Die erste Staffel der dreiteiligen „Shades of White“ beim Stuttgarter Ballett ist abgetanzt. Und das Publikum tobte! Denn nicht nur die Premierenbesetzung begeisterte, sondern auch bei den wechselnden Alternativ-Interpretationen ergaben sich immer noch neue Lichtblicke. Allen voran triumphierte Hyo-Jung Kang (sprich: Kio-Dschung Kang) als feine, elfenhaft schwebende Nikija im „Königreich der Schatten“ aus „La Bayadère“. Welche eine Freude, soviel Grazie und Grandezza in einer Person gebündelt zu sehen! Ihr Bühnenpartner David Moore hielt sie denn auch mit besonderem Stolz in den Armen – und das harmonische Zusammenspiel der beiden bezeugt bereits die Luxusklasse, in der das Stuttgarter Ballett zu tanzen vermag.
Aber auch die Ballerina Ami Morita, die sowohl im „Konzert für Flöte und Harfe“ von John Cranko als auch in der „Sinfonie in C“ von George Balanchine jeweils mit David Moore an ihrer Seite brilliert, hat ein ganz eigenes Flair, das sie zu einer rundum sehenswerten Bühnenpersönlichkeit macht. Sogar ihr Rücken weiß zu bezaubern – es ist, als entführe einen Morita mit jeder Bewegung in eine andere, neue Welt…
Die Japanerin, die auch die Doppelpartie der Odette / Odile im „Schwanensee“ von John Cranko mit Verve zu tanzen weiß, kam 2005 als Ballettstudentin nach Stuttgart.
2009 machte sie auf der John Cranko Schule ihren Abschluss und wurde sofort ins Ensemble vom Stuttgarter Ballett übernommen. Langsam, aber sicher wurde sie seither befördert – und seit dieser Saison ist sie Erste Solistin. Herzlichen Glückwunsch nicht nur ihr, sondern auch ihrem Publikum!
Sie ist eine sichere, stilvolle, souveräne Tänzerin, absolut versiert in klassischen Partien bis hin zur Kitri in „Don Quijote“ und dem „Dornröschen“ in der Version von Marcia Haydée.
Was sie aber zu etwas Besonderem macht: Niemals lässt sie sich anmerken, dass sie allen Grund hätte, in sich selbst verliebt zu sein.
Stets ist sie ganz in ihr Tanzspiel vertieft, sie bewegt sich scheinbar selbstvergessen, völlig hingegen an die Musik und die Choreografie.
Das ist der richtige Weg für das Stuttgarter Ballett!
Und tatsächlich interpretiert sie mit dieser hohen Konzentration nicht nur die Klassiker, sondern auch die Neoklassik und die Zeitgenossen mit großer Überzeugungskraft.
So tanzt sie in den „Shades of White“, den „weißen Schatten“, mal den ersten Satz der „Sinfonie in C“ mit keck-klassischer Haltung und mal im „Konzert für Flöte und Harfe“ mit hochgradig gestochener Schärfe.
Weiß ist eben nicht nur eine Farbe, sondern hat viele Schattierungen. Ins schwärmerische Rosé hinein, ins majestätische Blau hinein, zum eleganten Grau oder ins warmherzige Creme hinspielend.
Das beweist auch Hyo-Jung Kang, wenn sie mit Noblesse und Understatement, aber zugleich unübersehbar brillant als Nikija im „Schattenreich“ der Bajaderen für und mit Solor, ihrem untreuen Geliebten, tanzt.
Was für eine Stärke geht von ihr aus! Und was für eine Lieblichkeit!
Eine weltumspannende Power!
Sie wurde in Seoul in Südkorea geboren und erhielt dort auch den ersten Ballettunterricht. Die Kirov Ballettakademie in Washington D.C. in den USA war dann ihre zweite Ausbildungsstätte. Und schon lockte das erste Engagement: die koreanische Tournee-Truppe Universal Ballet Company.
Mit der Teilnahme am Prix de Lausanne kam sie 2002 nach Europa – und nahm fortan ihre Ausbildung nochmals auf, um an der John Cranko Schule den entscheidenden Schliff zu erhalten.
Seit 2003/04 tanzt Hyo-Jung Kang im Stuttgarter Ballett, seit 2011/12 als Erste Solistin.
Ihr Temperament hat sie zu einer Ballerina mit eigener Prägung gemacht, und wenn sie gastiert – etwa als Tatjana in „Onegin“ von John Cranko beim Staatsballett Berlin – so ist das stets ein Fest.
Aber auch in den „Shades of White“ verleiht sie dem prächtigen Mittelteil, dem Traum aus lauter schönen jungen Frauen im jenseitigen, paradiesischen Gefilde, eine Anmutung von höchster Schönheit, die nicht im Äußeren begründet ist, sondern aus tiefster Seele kommt.
Trotzdem müssen auch andere Damen genannt werden, die außer den Stuttgarter Nummer-Eins-Supra-Ballerinen Alicia Amatriain und Elisa Badenes – siehe ausführliche Premierenkritik – auch noch verzaubern.
Da ist zum Beispiel Miriam Kacerova, die in der zweiten Vorstellung von „Shades of White“ im „Konzert für Flöte und Harfe“ für Alicia einsprang und an der Seite des Stuttgarter Weltstars Friedemann Vogel ein außerordentlich schönes Flair zeigte.
Die gebürtige Slowakin schloss ihre Ausbildung in Monaco in der Académie de Danse Classique Princesse Grace ab. 2004 begann sie bei Heinz Spoerli in Zürich im Engagement zu tanzen und kam 2005 zum Stuttgarter Ballett. Seit 2014/15 ist sie hier Erste Solistin – und bewährte sich seither als die stete Nummer Eins bei den zweiten weiblichen Hauptrollen. So als Bianca in „Der Widerspenstigen Zähmung“, als Fliederfee in „Dornröschen“ und als Olympia in John Neumeiers „Kameliendame“. Es wird Zeit, dass man mehr von ihr sieht – und dass sie in den „Shades“ auch die „Sinfonie in C“ mit Friedemann ad hoc exzellent bewältigte, spricht nur für sie.
Und auch die Damen Jessica Fyfe, die aus Australien kommt und seit 2016 Halbsolistin in Stuttgart ist und die mit Moacir de Oliveira in den „Shades“ ein auffallend formschönes Paar abgibt, sowie Angelina Zuccarini, die, aus den USA kommend, in Stuttgart ausgebildet und herangezogen wurde, und die zudem mit ihrer süßen Art mit dem unbestrittenen Meistertänzer Jason Reilly eine bravouröse Pas-de-deux-Fantasie abgibt, sind wandelnde Hingucker, die man nicht missen möchte.
Bis zur nächsten Staffel der „weißen Schatten“ muss die Erinnerung an all diese tanzenden Nuancen der Farbe Weiß genügen… Lebendig genug waren die Darbietungen!
Boris Medvedski / Gisela Sonnenburg
Wieder ab dem 23. Dezember 2018 in Stuttgart zu sehen!