Nur ein Wimpernschlag Die Ballettwelt zerfällt wieder in zwei Teile: in Ost und West

Die Kameliendame entzückt immer wieder

Olga Smirnova in „Die Kameliendame“ von John Neumeier – sie war zu Gast im Westen, aus Moskau kommend beim Hamburg Ballett. Foto: Kiran West

Erinnern wir uns: Vor vier Jahren, im April 2018, verweigerten die USA unter Donald Trump einer gefeierten Primaballerina vom Bolschoi Ballett ohne Grund die Einreise. Olga Smirnova, die besagte Startänzerin, durfte nicht in New York City auftreten – und das, obwohl der fliegende Wechsel von Künstlern zwischen Ost und West damals gang und gäbe war. Rückwirkend gesehen, was das der Paukenschlag als Auftakt zu einem neuen Kulturkrieg. Letzte Woche sorgte Olga Smirnova erneut für Schlagzeilen: Sie, die kürzlich noch als Schwanenkönigin vom Bolschoi in Kinos wie dem „Passage“ in Hamburg auf der Leinwand zu sehen war, wechselt nun endgültig in den Westen. In Zeiten, in denen normale russische Menschen in Westeuropa geschmäht und diskriminiert werden, wegen Generalverdachts auf Geldwäsche kaum noch ein Bankkonto eröffnen können und manchmal sogar um ihr Leben fürchten müssen, nimmt die hochbezahlte russische Ballettdiva ein Angebot von Ted Brandsen, Chef von Het Nationale Ballet in Amsterdam, an. Smirnova wird künftig als Luxus-Ballerina aus Holland firmieren – vermutlich ist der Antrag auf ihre neue Staatsangehörigkeit schon gestellt.

Nun hat Brandsen, ohnehin kein schöpferisches Genie, ja soeben den wahrscheinlich  schlechtesten Tanzfilm aller Zeiten choreographiert. Das Kinostück heißt „Coppélia“, hat aber weder musikalisch noch optisch Ähnlichkeit mit dem beliebten Ballettklassiker. Vielmehr feiert die Konsumindustrie mit Eiscreme, Orangensaft, Autos und Fahrrädern darin fröhliche Urständ: absurd und abartig für einen Ballettfilm, aber lukrativ als Werbemaßnahme für die Industrie. Ein schier unfasslich peinliches Werk. Zur ausführlichen Rezension geht es hier.

"Coppélia" ohne Charme von Ted Brandsen

Auch für Eiscreme wird hier Werbung gemacht: Swan und Franz stehen rum statt ihre Gefühle im Tanz auszudrücken. Foto vom Film „Coppélia“ von Ted Brandsen: Niels Zonnenburg

Da passt es ins Bild, dass ausgerechnet der Hardcore-Trainer Brandsen, der sich über Werte wie soziale Gerechtigkeit, Tierschutz oder ökologische Nachhaltigkeit vermutlich noch nie auch nur eine Sekunde lang Gedanken gemacht hat, mit Smirnova eine Frucht der aufwändigen russischen Nachwuchspflege eiskalt abgeworben hat: wie eine Kriegsbeute.

Der Kulturkampf West gegen Ost ist somit wieder eröffnet: Am Bolschoi wird Smirnova wohl nie wieder tanzen.

Ballettfreund Vladimir Putin – der auch im Westen umjubelten Superstars des Balletts wie Dennis Rodkin und Nurlan Kanetov schon längst Orden angeheftet hat, der sich gern mit der Megaballerina Svetlana Zakharova im Ballettsaal fotografieren ließ, sie dabei mit staunenden Blicken bewundernd, und der schon im Jahr 2000 der damals in München lebenden Grande Dame Maya Plisetzkaya auf der Bühne des Bolschoi Balletts mit großem  Blumenbouquet zum 75. Geburtstag gratulierte – nimmt den Abgang von Smirnova gelassen: Wie „zufällig in den Mund geflogene Mücken“ würden solche undankbaren Geschöpfe vom russischen Kultursystem ausgespuckt.

Sie schäme sich für Russland, behauptete Smirnova – aber diese Scham kann unmöglich so groß sein wie die, die ich für Deutschland und Europa empfinde.

