Wo die Sehnsucht tanzt Endlich! „Onegin“ von John Cranko in scharfen Nahaufnahmen im Kino: am 23. September 2018, mit den Stars vom Stuttgarter Ballett

Onegin von John Cranko kommt erstmals ins Kino

Alicia Amatriain und Friedemann Vogel in „Onegin“ – jetzt ist dieses Jahrhundertballett erstmals auf den Kinoleinwänden zu sehen. Nix wie hin! Foto: Stuttgarter Ballett

Endlich, endlich, endlich. Was für ein Fest für das Gemüt! „Onegin“, das die Ballettwelt immer wieder aufs Neue bewegende, wunderschöne Herzschmerzstück von Meisterchoreograf John Cranko – von dem es keine DVD im Handel gibt – kommt ins Kino! Superstarke Gefühle und akrobatisch-ästhetische Posen werden die Leinwände füllen, und Tränen der Rührung werden ebenso Konjunktur haben wie die des höchsten Glücks. Alicia Amatriain, die junge Kammertänzerin und Primaballerina vom Stuttgarter Ballett, ist darin als Tatjana zu erleben, während der Weltstar Friedemann Vogel als tragische Liebe ihres Lebens, als Titelfigur Eugen Onegin, brilliert. Am Sonntag, dem 23. September 2018 – zu unterschiedlichen Uhrzeiten, zumeist tagsüber – ist dieser Mega-Event in ausgewählten Kinos in Deutschland zu sehen. Achtung, es gibt wohl keine Wiederholung dessen – also nichts wie hin! Es locken tolle Nahaufnahmen und ein harmonisches Gesamtbild. Am Pult dirigiert James Tuggle, und in weiteren Rollen sind die bezaubernde Elisa Badenes als Olga, der leidenschaftlich-lyrische David Moore als Lenski, der kraftvolle Jason Reilly als Fürst Gremin und – oh ja! – die legendäre Cranko-Muse Marcia Haydée als Amme zu sehen.

Cranko schuf mit dieser Choreografie das cineastischste Ballett aller Zeiten – insofern ist es ein Coming home für das Stück, das nun endlich in die Kinosäle darf. „Giselle“, „Dornröschen“, „Die Kameliendame“, „Romeo und Julia“, „Alice im Wunderland“, „Spartacus“, „Der Nussknacker“ und „Schwanensee“ sowieso – sie alle hatten schon längst ihre umjubelten Auftritte vor den Zuschauern in den Lichtspielhäusern. Aber ausgerechnet „Onegin“ wurde bisher aus lizenzrechtlichen Gründen noch nie ins Massenmedium Kino eingelassen. Und das, obwohl diese Lovestory doch für Ballettfans das ist, was „Vom Winde verweht“ für Filmfans ist.

Aber jetzt! „Onegin“, die Geschichte der Liebe zweier Menschen, die zu viele Gegensätze trennen, um miteinander glücklich zu werden, wird nun endlich nicht mehr nur bühnentauglich, sondern auch filmerprobt sein.

Rund um den Erdball ist dieses Ballett als Geniestreich bereits bekannt. Am 23. September 2018 kommt es immerhin in die deutschen Kinos – diese Premiere sollte man nicht verpassen.

Hinzu kommt eine neue Aufnahme-Technik, 4K UHD genannt. Sie bietet ein absolut brillantes Bild: UHD steht nämlich für Ultra High Definition, und 4K bezeichnet eine vier Mal höhere Bildauflösung als üblich.

Wir sehen das Jahrhundertballett „Onegin“ also schärfer denn je!

Im Zentrum steht die süße Tatjana, die im ersten Teil des Balletts noch schüchtern und eigentlich so etwas wie ein „Bücherwurm“ ist. Das muntere Dasein auf einem russischen Landgut langweilt sie zwar nicht, bietet aber nur wenig Abwechslung. Kein Wunder, dass der selbstsichere, erfahrene und belesene Dandy Onegin sie schwer beeindruckt.

Alicia Amatriain verkörpert das Aufgeweckte und Verliebte der jungen Tatjana par excellance. Als Tatjana ihren Geburtstag feiert, hofft sie, dass Onegin auf den Liebesbrief, den sie ihm schickte, reagieren wird. Das macht er auch – aber ganz anders, als von dem noch naiven Mädchen erhofft.

