
Die Handwerkertruppe aus „Ein Sommernachtstraum“ von John Neumeier beim Hamburg Ballett verursacht Lachkrämpfe… Foto: Kiran West
Während sich das Hamburg Ballett auf ein Gastspiel Ende des Monats in Bejing in China vorbereitet, wo es „Ein Sommernachtstraum“ von John Neumeier tanzen wird und wo die Erste Solistin Xue Lin, gebürtige Chinesin, die Haupt- und Doppelrolle der Hippolyta und Titania tanzen wird (und in zwei weiteren Aufführungen die Partie der Helena), überlegt man, was man bei der Hamburger Bürgerschaftswahl am Sonntag wählen wird. Wer die Pläne des Schweizer Milliardärs Kühne, ein neues Opernhaus weitab vom Zentrum nahe der Elbphilharmonie bauen zu lassen, vermessen und abwegig findet, muss die Außenseiter wählen: Als einzige Fraktion vor Ort hat sich Die Linke in Hamburg schon seit langem für die Beibehaltung des bewährten Opernhauses in der Dammtorstraße / Große Theaterstraße und gegen den teuren Neubau in der HafenCity ausgesprochen. Bravo!

Ein Blick in den Trailer zur DVD „Ein Sommernachtstraum“: Alexandr Trusch als Puck mit Zettel, der gerade zum Esel wird, grandios von Marc Jubete verkörpert. Videostill: Gisela Sonnenburg
Ballettfans, die ihren Lieblingsort nicht verlieren wollen, können also auf Nummer sicher gehen und, weil ihnen dieser Teil ihres Lebens nicht ganz unwichtig ist, Die Linke wählen. Das folgt logisch aus der Positionierung der Partei.
So hat die Fraktion eindeutig formuliert:
„Kühne kann man sich schenken: Die Stadt gehört uns und keinem Schweizer Milliardär. Willkürliche Entscheidungen nach Gutsherrenart dürfen kein Ersatz sein für Beteiligung und Transparenz!“
So ist es. Heike Sudmann von der Hamburger Linken – zuständig für das wichtige Thema der Stadtentwicklung – berücksichtigt zudem die starken denkmalschützerischen und stadthistorischen Argumente, die gegen einen Umzug der Staatsoper an den Hafen sprechen.
Abgeraten werden muss in diesem Kontext hingegen leider überwiegend von der SPD Hamburg, die auf Geheiß des aktuellen Ersten Bürgermeisters Peter Tschentscher (SPD) sehr gern einen spektakulären Neubau an der Elbe haben will – und ihn insofern mit Steuergeldern mitfinanzieren möchte, als sie das Grundstück und 147 Millionen Euro springen lassen will. Den Rest soll Kühne zahlen.
Die weiteren Taxifahrten des Publikums ins Hafengebiet zahlt Kühne allerdings nicht. Es gibt auch keine Aufwandsentschädigung für Frauen für längere Fahrzeiten und häufigeres Umsteigen mit den Öffis.
Und ob in einem „spektakulär“ großen Saal auch wirklich bessere Kunst angeboten wird – die Bedingungen für Oper und Ballett sind andere als für Konzerte – wird auch nicht garantiert, ja nicht mal versprochen.
Es gibt allerdings eine Ausnahme: Tatsächlich gibt es eine tapfere Solistin der SPD, die sich den Scheinargumenten pro Kühne-Oper nicht beugt. Britta Schlage ist Fachsprecherin der SPD Hamburg für Senior:innen (die bekanntlich einen Großteil des Opern- und Ballettpublikums ausmachen, was seine Berechtigung hat) – und Schlage würde viel lieber andere Geschenke an die Bevölkerung im Bereich Kultur sehen als eine neue teure Oper.
Ihr schweben mindestens einmal monatlich freie Eintritte für alle in die Hamburger Museen vor – damit, so sagt sie, würde man viel mehr Menschen was Gutes tun, als mit einem neuen Opernhaus. Wer würde dem widersprechen wollen?
Die Hamburger Grünen haben dennoch in schlimmster Mitläufermanier zusammen mit der Majorität der Hamburger SPD der Kühne-Oper einen vertraglichen Zuschlag erteilt. Allerdings muss dieser noch von der dann neu gewählten Bürgerschaft abgesegnet werden, er kann aber auch zurückgewiesen werden.
Darum ist diese Wahl so wichtig für Opern- und Ballettinteressenten.
Übrigens: Dass eine neue Architektur nullkommanull Aussage zur künstlerischen Qualität auf der Bühne macht, verdrängen die Befürworter der Kühne-Oper völlig. Auch, dass in anderen Städten Opernhäuser klug saniert werden, ohne dass man neu bauen muss, scheint ihnen unbekannt.

