Man kann Fernsehen mögen oder nicht – um sich einen Einblick in ein ganz bestimmtes Thema zu verschaffen, ist es unersetzlich. Ein gut gemachtes Feature ist informativer als zehn Bücher, und gerade im Tanz hat das neue Medium den nicht zu übersehenden Vorteil, durch geschickte Aufzeichnungen glaubhafte Abbildungen anzuliefern. 3sat widmet nun den kommenden Samstag, 1. September 2018, einer ballettösen Luxustruppe, die aus dem internationalen Kulturbetrieb nicht mehr wegzudenken ist: Les Ballets de Monte Carlo, von Prinzessin Caroline höchstselbst gegründet, werden zunächst ab 19.20 Uhr in einer Doku portraitiert – und tanzen dann, um 20.15 Uhr, in zwei zeitgenössischen Stücken auf. Das tiefgründig-tragisch grundierte Stück „White Darkness“ von Nacho Duato ist vom Staatsballett Berlin, wo der Spanier bis vor kurzem Ballettintendant war, her gut bekannt – und die Uraufführung von „The Lavender Follies“ des Dresdner Ballerinos Joseph Hernandez vom Semperoper Ballett setzt dann Leichtigkeit und Showtime-Effekte dagegen. Also ab auf die Fernseh-Couch!
Wer „White Darkness“ einmal gesehen hat, wird es nicht vergessen:
Nacho Duato kreierte das Stück nach dem erschütternden Drogentod seiner Schwester. Die seelischen Nöte einer Süchtigen sind hier der Ausgangspunkt. Es geht dabei aber nicht nur um den Untergang durch tödlichen Konsum. Thematisiert werden – in sehr ästhetischer Weise – auch die Versuche von Menschen, einander zu retten, miteinander statt gegeneinander zu leben, in Beziehungen zu treten. Vielschichtig und melancholisch, zieht einen die „weiße Dunkelheit“ in ihren Sog. Bitte nicht verpassen!
Joseph Hernandez, aus den USA stammend und in der School of American Ballet ausgebildet, aktuell Tänzer beim Semperoper Ballett in Dresden und früher Mitglied der Ballets de Monte Carlo, will dann aufmuntern – und zwar, indem er mit viel Swing zum urtheatralen Element des Bühnentanzes zurückkommt.
„The Lavender Follies“ duften denn auch nach Glück und Showbiz, nach keck hochgeworfenen Beinen und feist geschwungenen Hüften. Der Broadway und das Cabaret werden hier fröhlich in einer Hommage befeiert – solche Gegensätze wie dieses Stück und die vorher gezeigte „White Darkness“ in ein Programm zu zwingen, erfordert Mut und Sachkenntnis.
Beides hat Jean-Christophe Maillot, der seit 1993 Ballettdirektor und Chefchoreograf der von Caroline von Monaco aufgebauten Luxus-Truppe Les Ballets de Monte Carlo ist. Der Titel seines Ensembles, das in Erinnerung an Gracia Patricia von ihrer Tochter Caroline gegründet wurde, soll an die legendären Ballets Russes erinnern, die viele Jahre ihr Winterquartier in Monaco hatten.
Maillots Tänzer tanzen bevorzugt dessen eigene Kreationen, sind aber auch in allen gängigen Stilen des zeitgenössischen Balletts bewandert.
Man spielt nämlich gern mit im internationalen Roulette des Balletts – und Monaco tanzt da ganz weit vorn. Auch die Ausbildungsstätte in Monte-Carlo, die Académie de Princesse Grace, hat einen ausgezeichneten Ruf und bringt vielseitige, kreativästhetische Ballerinen und Ballerinos hervor.
In den 80er Jahren wirkte übrigens Kevin Haigen, heute Erster Ballettmeister beim Hamburg Ballett unter John Neumeier, in Personalunion als Étoile, Ballettmeister und Choreograf in Monte-Carlo. So etwas gibt es heute kaum noch: Dass jemand als aktiver Ballerino – und zwar als Starsolist – gleichzeitig auch als Ballettmeister und Choreograf arbeitet. Aber die Wurzeln der Ballettgeschichte sind von solchen Multitalenten geprägt worden – die einseitige Ausformung von Begabungen ist eine Erfindung der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Der jetzige Chef vom Ballett in Monte-Carlo hat aber auch eine Vergangenheit als Tänzer – und auch eine Verbindung nach Hamburg: Bis 1983, als ein Knie-Unfall seine Tänzerkarriere beendete, brillierte der gebürtige Franzose Jean-Christophe Maillot bei John Neumeier im heutigen Hamburg Ballett als Solist. Er leitete dann erst in Frankreich ein kleineres Ballettensemble, um 1986 nach Monaco zu wechseln.
