Träume über Träume Zart und lustig: „Ein Sommernachtstraum“ beim Staatsballett Berlin, soeben von Edward Clug kreiert, besticht auch mit famoser Musik von Milko Lazar

"Ein Sommernachtstraum" von Edward Clug beim Staatsballett Berlin

Titania (Weronika Frodyma) und Oberon (Cohen Aitchison-Dugas) in Aktion: Um ihre komplizierte Ehe geht es auch im „Sommernachtstraum“ von Edward Clug beim Staatsballett Berlin. Foto: Yan Revazov

Liebeszauber und Elfentanz, Geschlechterkampf und Satire: Kaum eine andere Bühnenwelt eint so viele verschiedene, allesamt effektvolle Aspekte in sich wie Shakespeares Theaterstück „Ein Sommernachtstraum“. Seit 1600 ist das Werk darum unersetzlich auf allen Brettern, die die Welt bedeuten. Doch es ist mutig, das Stück jetzt neu als Ballett zu machen. Gibt es doch bereits mit den beiden Meisterwerken von John Neumeier („Ein Sommernachtstraum“, 1977, mit entzückenden Kostümen von Jürgen Rose) und von Alexander Ekman („Ein Mittsommernachtstraum“, 2015, mit einer Tanz-Orgie im Heu) gleich  zwei sehr unterschiedliche, aber zu Recht international bejubelte, abendfüllende Fassungen von lebenden Choreografen. Von Frederick Ashton und George Balanchine gibt es sowieso historisch bedeutsame, neckische Kurzfassungen, die regelmäßig international zu sehen sind. Auch musikalisch gibt es mit der romantischen Ouvertüre und Schauspielmusik von Felix Mendelssohn Bartholdy eine Steilvorlage. Edward Clug, erfahrener Choreograf mit eigenem Ensemble in Maribor in Slowenien und demnächst Artist in residence beim Ballett Dortmund, hat sich dennoch jenseits dieser Vorarbeiten das Thema „Sommernachtstraum“ ausgesucht. Der von ihm gewählte Milko Lazar, zwischen Klassik und Jazz changierender Komponist aus Slowenien, der somit schon zum 23. Mal für Clug Ballettmusik schrieb, zog bestens mit. Gemeinsam präsentiert das bewährte Duo nun beim Staatsballett Berlin(SBB) eine eher lyrische als dramatische Version von Shakespeares Stück, prall gefüllt mit poetisch-surrealen Einfällen. Die Uraufführung gestern in der Deutschen Oper Berlin war ein voller Erfolg: mit Szenenapplaus, Bravos und Standing ovations.

Das Berliner Tanzpublikum ist glücklich, endlich mal wieder richtig sanft träumen zu dürfen.

Allen voran begeistert Leroy Mokgatle als Puck. Natürlich heimst Leroy, die als Mann geboren wurde, zurzeit aber als Frau tanzt, als erotisch verwirrender Luftgeist am meisten Applaus ein. Wohl verdient! Lasziv, akrobatisch-elegant und mit schelmisch-sinnlichem Charakter bringt diese bildschöne Elfe viel Stimmung auf die Bühne. Edward Clug ließ sich aber auch Soli mit viel Raffinesse und Drive für die äußerst beliebte Theaterfigur einfallen – und schickt sie mal in unauffälligen Schläppchen, mal in hautfarbenen Spitzenschuhen in die Feerie.

"Ein Sommernachtstraum" von Edward Clug beim Staatsballett Berlin

Ein Ausbund an Sinnlichkeit: Leroy Mokgatle als Puck in Edward Clug „Ein Sommernachtstraum“ beim Staatsballett Berlin. Foto: Yan Revazov

Pucks Heimat ist die Elfenwelt, in der Titania und Oberon als Königspaar herrschen und die von geheimnisvollen Naturwesen bevölkert wird. Endlich kommen da mal wieder mehr als 20 Tänzerinnen und Tänzer vom SBB zum Einsatz. 38 Tanzende verkörpern hier die Feenwelt, jeweils vier davon sind Titania (verführerisch: Weronika Frodyma) und Oberon (souverän-männlich: Cohen Aitchison-Dugas) persönlich zugordnet.