Majestätisch und modern: die Hamburgische Staatsoper, von außen gesehen, an einem Winterabend im Februar 2025 – was ist gegen sie zu sagen? Nichts! Foto: Gisela Sonnenburg
Das mag daran liegen, dass sie allesamt, von Klaus-Michael Kühne bis zu Peter Tschentscher, keine Experten für Oper- und Ballettaufführungen sind. Im Gegenteil. Und nicht mal der aus Gelsenkirchen stammende Kultursenator Carsten Brosda kann spezielle Kenntnisse in diesem Bereich geltend machen.
Sie alle sind lediglich geblendet von der Idee, Hamburg einen neuen Hype zu bescheren. Ein Opernhaus ist aber eher das Gegenteil eines massentauglichen Hype.
Überlegen wir doch mal: Ein Opernhaus versorgt interessierte Menschen im Innern seines Gebäudes mit anspruchsvollen Darbietungen aus den Bereichen Oper und Ballett.
Mit Massentourismus, wie man ihn zum Beispiel in die Elphi locken kann, kommt man in Sachen Oper und Ballett in einem Saal fürs städtische Publikum überhaupt nicht weiter.
Die Masse Mensch hält Klassik zwar für ein, zwei Stunden aus – aber keine drei-, vier- oder fünfstündige Oper. Selbiges gilt für Ballett.
Und gerade Peter Tschentscher (SPD) verliert seine Befähigung zu differenzieren zusehens. Bei einer Wahlveranstaltung in Sankt Pauli ließ er kürzlich sogar Folgendes verlauten:
„Der bunteste und vielfältigste Ort in Hamburg ist die Reeperbahn“. (Peter Tschentscher, Quelle: Hamburg Journal, 28.2.25, ndr Fernsehen)
Wie peinlich. Wer ein solches Kulturverständnis hat, sollte nicht über Opernhäuser entscheiden.
Da nützt all das Wortgeklingel, das Tschentschers SPD-Fraktion zur Befürwortung der Kühne-Oper parat hat (mir liegt dazu Einiges vor), wirklich nichts. Tut mir Leid.
Hinzu kommt der Größenwahn, der die Kühne-Pläne bestimmt. Denn nicht mal jetzt ist das ohnehin nicht kleine Opernhaus an der Dammtorstraße immer ausverkauft. Das muss es auch nicht sein, denn es befriedigt hohe Ansprüche und eben nicht die kleinsten Nenner. Genau dafür wurde es errichtet: für den anspruchsvollen Geschmack.
Nur: Kühnes neue Oper soll viel größer werden als die jetzige Oper. Das ist unsinnig. Ganz offenkundig. Man wird dann entweder eine halb leer stehende Monsteroper am Hafen haben. Oder man wird mindestens Musicals oder „Let’s dance“-Shows, wenn nicht noch viel mehr massentauglichere Events anbieten müssen, um die Bude voll zu kriegen. Kühne, überlegen Sie sich doch mal, was Sie eigentlich wollen! Ein Opernhaus wollen Sie doch gar nicht, sondern viel eher eine Eventhalle mit einem Programm noch völlig unbekannten Zuschnitts. Faktisch wollen Sie den Hamburgern also Oper und Ballett nehmen, um ihnen stattdessen massentaugliche Popkultur anzudienen.
Der Wirtschaftsbonze als Kulturpolitiker durch die Hintertür…
Die einzige Branche, die wirklich von einer Kühne-Oper profitieren würden, ist die Baubranche. Man muss keinen sehr hohen IQ haben, um zu bemerken, dass Kühnes Pläne im Hinblick auf das Investment hier großzügig, in puncto künstlerischer Qualität aber eher nichtssagend sind.
Kunst hat aber mit Zirkus nicht viel zu tun, Herr Kühne! Vielleicht bauen Sie sich doch lieber gleich eine Art Mega-Event-Halle, die speziell auf den Massentourismus ausgerichtet ist, und dessen Publikum keinerlei inhaltliche Vorkenntnisse braucht.
Wer nicht zu den Superreichen in Hamburg gehört und auch nicht deren Interessen vertritt, teilt übrigens diese Argumente.
Sogar Dirk Nockemann von der AfD Hamburg hat sich gestern in einer ZDF-Wahlsendung ausdrücklich gegen den Neubau einer Kühne-Oper am Hafen und für die Beibehaltung der Hamburgischen Staatsoper an ihrem jetzigen zentralen Standort ausgesprochen.

Glück beim Applaus zwischen den Akten in der Hamburgischen Staatsoper: Hier mit „Lohengrin“ in der Inszenierung von Peter Konwitschny mit Klaus Florian Vogt und Simone Schneider (Elsa) sowie dem Ensemble. Kann man gar nicht besser machen. Applausfoto: Gisela Sonnenburg
Nur die CDU – als letzte der großen Oppositionsparteien des rot-grünen Senats in Hamburg – kann sich noch nicht so richtig entscheiden und ist vom Glanz des Geldes des Herrn Kühne noch sehr angetan. Immerhin moniert Anke Frieling, stellvertretende Fraktionssprecherin, dass sie nicht genügend informiert worden sei, und sie verlangt „volle Transparenz und Einblicke in die Verträge“. Wie die CDU sich dann entscheiden wird, steht noch in den Sternen.
Den meisten Kummer dürfte nach der Hamburger Wahl der etwaige Fraktionszwang bei SPD und Grünen bereiten: Wenn die einzelnen Abgeordneten nicht Sachargumenten folgen, sondern nur einheitlich abstimmen wollen. Das macht die Demokratie zur Diktatur. Oper und Ballett erfordern aber eine gewisse Wahrheitsliebe.
Gisela Sonnenburg
P.S. HIER geht es zur Petition vom Denkmalverein Hamburg auf change.org zur Beibehaltung der Hamburgischen Staatsoper an ihrem angestammten Ort.