Friedemann Vogel zeichnet den blasierten Dandy Eugen Onegin mit nahezu realistischer Psychologie. Der schöne Mann ist nicht von sich aus hochmütig, aber ihn quälen Lebensüberdruss und Fragen nach dem Sinn. Ein verliebtes Mädchen vom Land hat da in seinem Plan fürs Dasein so gar keinen Platz.

Onegin von John Cranko kommt erstmals ins Kino

Onegin (getanzt vom herausragenden Friedemann Vogel) verdreht der jungen Tatjana (mit der superben Alicia Amatriain goldrichtig besetzt) den Kopf. Eine starke Liebe beginnt… jetzt auch ein Mal im Kino! Foto: Stuttgarter Ballett

Und obwohl Onegin der lieblichen Tatjana auf einem tänzerisch kunstvoll gestalteten Spaziergang mit seinen Ausführungen zur Weltordnung so richtig den Kopf verdreht, fühlt er sich für ihren Liebeskummer nicht zuständig. Ihren Brief gibt er ihr auf nachgerade brutale Weise zerstückelt zurück – und stürzt sie in tiefstes Unglück.

Zehn Jahre später sehen sich die beiden unerwartet wieder. Tatjana ist mittlerweile glücklich verheiratet, mit einem Fürsten, der ihr jeden Tag aufs Neue seine Liebe zeigt. Und plötzlich findet Onegin die einst von ihm Verschmähte höchst anziehend. Mehr noch: Er verliebt sich Knall auf Fall in die nunmehr souveräne Adlige – und er reagiert mit Eifersucht und Leidenschaft, als er ihr Lebensglück bemerkt.

Onegin verschafft sich Zutritt zu Tatjana unter vier Augen. Der Pas de deux, der dann stattfindet, ist Ballettgeschichte, ist einer der schönsten und raffiniertesten, die es gibt: Mit all seinen Tricks und all seiner Ehrlichkeit versucht Onegin, Tatjana zu verführen… er hebt sie in den siebenten Himmel, er legt sie liebevoll flach, er entreißt sie schwungvoll allen Grübeleien und küsst ihre Schultern voller Begierde.

Die Spannung in diesem Paartanz ist schier überwältigend. Wird sie ihn erhören? Wird Tatjana ihr gesichertes Glück für die große Liebe ihres Lebens – und das blieb unabänderlich Onegin – aufgeben?

Onegin von John Cranko kommt erstmals ins Kino

Erst, als Tatjana eine verheiratete Frau ist, beginnt Onegin, sie auch zu lieben… Alicia Amatriain und Friedemann Vogel in ihren Paraderollen. Einmalig jetzt im Kino! Foto: Stuttgarter Ballett

Im Ballett hat sie – anders als im 1833 erschienenen Versroman von Alexander Puschkin, der die Literarvorlage bildet – keine Kinder. Aber als Frau im 19. Jahrhundert ist Tatjana sozial von ihrem Gatten abhängig. Spielt das eine Rolle bei ihrer Entscheidung? Oder siegt die Sehnsucht in ihr, das Glück von einer ganz anderen Seite kennenzulernen?

Und dann ist da die Entwicklung, die Onegin durchmacht – was brachte ihn dazu, sein unstetes Leben als unbefriedigend zu empfinden, um in Tatjana plötzlich alle Qualitäten und Tugenden zu erkennen, die ihm den inneren Frieden geben könnten? Der bequeme Dandy, der hier auch ein Stück weit Playboy ist, mutiert zum glühenden Verehrer einer verheirateten Frau.

John Cranko war vom emotionalen Konflikt der Tatjana und natürlich auch von der Wandlung Onegins fasziniert. 1967 brachte er seine zweite, überarbeitete Version seines zwei Jahre zuvor erstmals vorgestellten „Onegin“ mit dem Stuttgarter Ballett heraus – und er sorgte mit der Zweitversion dafür, dass die Weltgeschichte des Handlungsballetts neu geschrieben werden musste.

Denn mit „Onegin“ stand fest, dass die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts auch in Westeuropa keineswegs nur mit der Schöpfung von abstrakten oder sinfonischen Themenballetten punkten konnte.

