Ist das ein Bühnenbild?! Ein heller Vorhang fällt im Hintergrund zu Boden, einzelne Möbel und Kisten stehen herum. Ein verpackter Kronleuchter baumelt von der Decke. Und ein Plakat verkündet eine Auktion: Der Nachlass einer bekannten Halbweltdame wird versteigert. Zentral befindet sich das Sofa, auf dem sie oft gesessen haben mag, es ist von einem Tuch zur Unkenntlichkeit verhüllt. Aber das ovale, lichthelle Portrait, das auf dem Zweisitzer steht wie ein Platzhalter für die Person, die es zeigt, ist gut zu erkennen: ein fein gezeichnetes Frauengesicht. Davor, an der Rampe, liegt ein gefalteter Teppich, einem von Nurejevs Kelims ähnlich, so prägnant nachlässig platziert, als fiele er gleich aus dem Bild. Der offenbar eilig leergeräumte Raum strahlt Ruhe aus, birgt aber auch Spannung. „Die Kameliendame“ von John Neumeier beginnt so, mit offenem Vorhang: Noch bevor das Publikum im Dunkel sitzt, kann man – schon beim Einlass – sich mit der melancholischen Atmosphäre im Guckkasten vertraut machen. Beim Stuttgarter Ballett nimmt man diese Stimmung des sanften Einsteigens in das Stück ernst und beginnt ganz sachte, um sich dann konsequent zu steigern. Alicia Amatriain in der Titelrolle und Friedemann Vogel als ihr Geliebter zeigen einmal mehr, dass sie hochkarätige Künstler von Weltrang sind, einmalig in ihrer Befähigung, der Seele mit dem Körper Ausdruck zu verleihen! Die Aufführung – mit insgesamt 33 Stückdebütanten – strotzt ohnehin nur so vor virtuoser Technik einerseits und ergreifender Fühligkeit andererseits: Wenn man von Perfektion sprechen möchte, dann darf man es hier ungestraft tun.
Wie hingehaucht wirkt die erste Szene, die Stimmung ist verhalten, ein wenig bedrückend.
Die schwarz gekleidete Frau, die mit einem Koffer in der Hand eintritt, scheint eine Botin aus einer anderen Sphäre zu sein.
Es ist Nanina, die der Verstorbenen als Kammerfrau diente. Die ehemalige Stuttgarter Primaballerina Sonia Santiago gibt hier ihr Debüt als Nanina: konzentriert, bescheiden, zugleich ein wenig verbittert und doch von unendlicher Gelassenheit.
Langsam und gefasst, aber sichtlich von Trauer erschüttert, stellt sie den Koffer ab. Es herrscht Stille. Nanina setzt sich zu dem Portrait, sieht es lange und eindringlich an. Hinter ihr füllt sich die Bühne mit Leben, mit Männern, die den Nachlass taxieren. Eine schamlos geil grinsende Frau mit auffälliger Blüte im Haar tritt ein, auch eine zweite trägt Blumenschmuck am Hut. Der Mann, der mit einem Gehstock vorn entlang geht, scheint nicht zu ihnen zu gehören.
Der Teppich wird abtransportiert. Nanina sitzt noch immer da, scheinbar in ein inneres Gespräch mit der Toten vertieft.
Einer der Männer klimpert plötzlich auf dem Klavier herum, intoniert ein paar Takte Chopin. Und die Musik erhebt für ein paar Momente – sie scheint die Seele der Toten zu enthalten und gleichermaßen zu verlebendigen.
Der junge Mann, der da dann wie aufs Stichwort hereinstürmt, kommt zu spät. Es ist Armand Duval, und die von ihm geliebte Marguerite Gautier, genannt „Die Kameliendame“ , ist es, die kürzlich verstarb. Armand wird ohnmächtig.
Der Mann mit dem Gehstock ist sein Vater, er kümmert sich um Armand, hilft ihm auf. Die getanzten Erinnerungen, aus denen der ganze zweieinhalbstündige Ballettabend bestehen wird, nehmen ihren Lauf…
Und erst jetzt setzt die Musik langfristig ein, es handelt sich um orchestrierte Klänge von Frédéric Chopin, dessen romantisch-schwelgende Melodien anrühren. James Tuggle hat als Dirigent genügend Herz und auch Erfahrung, um diese Partituren zu einem Ohrenschmaus zu machen.
