Clan in der Vergangenheit rachlüsterne Kämpfe ausfocht.
So gewährt er ihm nur eine Nacht und will sich am Morgen danach mit ihm schlagen.
Seine Gattin in Zwangsehe, Sieglinde (hervorragend feminin, dennoch kämpferisch interpretiert von Elisabeth Teige), macht ihm einen Strich durch die Rechnung: Sie betäubt den Ehemann und gibt sich dem verlockend-geilen Siegmund hin. Sie zeugen Siegfried.
Weil diese inzestuöse Verbindung Ehebruch bedeutet, verlangt Fricka von Wotan, Brünnhilde aufzutragen, in den Kampf von Hunding einzugreifen und für ihn statt für Siegmund zu entscheiden.
Doch Brünnhilde wird gerührt von der Liebe der Sieglinde zu Siegmund. Sie will Siegmund retten. Da greift Wotan selbst mit seinem Speer ein – und das Schwert Nothung, das Siegmund zu führen wusste, wird zersplittert.
Beide Kämpfende sterben: Siegmund durch Hunding, Hunding durch Wotan, der sich dieses Recht dann doch noch rausnimmt, weil seine Gattin nichts dagegen sagen kann. Der Ehebruch ist ja mit dem Tod Siegmunds gesühnt.
Siegfried – so Wotans Plan – soll ein Superheld werden, der den Fluch des Rings, den Alberich so wütend wie wirksam verursachte, brechen soll.
Nicht nur deshalb, sondern vor allem auch aus Zuneigung zu Sieglinde rettet die Walküre Brünnhilde die schwangere Frau. Sie selbst wird zur Bestrafung für ihren Ungehorsam – immerhin hatte sie versucht, entgegen elterlichem Auftrag Siegmund im Kampf zum Sieger zu machen – durch einen Kuss von Wotan auf die Stirn zu einer Sterblichen. Sie soll schlafend warten, bis sie einer zur Frau nimmt. Brünnhilde kann ihren Vater noch überreden, sie in einen Feuerkreis einzuschließen, damit nicht irgendein Feigling sie erringen kann.
Mit der Errichtung dieses Feuerwalls um die auf dem Walkürenfelsen zur Ruhe Gebetteten – musikalisch „Feuerzauber“ genannt – endet dieser dritte Teil.
Und er ist eine Überraschung in Bayreuth! So eine Wucht, so eine Power bei dennoch stimmig-harmonischer Balance der Instrumente erhofft man stets, doch dieses Mal wird diese Aufgabe wirklich völlig erfüllt.
Die Ouvertüre verlängert dabei keineswegs das illustre Spiel von Leichtigkeit, das Pietari Inkinen im „Rheingold“ hat erklingen lassen. Im Gegenteil. Es findet ein Bruch statt. Vom ersten Ton an herrscht hier Druck: Dramatisch drängt es vorwärts, laut und beinahe ungehalten wirkt es, und die Trommeln sind nicht der erste Schlag, der einen fast erschrecken lässt.
Nicht wild und kraus, nicht naturhaft und stürmisch wie 2022 bei Cornelius Meister, der mit wunderbarer Emotion für den an Corona erkrankten Inkinen eingesprungen war, sondern elementar-disparat, fast majestätisch, prunkvoll und heftig, aber auch fast einem Zeremoniell gleich kommt das Vorspiel hier einher.
Dennoch spiegelt es den schillernden Kampf mit den Elementen, den Kampf des Individuums mit der Natur, mit seiner eigenen wie mit der äußeren, die ihn bestimmt.
Sie sind das eigentliche Thema des Stücks: Die Gewalten, die uns beherrschen, die eigenen Triebe ebenso wie die Natur und die äußeren Einflüsse, und sie alle befinden sich im Widerspiel – es geht indes unter, wer nicht schafft, sie zu beherrschen.