Sie tragen Namen wie „Senfsamen“ und „Hirschkäfer“, was auch ihre Kostüme erklärt.

Das Corps de ballet fasziniert hingegen mit großen Blättern als Handschuhersatz und rot gefärbten Unterschenkeln in Ergänzung zum grün-in-grünen Trikot. Die Gesichter der Ensemble-Elfen sind von Textil überzogen, sodass man weiß: Der Sexus, für den sie stehen, bezeichnet keine Individuen, sondern Körper mit Triebleben.

Der Eindruck, den sie als Ganzes machen, ist von überwältigender Schönheit. Es ist, als lebe der Dschungel, der sich im Bühnenbild hinter einer geöffneten Tür oberhalb des Lava-Felsens wie eine 3-D-Installation verbirgt.

Und wenn das Elfen-Ensemble von der Mitte der Bühne nach vorn kommt, um wie eine Revue-Truppe auf der Brüstung zum Orchestergraben zu posieren, wähnt man sich in einer ebenso modern-attraktiven wie surrealen Feenwelt, sodass man sich wünscht, sie nie wieder verlassen zu müssen.

Die Zauberwelt als Ort der Utopie, in der jede und jeder ihren oder seinen Platz hat, glücklich und zufrieden und im Einklang mit der Umgebung lebt…

"Ein Sommernachtstraum" von Edward Clug beim Staatsballett Berlin

Das Elfen-Ensemble in „Ein Sommernachtstraum“ von Edward Clug, hier von hinten zu sehen, ähnelt von vorn pflanzenartigen Lebewesen – und im Vordergrund zanken Titania und Oberon. Foto vom Staatsballett Berlin: Yan Revazov

Zu Beginn jedoch sind wir an einem ganz profanen Strand, in der Nähe von Athen, und der fahrbare Lava-Felsen (Bühne: Marko Japelj) ist das Sinnbild für hierarchische Höhe in der Gesellschaft.

Einige Übertitel auf Englisch (etwa „A beach“, später ein paar allerdings lapidar ausgewählte Shakespeare-Zitate) sollen dem touristischen Publikum in Berlin, das zahlreich ist, aber vielleicht auch eher ungeübt darin, die Bildersprache des Theaters zu verstehen, helfen, mit der Handlung mitzukommen.

Aber tatsächlich fehlt etwas von jenem gold-warmen Farbton vom Werbebild für die Aufführung. Die Sinnlichkeit einer Strandsituation wäre damit klar gewesen. Lichtdesigner Tomaz Premzl hätte dafür noch ein paar Lux drauflegen können.  Der Lichtschimmer von einem rotgoldenen Sonnenuntergang etwa würde vorzüglich zur ersten Szene passen. Das wäre der angemessene Auftakt.

Denn danach steigert sich der Abend kontinuierlich.

Leroy Mokgatle vom Staatsballett Berlin im sinnlichen Werbebild für „Ein Sommernachtstraum“ von Edward Clug. Foto: Caroline Mackintosh / Staatsballett Berlin

Die Bevölkerung von Athen genießt das Leben. Barfuß tänzeln einige Untertanen von Theseus, dem irdischen Gegenstück zu Oberon, heran.

Theseus ist Herzog von Athen und offenkundig der gut gerüstete Chef einer Neureichen-Clique. Auf einem rollenden Surfbrett demonstriert er seine Sportlichkeit und legt seine Verlobte Hippolyta dort auch mal flach, um sie dann als liegende Surfbrett-Schönheit über die Bühne zu ziehen.

Der Bühnenhintergrund ist einheitlich graugrün ausgekleidet – die Natur befindet sich hier offenbar im Gleichgewicht mit sich selbst.

Es sind freundliche, ästhetische Bilder, die Edward Clug entwirft, um uns ein zeitgenössisches, nichtsdestotrotz idealisiertes Athen zu zeigen. Es scheint eine Welt der Schönen, Reichen und Glücklichen zu sein – und dennoch kann man sich einfühlen.

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Unterstützt wird der Choreograf dabei von der Musik von Milko Lazar. Sie ist wirklich eine Sensation: Zimbeln und gezupfte Bässe bilden mit den Streichern einen prägnanten Klangteppich, der den Appeal von Minimal Music hat.