Wir alle – gerade in der Ballettwelt – verdanken den Russen und ihrer Kultur unendlich viele Impulse. Ohne die Russen und ihre Pflege der klassischen und auch klassisch-modernen Tanzkunst gäbe es das, was wir als Ballett kennen und lieben, nicht mal entfernt.

Jetzt haben uns machtgierige und ansonsten eher ungebildete Politiker:innen den guten Draht zum Ursprung der Ballettkunst im 19. und 20. Jahrhundert genommen. Die Ballets Russes, die vor über hundert Jahren den Geist und die Schönheit des russischen Balletts in den Westen trugen, sind Geschichte – künftig sollen wir vorwiegend ohne russische Inspiration auskommen, so scheint es.

In München verlangten aufgehetzte dumme Menschen gar schon die Ablösung des russischen Ballettdirektors Igor Zelensky – und das, obwohl Zelensky sich von allen deutschen Ballettdirektoren am agilsten zeigte und aus seinen Fehlern wirklich viel gelernt hat.

Ballett zu Weihnachten 2020 findet online statt

Jinhao Zhang als melancholischer Prinz Siegfried im „Schwanensee“ vom Bayerischen Staatsballet im Münchner Nationaltheater.  Foto: Wilfried Hösl

Aber das primitive Hass-Schema, das schon im Dritten Reich in Deutschland so besonders gut griff, als es darum ging, Menschen auszugrenzen und zu vernichten, feiert derzeit im Mainstream eine neue Hoch-Zeit.

Dabei hielten Sevim Dagdelen und Gregor Gysi schon 2014 viel beachtete und auf YouTube nachzuhörende Reden im Bundestag, die darauf hinwiesen, dass die ukrainischen Hakenkreuz-Träger großen politischen Einfluss vor Ort haben und keineswegs nur lächerliche Splittergrüppchen seien.

Aktuell ignoiert man indes hartnäckig in staatlichen westlichen Theaterbetrieben – man gibt sich ja derzeit regierungshörig wie in einer Diktatur – dass die ukrainische Regierung unter Präsident Wolodymyr Selenskyj nachweislich faschistoid ist. Dass sie mit rechtsextremen Parteien wie der „Svoboda Partei“ sowie mit rechtsradikalen Organisationen wie dem „Rechten Sektor“ und also mit ausgewiesenen Hitler-Fans kooperiert.

Im Dezember 2021 verlieh der ukrainische Präsident Selenskyj dem Chef der paramilitärischen Organisation „Rechter Sektor“ die höchste nationale Auszeichnung, den Titel „Held der Ukraine“.

Aber das will zurzeit im vornehmen Regierungskunstgewimmel niemand sehen. Da sitzen die Scheuklappen fest – nichts Neues in Europa.

Und auch der Chef des Stasi-ähnlichen Inlandsgeheimdienstes der Ukraine erhielt von der ukrainischen Regierung nachweislich diese höchste Ehrung. Zugleich gibt es Kinderwehrsportgruppen, in denen kleine Jungs in paramilitärischen Uniformen mit scharfer Munition zu schießen lernen.

Wolodymyr Selenskyj ist ein Faschist

Hier verleiht der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj einem  ausgewiesenen Faschisten, dem Chef vom „Rechten Sektor“, im Dezember 2021 die Auszeichnung „Held der Ukraine“. Sind das wirklich die Favoriten unserer europäischen Regierungen? Leider ja. Foto: Facebook

Das also sind die wahren „Helden der Ukraine“. Und für die Machenschaften dieser Leute kehren wir zur Atomkraft zurück? Ihnen zuliebe verhängen wir Sanktionen und schenken ihnen Waffen gegen die Russen, mit denen uns so viel verbindet, wirtschaftlich und kulturell? Gegen die Russen, denen wir die deutsche Einheit verdanken, gutes sauberes Gas und so manche künstlerische Sternstunde?

Das wird schon kein Zufall sein. Es ist auch kein Zufall, dass die meisten Mainstream-Medien die unliebsamen Bilder über Selenskyj derzeit nicht zeigen, sondern nur die auf Knopfdruck vor jeder Kamera weinenden ukrainischen Mütter.