Die erste Erinnerung Armands führt in ein Theater im Theater: Man erlebt im Paris des 19. Jahrhunderts die tragische Liebesgeschichte der barocken Manon Lescaut, deren Schicksal Abbé Prévost in einem frühen Bestseller-Roman geschildert hat.
Die anmutig-leidenschaftliche Hyo-Jung Kang tanzt diese in lilafarbenen Chintz gewandete Kokotte, die ihren Geliebten Des Grieux (Roman Novitzky) zu früh oder zu spät im Leben traf, um mit ihm glücklich werden zu können. Die Grazie und Posensicherheit der Ballerina lassen sich dabei leicht auf die von ihr dargestellte Manon übertragen – was für ein Glücksfall!
Manon und Des Grieux versinnbildlichen in ihrem Tanz zugleich die Vergangenheit und die Gegenwart, mit Bezug auf Marguerite auch die Zukunft. Das Barockpaar hat alles schon hinter sich und tanzt als eine Art spirituelles Abbild, geisterhaft und jenseitig. Manon starb auf der Flucht aus einer Strafkolonie, begleitet und umarmt von dem sie liebenden Studenten Des Grieux. Immer wieder tauchen sie in den Gedanken von Marguerite oder auch von Armand auf und bilden so eine zweite Handlungsebene, die zugleich das Innenleben der Hauptfiguren ergänzt.
Faszinierend aber von A bis Z:
Marguerite – absolut hervorragend, emotional mit allen Sinnen bei der Sache getanzt von Alicia Amatriain. Es ist kaum zu fassen, wieviele verschiedene Rollen sie in einer Saison verkörpert und trotz dieser Vielfalt derartige Spitzenleistungen vollbringt.
Als Marguerite lässt sie sich derweil zunächst mitreißen und stürmt aus ihrem Theatersitz auf die Tanzfläche. Im Ballett ist so etwas machbar, ohne einen harschen Stilbruch zu bezeichnen. Es sind dann ihre Gedanken, die wir sehen, und es ist ihre dramatische Erscheinung, die es möglich macht, dass man ihren Blicken, ihrem Tanz und somit ihren Gefühlen folgen kann.
Auch sie wurde, wie Manon, von einem Leben geprägt, das sie nicht selbst gewählt hat. Keine Frau wird gerne Nutte, nicht mal eine Luxuskurtisane wie Marguerite. Es ist für diese Frauen der einzige ihnen mögliche Weg aus der sozialen Not. Das ist bis heute so, das war auch damals so.
Aber auch Armand – eindringlicher und brillanter denn je von Friedemann Vogel verkörpert, ebenbürtig seiner Dame und viril auch im Zusammenspiel mit den anderen Kolleginnen und Kollegen, er tanzt die Partie jung und reifend zugleich, so naiv wie warmherzig spielend – und steht doch librettogemäß in dieser Szene im ersten Akt fast hilflos da.
Doch dann erfasst auch ihn der Zauber des tanzenden Barockpaares und er steht plötzlich dem Kavalier Manons, Des Grieux, gegenüber wie einem Spiegelbild. Und es stimmt: Auch Armand hat sich – nämlich gerade eben – in eine Prostituierte verliebt, eben in Marguerite. Ihre schillernde, ambivalente Persönlichkeit scheint mit seiner eigenen bereits unauflöslich verbunden.
Damit ist sein Liebesschicksal besiegelt: Armand wird seiner tragischen Verflechtung in das Leben und in die Gefühlswelt der „Kameliendame“ nicht mehr entrinnen können.
Und so tanzen Amatriain und Vogel miteinander: Wie zwei füreinander Bestimmte – mal somnambul, mal hellwach, aber immer mit den Blicken aneinander haftend, als würde eine unsichtbare magnetische Kraft sie aneinander schmieden.
Eigentlich tanzen sie nicht mal im normalen Sinn, sondern der Tanz kommt aus ihnen heraus, fließt aus ihnen heraus, und sie spielen dabei ihre Rollen nicht, sondern sie leben sie.