Steve Reich und Philip Glass lassen grüßen. Dann und wann verstärkt sich aber  der stimmungsvolle Rhythmus zu einer großen musikalischen Welle, die alsdann entweder abflaut und sich neu formiert – oder auch in eine ganz neue Soundwolke umschlägt. Zumeist bleibt der Sound in der Gesamtwirkung cineastisch.

Wenn es tief in den Elfenwald hineingeht, ertönen Trommeln und Urwaldgeräusche mit Kokosnuss-Swing. Ab und an wird Györgi Ligeti zitiert, dessen abstrakt brummende Orgelklänge die Elfenwelt im Ballett von John Neumeier akustisch grundieren.

Gelegentlich muss lautstarkes Grillenzirpen als akustische Begleitung des Tanzes genügen – das funktioniert.

Und wann immer Oberon und Puck miteinander die aktuelle Lage besprechen, hören wir bei Clug synthetisches Geblubbere vom Band, was vorzüglich zu den sonstigen Schallwellen der Komposition passt.

Entbehrlich ist lediglich, dass es relativ viele Passagen gibt, in denen die Musik ganz schweigt. In die Stille hinein wird dann von den Tänzern lautmalerisch gesprochen oder auch ohne akustische Ergänzung agiert. Man bedauert jedoch jede Sekunde, in der es keine der köstlichen Klänge von Lazar zu hören gibt.

Victorien Vanoosten dirigiert denn auch mit liebevoll bestimmter Hand das Orchester der Deutschen Oper Berlin, das mal wieder einen hervorragenden Eindruck macht. Es ist ja wahrscheinlich das am meisten unterschätzte Orchester in der westlichen Hemisphäre. Wenn man weiß, dass viele der Berliner Musikerinnen und Musiker dieses Hauses im Sommer im Bayreuther Festspielhaus Bestleistungen von Weltrang erbringen, ahnt man, dass die hohe Qualität dieses Orchesters kein Zufall ist.

Schade nur, dass die einzelnen Musikerinnen und Musiker nicht aufgeführt sind. Zumindest die Solisten, etwa an der Harfe und Flöte, würde man gern namentlich lobend erwähnen.

"Ein Sommernachtstraum" von Edward Clug beim Staatsballett Berlin

Kalle Wigle als Lysander hat keine Ahnung, was Puck (Leroy Mokgatle) mit ihm macht… so zu sehen im „Sommernachtstraum“ von Edward Clug beim Staatsballett Berlin. Foto: Yan Revazov

Zurück auf die Bühne. Das Personal, das hier von irdischem Bestand ist und einen absurd-komischen Handlungsablauf mit ernsthaftem Hintergrund besorgt, besteht zunächst aus den „vier Liebhabern“, wie man sie in der Theaterwelt nennt.

Es sind die jungen Frauen Hermia und Helena, die Kummer mit der Liebe haben. Denn Helena (stark und fast dominant: Danielle Muir) liebt den Höfling Demetrius (stürmisch: Matthew Knight), der wiederum hinter Hermia (wunderbar leichtfüßig: Riho Sakamoto) her ist. Auch Hermias Vater Egeus (ein Mann wie ein Baum: Alexei Orlenco) will, dass sie Demetrius ehelicht.

Aber Hermia liebt den Edelmann Lysander (delikat lyrisch: Kalle Wigle), und weil im hier vorgestellten Athen für so ungehorsame Töchter eine Strafe (bei Shakespeare ist es sogar die Todesstrafe) vorgesehen ist, plant das Liebespaar seine Flucht.

Helena wiederum erfährt davon und verrät es Demetrius. Weil er um Hermia kämpfen will, folgt er dem verliebten Pärchen in den nächtlichen Wald. Und Helena folgt ihm.

Im Wald aber herrschen nachts die Elfen, die hier gleichzusetzen sind mit Feen. Puck ist dabei der vorwitzige Garant für bunten Trubel, richtet er doch ganz gern mal Chaos und ein Durcheinander an.

Oberon trägt ihm auf, die Sache mit den vier Liebhabern zu ordnen. Der Nektar einer Zauberblüte bewirkt, dass sich eine Person, deren Augen in schlafendem Zustand damit benetzt wurden, beim Aufwachen in das erste Wesen, das sie sieht, verliebt.