Das ist die große Geschichte, die das vierteilige Hauptwerk Wagners klanglich erzählt.
Diese Klänge münden zunächst wie in einen ersten Höhepunkt in das trotzig-triumphierende Walküren-Motiv, das später im berühmten „Walkürenritt“ seine fertige Ausprägung erhält.
Am Ende aber nähert sich Inkinen der Interpretation von Cornelius Meister stark an: keineswegs nur ätherisch erklingt hier der „Feuerzauber“, sondern zart-bodenständig und mit feiner Nervigkeit auch erdverbunden, ganz real wie eine brutzelnde Feuersbrunst, keineswegs wie ein himmlischer Lichterberg.
Wotan, wieder mit Tomasz Konieczny glorios besetzt, und Georg Zeppenfeld, viel beschäftigter und höchst bewährter Bayreuther Bass seit Jahren, geben fulminant-dunkle Widerparts zum hell-irisierend begeisternden Siegmund ab.
Klaus Florian Vogt glänzt dieses Jahr wieder als Siegmund, zumal sein prägnant-burschenhafter Tenor vorzüglich mit dem feminin-eleganten Timbre von Elisabeth Teige harmoniert. Mir hat letztes Jahr seine Partnerin Lise Davidsen auch vorzüglich gefallen, aber mit der noch voller, noch runder klingenden Stimme von Elisabeth Teige ist das markante Flair von Vogt womöglich noch besser umrahmt.
Es ist einfach nicht wahr, was eine Kritikerin schon behauptete, nämlich dass diese beiden Singstimmen nicht zueinander passen würden. Wieso denn auch nicht? Eine Begründung blieb ohnehin aus. Und tatsächlich ist der hier rollengemäß etwas stärker als sonst Gas gebende Vogt ein sehr passender männlicher Part für die schwelgerisch-erotische Stimme der Teige.
Sorge macht einem vielmehr die Tatsache, dass Vogt neuerdings bei Partien mit großem Oktavumfang manchmal in der Mittellage Anlaufschwierigkeiten hat. Da rutscht ihm dann glatt für ein oder zwei Silben die Stimme nach unten ins raue Aus – aber nur, wenn er neu einzusetzen hat. Das war schon bei seinem „Waldbühnen“-Konzert vor wenigen Wochen in Berlin zu beobachten. Und jetzt wieder, einige Male, bei der diesjährigen Bayreuther Premiere der „Walküre“. Mit seiner sonst prägnant-präzisen Art zu singen, kollidiert das. Was ist da los?
Der Besorgnis setzt der Weltsänger allerdings schon am auf die erste Aufführung der „Walküre“ folgenden Tag als „Tannhäuser“ ein Ende: Da gelingt ihm gerade die dort sehr häufige Mittellage hervorragend. Allerdings muss die Stimme in dieser Rolle auch nicht so extrem zwischen Höhen und Tiefen jonglieren wie im „Lohengrin“ oder eben als Siegmund.
Zudem bilden Klaus Florian Vogt und Elisabeth Teige ein neues Dreamteam in der Opernwelt: in dieser Walküren-Besetzung sind sie das ebenso wie im „Tannhäuser“, in dem sie ihre Namensvetterin singt.
Im „Siegfried“, dem auf die „Walküre“ folgenden und somit dritten „Ring“-Teil, ist es dann heuer nach dem gebrummten Einstieg mit den ersten dunkeltiefen Noten akustisch wieder ganz leicht und licht bei Inkinen, mehr noch: Er schafft es, aus der schwerblütigen Oper ein hochkarätiges Gesangsspiel mit Orchesterbrillanz wie dem Geist von Gustav Mahler entsprungen zu machen.
Wirklich: Streckenweise und erst recht ganz am Ende meint man, sich in einer frühen Sinfonie von Mahler zu befinden. Die kontrapunktisch gesetzten Harmonien erstrahlen mit Verklärung, rüstig locken dagegen die Rhythmen zum weiteren Verlangen.
