Vom Tanztheater in die Klassik und zurück Die letzte BallettFestwoche unter Ivan Liška bietet beim Bayerischen Staatsballett zwei Premieren, eine Gala, zwei Gastspiele – jede Menge Erlebniswerte. Neue Bücher bilden dazu eine passende Lektüre

Ballett-und-Blumen-Frühling in München

Richard Siegal hat eine moderne, dynamische choreografische Körpersprache – das Bayerische Staatsballett widmet Siegal einen Abend bei der BallettFestwoche 2016, hier in „Metric Dozen“, dem „Metrischen Dutzend“. Foto: WIlfried Hösl

Kein Aprilscherz: Der Frühling naht, und an der Isar sprießt die Ballettkunst, als gelte es, die ganze Welt zu Fans der edlen Bühnensparte zu machen. Es ist unübersehbar: Die BallettFestwoche 2016 bietet beim Bayerischen Staatsballett (BS) in München mehr Vergnügen und Raffinement, mehr Bestaunenswertes und Bewunderungswürdiges denn je. Sie beginnt am 3. April mit der Premiere von Pina Bauschs 2002 uraufgeführtem Erwachsenenstück „Für die Kinder von gestern, heute und morgen“ und endet – so lange hielten sie wirklich noch nie an – am 18. April mit dem dann gerade uraufgeführten Senior-dancer-Ballett „The Passenger“. Bei dem steht der Hausherr Ivan Liška selbst auf der Bühne! Dazwischen liegen jede Menge Klassik, Neoklassik und Moderne, von der „Kameliendame“ von John Neumeier bis zu „Paquita“ von Alexei Ratmansky. Die Terpsichore-Gala XII trumpft außerdem am 7. April mit internationalen Höhepunkten auf, Richard-Siegal-Fans bekommen am 13. April einen ganzen Abend für sich – und selber tanzen dürfen eine Nacht lang alle Kretis und Pletis, die ihre Beine irgendwie zu Musik zu schwingen wissen.

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Blumenfoto 1: Edle Blumen gehören zu Ballett wie das Doppel-L in der Wortmitte. Diese hier sind von Postkarten- bis Postergröße über info@ballett-journal.de zu beziehen. Preise auf Anfrage.  Foto: Gisela Sonnenburg

Die „Tanznacht – Aus Leidenschaft!“, die partymäßig am 3. April im Vorderhaus ab 22 Uhr als öffentliche Premierenfeier steigt, hat bereits Tradition. Gesellschaftstänzer gesucht, Eintänzer willkommen: Das diesjährige Salonorchester heißt Jalousie, es gibt zudem eine waschechte Latin Band sowie einen flotten DJ, die allesamt den Hüften Zunder liefern. Da schmilzt der Winterspeck von ganz allein, wenn man sich den Rhythmen in so edlem, opernfeinem Veranstaltungsformat hingeben kann. Gesangssolisten machen noch dazu viel Mut und bringen die Stimmung auf Trab, und die wunderbaren Tanzprofis vom BS tanzen dann zusammen mit dem ganz gewöhnlichen Publikum, ob Polka, Samba, Walzer oder Discofox. Heißa!

Am selben Abend, schon um 19 Uhr, findet aber auch die ganz ernst zu nehmende Münchner Premiere von Pina Bauschs 2002 in Wuppertal kreiertem Stück „Für die Kinder von gestern, heute und morgen“ statt. Peter Pabst baute für die Bausch mal wieder ein symbolträchtiges Bühnenbild – mit vielen Türen und Fenstern, die auf die Existenz anderer Welten hindeuten – und Marion Cita kreierte florale Muster exzessiver Weiblichkeit für die Textilien. Inhaltlich ist eine Indianerfabel das Leitmotiv. Darin geht es um die traurige Metamorphose eines Eichhörnchens zu einer Fledermaus. Kopfüber zu tanzen, ist denn auch immer wieder in diesem Stück zu sehen: zu wechselnden Musiken im Chanson-Stil. Außerdem ist dieses Anti-Märchen mit absurd-witzigen Texten und mit modern-vieldeutigen Pantomime-Sequenzen gespickt. Es ist sicher nicht das stärkste Stück der Bausch, aber es enthebt einen der schnöden Alltagswelt, lässt in einen Kosmos voller kleiner Wunder und einer gepflegten Melancholie entfliehen.