Der Philosoph Gilles Deleuze würde sagen: „Es tanzt!“
Auch im zweiten und dritten Akt erblühen Alicia und Friedemann in den groß angelegten modern-klassischen Pas de deux und Gruppenbildern zu immer neuem Leben.
Ihre Leidenschaft und Intensität steigern sich dabei kontinuierlich, von aquarellfein über deutlich dramatisch bis zu einem nachgerade expressionistischen Grad.
Diese Steigerung macht das Besondere der aktuellen Stuttgarter Einstudierung aus, für die unter der Ägide von Tamas Detrich, dem Stuttgarter Ballettintendanten, stattfand.
Kevin Haigen als Gastcoach vom Hamburg Ballett – wo er Erster Ballettmeister ist – sowie die Stuttgarter Meisterkräfte Rolando D’Alesio und Yseult Lendvai, gemeinsam mit der Choreologin Birgit Deharde, zeichnen verantwortlich. Haigen – der als erster Hamburger Armand seinerzeit die drei großen Pas de deux im Stück maßgeblich mit überarbeitete – ist ein absoluter Spezialist nicht nur in der „Kameliendame“ , sondern überhaupt im Coachen und Lehren, und seine Zusammenarbeit mit den Stuttgarter Stars war ganz offenbar gesegnet.
Er holte aus Alicia und Friedemann so viel Seele in die edlen Körper, dass man fast meinte, ganz neue Tänzer vor sich zu sehen. Da war kein Lächeln zuviel, geheuchelt oder aufgesetzt. Da sah man das Innerste ihres Wesens in ihrem Tanz – szenen- und rollengemäß, als seien sie in diese Parts gewissermaßen hineingeboren.
Aber auch John Neumeier, der das Stück am 4. November 1978 in Stuttgart zur Uraufführung brachte und seither stetig noch ein wenig mehr poliert und glänzen lässt, war bei den aktuellen Proben mehrfach zugegen.
Immerhin wird in dieser Saison das 40-jährige Jubiläum der „Kameliendame“ gefeiert, und von daher hat die Wiederaufnahme des Stücks in Stuttgart eine besondere Weihe. Dass es wirklich schon vierzig Jahre sind, ist der Inszenierung beim besten Willen nicht anzumerken.
Die Dekaden verflogen anscheinend wie ein Tag, so schnell, scheinbar, ohne Spuren zu hinterlassen. Und das, obwohl „Die Kameliendame“ stetig – wenn auch nur in Details – überarbeitet wird, und zwar anlässlich der vielen Einstudierungen in Compagnien von Kopenhagen über New York, Paris und München bis nach Warschau und Moskau.
Der Erfolg des Stücks, der bereits 1978 enorm war und seit der ersten großen Überarbeitung 1981 in Hamburg immer nur zunahm, lässt sich mit dem Hunger der Ballettgemeinde auf pathetische Liebesgeschichten nur teilweise erklären.
Vor allem die szenischen Umsetzungen der vielschichtigen Beziehungen garantieren Neumeiers „Kameliendame“ ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit. Da kommen die Nachmacher-Ballette gleichen Namens, die von weniger prominenten Choreografen seit Jahren ab und an versucht werden, nicht im mindesten mit. Und auch das Vorläufer-Ballett von Neumeiers „Kameliendame“ , das kurze Stück „Marguerite and Armand“ von Frederick Ashton, verfügt über nicht halb soviel Glanz wie das Unikat von John Neumeier.
Darin stimmt uns wohl jeder Neumeier-Fan zu. Es hatte aber auch nicht jeder „Kameliendamen“ -Choreograf eine Marcia Haydée als Muse. Sie, die die Titelrolle in der Uraufführung tanzte, war jetzt angereist, sie kam nach der Vorstellung viel bejubelt auf die Bühne.
Tamas Detrich, als ihr würdiger Nachfolger (denn auch Haydée war mal Chefin des Stuttgarter Balletts) überreichte Blumen.
Ein großartiger Abend, kein Zweifel!
Vor allem muss Alicia Amatriain gelobt werden.