Andreas Schager triumphiert wie schon letztes Jahr als Siegfried mit viel Emotion und dennoch Klarheit – es ist eine seiner Paraderollen, neben dem Samson in „Samson et Dalila“ von Camille Saint-Saens.
Als Wanderer ergreifend ist wieder Tomasz Konieczny, als Waldvogel bezaubert Alexandra Steiner.
Und Daniela Köhler darf hier das furiose Schlussliebesduett als Brünnhilde mit Siegfried singen. Man hätte auch hier gern Catherine Foster gehört, La Köhler ist aber mehr als ein Ersatz, nämlich durchaus faszinierend in ihrer rasch erwachenden stimmlichen Liebesberauschung.
Dieser Endpunkt vom „Siegfried“ ist gerade darum so hinreißend, weil man weiß, dass das Glück nicht lange halten wird. Und die liebenden Figuren scheinen es auch zu wissen: Kaum hat Held Siegfried nach etlichen bestandenen Abenteuern die Walküre Brünnhilde mit dem Durchschreiten des Feuerwalls errungen und wach geküsst (was für eine Abwandlung des „Dornröschen“-Mythos!), schmelzen die beiden in Liebschaft dahin.
Apocalypse now, der Walkürenritt ist hier Vergangenheit, ebenso das „Hojotoho“, das Catherine Foster in der„Walküre“ so fabelhaft singt, dass es einem noch lang im Ohr lieb ist. Alles, was hier noch zählt, ist die Liebe, ist das Lieben an sich.
Und Siegi und Brünni genießen es, als gebe es kein Morgen… hingegeben in Leichtigkeit und Wonne.
Dirigent Pietari Inkinen lässt sie. Und wie! Das Orchester der Bayreuther Festspiele, unter dem großen Deckel im Graben verborgen, scheint jede Regung mit zu erleben. Schlicht schön. Wie im Märchen statt wie im Gruselkabinett. Muss auch mal sein.
Man darf nun gespannt sein, wie Inkinens Bayreuther „Götterdämmerung“ am morgigen Montagabend ausfallen wird: Jede Wette, dass sie an die wuchtig-schillernde Machart der „Walküre“ anknüpft und zum „Siegfried“ einen starken Kontrast bilden wird.
Meine Prognose: Das Konzept vom Kampf der Elemente – Wasser, Metall, Feuer, Erde, Luft – wird zu einem Schwergewicht werden, wird kulminieren und in allen akustischen Farbvarianten schillern.
Ich rechne, wie die chinesische Mythologie, hier mit fünf Elementen statt – wie im traditionellen abendländischen Denken üblich – nur mit vier Elementen. Es ist das Metall, das die Chinesen extra dazu zählen und nicht als Teil der Erde absorbiert sehen. Außerdem ersetzt in der chinesischen Astrologie das Holz das Element Luft. Bei Wagners Hauptwerk spielen alle sechs Elemente eine Rolle.
Holz finden wir in Wagners Tetralogie bereits in der Vorgeschichte: mit der Weltesche, die verdorrt ist, weil Wotan, um damit um Fricka zu freien, sich einen Ast des bedeutenden Baumes raubte, aus dem er seinen Speer (mit Metallspitze versehen) schnitzte. Die Esche erkrankt an der Wunde, schier unheilbar. Und so lässt Wotan am Ende, dann ohnehin zerfressen von unbefriedigter, maßloser Gier, die Weltesche fällen. Ihr Holz lässt er in der Burg Walhall aufschichten, um den Sitz der Götter damit in Brand zu setzen.