Und: Man atmet in vollen Zügen hier den Geist von Pina Bausch, der im Ruhrpott als Gastwirtstochter geborenen Erfinderin des deutschen Tanztheaters, die einst von Kurt Jooss gefördert und in Essen sowie in New York ausgebildet wurde. Die Einstudierung unter der Ägide von Ruth Amarante, Daphnis Kokkinos und Azusa Seyama wird mit großer Wahrscheinlichkeit auch kritische Blicke vollauf befriedigen.

Schließlich haben die Bausch-Leute hohe Ansprüche an sich selbst und an ihre Arbeitsergebnisse, und bisher haben sie es geschafft, auch nach dem Tod von Pina Bausch 2009 die Messlatte für künstlerische Qualität unbeeinträchtigt und ohne Durchhänger sehr hoch zu halten – ohne in museales, steifes, langwieriges Ritualisieren zu verfallen. Eine ziemliche Leistung, die man bei dieser Gelegenheit gern würdigt.

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Lutz Förster im Film „Pina Bausch“ (2006) von der Bausch-Freundin und -Expertin Anne Linsel. Kunst ist demnach steige Verbesserung! Faksimile: Gisela Sonnenburg

Lutz Förster, heute Künstlerischer Leiter des Tanztheaters Wuppertal Pina Bausch, tanzte in der Uraufführung der „Kinder“. Über seine damalige Chefin sagt er in dem Film „Pina Bausch“ von Anne Linsel (von 2006) das feinsinnige Statement: „Das Schöne bei Pina ist, dass sie eigentlich nie zufrieden ist. Dass es immer noch etwas gibt, das man verbessern kann, das man schöner machen kann, richtiger machen kann, ehrlicher machen kann.“ Was für ein Motto! Soviel Demut wünscht man sich nicht nur bei Künstlern.

Für die Solisten und das Ensemble vom BS bedeutet die Choreografie von Bausch eine neue Erfahrung, eine heftige Herausforderung: eine klassisch trainierte Balletttruppe ist schließlich, so breit ihr Spektrum auch sein mag, kein Tanztheater-Ensemble. Umso spannender wird es sein, die bayerische Bausch-Interpretation zu sehen, zumal es keine Übernahme des Stücks in die Spielzeit 2016 / 2017 gibt. Am 29. Juni wird die vorerst letzte Vorstellung damit im Nationaltheater sein.

Auch „Paquita“, „Die Kameliendame“ und „Le Corsaire“ laufen nur noch diese Spielzeit in München; ebenso heißt es von Richard Siegal einstweilen Abschied nehmen.

„Abschied!“ ist wohl ohnehin die unausgesprochene Vokabel der Wehmut, die die diesjährige BallettFestwoche wie ein heimlicher Schlachtruf durchzieht. Denn es sind die letzten Tanzfestspiele in München, die noch unter der Leitung des verdienstvollen, tollen Ivan Liška statt finden. Nach 18 Amtszeiten geht er, im Alter von 65 Jahren, nach einem prall gefüllten Tänzer-, Choreografen- und Direktorenleben. Ab der kommenden Spielzeit wird er sich ganz der Nachwuchsförderung mit der Heinz-Bosl-Stiftung als deren Chef widmen – und somit die von Konstanze Vernon begonnene Tradition der fachlichen Ballettförderung in Bayern fortsetzen.

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Blumenfoto 2. Rosen, Tulpen, Nelken, alle Blumen welken – aber die auf Fotos bleiben frisch! Wie diese romantische Rose, die auch via info@ballett-journal.de bestellt werden darf. Foto: Gisela Sonnenburg

Sein Nachfolger als Münchner Ballettdirektor wird der Russe Igor Zelensky sein, der ein betont klassisches Repertoire aufbauen wird, deutlich kleiner als das von Liška derzeit gepflegte, dafür mit dem dann endlich auch in Westdeutschland einstudierten Meisterwerk „Spartacus“ vom Bolschoi-Veteranen Juri Grigorovich als absolutem Supra-Highlight.

Münchens Weltstars Lucia Lacarra und Marlon Dino haben zuvor mit der „Kameliendame“ am 5. April sowie auf der Terpsichore-Gala XII wahrscheinlich unvergesslich brillante, herzergreifende Auftritte.

Die Terpsichore-Gala, nach der griechischen Muse des Tanzes benannt, wird vermutlich ohnehin insgesamt nur so strotzen vor Kraft und Poesie.