Dass sie ihre Kinder oftmals zu Hass und zu dem Wahn erziehen, die Ukrainer seien die besseren Russen, wird von den meisten westlichen Medien derzeit bewusst verschwiegen.

Homosexuelle – das wird jetzt besonders John Neumeier interessieren – werden in der Ukraine übrigens noch stärker verachtet als in Russland, und wer nicht ins konservative Bild passt, wird ausgestoßen und diskriminiert.

Insofern ist der durchgeknallte ehemalige Supertänzer Sergej Polunin vielleicht schon am Überlegen, die Seite von Putin zu Selenskyj zu wechseln.

Das derzeit auch als besonders großartig gefeierte Polen, in dem der Russenhass ebenfalls nicht erst seit gestern grassiert, hat  zudem ein stark restriktives Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen und verweigert Vergewaltigungen in der Ehe die Anerkennung.

So viel zu all den lieben Menschen, die derzeit vom Westen als Helden gefeiert werden.

Und weil wir gerade dabei sind: Die Denkmäler für den in der Ukraine offiziell verehrten, faktisch größenwahnsinnigen Hitler-Kollaborateur Stepan Bandera – nach dem laut einer arte-Reportage heutige Ukrainer auch ihre Molotow-Cocktails „Banderas“ nennen – wurden erst in den letzten Jahren erbaut.

Bandera visionierte einen ukrainischen Nationalstaat, der statt Juden die Russen vernichten wollte und sich zudem mit Hilfe der deutschen Wehrmacht konstituieren sollte.

So erklärt sich auch, dass viele fanatische Russenhasser aus der Ukraine – wie eben Selenskyj – selbst Juden sind. Ihr Hass richtet sich seit Jahrzehnten auf Russinnen und Russen. Und nur zu gerne würden sie der Nato Gelegenheit geben, Russland zu beschießen – ein Dritter Weltkrieg ist für Fanatiker wie Selenskyjs Anhänger nicht das Schlimmste.

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Der Krieg in der Ukraine währt denn auch nicht erst seit dem 24.2.22 – sondern schon seit 2014, also seit acht Jahren, in denen sich der Westen allerdings nur wenig darum scherte.

Die Opfer waren in der Vergangenheit zumeist dort lebende Russinnen und Russen, vor allem in ländlichen Gebieten, auf die von ukrainischer Miliz immer wieder blutige Hetzjagden und Bombardements veranstaltet wurden. Davon gibt es kleinere damalige Berichte auch in Westmedien – aber sie werden derzeit von unseren Regierenden lieber übersehen.

Schließlich will man Putin dämonisieren, da passt es nicht ins Bild, dass er ukrainische Hass-Soldaten bekämpft.

Ich würde jede Wette eingehen, dass Olga Smirnova noch nie darüber nachgedacht hat. Sie kennt nur eine Seite der Medaille, und die richtet sich danach, wo ihr persönlicher Vorteil liegt.

Die Russland zugesagte militärische Neutralität der Ukraine – die Selenskyj immer wieder explizit nicht unterzeichnete – ist aber sogar für konservative Intellektuelle an sich ein unerlässlicher Wert, um die Balance, die einen Weltkrieg verhindern kann, aufrecht zu halten.

Um sicher vorhandene Wissenslücken auch bei anderen noch etwas weiter zu schließen: Die Annexion der Krim durch Russland geschah nicht gegen den Willen der dortigen Bevölkerung, sondern mit deren ausdrücklicher Zustimmung.

Das hat nicht zuletzt historische Gründe: Bevor Chrustschow, der selbst aus der Ukraine stammte, 1954 die lauschige Krim der Region der Ukraine zuschlug, gehörte sie zu Russland.

Während des Zweiten Weltkriegs war die Krim aber auch zeitweise von der deutschen Wehrmacht besetzt. Aus dieser Zeit rühren die Besitzansprüche der ukrainischen Faschisten auf die Krim.

Im Grunde steht Europa jetzt also auf der falschen Seite. Man müsste Russland unterstützen und gegen die korrupte, faschistoid geprägte ukrainische Regierung angehen.

