Brasilianisch-russische Eröffnung Beim Staatsballett Berlin gibt es mit vier aufeinander folgenden Aufführungen ein „Giselle“-Mini-Festival. Viktorina Kapitonova und Denis Vieira eröffnen es.

"Giselle" ist immer wieder sehenswert.

Viktorina Kapitonova tanzt hier im ersten Akt die „Giselle“ – leichtfüßig, anmutig, unbekümmert. Foto vom Ballett Zürich: Gregory Batardon

Sie hat eine entzückende Anmut, es ist eine „Naturanmut“, möchte man sagen, und wenn Viktorina Kapitonova über die Bühne läuft, dann ist es, als wäre sie ein Wesen von einem anderen Stern. Schwebt sie oder hat sie noch Bodenhaftung? Fast weiß man es nicht, denn ihre schnell voran gesetzten Schritte könnten auch ein In-der-Luft- oder ein Auf-Luft-Gehen sein. Die 30-Jährige hat mit ihrer solchermaßen flirrenden Präsenz auf der Bühne schon viele bezaubert, ob in klassischen Rollen wie in Alexei Ratmanskys Rekonstruktion vom „Schwanensee“ oder als Titelheldin in Christian Spucks „Anna Karenina“. In Zürich ist die gebürtige Russin, die an der Bolschoi Akademie in Moskau lernte, schon längst ein Star. Jetzt tanzt sie als „Giselle“ beim Staatsballett Berlin, zusammen mit dem Brasilianer Denis Vieira, der seinen Part als Albrecht in Patrice Barts „Giselle“-Version ebenfalls von seiner aktuellen Compagnie, dem Ballett Zürich, kennt.

Am 3. März 2016 treten die beiden Wahl-Schweizer erstmals gemeinsam in Berlin auf. Viktorina kennt die Stadt und das Berliner Staatsballett von einigen Proben für Gala-Auftritte, die mit dem sprungstarken Ersten Solisten Dinu Tamazlacaru in Übersee bestritt. Er wird das „Giselle“-Mini-Festival am 6. März übrigens beenden, zusammen mit der kindhaft-niedlichen Berliner Primaballerina Iana Salenko in der Titelrolle. Dazwischen wird am 4. März eine Vorstellung mit der grandiosen Polina Semionova und dem ausdrucksstarken Alexander Jones liegen. Polina war früher Mitglied vom Staatsballett Berlin und ist jetzt häufig als Gaststar an der Spree. Alexander hingegen tanzte früher beim Stuttgarter Ballett die großen Rollen, gehört aber jetzt zum Ballett Zürich, seit dieses vom ehemaligen Stuttgarter Hauschoreografen Christian Spuck geleitet wird. Alsdann erfolgt am 5. März mit der superben Maria Eichwald, die ebenfalls früher beim Stuttgarter Ballett tanzte und heute als Freiberuflerin erfolgreich ist, und mit Mikhail Kaniskin aus Berlin als ihrem Albrecht ein weiteres glamouröses Paar. Texte zu all diesen „Giselle“-Besetzungen sehen Sie bitte mit den Links unten im Abspann.

Beim Staatsballett Berlin gibt es mit vier aufeinander folgenden Aufführungen ein „Giselle“-Mini-Festival. Viktorina Kapitonova und Denis Vieira eröffnen es.

Sie treffen sich im Wald, da ist „Giselle“. die wegen Albrecht starb, schon ein Geist: Viktorina Kapitonova und Denis Vieire in poetischer Aktion. Foto: Gregory Batardon

Aber so bekannt Polina, Iana und auch Maria – die als Gast bereits im letzten Jahr in Berlin die „Giselle“ tanzte – beim Staatsballett Berlin auch sind, so aufregend wird wahrscheinlich die Begegnung mit Viktorina Kapitonova. Sie kommt dann direkt aus Zürich, wo sie am Abend zuvor noch in der Doppelrolle Odette / Odile im „Schwanensee“ zu brillieren hat. Denn die Kollegin, die ursprünglich als Odette / Odile an dem Abend vorgesehen war, ist wegen einer Erkrankung nicht einsatzfähig. Es wird ein Kraftakt für sich sein, dass Viktorina keinen Ruhetag zwischen den Auftritten nebst Reise und Proben hat – und zudem von der sehr klassischen Partie in Zürich dann auf die romantische der Giselle in Berlin „umschalten“ muss. Aber Top-Profis sind derlei ja schon fast gewöhnt, und es ist allgemein die Frage, ob man bei den  Leistungsstandards im Ballett die Schraube nicht international besser wieder etwas zurückdrehen sollte. Das beträfe natürlich auch die Debatte um stetig steigende technische Anforderungen mit körperlicher und nicht künstlerischer Eignung als Voraussetzung für den Beruf. Aber das ist ein weites Feld, und hier geht es erstmal um die Berliner Gast-Giselle aus der Schweiz.