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„Paquita“ in der Inszenierung von Alexej Ratmansky ist ein schmissiger, an der Schwelle zur Klassik stehender romantischer Mitreißer – da bleibt keiner kühl… Hier auf einem Foto die brillanten Ersten Solisten Daria Sukhorukova und Cyril Pierre vom Bayerischen Staatsballett, fotografiert von Wilfried Hösl

Den Auftakt macht das ziselierte „Birthday Offering“ des britischen Klassikmeisters Frederick Ashton; das weitere Programm wird hier noch nicht verraten. Nur soviel: Neben den Tänzerinnen und Tänzern aus München versprechen die Megaballerina Maria Eichwald, der Stuttgarter internationale Star Friedemann Vogel, der superbe Karl Paquette und die liebliche Laura Hecquet aus Paris, die supersüße Iana Salenko und der rasant-exquisite Steven McRae aus London sowie drei bildschöne Paare vom Tschechischen Nationalballett aus Prag legendäre Erbauung.

Die Gäste aus Prag stehen für die Leitlinie des Abends: Nicht der Hausherr selbst, sondern sein Bayerischen Staatsballetts komponiert für den scheidenden Ballettchef die Gala als einen getanzten Abschiedsgruß. Und Liška steht geradezu exemplarisch für die fantastische Schule insbesondere des männlichen Balletttanzens, wie es am Prager Konservatorium, wo Liška seine Ausbildung erhielt, gelehrt wird.

Immer wieder holte der in der damaligen CSSR geborene deutsche Ballettboss denn auch anmutig-kraftvolle Tänzer aus Prag nach München in seine Truppe; Tänzer mit einer wunderbaren Armarbeit und „fliegender“ Sprungkraft.

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Hier stand Ivan Liska als Onegin auf der Bühne in München, im gleichnamigen Ballett-Knüller von John Cranko, mit Konstanze Vernon in der Rolle der Mutter der Liebhaberin, Madame Larina… unvergessen! Foto: Charles Tandy

Als Hommage an Ivan Liška, den „Immer-Tänzer“ und „Ballettdirektor der Innovation“ (ballett-journal.de), soll jetzt die Gala zugleich einen künstlerischen Rückblick auf seine 18-jährige Amtszeit beim Bayerischen Staatsballett bilden – wie auch einen Ausblick auf seine Zukunft bei der Heinz-Bosl-Stiftung.

Gerade „Le Corsaire“, am 9. April im Rahmen der BallettFestwoche zu sehen, bezeugt Liškas Könnerschaft. Er richtete dieses bekannte und virtuose klassisch-russische Ballett neu ein, rekonstruierte es teilweise und verlieh dem ganzen Stück eine weltweit einmalige, mitreißend narrative Note. Ein Jammer, dass es kommende Spielzeit nicht mehr zu sehen sein wird…

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Nach „Le Corsaire“ wird der Beifall wie immer toben, und in der BallettFestwoche ist den Solisten auch ein zünftiges Blumenmeer zu wünschen… man darf in München, anders als in der Deutschen Oper Berlin, ja auch seine den Künstlern zugedachten Blumen und Stofftiere auf die Bühne werfen! BItte dabei sanft und sicher zielen… Auch solche Schlussapplaus-Fotos können übrigens bei info@ballett-jounral.de bestellt werden, im Postkarten-Set (20 Euro für 6 Stück) oder als Poster von 15 Euro bis 30 Euro (70 cm Breite oder Höhe) pro Stück. Foto: Gisela Sonnenburg

Ebenfalls am 9. April, aber bereits ab 10 Uhr morgens, findet der zweite Teil vom Symposium über Pina Bausch statt, dessen erster Teil schon am 8. April ab 13 Uhr zu sehen und zu hören war. Unter dem Titel „Das hat nicht aufgehört, mein Tanzen“ melden sich Expertinnen und Experten über die Bausch zu Wort, auch einen Film gibt es zu sehen – und wer sich sozusagen auf dem Fernweg über die Grande Dame des Tanztheaters gern weiter bilden möchte, dem wird im Folgenden weiter unten von ballett-journal.de zu zwei neu erschienenen Büchern geraten.

Wer am 10. April indes den aktuellen Münchner Ballettnachwuchs sehen möchte, der sollte die Matinee der Heinz-Bosl-Stiftung zusammen mit der Junior Company vom BS in Augenschein nehmen. Das hohe Niveau der Kunst der jungen Leute hat schon manchen Skeptiker überrascht und in Freudentöne ausbrechen lassen! Dem scheidenden Ballettdirektor kommt man natürlich inhaltlich nahe, wenn man sich diesem Thema widmet.