Zwischen Wasser, Feuer, Holz und Erde stehend, spielt außerdem das Metall gerade im „Ring“ eine entscheidende Rolle: das Schwert Nothung, das Siegmund unwissentlich Siegfried vererbt, ist aus Metall, Wotans Speerspitze ist aus Metall, ebenso die von Hagen, ferner die Schilde und Waffen der Walküren, und auch das Rheingold und der Ring des Nibelungen Alberich sind aus Metall – und in vielen frühen „Ring“-Aufführungen ist die Tarnkappe keine textile Mütze, sondern ein Tarnhelm aus Metall.
Der Rhein ist im „Ring“ das Sinnbild des Wassers an sich, die lodernde Lohe vom Feuerwall um Brünnhilde steht als prägnantes Bild des Feuers da, die Erde ist als Sinnbild des Diesseits, in dem Wotan als Wanderer verkleidet wandelt, unersetzlich, und die Luft bildet jenen magischen Raum, in dem die Götter herrschen und über den sie jederzeit in die Geschicke der Sterblichen eingreifen können. Auch die Walküren sind nicht nur dem Metall und Brünnhilde dem Feuer zuzuschreiben, sondern auch der Luft, denn sie können hexenartig fliegen, durch eben selbige.
Insofern müsste sich die „Götterdämmerung“ musikalisch am Ende in Luft auflösen, leise auslaufend, ihren Energieausstoß fast unhörbar beenden. Oder auch in einen Sturm kulminieren, mit viel musikalischem Wind. Und wenn nicht erst ganz am Ende, so doch schon im Verlauf des Abbaus und Verlusts, den die ganze Welt im Stück zu beklagen hat.
Aber vielleicht stürzen auch alle Elemente gemeinsam als Supermacht die Götter und die Menschen… plätschernd, stürmend und lodernd, begrabend und klirrend. Ein Inferno also.
Warten wir es ab.
Bisher ging es hier nur um die musikalisch-akustische Interpretation vom „Ring“ 2023 in Bayreuth sowie um meine interpretierende Darlegung des Inhalts, wie Richard Wagner ihn ersonnen hat.
Über die erst letztes Jahr premierte, heuer zum zweiten Mal servierte Inszenierung des jungen österreichischen Regisseurs Valentin Schwarz habe ich aus gutem Grund hier noch nichts wieder gesagt. Es ist schon viel über sie gerätselt und auch viel gemeckert worden (siehe auch Ballett-Journal-Beitrag von 2022).
Unterm Strich findet sich bei Schwarz eine tollkühne Kostüm- und Materialorgie mit einigem Sinn und einigem Unsinn, insgesamt alles völlig überladen und als Overkill sich selbst mitunter vielleicht sogar absichtlich der Lächerlichkeit preisgebend.
Der Versuch, das als Illustration der Widersprüche des Wagner’schen Werks zu sehen, muss scheitern, denn keinerlei Systematik verhindert hier, dass sich die Buntheiten gegenseitig aufheben.
Schwarz hat sich zweifelsohne viel Mühe gegeben. Vom Gesetz der Effizienz in der Verwendung von Symboliken hat er jedoch noch nie gehört. Und so ergibt sich eher Kitsch als Kunst.
Den Schatz der Nibelungen als Kind darzustellen, um das von den Erwachsenen gerungen und gestritten wird, ist in einer Zeit, die eher an Überbevölkerung als an Kindermangel leidet, schlicht fehl am Platze.
Dass es bei Wagner nicht die Kinder, sondern die Frauen sind, die geraubt und verschachert werden, interessiert Schwarz weniger.
Unterhaltsam-bunte Einfälle – wie die Darstellung des Walkürenfelsens als Schönheitschirurgieklinik, wo sich die eitlen Heldengroupies operativ fit machen lassen – verpuffen im Gemenge überzogener szenischer Behauptungen wie der, dass nicht nur Sieglinde und Siegmund Zwillinge sind, sondern auch Wotan und Alberich, welche sich in der Vorspielprojektion vom „Rheingold“ bereits als Föten im Mutterleib bekämpfen.