Die Inszenierung des Stücks durch Patrice Bart kennt Viktorina Kapitonova aus Zürich, Bart hat auch selbst mit ihr gearbeitet – und, wie sie es sagt, ihr geholfen, ihre ureigene Giselle in sich zu entdecken.

Außerdem tanzte sie auch schon die Rolle der Myrtha, also der eiskalten Gegenspielerin der liebenden Giselle im zweiten Akt. Myrtha, ein „Cool Killer“, wie Patrice Bart sie nennt, kennt keine Vergebung, sie ist hart und unbeugsam – und rachelüstern. „Giselle hingegen“, sagt Viktorina, „hat eine ganz andere Energie. Wenn ich anfange, sie zu tanzen, dann mit einer positiven, liebenden Energie.“

Und: „Ich mag es, dass sie ein so unbekümmerter Mensch ist. Sie liebt es zu tanzen, und sie ist freundlich zu jedermann.“ Natürlich würde sie es gut finden, meint die Primaballerina aus Zürich, wenn solche Züge auch in ihrem eigenen Charakter zu finden seien. Dank Patrice Bart hat sie zudem das sichere Gefühl, dass auch die dramatisch-traurigen sowie die Wahnsinns-Szene sehr natürlich bei ihr wirken.

Beim Staatsballett Berlin gibt es mit vier aufeinander folgenden Aufführungen ein „Giselle“-Mini-Festival. Viktorina Kapitonova und Denis Vieira eröffnen es.

Diese berühmte Pose aus „Giselle“ interpretiert jedes Paar ein wenig anders. Viktorina Kapitonova und Denis Vieira vom Zürich Ballett machen klar: Sie weiß, dass das gemeinsame Tanzglück nicht von Dauer sein wird, während er genau darauf hofft. Foto: Gregory Batardon

Dass sie die „Giselle“ auch schon mit Roberto Bolle tanzte, macht sie zusätzlich stolz. Und obwohl sie legendäre Darstellungen der Titelrolle wie die von Natalia Makarova und von Svetlana Zakharova kennt und verehrt, legt sie doch Wert darauf, ihre „eigene Seele“ in die Interpretation zu legen.

Ihren brasilianischen Partner Denis Vieira, der seine Karriere in Rio de Janeiro begann, kennt sie als Albrecht, seit sie begann, die „Giselle“ einzustudieren. Viktorina beschreibt ihn als vertrauensvolle Person, der einen Liebhaber auf seine Art glaubhaft darzustellen weiß. „Er ist ein sehr angenehmer Partner“, schwärmt sie und betont, dass sie es genießt, mit ihm zu arbeiten.

Und sie beschließt das Interview mit mir mit einer Referenz an die deutsche Hauptstadt: „Ich hoffe, dass Berlin meine Vorführung gefällt, ich freue mich nämlich sehr darauf, für diese aufregende Stadt zu tanzen.“
Gisela Sonnenburg

Und hier erfahren Sie bitte mehr über Maria Eichwald als „Giselle“:

www.ballett-journal.de/?s=maria+eichwald+giselle+kaniskin

Hier mehr über Dinu Tamazlacaru und Iana Salenko in „Giselle“:

www.ballett-journal.de/?s=dinu+tamazlacaru+reiter

Hier mehr über Polina Semionova in „Giselle“:

www.ballett-journal.de/?s=polinas+triumph+

Hier außerdem alles über Patrice Bart und seine „Giselle“:

www.ballett-journal.de/staatsballett-berlin-giselle-patrice-bart/

Und hier ein Interview mit Alexander Jones, zwar nicht über „Giselle“, aber zu „Onegin“:

www.ballett-journal.de/ein-taenzer-sollte-nie-aufhoeren-zu-experimentieren/

Und was übers Finale vom „Giselle“-Mini-Festival:

www.ballett-journal.de/staatsballett-berlin-giselle-salenko-tamazlacaru/

www.staatsballett-berlin.de

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