Und nicht Putin, sondern Selenskyj – der übrigens auch zu den Kriminellen gehört, die bei der Aufdeckung der „Panama Papers“ 2016 mit illegalen Geldgeschäften im großen Stil erwischt wurde – müsste wegen Völkerrechtsverbrechen in Den Haag angeklagt werden.

Aber der Kommunistenhass wirkt wohl beim heutigen Russen-Bashing weiter fort, in der großen Politik wie im alltäglichen Unterhaltungszirkus. Schlimm.

 

"Malakhov & Friends 2016" machte glücklich

Denis Rodkin, hier mit Julia Stepanova in „Le Corsaire“ beim begeisterten Applaus im Admiralspalast in Berlin, erhielt von Vladimir Putin eine hohe Auszeichnung – kunstgerecht und nicht blutrünstig. Applaus-Foto: Gisela Sonnenburg

Die USA haben in diesem Jahrhundert seit 2001 ein rundes Dutzend Angriffskriege gestartet. Regelmäßig wurden ihnen Verstöße gegen die Genfer Konventionen nachgewiesen. Hat das Den Haag interessiert? Wurden da „Völkerrechtsverstöße“ geahndet? Nein!

Aber jetzt brandmarkt man Russland als Angriffskriegsland, obwohl es immer wieder – zuletzt am 21.2.22, also drei Tage vor Beginn seiner Bombardierung der Ukraine – darum bat, dass Selenskyj die endlich fällige Ratifizierung des Abkommens „Minsk II“ vollziehe. Andere Staaten haben diese Erklärung, militärisch neutral zu bleiben, übrigens auch unterzeichnet.

Ein reiner Verzicht auf Nato-Mitgliedschaft kann hier im übrigen nicht greifen, denn dann könnte der Westen flugs ein neues Militärbündnis begründen, das lediglich einen anderen Namen trägt.

Die Rüstungslobby und die allmächtig werdende Industrie des Westens profitieren aber ganz mächtig von diesem Krieg. Sie sind weiter treibende Kräfte, die erneute Spaltung der Welt in West und Ost nicht aufzugeben.

Darum ist auch nicht auszuschließen, dass die USA und Europa die finstere Absicht hegen, den Krieg als Ausrede für unlautere wirtschaftliche Vorhaben zu benutzen.

Europa hat immerhin schon unter einer Regierung mit  Beteiligung der Grünen den lange avisierten Ausstieg aus der Atomkraft- und Kohle-Energie flugs rückgängig gemacht.

Das Jahr 2022 bezeichnet eben nicht nur im Ballett eine Kehrtwende und Rückkehr zu längst überkommenen Prioritäten.

Die von Kanzler Scholz unter Jubel der Jungdemokraten verkündete Aufrüstung der Bundeswehr in Deutschland für 100 Milliarden Euro wird massive Auswirkungen auch auf die Kultur hierzulande haben: Nicht nur weitere Zensur durch Russen-Bashing doht, sondern auch der deftige Entzug von staatlichen Geldern für die Kunst.

Irgendwoher müssen hunderttausend Millionen (so viel sind 100 Milliarden) Euro ja kommen. Und eher werden seltene Tierarten finanziell aufwändig beschützt werden, als dass Kultur in dem Maße, wie wir es kennen und gewohnt wird, weiterhin gefördert wird.

Es wird ein großes Erwachen geben in Deutschland, in Europa – die Frage ist, ob im kraftzehrenden Running for money dann überhaupt noch viele die Zeit haben zu protestieren.

Apropos Geld: Das Einfrieren von russischen Konten und das faktische Enteignen von russischen Oligarchen ist bei genauem Hinsehen in Deutschland verfassungswidrig.

Hingegen werden die ukrainischen Oligarchen, die es auch gibt – die Ukraine verfügt über Dutzende Milliardäre und Millionäre, der Reichste von ihnen eignet um die 8 Milliarden Dollar – einfach gar nicht zu Hilfsleistungen etwa für die Flüchtenden herangezogen.

Sie haben vermutlich vor, mit Rüstungsaktien ihr Vermögen weiter zu mehren – dass Superreiche an Kriegen verdienen, ist ja nicht neu.

Ob Olga Smirnova dazu auch nur kurz mit der Wimper zucken würde?