Warum hat der Regisseur nicht das Ganze im Medien- und Filmbereich angesiedelt? Das würde Sinn machen, knackige Bilder hervorbringen und wäre eine runde Sache mit Gegenwartsbezug. Aber offenbar wäre ihm das zuwenig.
Wer so viel sagen will wie Schwarz, sollte vielleicht Bücher schreiben (womöglich für die Schublade, vielleicht aber auch für einen Markt, der sowieso alles nimmt, wenn die Provinenz sprich Herkunft des Autors stimmt) oder Bilder malen (gern mit Videokunst kombiniert, das ist gut für gefühlskalte Sammler, die nur aus Spekulationsgründen kaufen).
Aber Opern kann man so nicht inszenieren, ohne das Publikum in grauenhaft überdrehte Langeweile zu stürzen.
Die Leistung der Sängerschaft und des Orchesters wird davon glücklicherweise nicht berührt.
Von daher lohnt sich unbedingt, den Aufführungen im Radio – etwa auf BR Klassik – gleich mehrfach beizuwohnen, was allerdings dem Ticketverkauf in Bayreuth nicht unbedingt zuträglich ist.
Ähnliches gilt für die grauenhafte Inszenierung vom „Tannhäuser“ durch Tobias Kratzer, die zwar rückwirkend von Einigen zum Erfolg gekürt wird, die aber bei ihrer Premiere 2019 auch ordentlich – und zurecht sehr heftig – kritisiert wurde.
Damals begeisterte noch das Dirigat von Valery Gergiev (online auf YouTube noch immer zu haben). Da konnte einem fast egal sein, dass die Titelfigur mit Clownsperücke und roter Nase aussah, als sei sie als wandelndes Ablenkungsmanöver einer Kinderkrebsstation entsprungen – und nicht dem bordellartig verdorbenen, aber auch paradiesisch sinnlichen Venusberg, wie es das Libretto vorsieht.
In diesem Jahr ist eine weibliche Teilnehmerin im Reigen der Dirigenten für mich eine herbe Enttäuschung. Die Französin Nathalie Stutzmann, die ihre Karriere als Sängerin begann, hat das Stück schlicht nicht unter Kontrolle.
Sie macht aus der tiefsinnigen Partitur ein Stück Spaßkultur, operettenhaft oberflächlich.
Und: Sie lässt das Orchester häufig leiern. Ganz schlimm.
Im ersten Akt schludert und hudert sie, als habe sie kaum Proben mit den Musikern gehabt. Im zweiten Akt wird es etwas besser, aber die Spitzen der Lust erreicht sie nie. Auch im dritten Aufzug nicht.
Merkwürdigerweise wurde sie bei ihrer Premiere dennoch von Vielen bejubelt, als sei sie ernsthaft eine große Meisterin mit ihrem „Tannhäuser“. Ich kann das nur dem ihr manchmal trotzenden Orchester zurechnen sowie den großartigen stimmlichen Talenten inklusive Chormitgliedern, die hier auf der Bühne stehen.
Dieses Jahr helfen die fulminant gut zusammen passenden Stimmen von Klaus Florian Vogt und Elisabeth Teige, das Kratzer’sche Kuddelmuddel zu vergessen und sich auf das Werk an sich zu konzentrieren. Man hat den Eindruck, dass sie manchmal gegen das unsinnige Dirigat von Stutzmann mit merkwürdig wechselnden Tempi ankämpfen müssen – und gewinnen.
Als Venus tritt erneut – wie letztes Jahr – die sinnliche Ekaterina Gubanova auf, die vor allem szenisch mit vollem Körpereinsatz als sportlich-stramme Hure überzeugt und auch stimmlich Einiges von der dick auftragenden Tünche der Inszenierung rettet.