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Blumenfoto 3. BIldschön nicht nur im Frühling, dem sie allerdings entstammen: Schwester Rose mit Geschwister Tulpe, in trauter Harmonie. Ein Blumen-Pas-de-deux zum Bestellen…. auch als Poster zu haben! Foto: Gisela Sonnenburg

Abends lockt dann der moderne Abend „Once Upon An Ever After / Le sacre du printemps“ mit Werken von Terence Kohler und Mary Wigman, deren sonst so selten zu sehende „Sacre“-Version vom BS einstudiert wurde. Auch dieses Programm bzw. diese beiden Ballette findet sich kommende Spielzeit nicht mehr auf dem Münchner Speiseplan.

Am 12. April kommen dann die Bayerische Junior Company mit „Das Triadische Ballett“ und die Hauptcompagnie vom BS mit Wigmans „Sacre“ zusammen. Eine ungewöhnliche Kombination, die aber schön passend ist: Beide Stücke verweisen auf die Frühzeit des modernen Bühnentanzes in Deutschland. Und weiter geht es dann schwer zeitgenössisch: Richard Siegal ist mit „Model / Metric Dozen“ am 13. April ein Abend gewidmet. Der Crossover-Querläufer Siegal ist ein sehr spezieller Choreograf, und er hat wegen seiner ausdrucksstark-dynamischen Körpersprache Fans, die auch von der schrägsten Musik zu seinen Stücken nicht von ihm abzubringen sind.

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Ist zwar nicht bei der BallettFestwoche zu sehen, bleibt aber auch kommende Saison im zu sehenden Repertoire beim Bayerischen Staatsballett: „Ein Sommernachtstraum“ von John Neumeier, eines der beliebtesten, frivolsten und witzigsten Ballette überhaupt. Foto von Puck, dem tanzenden Elfen-Schabernack: Wilfried Hösl

Am 15. April kommt dann die zweite Premiere dieser BallettFestwoche auf uns zu, sie ist außerdem eine Uraufführung: „The Passenger“ des Choreografen Simone Sandroni zur Musik von Iggy Pop ist ein Stück für ehemalige beziehungsweise ältere Tänzer. Ballettdirektor Ivan Liška, seine Ballettmeisterin Judith Turos – einst eine bezaubernde „Hippolyta / Titania“ in John Neumeiers „Ein Sommernachtstraum“, und dieses wunderbare Ballett bleibt auch kommende Saison im Spielplan! – sowie Peter Jolesch vom BS zeigen damit als Trio genau das, was junge Tänzer oftmals noch nicht so gut können. Da sollte dann jede Geste bedeutungsgeladen sein, die Intensität von Tanz und Darstellung fällt älteren Tänzern nun mal gemeinhin leichter als den jungen. Und es ist für den Choreografen eine wichtige Aufgabe, ohne blitzschnelle hohe Sprünge und all die euphorische Jugendlichkeit auszukommen, die normalerweise den Charme des heutigen Leistungsballetts ausmachen.

Anders gesagt: Wenn der gereifte Geist und der reife Körper von ehemaligen Profitänzern Kunst machen, so ist das in der jugendsüchtigen Ballettwelt eine sehenswerte Revolution, eine Essenz des Besten sozusagen, zumal, wenn sich so versierte Bühnenkünstler wie hier dafür engagieren.

Ein Gastspiel der locker-zeitgenössisch tanzenden Truppe von Danceworks Chicago ergänzt das Anti-Hochleistungs-Programm an diesem Abend um eine weitere Note der Novitäten, im zweiten Teil der Premiere. Da sind Überraschungen sozusagen vorprogrammiert.

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Blumenfoto 4. Über diese farbstark aufgemotzte Rose freute sich schon Thiago Bordin vom Nederlands Dans Theater (früher Erster Solist beim Hamburg Ballett) als Geburtstagsgruß. Foto: Gisela Sonnenburg

Am 16. April wird „The Passenger“ übrigens statt von Danceworks Chicago von der Junior Company des BS ergänzt. Und am 18. April kommt die Junior Company vom Het Nationale Ballet aus Amsterdam, um selbiges zu tun – unter anderem mit hell aufblitzenden Choreografie-Splittern von David Dawson, Charlotte Edmond und Eric Gauthier.

Am 17. April gibt es dann nochmals eine Matinee, wieder mit der Heinz-Bosl-Stiftung und der Junior Company, und außerdem lockt abends das immer wieder heiß und innig geliebte John-Cranko-Ballett „Onegin“, nach dem russischen Versroman von Alexander Puschkin.

