
Noch ist er der Herr im Haus: Tadeusz Matacz, der bis zum Ende des Jahres 2025 die John Cranko Schule in Stuttgart leitet. Foto: Roman Novitzky
Er hat einen hervorragenden Ruf, er engagierte Top-Lehrerinnen und Lehrer für seine Schützlinge, und er brachte im Laufe von immerhin 27 Jahren dutzendweise Weltklasse-Tänzerinnen und -Tänzer hervor: Direktor Tadeusz Matacz leitet noch bis Jahresende die renommierte John Cranko Schule in Stuttgart, die als eine der besten Tänzerschmieden fürs Ballett nicht nur in Deutschland gilt. Dann kommt ein neues Leitungsteam, das allerdings zum Stuttgarter Ballett eine grundlegende Verwurzelung hat: Elisa Carrillo Cabrera als Nachfolgerin von Matacz, und ihr Ehemann Mikhail Kaniskin als ihr Stellvertreter. Wie Matacz haben die gebürtige Mexikanerin und der gebürtige Russe ihre pädagogische Ausbildung bereits in ganz jungen Jahren – noch als Ensembletänzer – nebenberuflich absolviert. Nur tat Matacz, gebürtiger Pole, das in Warschau, während Carrillo Cabrera und Kaniskin beim Stuttgarter Ballett tanzten.
Beide absolvierten zunächst glanzvolle Karrieren als Interpreten: erst in Stuttgart, dann beim Staatsballett Berlin, wohin Vladimir Malakhov sie engagierte. Insbesondere in Partien wie als Solor in „Die Bajadere“ von Malakhov und als „Onegin“ von John Cranko brillierte Kaniskin als einer der bemerkenswertesten Tanzkünstler seiner Zeit überhaupt.
Sein Stil vereint die strenge, aber dramatisch nuancierende Moskauer Schule des Bolschoi, wo er als Talent entdeckt wurde, und den expressiven, neoklassischen Stil von John Cranko. Auf dieser Basis lassen sich dann neuere, moderne und zeitgenössische Tänze hervorragend erarbeiten.
An der nach Cranko benannten Schule vom Stuttgarter Ballett, die Klassik und Moderne eint,wurde Kaniskin denn auch in der Endphase seiner Lernzeit zum Jungtänzer geformt. Die ersten Jahre im Stuttgarter Ballett bereiteten seine Entfaltung als großer Bühnenkünstler vor.

Elisa Carrillo Cabrera und Mikhail Kaniskin in den Kostümen der Schlussszene von „Onegin“ von John Cranko bei Kaniskins Abschied vom Staatsballett Berlin mit der Gala „From Love with Berlin I“. Foto: Gisela Sonnenburg
Später reüssierte er, ebenso wie seine Gattin Elisa Carrilla Cabrera, in Stücken von David Dawson (der übrigens soeben zum Artist in Residence beim Kanadischen Nationalballett ernannt wurde), von John Neumeier, von Eric Gauthier, von Mauro Bigonzetti, von Uwe Scholz, von Nacho Duato und vielen anderen.
2020 nahm Kaniskin mit einer unvergesslichen Gala seinen Bühnenabschied in Berlin und organisierte fortan Events wie den Youth Grand Prix Germany 2021 und etliche internationale Workshops. Als künstlerischer Leiter der Anton Dolin Stiftung und der Elisa Carrillo Cabrera Stiftung wirkt er ebenfalls hinter den Kulissen. Als Berater und Pädagoge sammelte er zusätzlich bei der National Dance Company in Mexiko-City Erfahrungen.

Mikhail Kaniskin trägt Elisa Carrillo Cabrera: wackelfreies Ballett, zu sehen war es 2017 beim Staatsballett Berlin in Bemjamin Millepieds „Daphnis et Chloé“ . Foto: Yan Revazov
Seine Gattin Elisa erhielt schon den Prix Benois de la Danse in Moskau. Sie arbeitete sich nach ihrer Ausbildung unter anderem an der English National Ballet School in London von Beginn an ihrer Karriere in Stuttgart hoch. Dort begann sie als Elevin und ging 2007 als Solistin mit ihrem Mann nach Berlin.
Nebenbei begründeten die beiden Ballettevents in Mexiko, so seit 2012 die Gala-Reihe „Elisa and Friends“ und seit 2018 das Tanzfestival „Danzatlan“.
Angelin Preljocaj erwählte Elisa Carrillo Cabrera als sein Berliner „Schneewittchen“, noch bevor sie Erste Solistin wurde. Julia, Tatjana, Nikija – Elisa verkörperte nicht nur die traditionellen Partien einer Prima, sondern auch aufregende neuere Kreationen wie in „White Darkness“ von Nacho Duato.
Geschmeidigkeit und Anmut zählen zu ihren vornehmen Tugenden, die sie nun vor allem in „Stuggi“ weitergeben wird.

Bravos entgegen zu nehmen, gehört für sie zum Beruf: Elisa Carrillo Cabrera und Alexei Orlenco vom Staatsballett Berlin nach „Onegin“. Foto: Gisela Sonnenburg
Seit 2010 ist sie übrigens auch „Botschafterin der mexikanischen Kultur“ – aber ganz ohne den folkloristischen Mexikanischen Flaschentanz, der zu Unrecht von den Ausbildungsplänen der Ballettschulen gestrichen wurde. Vielleicht findet er ja jetzt zumindest in Stuttgart wieder Eingang in die Lehre.
2024 nahm Elisa in Berlin ihren Abschied. Weitere Auftritte bei Galas und selbst produzierten Stücken in Mexiko begeisterten weiterhin ihr Publikum. Als Co-Artistic Director der National Dance Company in Mexiko-City wirkt sie als Initiatorin. Privat ist sie übrigens Mutter einer lieblichen Tochter, deren Vater Kaniskin ist.
Mit einer Massen-Unterrichtsstunde open air in Mexiko profilierte Elisa sich letztes Jahr zwar nicht als Detailpädagogin, sehr wohl aber als PR-willige, für originelle Ideen aufgeschlossene Persönlichkeit des Tanzes.
Wenn jetzt noch dafür gesorgt wird, dass in Stuttgart nicht nur der Körper, sondern auch der Geist der künftigen Elite-Tänzerinnen und -Tänzer gebildet und geformt wird, steht einer Erneuerung der Schule im Sinne von John Cranko nichts mehr im Wege.
Über Unterricht in Ballettgeschichte, wie sie im Kontext von Musik-, Kunst- und allgemeiner Kulturgeschichte steht, sollte man sich allerdings nicht nur in Stuttgart mal Gedanken machen.

Grüße auch von Malewitsch: Elisa Carrillo Cabrera und Ehemann Mikhail Kaniskin beim Applaus nach „Kazimir’s Colours“ auf der Gala „From Berlin with Love I“ beim Staatsballett Berlin. Foto: Gisela Sonnenburg
Es fällt nämlich auf, dass nicht nur Tänzerinnen und Tänzer, sondern auch junge Choreografinnen und Choreografen immer stärker an einem Mangel an tiefer Bildung bezüglich ihrer eigenen Kunst leiden.
Das ist auch kein Wunder, wenn man sich die fleißigen, aber einseitig auf Körperlichkeit ausgerichteten Unterrichtspläne der Profi-Schulen besieht. Womöglich aber geht Stuttgart da ab Januar 2026 bei der Nachwuchs-Pflege mit großen Schritten in die richtige Richtung. Herzliche Glückwünsche zum Leitungswechsel!
Gisela Sonnenburg

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