Den Nektar zieht Puck sich hier aus den Fußspitzen der Elfen, die im liegenden Zustand die Beine empor recken. Wie so manches an Requisiten bleibt der Zaubersaft hier imaginär. Aber weil die Tänzer auch gute Schauspieler sind, funktioniert das.

"Ein Sommernachtstraum" von Edward Clug beim Staatsballett Berlin

Titania, schlafend, und ihre mal fürsorglichen, mal müden Elfen auf dem Felsen der Macht, der hier ein Lava-Stein ist. Zu sehen in Edward Clugs „Ein Sommernachtstraum“ beim Staatsballett Berlin. Foto: Yan Revazov

Auch Titania, die Gattin des Oberon, soll mit dem Wundermittel verhext werden. Sie, die betont lasziv auftritt, hat sich nämlich mit ihrem Gemahl zerstritten. Es mag um erotische Dinge gehen dabei, irgendwie ist ihr der vernunftbetonte Feengatte im Bett wohl nicht genug – der Lustknabe, um den es bei Shakespeare geht, wurde jedoch aus verständlichen Gründen gestrichen (wie in den meisten modernen Fassungen vom „Sommernachtstraum“, auch schon in Neumeiers Version).

Zänkisch steigert sich Titania beim Pas de deux mit Oberon in eine ablehnende Haltung hinein.

Die Harmonie, die von den Elfen ausgeht, wandelt sich unter dem Eindruck der zerstrittenen Herrschaft in Irritation und Aufruhr. Diese Vorgänge hat Clug mit rein tänzerischen Mitteln fantastisch umgesetzt. Seine Elfenwelt ist quicklebendig und nachvollziehbar in ihren Reaktionen.

Aber es poltert noch eine weitere putzmuntere Truppe auf die Bühne: die Handwerker, die zur fürstlichen Hochzeit in Athen ein Theaterstück aufführen wollen. Wie sie als Laiendarsteller eitel und überzogen eifrig agieren, ist in jeder „Sommernachtstraum“-Aufführung ein ultrakomischer Gewinn. So auch hier.

Im Gänsemarsch stürmen die fünf Tatkräftigen die Bühne sprich den nächtlichen Wald, wo sie in Ruhe und ohne unerwünschte Zuschauer proben wollen. Und sind, gerade in puristischer Gewandung (Kostüme: Leo Kulas), für den Rest des Abends ein Garant bester Unterhaltung.

Hier flicht Clug eine kleine satirische Spitze gegen die Skandalnudel Florentina Holzinger, die kommende Hauschoreografin an der Volksbühne in Berlin, ein. Sie lässt in einem Stück einfach ganz echt auf die Bühne kacken – eine fatale Verwechslung von Kunst und Kot. Clug hingegen lässt einen Handwerker beim Proben erst Bauchweh, dann Diarrhoe haben, indem er dieses nur mit gestischem Spiel markiert. Klappt vorzüglich!

"Ein Sommernachtstraum" von Edward Clug beim Staatsballett Berlin

Die Handwerker unterm Tisch – von Puck genarrt. So zu sehen in „Ein Sommernachtstraum“ von Edward Clug beim Staatsballett Berlin. Foto: Yan Revazov

Sie benutzen ein Gegenstück zum Surfbrett aus der ersten Szene als Requisit für allerhand Slapstick-Komik: einen Massagetisch mit Loch für den Kopf. Diesen Tisch auf Rollen man auch senkrecht aufstellen und dann als Bühnenbild benutzen. Denn das Stück „Pyramus und Thisbe“, das die Handwerker einstudieren, erfordert eine Wand, die zwei Liebende trennt. Nur durch einen Spalt – hier also das Loch – können sie miteinander kommunizieren. Bis es ein tragisches Missverständnis über einen Löwen gibt…

Doch zunächst geht es um noch ganz anderes Getier. Um Titania für ihre Streitsucht zu bestrafen, soll sie sich in einen Esel verlieben, so der Wunsch von Oberon. Der Esel galt in der Renaissance als besonders potentes und gut ausgestattetes Tier.