Onegin von John Cranko kommt erstmals ins Kino

Werden sie jemals eine gemeinsame Zukunft haben? Man bangt um Tatjana (Alicia Amatriain) und Onegin (Friedemann Vogel)… Und nur am 23. September 2018 sind sie in „Onegin“ von John Cranko in ausgewählten Kinos in Deutschland zu sehen. Foto: Stuttgarter Ballett

Vielmehr ergab sich mit „Onegin“ eine neue Blüte, ein Höhepunkt des abendfüllenden Handlungsballetts, wie man es sich zuvor kaum hatte vorstellen können. Mittlerweile gibt es weltweit wohl keine Ballettomanin und keinen Ballettomanen, die oder der „Onegin“ nicht ebenso liebt wie „Schwanensee“.

Neben den ergreifenden Szenen des Liebespaares im Zentrum der Geschichte gibt es zudem mit der heiteren Olga, der Schwester Tatjanas, und ihrem melancholisch-verträumten Verlobten Lenski ein zweites tragisches Liebespaar. Hier sind es allerdings der Jähzorn und der Stolz und auch die Eifersucht des Mannes, die ihn zu einem Duell mit Onegin und somit in den Tod treiben. Auch dieses Liebeskonzept von unkomplizierter Glückseligkeit, das Olga und Lenski verkörpern, geht also fehl.

Die Sehnsucht nach Liebe tanzt indes in jeder Szene von „Onegin“ weiterhin mit.

Als roter Faden ziehen sich entzückende Ensembleszenen durch das Stück. Da wird mit eleganter Folklore – und zwar von griechischen Tänzen inspiriert – das kollektive Jugendgefühl illustriert. Auf den Bällen tanzen dann verschiedene Generationen und Stände so ausgelassen miteinander, als gelte es, das Paradies zu feiern. Und wie zum Beweis dessen reißen die seriellen Spagatsprünge der Damen an den Armen ihrer Herren en diagonale regelmäßig zu Begeisterungsstümen hin – so etwas gab es nämlich vorher im Ballett noch nie: nicht etwa die Hauptcharaktere, sondern das Corps de ballet vollführt großartig angelegte, exzellente Grand jetés (Spagatsprünge).

Was für eine Demokratisierung der noblen Tanzkunst!

Onegin von John Cranko kommt erstmals ins Kino

Am Ende lieben sie sich… aber die Umstände sind gegen sie… Fällt Tatjana die richtige Entscheidung? „Onegin“, das Jahrhundertballett von John Cranko, hält bis zum Schluss in faszinierender Spannung. Jetzt erstmals im Kino – aber nur am 23. September 2018! Tickets darum bitte rechtzeitig sichern! Foto: Stuttgarter Ballett

Dass in der im Kino zu sehenden Besetzung nun ausgerechnet Marcia Haydée, einstmals die umjubelte Tatjana der ersten Stunde, in der Rolle der Amme von Tatjana zu sehen ist, erhöht den Genuss insbesondere für Kenner. Und es soll Menschen geben, die sogar nur dafür in diese Vorstellung gehen!

Dabei begeistern Alicia Amatriain und Friedemann Vogel, Elisa Badenes und David Moore als Tatjana, Onegin, Olga und Lenski in der Originalausstattung von Jürgen Rose, die einerseits romantisch, andererseits aber auch höchst ballettwirksam ist.

Und Jason Reilly als Fürst Gremin, Tatjanas liebender Ehemann, verleiht der Besetzung eine weitere besondere Note, denn er tanzte auch schon – darin stürmisch gefeiert – die Titelfigur. Reilly kennt das Stück also besonders gut und hat sich rollentechnisch vom coolen Onegin zum braven Gatten entwickelt. Der „Rote Pas de deux“, den er mit Tatjana tanzt, ist denn auch eine wahre Delikatesse.

Die schwelgerische Musik hingegen, die Kurt-Heinz Stolze aus verschiedenen sinfonischen Tschaikowsky-Werken schmiedete, war schon immer auch nur für sich ein interessantes Kontinuum. Die ohnehin lockend-furiosen Klänge wurden von Stolze speziell für das Cranko-Ballett „frisiert“, also bearbeitet.