Immerhin bieten dann noch die beiden von Kratzer dem Libretto hinzu gefügten Zaungäste Oskar Matzerath, verkörpert vom kleinwüchsigen Schauspieler Manni Laudenbach, und der zwischen den Geschlechtern changierende Dunkelhäutige namens Le Gateau Chocolat, eine gewisse Sozialkritik in Bezug auf Außenseitertum und Diskriminierung.
Ansonsten bereitete diese Non-Inszenierung vom letzten Jahr das Fiasko des diesjährig neu inszenierten „Parsifal“ vor:
Mehr als tausend Euro pro Stück gaben die Bayreuther Festspiele für völlig opernferne AR-Brillen aus, die dann sowieso nur einem Teil des Publikums zur Verfügung standen, damit es beliebig durch die Luft gewirbelte Gegenstände, Pflanzenteile, auch mal fliegende Schwäne oder Waffen, zusätzlich zum Bühnengeschehen zu sehen bekam.
Auch wenn die Politik und damit ein Geldgeber der Festspiele mangels Bildung es nicht weiß:
Oper ist nicht Kino und muss auch nicht Kinoersatz sein. Oper ist auch kein Computerspiel und muss da auch gar nicht konkurrieren. Wenn eine Inszenierung Elemente aus dem Kino, Fernsehen, Video oder Gaming übernehmen will, weil es inhaltlich erforderlich ist, so ist das okay. Aber nur um des Spektakels willen – und genau so war es wohl hier – muss man nicht jeden technisch machbaren Schnickschnack vorführen.
Kunst und Kommerz sollten zwei Dinge bleiben – und sich nicht im Namen einer besserwisserischen Politik zwangsverheiraten lassen.
Was sich der amerikanische Regisseur Jay Scheib ansonsten noch einfallen ließ, toppt aber sogar noch Kratzers Materialschlachten in Sachen superschlechtem Geschmack.
Das geht schon beim Vorspiel los:
Sex unter alten Leuten will eigentlich niemand in der Oper in Zeitlupe vorgeführt sehen. Aber weil ein Teil der Zuschauerinnen und Zuschauer – und auch der Künstlerinnen und Künstler – unvermeidlich nicht mehr jung ist, wollte Scheib diese Zielgruppe wohl mal knallhart erwischen.
Und so muss Georg Zeppenfeld, hier als Gurnemanz, Wächter der Gralsgesellschaft, mit einer Statistin als namenloser Mitarbeiterin total sexistisch zur sinnlich-vergeistigten Ouvertüre vom „Parsifal“ die Morgenlatte ausnutzen und Zungenküsse, ordinäre Koitusversuche und ähnliches mehr unternehmen.
Als sei es normal, dass der Gralswächter seine Macht für kostenlosen Sex mit Abhängigen missbraucht, wird hier die gealterte Megäre, die ihn anmacht – wohl, um ihren Job zu behalten – auch noch als supergeiles, zähes Luder im Rentnerinnenalter gezeigt.
Alt werden heißt nicht unbedingt, klug zu werden, das ist richtig. Aber muss die Dummgeilheit von Ofer wie Täter gleich so faustdick gezeigt werden?
In den Interviews faselt Regisseur Scheib was von Umweltbewusstsein und Klimakrise. Ehrlich, Junge, Junge, soviel Heuchelei ist in der Opernkunst selten. Und wären dem dabei auch noch ziemlich provinziell wirkenden Künstler diese Dinge wirklich ein Anliegen, so hätte ihm inhaltlich viel mehr zur szenischen Umsetzung einfallen müssen. Nur ein bisschen Plastik bringt die Welt nicht um, by the way.
Kleidung bedeutet in dieser Inszenierung im übrigen Plastik, vom Müllbeutel-Mantel-Look über die Arbeiter- und Metzgerschürze bis zum knallgelben Plasterock der sündig-seelenvollen Kundry, die von Superstar Elena Garanca vorzüglich und ans Herz gehend geschmettert und tiriliert wird.