Der Eselskopf wird von Puck verwaltet – und passt wie eine Maßanfertigung aus der Werkstatt der Feen genau aufs Haupt von Nick Bottom (gekonnt witzig ichbezogen: Ross Martinson). Was für ein szenisches Versprechen!

Nach der Pause wird es eingelöst. Bottom stolpert über Titania, weckt sie solchermaßen, und sie verfällt in tiefe Leidenschaft zu ihm. Seinen Eselskopf durfte er schon vorher auch mal quiekend und röhrend abnehmen, um damit zu spielen und lüsterne Masturbation anzudeuten. Jetzt darf Titania damit spielen.

Die vier Liebhaber verfallen derweil in eine chaotische Konstellation. Durch Pucks angewandten Zauber sind nun beide Jungs hinter Helena her, die sich wiederum davon verspottet fühlt. Hermias Kummer erkennt sie nicht, sondern die beiden jungen Damen bekämpfen sich noch gegenseitig.

Oberon muss im bezaubernd-neckischen Pas de deux mit Puck viel Schelte austeilen.

"Ein Sommernachtstraum" von Edward Clug beim Staatsballett Berlin

Oberon muss mit Puck schimpfen – und ist trotzdem anmutig und ästhetisch anzuschauen in Edward Clugs Inszenierung vom „Sommernachtstraum“ nach Shakespeares Drama mit dem Staatsballett Berlin. Foto: Yan Revazov

Dieses Detail ist von Clug richtig in seiner Zartheit inszeniert: „Ein Sommernachtstraum“ hat zwar auch deftige Einlagen, etwa die Handwerkerszenen, aber insgesamt ist es ein Stück über die Zärtlichkeit.

Free Jazz Elemente, keine Marschrhythmen, führen uns passenderweise durch diese verrückte Nacht. Dass sie ein Traum ist, und zwar der von Hippolyta vor ihrer Hochzeitsnacht, könnte man über die Gegenwärtigkeit des Bühnengeschehens glatt vergessen.

Nebel zieht auf. Endlich. In anderen „Sommernachtsträumen“ ist er ein stilbildendes, wesentliches Element, um den Zauber der Nacht zu illustrieren. Hier kommt er relativ spät. Dafür überrascht uns das Inszenierungsteam mit einem großen, phallischen Stein, der aus dem Schnürboden gelassen wird. Dann steht er da wie ein Baum, der in den Himmel wächst.

Um ihn liegen vier Elfen, die sich langsam erheben. Sie tragen Gurte um die Hüften, an denen sie empor geliftet werden – und siehe, sie schweben im Liegen quer in der Luft, als hätten sie kein Gewicht.

Von der Ästhetik her erinnert diese Installation aus Kulisse und Mensch an eine Arbeit von Joseph Beuys („Blitzschlag mit Lichtschein auf Hirsch“).

Es geht um den Kreislauf der Lebenserhaltung, um den Einfluss der Urgewalten, auch um ihre Gegenbewegungen innerhalb der Natur.

Die zeigen sich auch, wenn es Puck endlich gelingt, seine Aufgaben zu erfüllen.

Titania wird von ihrem Ehemann höchstselbst erlöst: Er nimmt der nach der heißen Nacht mit dem Esel erschöpft Schlafenden den Zauber. Als er sie weckt, verliebt sie sich sofort wieder in ihn – und ist zur gefügigen, liebevollen Gattin mutiert.

"Ein Sommernachtstraum" von Edward Clug beim Staatsballett Berlin

Nick Bottom (Ross Martinson) spielt Küssen: mit dem Eselskopf und der eigenen Hand. Zu sehen in Edward Clugs „Ein Sommernachtstraum“ beim Staatsballett Berlin. Foto: Yan Revazov

Bottom hat allerdings noch eine weitere Prüfung vor sich. Mit einem rollenden Gestell und auf Spitzenschuhen nähert sich eine Gottesanbeterin dem Schlafenden. Er erwacht, greift nach ihren armgroßen Fühlern – und ist sexuell involviert. Langsam, aber sicher zieht sie ihn, der auf dem Rolltisch sitzt, von der Bühne.