Am 19. April beendet dann das Programm der jüngsten Premiere des BS – der Dreiteiler „Sinfonie in C / In the Night / Adam is“ – die diesjährigen BallettFestwoche, die 2016 im fiktiven Plural, also bei BallettFestwochen, angekommen ist.

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Armand, getanzt von Matej Urban, und Marguerite, getanzt von Daria Sukhorukova, durften nicht fehlen! „Aus Leidenschaft! – 25 Jahre Bayerisches Staatsballett“ bebildert die vielseitige Geschichte der wunderbaren bayerischen Compagnie. Faksimile aus dem bei transcript erschienenen Band: Gisela Sonnenburg

Bleibt, auf die versprochenen Bücher zu verweisen. Da ist natürlich zum Einen das Buch zum Film, äh, zur Ballettcompagnie: „Aus Leidenschaft! – 25 Jahre Bayerisches Staatsballett“ erschien 2015 und bietet ein schwergewichtiges Kompendium mit allerhand Fotos des geschätzten Wilfried Hösl und des mindestens ebenso geschätzten Charles Tandy sowie mit Texten von einigermaßen angesehenen Autorinnen. Das Layout und die Druckqualität genügen indes nicht wirklich meinen Ansprüchen, aber wer vor allem „sein“ Ballett in großformatigen Fotos Revue passieren lassen möchte, der wird ganz gut bedient.

Zu Pina Bausch erschienen kürzlich gleich zwei Bücher – es ist schon erstaunlich, dass ausgerechnet zu Bausch seit Jahrzehnten Bücher am Stück, scheins ohne Ende, herausgebracht werden. Das muss an dem großen wissenschaftlichen Interesse dieser Tanz-Wort-Schmiedekunst „Tanztheater“ liegen, sicher aber auch an dem starken, dennoch relativ toleranten Vermarktungsinteresse der Wuppertaler. Auch der Erbe, Bauschs Sohn Salomon Bausch, legt den Kreativen unter den Buchmachern da wohl nicht allzu viele Steine in den Weg – und manchmal ist das wirklich Anlass zu sehr großem Dank.

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Blumenfoto 5. Wie ein modernes Pärchen stehen sie hier nebeneinander – verbunden, aber nicht aneinander klammernd… ein geeignetes Geschenk zur Verlobung, zur Hochzeit, zum Jahrestag… Foto: Gisela Sonnenburg

Unerreicht ist meiner Ansicht nach der schon empfohlene Bild-Text-Band von Anne Linsel (siehe „Bücher“ im ballett-journal.de). Aber Linsel ist, ebenso wie die begabte Annette von Wangenheim, auch beteiligt im so hitzig wie witzig gemachten neuen Band „O-Ton Pina Bausch. Interviews und Reden“. In einem dem Lebensgefühl der 70er Jahre nachempfundenen, zum Teil sehr experimentellen Layout – liebenswert und detailfreudig gemacht – erstrahlen hier Dokumente, aus denen einen der Spirit der Bausch geradezu lebhaft entgegen lächelt.

Der „Alleskönner“ der Kunstjournaille, Stefan Koldehoff, fungiert als Herausgeber, kooperiert hat mit dem Verlag de Pina Bausch Foundation.

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Alles echt Pina! Der Band „O-Ton Pina Bausch“, erschienen bei Nimbus, lebt von Original-Interviews und Reden mit der großen Bausch. Sehr empfehlenswert! Faksimile: Gisela Sonnenburg

Und obwohl Monika Grütters, nicht gerade meine Lieblingspolitikerin, als Staatsministerin für Kultur und Medien das öde Vorwort schrieb, überzeugt der Band durch eine ansonsten fein Hand in Hand gehende Symbiose von Text und Bild. Allerdings muss man sich fragen: Was heißt hier „Bild“? Es wurde in der Tat geschafft, ein fast 400-seitiges Werk zustande zu bringen, ohne Fotos im herkömmlichen Sinn abzudrucken. Grob gerasterte Faksimiles und wie Concrete Poetry gestaltete große Schriftzüge ersetzen die übliche Bebilderung solcher Bände – das ist anregend zu sehen und lenkt beim Lesen nicht allzu sehr ab.