Ihre „Kameliendame“ zeigt die Entwicklung dieser Figur mit aller Tiefenschärfe, und im Grunde sind es drei Figuren, die Marguerite Gautier hier in sich vereint.
Da ist die vornehme Dame, die Diva, die leicht überhebliche, allgemein umschwärmte und begehrte Luxusnutte aus dem ersten Akt. Alicia tanzt diese Partie und somit auch den „Blauen Pas de deux“ mit Armand mit sinnlicher Verve, mit Fassung – doch noch ist sie nicht davon überzeugt, dass ihr Herz einen anderen Weg für sie wählt als ihre Geldschatuelle es erlauben möchte.
Im zweiten Akt ist sie dann die heiß liebende Frau, die sich endlich um ihrer selbst willen und nicht als Image-Objekt geliebt fühlt. Hingebungsvoll, rückhaltlos vertrauensvoll, erotisch von Kopf bis Fuß tanzt Alicia Amatriain mit Friedemann Vogel den „Weißen Pas de deux“ .
Doch schließlich wird sie eine leidende Heldin, eine Frau, die für das Wohl ihres Liebsten und wohl auch für ihr eigenes moralisches Seelenheil auf ihr Liebesglück verzichtet. Was für eine Märtyrerin, mit Ausnahme einer Nacht der Versöhnung, die im „Schwarzen Pas de deux“ , einer unerhört explosiven Mischung aus Aggression und Sex, gipfelt.
Doch die Welt heben diese beiden Liebenden nicht mehr aus den Angeln, und wären sie etwas klüger gewesen, hätten sie Paris unauffällig nacheinander verlassen und wären mit Marguerites Schätzen in den Süden gereist. Ein milderes Klima als in Paris hätte zumindest das Leben der an TBC schwer erkrankten Kurtisane, wahrscheinlich aber auch ihre Zweisamkeit mit dem verliebten Armand, verlängert.
Doch dann wäre das Liebesopfer der Titelheldin freilich nicht so überwältigend traurig…
Weil aber der Vater von Armand – von Jason Reilly mit viel Gefühl, aber auch mit angemessener Härte, vor allem mit schier unglaublicher darstellerischer Kraft getanzt – Marguerite aufsucht und bittet, sich von seinem Sohn zu trennen, gewinnt hier die Konvention gegen die Liebe.
Ganz dem Kitschbild von Frauen gemäß, das Männer sich nicht erst seit dem 19. Jahrhundert leisten, fällt Marguerite auf den scheinbaren Deal „Glück gegen Moral“ herein.
Auch Armand ist zu dümmlich, um darauf zu kommen, dass Marguerite sich nicht des Geldes wegen von ihm trennt, sondern weil sein Vater, dieser ehrwürdige Patriarch, das von ihr verlangt hat. Obwohl Marguerite ihm selbst schon mal erklärt hatte, dass sie alles tun würde, um nicht zwischen ihrem Geliebten und dessen Vater zu stehen.
Das Problem ist nicht das Libretto von John Neumeier, sondern die Vorlage, der Roman „Die Kameliendame“ von Alexandre Dumas (Sohn). Eine wirklich hohe literarische Qualität wie in den Werken von Emile Zola oder Fjodor M. Dostojewski wird hierin nicht erreicht, dazu enthält es zuviel Heuchelei und auch zu viele Unstimmigkeiten, aber als Schmonzette wird das Buch ganz sicher noch viele Generationen begeistern.
Der fabelhaft abwechslungsreiche Szenenwechsel des Neumeier-Balletts macht aber all die Schwachstellen in der Konstruktion des Romans vergessen. Und das Stuttgarter Ballett ist es wert, in diesen Szenen unbedingt gesehen zu werden!
Prachtvolle Festivitäten in verschiedenen Farben – Rot, Blau und Schwarz – berauschen das Auge, und die Szene auf dem Land, in der Marguerite und Armand im Kreise ihrer Freunde ihr schönstes Glück erleben, beglückt mit einfachem, aber sommerlichem Weiß.