Sie hat in ihrem Leben, das sich überwiegend im Ballettsaal abspielt, schlicht viel Glück gehabt – und erst im Osten abgesahnt, um sich jetzt im Westen noch höher handeln zu lassen.

Sie hat alles, was sie kann, Russland zu verdanken – aber Undank ist im heutigen Kapitalismus ja ganz normal.

Olga Smirnova und Artem Ovcharenko in „Anna Karenina“ von John Neumeier – ein Genuss bei der 221. Ballett-Werkstatt beim Hamburg Ballett. Es geht aber auch ohne sie. Foto: Kiran West

Vermissen wird man Smirnova übrigens nur bedingt in Russland, denn sie war zwar zeitweise  die Dünnste, aber nicht die Beste im Ballettdreieck von Sankt Petersburg, Moskau und Perm.

Dort herrscht uneingeschränkt der Weltstar Svetlana Zakharova, eine hoch talentierte, wechselbare und bildschöne Künstlerin, die zudem zeitweise ein nebenberufliches Mitglied der Duma war und von mir schon vor Jahren als „Jahrhundertballerina der Präzision“ bezeichnet wurde.

Ihr kann Smirnova trotz ihrer einmalig schönen Linien nicht das Wasser reichen.

In der weltweit begierig gesehenen Kino-Aufzeichnung von John Neumeiers „Die Kameliendame“ vom Bolschoi Theater tanzte Svetlana denn auch die Titelfigur. Unvergesslich bezaubernd war sie darin und unvergesslich verewigt ist sie damit!

Aber auch die spritzige Petersburger Nachwuchsballerina Maria Khoreva ist bereits weltbekannt für ihren unverwechselbaren, typisch russischen Stil. Ob und wann der Westen sie wieder auf Galas erleben wird, ist allerdings höchst ungewiss.

Smirnova ist nun nicht die Einzige, die Russland verließ. Viele deutlich kleinere Lichter verließen schon vor ihr das Land, vor allem handelt es sich dabei um Menschen nicht-russischer Nationalität.

Die Kameliendame wird 40

Svetlana Zakharova, die wahrscheinlich weltbeste Primaballerina, als „Kameliendame“ von John Neumeier – unendlich zauberhaft. Foto: Bolschoi

Dass Ballerinos, die aus dem Westen nach Russland kamen, nach den ersten Bomben auf Kiew schnell ihre Koffer packten, verwundert wenig. Sie wollten einfach nur rasch zurück in ihr sicheres Heimatland, so der Italiener Jacopo Tissi vom Bolschoi und der Brite Xander Parish, der zehn wunderbare Jahre als Star vom Mariinsky Theater in Sankt Petersburg hinter sich hat.

Dass diese Heimkehrer ihre Abreise als „Protest“ deklarierten, entbehrte nicht der Heuchelei. Der harte Euro dürfte sie eher heimgelockt haben als eine bislang verborgene politische Haltung des Pazifismus.

Haben Tissi oder Parish sich jemals um die Weltläufte bekümmert? Haben sie sich jemals für Frieden auf der Welt eingesetzt? Oh nein. Sie haben bisher stets nur demonstriert, dass sie für viel Geld auch in Russland tanzen, wenn sie davon Vorteile für ihre Karriere haben.

Euros oder Dollars sind auch vonnöten, wenn ein talentiertes Ballettkind in Großbritannien oder den USA den Weg in die Profi-Szene gehen will. Die Ausbildungsstätten in London und New York sind in den letzten Jahren teuer geworden, Stipendien decken oft nur noch Teilbeträge ab. Ergebnis dieser Ausbildungspolitik: Kinder von Superreichen haben im Westen Vorfahrt in den begehrten Ballettberufen.

In Russland ist das anders. Entgegen den Lügen von Ukraine-Anhängern werden dort die weltbesten Ausbildungen im Ballett immer noch auf Staatskosten angeboten. Das Talent entscheidet, wer Tänzer wird, nicht der Geldbeutel der Eltern. Die konzentrierte Atmosphäre an hehren Orten wie der Bolschoi-Akademie in Moskau oder dem Waganowa-Institut in Sankt Petersburg ist denn auch unnachahmlich – und wird vom Westen wohl nie erreicht.