Dass sie zeitweise ein stummes Double auf der Bühne hat – was soll’s. Es gibt hier so Vieles, das für das Stück einfach null Bedeutung hat. So eben auch diese Doubledame. Hauptsache, die Bühne sieht nicht so leer aus, mag sich der Regisseur gedacht haben.
Rasant und rasend füllt hingegen Elena Garanca ihre Partie vollends aus, zeigt alle Nuancen und Entwicklungen der erotisch Immerhungrigen, aber auch ihr Streben nach Erlösung und Ethik der in sich gespaltenen Figur. Kundry, die heimliche Hauptfigur und Gegenspielerin zu Parsifal – sie könnte hier nicht besser stehen und leidend-aufbegehrend singen.
Parsifal soll dem an einer nicht heilenden Wunde leidenden Gralskönig mitleidvoll und ebenso tatkräftig helfen. Dazu ist er bestimmt. Doch Kundry tut alles, um ihn zu verführen und damit von seiner Aufgabe abzubringen. Bei dieser Kundry, wahrlich, dürfte Parsifal sich in schwerem Konflikt mit sich befinden.
Es ist übrigens Garancas Bayreuth-Debüt – und das wurde höchste Zeit!
Auch eine noch sehr junge weibliche Stimme fiel positiv auf: Julia Grüter als junger Hirte.
Andreas Schager als Parsifal singt die Partie mit hohem Sinn, wie Wagner gesagt hätte, mit Würde und Demut, mit Einfühlung und Selbstzweifel. Aber die Naivität und Keckheit der Partie geht ihm doch etwas ab. Was auch an dieser unsäglichen Inszenierung liegen mag.
Und die Regie ist nicht die einzige Katastrophe hier.
Der Dirigent Pablo Erras Cassado dirigiert den „Parsi“ – wie der selige Christoph Schlingensief das Stück nannte, was daran erinnert, dass Wagner dachte, der mittelhochdeutsche Name „Parzival“ käme aus dem Persischen und müsse richtigerweise „Parsifal“ geschrieben werden – für meinen Geschmack allerdings viel zu wenig durchdacht, stellenweise zu lau, dann wieder zu suppig, mit viel zu wenig Energie, also insgesamt seicht und aalglatt, einebnend, undramatisch, ja sogar kalt. Ein Tiefpunkt, leider.
Dagegen empfiehlt sich die Einspielung vom Mariinsky aus dem Jahr 2009, mit Valery Gergiev am Taktstock, für das echte „Parsifal“-Gefühl.
Insofern ist es schon verständlich, dass ein Teil der Zuschauerinnen und Zuschauer dieses Jahr sein Geld nicht in die teuren Live-vor-Ort-Erlebnisse stecken wollte und die Bayreuther Festspiele seit Jahrzehnten erstmals viele freie Plätze zu verzeichnen hatten.
Aber erschreckend sind die Zahlen schon:
Im Jahr 2017 wurden für die 30 Aufführungen bei den Bayreuther Festspielen noch 230.000 Kartenwünsche im Vorfeld gelistet. Nur 36.000 davon konnten gewährt werden.
Und in diesem Jahr 2023, dem Jahr 2 nach der weltweiten Covid-19-Pandemie, gibt es für viele Vorstellungen noch immer Karten.
Findet da ein heimlicher Boykott statt? Riefen die Opernfreunde der lokalen Opernhäuser dazu auf, das Geld lieber daheim auszugeben statt nach Bayreuth zu reisen?
Oder stirbt das kulturinteressierte Publikum aus? Und haben die neuen Reichen so gar keinen Sinn für hochkarätige Oper?
Hat etwa die interessierte Mittelschicht schlicht nicht mehr das Geld für Bayreuth? Vor dieser sozialen Schicht Gebildeter hat die Politik in der Tat am meisten Angst. Von ihnen könnten Kritik und Unruhe ausgehen. Sie wurden daher mit den Preissteigerungen der letzten Monate besonders hart getroffen, auch das kommende Heizungsgesetz wird sie wohl besonders heftig treffen, ohne dass sie entsprechenden Ausgleich erhalten.