David Moore tanzt zudem mit entzückender Haltung die Rolle des Gaston, er ist der muntere Freund von Armand, der mit der Kupplerin Prudence anbändelt. Seine Ronds de jambe en l’air, seine Balancen, seine spritzig-witzige gute Laune ist hier einfach fabelhaft!
Prudence ist mit Ami Morita allerdings aber auch fantastisch besetzt – sie ist nicht umsonst eine der Ersten Solistinen in Stuttgart, und das völlig zurecht.
Das Ensemble und auch die Pianistin Catelijne Smit, die auf der Bühne den edlen schwarzen Flügel bedient und eine von drei Pianisten ist, die diese Aufführung begleiten, zaubern ein temperamentvoll-seliges Landleben hin, an dem man am liebsten sofort selbst teilnehmen möchte.
Hier jauchzt einem die pure Lebenslust entgegen!
Aber nur wenige Szenen später fühlt man mit Armand das abgrundtiefe Entsetzen über den vermeintlichen Rückzug seiner Geliebten nach Paris, zurück in ihr altes, glamouröses Leben, das angefüllt ist mit verkauftem statt gelebtem Sex.
Er erfährt von Marguerites Entscheidung, ihn zu verlassen, durch einen Brief von ihr. Und er tickt aus – es ist eine großartige Szene männlicher Wut, wenn er, über dem am Boden liegenden Brief, sein Solo tanzt.
Verzweiflung, Unverständnis, Trotz, Wut – all diese Emotionen sind enthalten, sind in exponierter Körpersprache ausgedrückt. Und:
Friedemann Vogel ist Armand, er ist dessen Liebe und er ist dessen Wut – und es ist schlichtweg dramatisch schön, das zu erleben!
Es stimmt aber auch alles bis aufs i-Tüpfelchen in dieser Aufführung!
Wenn Friedemann Vogel den Kopf während der Drehungen in den Nacken wirft, dann ist das von einer überwältigenden personalen Ausdruckskraft. All die Jugend, die Unbekümmertheit, die Hingabe finden sich darin!
Und wenn Alicia Amatriain eine ihrer famosen Arabesken zeigt, dann meint man, dass die Ballettbücher neu geschrieben werden müssen. Was hätte die russische Großmeisterin des klassischen Tanzes, Agrippina Waganowa, dazu gesagt? Sie hätte nichts gesagt, sie hätte entzückt aufgeschrien!
Diana Ionescu, die mit Olympia die ärgste Rivalin Marguerites tanzt, ist aber auch ein Blickfang! Sie, die 2017 in Lausanne ein Stipendium gewann, dennoch erst als Elevin, dann als Corps-Mitglied beim Stuttgarter Ballett anfing, ist eine frivole, kesse, auch hinterhältige Kurtisane, die sich den leichtgläubigen Armand angelt, um Marguerite herabzusetzen. Und auch Armand geht die Liebschaft mit Olympia ein, um sich an Marguerite zu rächen – der kalte, notgeile Sex mit dem Mädchen interessiert ihn allenfalls ansatzweise, was auch in einer delikaten, aber keineswegs anstößigen Szene zu sehen ist.
Bei einem Spaziergang im Herbst auf den Champs-Élysées treffen sich Marguerite, Olympia und Armand – und obwohl sich Olympia durchsetzt, wird klar, wie tief die Liebe zwischen der Titelfigur und ihrem naiven Geliebten noch ist.
Bis zum bitteren Ende wird man denn auch bei der Stange gehalten. Das vorzügliche Licht, von John Neumeier selbst eingerichtet, und die bereits selbst weltweit berühmte Ausstattung von Jürgen Rose bewirken ein Übriges.
Der Eindruck, den die Aufführung auf das Stuttgarter Publikum macht – nur eine Minderheit darin dürfte das Stück zum ersten Mal sehen – ist denn auch enorm: In den beiden Pausen wurde in den Foyers beinahe geflüstert, weil die Ehrfurcht und die Ergriffenheit so umfassend waren.
Der Jubel am Ende muss da nicht mal extra erwähnt werden.
Kaum vorstellbar, dass jemand, der hier dabei war, diese Vorstellung jemals vergessen wird.
Boris Medvedski / Gisela Sonnenburg