Tschaikowsky hoch zehn“ könnte man das Ergebnis nennen…

Onegin von John Cranko kommt erstmals ins Kino

Friedemann Vogel in der typischen „Onegin“-Pose: Weltschmerz und Sehnsucht  quälen den Dandy… So erstmals auch im Kino und dann in Großaufnahme zu sehen – aber nur am 23. September 2018! Foto: Stuttgarter Ballett

Und all die feinen oder auch exaltierten Tanzszenen, die das Stück zu bieten hat, sind von dem mit Ballettaufzeichnungen bereits hoch profilierten Regisseur Michael Beyer mit viel Sinn fürs Detail ins Blickfeld gesetzt.

Solche Nahaufnahmen gab es von „Onegin“ noch nie!

Da wirkt die Geste, die Onegins Zweifel an der Welt symbolisiert und in der er den rechten Handrücken auf die Stirn legt, gleich nochmal so tiefsinnig!

Auch die Pas de deux, die Onegin mit Tatjana tanzt, sind uns scheinbar ganz nah, wenn die Kamera den beiden mit dem Zoom folgt. Jede Hebung, jede geführte Arabesque, jeder Spagatsprung erschließen sich in Großaufnahme doch noch ganz anders als etwa über die Distanz eines Orchestergrabens.

Das Schauspielerische erhält sogar ganz neue Möglichkeiten durch das Medium Film: Wir blicken intim, wie beim Spielfilm, in die Gesichter der Protagonisten. Lust und Schmerz, Liebe und Angst, Hoffnung und Entschlossenheit sehen wir darin.

Und sollte es jemanden geben, der zwar das Tanzen oder auch die Musiken von Peter I. Tschaikowsky liebt, den „Onegin“ aber noch nie gesehen hat, so sollte sich dieser Jemand unverzüglich sein Ticket für den 23. September 2018 sichern. Denn eine so gute Gelegenheit, das Stück und seinen Zauber auf außergewöhnliche Weise kennenzulernen, kommt so schnell nicht nochmal.

Onegin von John Cranko kommt erstmals ins Kino

Hier tanzt die Sehnsucht mit: Alicia Amatriain als Tatjana und Friedemann Vogel als Titelheld in „Onegin“ im Schluss-Pas-de-deux. Welch eine Augenweide – und nur am 23. September 2018 im Kino zu sehen. Ein Hochgenuss! Foto: Stuttgarter Ballett

Beinahe hätte übrigens ausgerechnet das ballettaffine München keinerlei Möglichkeit gefunden, den so beliebten wie bedeutenden „Onegin“ im Kino zu zeigen.

Sozusagen in der letzten Sekunde fasste sich Elisabeth Kuonen-Reich vom schönen und modern ausgestatteten  Rio Filmpalast in der Rosenheimer Straße in München ein Herz. Ballett, das darf man nicht vergessen, ist ja immer ein Wagnis für Kinobetreibende, denn einen Massenansturm muss man eher selten befürchten. Kuonen-Reich, die in dritter Generation Kino-Chefin ist, hat indes einen Slogan für ihr Unternehmen, der aus ballettöser Sicht am 23. September 2018 ganz besonders viel Sinn macht: „Kino, wie es sein soll!“

Nur die Ballettmetropole Hamburg machte hier zunächst keine gute Figur: Kein Kino fand den Mut, diese einmalige Sache zu zeigen. Aber nach einem Aufruf vom Ballett-Journal tat sich was – und jetzt steht fest, dass die Passage in der  Mönckebergstraße das Kino-Ballett-Event mit den Stuttgarter Stars zeigen wird. Prima.

Und weil die Uhrzeiten an „Onegin“s Sonntag nicht nur von Stadt zu Stadt, sondern auch von Kino zu Kino unterschiedlich sind, lohnt es sich auch wirklich, die Eintrittskarten schon im Vorverkauf zu erwerben – sonst verpasst man womöglich etwas, das vielleicht als absolute Lieblingskinovorstellung in die persönlichen Annalen eingehen wird.

Ein Dankeschön also an alle beteiligten Kinos: Onegin, wir kommen!
Gisela Sonnenburg

www.ballett-im-kino.de 

P.S. Die Stuttgarter Kinothek zeigt das gute Stück übrigens sogar einige Tage lang! 

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