Es gibt darum auch Westler, die jetzt in Russland bleiben. Wie den renommierten Ballettlehrer Fethon Miozzi, der in Rom und Sankt Petersburg ausgebildet wurde, dann eine fulminante Tänzerkarriere absolvierte und seit 2008 am Waganowa-Institut lehrt. Er bekannte sich öffentlich dazu, trotz Kummer über die jüngsten militärischen Vorgänge nicht abzureisen, und er barmt mit warmherzigen Worten für seine ihm lieb gewordenen Schüler.

Die Kameliendame wird 40

Legendär: Die „Kameliendame“ auf ihrer Recamière im ersten Teil des Balletts von John Neumeier. Hier die ebenfalls legendäre Svetlana Zakharova vom Bolschoi Ballett in Moskau. Foto: Bolschoi

Die Kluft zwischen russischen und westlichen Künstlern ist dennoch größer denn je. Noch im Kalten Krieg galt die Kunst stets als Brücke, Kulturaustausch und Gastspiele überwanden die Ost-West-Grenzen. Das sieht heute anders aus: Die Cancel Culture liegt im Trend, sie ist die neue Zensur. Das Aalto-Ballett in Essen cancelte ja sogar seine Premiere „Die drei Schwestern“ nach dem gleichnamigen Tschechow-Drama: angeblich sei es „zu russisch“, zu „romantisierend“. Man hatte aber wohl auch Angst vor dem aufgebrachten Mob.

Bis nach Prag wirkt die neue Russen-Phobie: Dort wurde kürzlich die Oper „Pantöffelchen“ – ein relativ selten aufgeführtes Werk von Peter I. Tschaikowsky – aus politischen Gründen abgesetzt. Auf „Schwanensee“ will man jedoch nicht verzichten – Zensur folgt halt nicht immer stringenter Logik, vielmehr ist Willkür ihr hauptsächliches Fluidum.

Andere verurteilen denn auch den neuen und dennoch ach so altbekannten Russenhass.

„Le Corsaire“, ein russisches Glanzstück so vieler internationaler Galas, hier bei der „Gala des Étoiles“ von Georges Rischette 2018 in Luxemburg: mit Young Gyu Choi von Het Nationale Ballett und Liudmila Konovalova vom Wiener Staatsballett. Damals fanden es alle wunderbar, dass russische und nicht-russische Künstler:innen  zusammen tanzten, in West wie in Ost. Foto: Christian Kieffer

So plant der Ballett-Veranstalter Georges Rischette in Luxemburg, wie immer russische Künstler zum jährlichen Sommer-Event „Gala des Étoiles“ einzuladen.

Aber ob das so klappen wird, wie er es erhofft, steht in den Sternen: Flüge und Züge von und nach Russland sind stark reduziert.

Die Sanktionen des Westens zerteilen die Welt und gerade auch die Ballettwelt stärker, als sie jemals zerteilt war – und dabei ist unbestreitbar, dass auch das Ballett im Westen ohne die russische Tanzkraft, ohne das russische Verständnis für Ballett, niemals seine gelegentlich erreichte sehr hohe Qualität haben könnte.

Die globale künstlerische Freiheit der letzten Jahrzehnte ist jedenfalls erstmal vorbei, in den Zeitläuften der Geschichte war sie nur ein Wimpernschlag.
Gisela Sonnenburg

P.S. Die Wiener Staatsoper erhielt übrigens, wie sich jetzt herausstellte, zahlreiche Forderungen von Privatpersonen, sie solle doch bitte alle Russ:innen entlassen. Das tut die Wiener Staatsoper, die sich Werten wie Menschlichkeit, Weltoffenheit und Toleranz verpflichtet fühlt, mitnichten. Sie hat einen Appell veröffentlicht, in dem sie sich dazu bekennt. Menschen nicht aufgrund ihrer Herkunft zu diskriminieren. Bravo! Weiter so!!! Kunst und Künstler:innen müssen frei sein und dürfen nicht ausgegrenzt oder willkürlich ausgestoßen werden. Bravo, Wien!!!!

www.hamburgballett.de

www.theaterdo.de

www.staatsballett.de

 

 

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