Leider verfolgte der Verlag aber offenkundig auch kommerzielle Absichten mit der asketischen Vorenthaltung von Fotos. Denn schon vor zwei Jahren brachte er ein entsprechendes Buchwerk heraus, ein etwas monströseres, in Graustufen einher kommendes reines Bilderwerk. Hier gibt es allerdings die vermutlich schlechtesten und unschärfsten Fotos, die je von Bausch publiziert wurden, verwunderlicherweise ebenfalls herausgegeben von Stefan Koldehoff und in Kooperation mit der Pina Bausch Foundation. Hier hätte man doch von einer Autorität von Koldehoff ein „no go!“ erwartet statt eine vermutlich gut bezahlte Herausgeberschaft. Denn nicht alles, was verwackelt ist, kann deshalb Kunstanspruch erheben!

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Kann nicht wirklich überzeugen: Kh. W. Steckelings‘ Fotowerke über „Pina Bausch backstage“, ein schon älteres Werk aus dem NImbus Verlag, naja, aber manche Fans können es indes nicht lassen…. Faksimile: Gisela Sonnenburg

Der Fotografenname des auch Filmschaffenden ist zusätzlich abschreckend bzw. auf „ich-möchte-gern-originell-sein“-Art gekürzelt: Kh. W. Steckelings heißt der Verbrecher, Pardon, Urheber, und sein Machwerk „Pina Bausch backstage“ ist eigentlich eine Schande. Ehrlich gesagt, ich rate wirklich unbedingt eher ab als zu: Dieses Buch ist nur etwas für eingefleischte Bausch-Fans, die eben alles, aber auch absolut alles haben wollen, was zur unangefochtenen Ikone des deutschen Tanztheaters so erscheint. Stilistisch wie von der künstlerischen Qualität her handelt es sich aber um Fotos, die man eher konsequent hätte aussortieren sollen. Das Wort „Resteverwertung“ fällt einem dazu nicht von ungefähr ein.

Dann doch lieber nur in das andere neue Bausch-Buch investieren, in das mit den vielen schönen Dialog-Texten, und dazu in das Bayern-Buch, das sich wenigstens um eine bestimmte Anmutung von Ästhetik bemüht, auch wenn diese nicht immer erreicht wird.

Außerdem lohnt sich wie immer ein ausführlicher Blick auf die Homepage vom Bayerischen Staatsballett, wo Biografien und weitere Infos zur BallettFestwoche locken!

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Blumenfoto 6. Fein beieinander: Federtulpe mit Rosenrot – als Postkartenset oder als Poster, bei info@ballett-journal.de zu bestellen. Foto: Gisela Sonnenburg

Ein dort zu lesender Ausblick aufs kommende Jahr erlaubt dann auch die Vorfreude auf die BallettFestwoche 2017, die zwar im deutlich kürzeren Format einher kommt, dafür aber ganz eigene Höhepunkte haben wird. So mit dem entzückend-karnevalesken „Alice im Wunderland“ von Christopher Wheeldon in der Interpretation vom Bayerischen Staatsballett, mit Kenneth MacMillans tragisch-pathetischem „Mayerling“ als Gastspiel vom Stanislawski-Ballett aus Moskau – und mit dem schon erwähnten Ballett-Thriller „Spartacus“ in der Originalchoreografie des Bolschoi-Papstes Grigorovich.

„Spartacus“! Sein Titelheld wurde schon von vielen weltwichtigen Bolschoi-Tänzern verkörpert, aber auch von einigen westlich geprägten Ballerini wie Carlos Acosta. Das monumentale Stück mit der romantisch-cineastischen Musik des sowjetisch-armenischen Komponisten Aram Chatchaturjan bietet in der Choreo von Grigorovich neben dem ersten wirklich bedeutenden, wirklich großartigen, wirklich modernen Männerballett der Tanzgeschichte sowie neben einer im wahrsten Sinne des Wortes filmreifen Love-and-Politics-Story auch eines der herzlichsten und schönsten Pas de deux der Ballettgeschichte… Allen Abschiedstränen für Ivan Liška zum Trotz gilt also beim Bayerischen Staatsballett: Das aufregend-erotische Tanzleben in München hat Zukunft!
Gisela Sonnenburg

Beiträge über die einzelnen Stücke vom Bayerischen Staatsballett siehe hier im ballett-journal.de unter „Bayerisches Staatsballett“

www.staatsballett.de

„Aus Leidenschaft – 25 Jahre Bayerisches Staatsballett“, 2015 bei transcript; 280 S., 29,99 Euro

„O-Ton Pina Bausch – Interviews und Reden“, Band 1, Nimbus, 2016, 399 S., 29,80 Euro.

Kh. W. Steckelings, „Pina Bauch backstage“, Nimbus, 1. Auflage 2014, 183 S., 39,80 Euro

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