Als Choreograf hat Maillot mittlerweile auch am Bolschoi Theater in Moskau gearbeitet, und seine Arbeit beim Staatsballett Berlin fand ebenfalls viel Anklang.
Seine arrivierten Tänzer Matej Urban (bekannt als jahrelanges Mitglied beim Bayerischen Staatsballett in München) und Alessandra Tognoloni (die zuvor beim Stuttgarter Ballett tanzte) erklären in dem Feature auf 3sat zudem ihren Alltag als Profi-Ballettkünstler in dem als Steueroase für Superreiche bekannten, luxuriösen Mini-Staat Monaco.
Für alle Fans vom Hamburg Ballett noch ein Schmankerl: Auch Lennart Radtke, der jahrelang als Aufsteiger in der Neumeier-Truppe galt, tanzt jetzt in Monaco!
Man darf also sehr gespannt sein auf diese Doku mit dem klingenden Namen „Tanz – Hotspot Monaco“ von Birgit Lorbeer und Elke Schwenck.
Danach geht es dann ans Eingemachte: Dann zeigen Les Ballets de Monte Carlo, wie sie die tänzerische Handschrift von Nacho Duato interpretieren und wie ihnen die neue Arbeit von Joseph Hernandez zu Gesicht steht. Wir erhoffen uns viel Gutes.
P.S. Rückwirkend musste man dann dennoch auch Enttäuschung feststellen. Die Doku „Tanz – Hotspot Monaco“ war zwar mitreißend und sehr ergiebig, zumal Jean-Christophe Maillot darin sein Konzept von Kunst wie auch seine Abhängigkeit von der ballettaffinen Prinzessin Caroline in humorigen, auch blumigen Worten erklärte.
Aber die Aufführungsaufzeichnungen waren dann kaum die Sendezeit wert. Andreas Morell, der hier nach längerer Abstinenz mal wieder eine Ballettbildregie übernommen hatte, ließ sich nicht genügend auf die Stücke ein. Ziemlich lieblos wurden die Kamera draufgehalten, und auch raffinierte Vogelperspektiven brachten einem die Choreos nicht näher, im Gegenteil: Die Bildproportionen wirkten häufig zufällig und unästhetisch.
Großaufnahmen der Gesichter oder einzelner, szenisch prägnanter Körperteile gab es gleich gar nicht. Dabei ist Nacho Duatos Tanzkunst an sich wie dafür gemacht!
„White Darkness“, ohnehin auch im Theater schon teils an viel Dunkelheit leidend, wirkte auf dem Bildschirm zudem endgültig zu dunkel. Hier hätte man Licht dazu geben müssen, wie es Wim Wenders in seinen Abfilmungen der Arbeit von Pina Bausch getan hat.
Streckenweise war von Duatos Tanz aber kaum was zu erkennen – einen avantgardistischen Effekt hatte das nicht, nur den von schlecht gemacht. Nur die Schlussszene mit dem übermächtigen Wasserfall aus weißem Pulver, in dem die Hauptprotagonistin (Anna Blackwell) erstirbt, war genügend ausgeleuchtet und kam ergreifend über die Monitorschranke.
Der Nachwuchschoreograf Joseph Hernandez entpuppte sich dann sogar als Heuchler. „The Lavender Follies“ ist nämlich keineswegs eine Hommage ans Cabaret, sondern eine satirische Abrechnung mit dem Showbiz. Wäre die nun intelligenter gemacht gewesen, wäre das ja prima gewesen. Aber Wort- und Tanzbeiträge erschöpften sich in einer beliebig-bunten Collage, deren Einzelszenen nur wenig geistreich waren und miteinander in keiner Verbindung standen.
Immerhin hatte das Finale Schwung, und Lennart Radtke schaffte es, mit seinem Solo im weißen Laborkittel auf anmutige Weise die Technokratisierung unserer Welt ins Zentrum zu rücken. Für diese wenigen Minuten lohnte es sich, eingeschaltet zu haben.
Noch besser aber wäre es gewesen, ein abendfüllendes Stück von Maillot zu senden – zumal das zum Portrait der Truppe dann auch exzellent gepasst hätte.
Gisela Sonnenburg