Aber dann. Dann liegt er auf dem Tisch wie auf einer Bahre, den Kopf rechts im Off. Aber seine Beine beginnen zu zappeln, und aus anfänglichem Unwohlsein wird offenkundig Lebensgefahr. Es ist toll zu sehen, wie der menschliche Körper Ausdruck und Interkontext schaffen kann, ohne sich selbst zu verraten.

Die Kumpel von der Handwerkerclique retten Bottom. Im Hauruck-Verfahren eisen sie die Bahre los, ziehen sie auf die linke Seite – und befreien Bottom solchermaßen vor dem Schicksal, von der Gottesanbeterin nach dem Sex verzehrt zu werden. Vorsicht also vor allzu verlockenden Liebespartnern!

Die Auswirkungen dieser magischen Nacht auf die Welt des Adels in Athen sind derweil heilsam.

Hippolyta hat Theseus gegenüber – der bei Shakespeare und in anderen Versionen ein ziemlicher Schürzenjäger ist – nun keine Vorbehalte mehr und nimmt seine Ehrungen als seine Braut gern an.

"Ein Sommernachtstraum" von Edward Clug beim Staatsballett Berlin

Tanzende Paare gibt es auch in der Elfenwelt im „Sommernachtstraum“ von Edward Clug beim Staatsballett Berlin. Foto: Yan Revazov

Egeus hingegen wird von der Bedeutung aufrichtiger Liebe überzeugt und willigt in die Vermählung seiner Tochter mit Lysander ein. Lysander und Hermia sind sich derweil wie zu Beginn wieder in Liebe verbunden.

Demetrius allerdings bleibt verzaubert, damit er die ihn anhimmelnde Helena ehelichen möchte.

Drei glückliche Paare feiern hier also ihre Verheiratung.

Edward Clug zeigt dann als erstes den aberwitzigen Auftritt der Handwerker. Deren Mehr-Wollen-als-Können gibt oft Anlass zu Gelächter, und ihr improvisiert wirkendes Spiel hat so viel Charme, dass man es lässig hinnimmt, dass diese  Clownesque schließlich ganz ad absurdum geführt wird.

Pyramus nämlich liegt mit imaginärem Schwert nach Suizid im Bauch auf der Rolltischbahre, als die anderen Darsteller mit vereinten Kräften dieses Schwert herausziehen. Thisbe alleine war nämlich zu zart dafür. Und flugs wird der Erschlagene zum Leben erweckt, springt auf und löst die Situation mit einer kecken Geste zu seinem Publikum hin auf.

Es folgt ein modernes Defilee der Untertanen. Zunächst als Corps der Melkeimer-Schwenkenden, was ungewöhnlich und doch apart wirkt. Kirchenglocken ertönen, und der wiegende Rhythmus wird beibehalten, als die große Truppe von Hochzeitsgästen im Babydoll-Look im Takt die Eimer schwingt.

Schließlich tanzen sie auch ohne Eimer, sie scheinen das Herrscherpaar nach getaner Arbeit zu lobpreisen.

"Ein Sommernachtstraum" von Edward Clug beim Staatsballett Berlin

Diese golden-warme Stimmung, die das Werbebild mit Leroy Mokgatle zeigt, fehlt leider im „Sommernachtstraum“ von Edward Clug beim Staatsballett Berlin. Dafür ist das Foto auch im Anschnitt wunderbar. Foto: Caroline Mackintosh

Der Tag nähert sich dem Ende… Aber für Oberon und Puck ist in dieser Version noch lange nicht Schluss. Ein letzter Pas de deux der beiden zum zünftigen Blubbern aus den Boxen macht uns klar, dass die beiden weiterhin Streiche aushecken und in das Leben der Menschen wie in das der Elfen eingreifen werden.

Puck, der auch bei Shakespeare das letzte Wort hat, hockt schließlich halb zutraulich, halb lauernd vor uns, wenn der Vorhang langsam fällt.

„Wenn wir Schatten euch beleidigt, / Ist der Fehler schnell beseitigt: Denkt, dass euch der Schlaf befiel / Während unserm Schattenspiel.“ Das steht so bei Shakespeare. Alles klar? Ansonsten bitte einfach nochmal reingehen.
Gisela Sonnenburg

www.staatsballett-berlin.de

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