Da spart schon so mancher an der Kultur.
Zumal derzeit nicht nur die Möglichkeiten, private Rücklagen für Opernvergnügungen zu bilden, schrumpfen, sondern zeitgleich auch die Ticket-Preise der Bayreuther Festspiele gestiegen sind. Und natürlich auch die Kosten für Reisen, Hotels, Restaurants.
Es wäre also eher unlogisch, wenn sich diese Kostenwellen nicht im internationalen Festivalbetrieb an der einen oder anderen Stelle niederschlagen würden.
Nicht von der Hand zu weisen ist außerdem, dass die Inszenierungen, wie sie seit einigen Jahren in Bayreuth zu sehen sind, wirklich nur den Geschmack von sehr Wenigen im Publikum treffen. Da dreht man den Euro selbstredend noch länger in den Händen um und steckt ihn gegebenenfalls wieder ein – statt Tickets zu ordern.
Was wird in Zukunft werden?
Wenn wir Pech haben, wird die Zwangstechnisierung der Festspiele unter dem Einfluss des Bundes, der angedroht hat, er wolle „mehr Verantwortung“ übernehmen (statt einfach nur Geld zu geben und die Fachleute die Kunst machen zu lassen), noch weiter voran schreiten.
Dann gibt es demnächst Kino mit Gesang in Bayreuth. Und dann bald noch Jazz und Pop, Popo und Performance mit ein bisschen Oper als Beilage.
Aber: Wenn wir Glück haben, begreift die Bayreuther Festspielleitung, dass sie einfach nur näher zu ihrem Publikum rücken sollte und auf kostspielige Extras auch mal verzichten kann.
Tickets verkauft man nicht, wenn immer wieder eine lächerliche Promi-Parade, bestehend aus Politikerinnen wie Ursula von der Leyen, ins Bild gerückt wird. Mit Regenschirm im Kampf mit dem Element Wasser bei der verregneten Anfahrt wird sie nämlich auch nicht amüsanter.
Tickets verkauft man vielmehr, wenn man Richard Wagner und seine Kunst dem Publikum nicht nur akustisch, sondern auch szenisch nahe bringt.
Waffenfabrikanten und Lebensmittelspekulanten – das sind diejenigen, die derzeit am meisten Profite verzeichnen – gehen nun mal nicht wirklich gern in die Oper. Das wird keine Inszenierung ändern können.
Insofern stehen sich die beiden unversöhnlich gegenüber: Kriegsbefürworter und Kunstbefürworter. Die Oper hat zur Aufgabe, das zu zeigen und der Kunst, nicht dem Krieg, Recht zu geben.
Mit einer absurd inhaltsleeren Inszenierung wie dem „Parsifal“ von Jay Scheib haben sich die Bayreuther Festspiele allerdings eine Blöße gegeben.
Vielleicht engagiert man für die kommenden Jahre mal wieder Könner?
Wie Claus Guth, Frank Castorf und Philipp Stölzl – diese drei haben vor Ort in Bayreuth auch schon, und zwar auf sehr unterschiedliche Arten, bewiesen, dass sie mit dem Apparat und den Besonderheiten dort zurecht kommen. Aber auch John Neumeier (der seit 1978, als er das Bacchanal für den „Tannhäuser“ von Götz Friedrich kreierte, nie mehr als Künstler in Bayreuth war) kommt in Frage, am besten für eine neuartige Ballettoper mit Wagner. Oder man fragt endlich mal bei Andrea Breth, die in Bayreuth noch nie eine ihrer sagenhaften Visionen realisierte, an: für eine Inszenierung mit Hand und Fuß und dennoch Poesie. Dann würde man sich auf Bayreuth noch mehr freuen.
Gisela Sonnenburg